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Entscheidung 7 U 69/23


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 7. Zivilsenat Entscheidungsdatum 23.04.2025
Aktenzeichen 7 U 69/23 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2025:0423.7U69.23.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 27.03.2023, Az. 14 O 235/21, unter Zurückweisung der weiter gehenden Berufung teilweise abgeändert:

1.1.

Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, gegenüber der Hinterlegungsstelle beim Amtsgericht Frankfurt (Oder) zum Aktenzeichen … (Aktenzeichen01) die Herausgabe des hinterlegten Betrages von 67.742,64 € nebst Zinsen zu bewilligen und der Auszahlung an den Beklagten zuzustimmen.

1.2.

Es wird festgestellt, dass ausschließlich der Beklagte allein berechtigt ist, die Auszahlung des von der Klägerin zum Aktenzeichen … (Aktenzeichen01) hinterlegten Betrages von 67.742,64 € nebst Zinsen an sich zu verlangen.

Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Die Kosten des Rechtsstreits in der Berufungsinstanz tragen die Klägerin zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.

3. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung des Tenors zu 1.1. durch Sicherheitsleistung in Höhe von 68.000 € und im Übrigen darf jede Partei die Vollstreckung der jeweils gegnerischen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages bzw. der Beklagte hinsichtlich des Tenors zu 1.1. in Höhe von 68.000 € leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin war Abwicklerin der Kanzlei des Beklagten. Sie wurde von der Rechtsanwaltskammer des Landes Brandenburg am 03.07.2019 zur Abwicklerin bestellt. Zudem wurde gegen den beklagten ehemaligen Rechtsanwalt ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) wegen des Verdachts der Untreue eingeleitet (Az.: (Aktenzeichen02) Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder)). Die Zulassung des Beklagten endete am 03.07.2019.

Der Beklagte vertrat als Rechtsanwalt zahlreiche polnische Staatsangehörige, die in Deutschland einen Anspruch auf Kindergeld nach dem Einkommensteuerrecht hatten. Er wickelte die Korrespondenz ab und nahm Zahlungen entgegen. An viele dieser Mandanten wurden die eingehenden Zahlungen auf deren Wunsch hin vom Beklagten bar ausgezahlt. Bei Bestellung der Klägerin zur Abwicklerin am 03.07.2019 beliefen sich die auf den Fremdgeldkonten des Beklagten verwahrten Beträge auf noch etwa 300.000 €. Der Beklagte selbst hatte bis zum 30.06.2017 insgesamt 927.314,81 € ausgezahlt. Zum 20.05.2022 waren auf dem Fremdgeldkonto bei der … (Bank01) … (Kontonummer01) noch 67.742,64 € und zum 23.05.2022 auf dem Konto bei der … (Bank02) Nr. … (Kontonummer02) noch 215.534,71 €. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) - Az: (Aktenzeichen02) - sollen in 33 Fällen vereinnahmte Fremdgelder nicht an die Berechtigten Antragsteller ausgezahlt worden sein. Im Rahmen der Ermittlungen wurde festgestellt, dass in drei Fällen Barauszahlungen in voller Höhe geleistet wurden. Die im Strafverfahren erhobene Anklage zum Landgericht Frankfurt (Oder) wurde mit Verfügung vom 19.07.2021 zurückgenommen und das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Der Klägerin gelang es im Rahmen ihrer Tätigkeit nicht, festzustellen, ob und welchen Gläubigern noch Auszahlungsansprüche zustanden und welche Mandanten Bargeldzahlungen zur Erfüllung ihrer Auszahlungsansprüche gegen den Rechtsanwalt erhalten hatten. Die auszahlenden Familienkassen erteilten unter Hinweis auf § 30 AO keine Auskunft über die Namen der Kindergeldempfänger. Die Klägerin wertete die von der Staatsanwaltschaft sichergestellten und vom Beklagten übergebene Unterlagen aus. Sie selbst nahm Auszahlungen in Höhe von 9.734,46 € vor, nachdem ihr die Berechtigung des Empfängers mitgeteilt worden war.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten Ansprüche auf Herausgabe von Unterlagen betreffend bestimmter von ihm geführter Verfahren, Buchungsunterlagen, Akten, Fristenkalender und Datenträger der letzten zehn Jahre bis zur Beendigung der Zulassung geltend gemacht. Sie hat Auskunft betreffend aller nicht erfassten Bargeldauszahlungen im selben Zeitraum begehrt. Während des Rechtsstreits hat sie den Klageantrag für erledigt erklärt, weil ihre Bestellung zur Abwicklerin am 24.05.2022 widerrufen worden ist.

Sie hat kurz vor dem Widerruf ihrer Bestellung im Mai 2022 die auf den Fremdgeldkonten vorhandenen Beträge beim Amtsgericht Frankfurt (Oder) zum Aktenzeichen … (Aktenzeichen03) in Höhe von 215.534,71 € (Anl K28, AH LG Bl. 156), zum Aktenzeichen … (Aktenzeichen04) in Höhe von 1.566,75 € (Anl K28, AH LG Bl. 154) und zum Aktenzeichen … (Aktenzeichen01) in Höhe von 67.742,64 € (Anl K28, AH LG Bl. 157) hinterlegt. Zur Begründung hat sie im Rechtsstreit ausgeführt, dass es sich um Vermögen des Beklagten handeln könne, um Fremdgeld von Mandanten oder Zahlungseingänge aufgrund von Anweisungen Dritter, die auf das Konto des Beklagten geleistet worden seien. Die Klägerin hat die Einlassung des Beklagten zu den Gründen der Verwahrung der Beträge auf dem Anderkonto nicht für glaubhaft gehalten. Auch ergebe sich aus einem Schreiben der Familienkasse Sachsen (Anl K14, Anlheft Kl LG), dass der Beklagte mit dem Steuerberater, der den Antrag auf Kindergeldzahlung gestellt hatte, zusammengearbeitet haben soll.

Der Beklagte hat Widerklage erhoben und beantragt, die Klägerin zu verurteilen, Auskunft über ihre Tätigkeit als Abwicklerin der vormaligen Kanzlei des Beklagten zu erteilen. Die Klägerin hat diesen Anspruch anerkannt. Insoweit ist am 13.01.2022 ein Teilanerkenntnisurteil ergangen. Er hat ferner beantragt, die Klägerin zur Zahlung von 67.742,64 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Freigabe seiner durch die Hinterlegung bei dem Amtsgericht Frankfurt (Oder) erlangten Rechtsposition zu zahlen.

Der Beklagte hat behauptet, er habe die von ihm betreuten Mandate jeweils dahin beendet, dass er das eingegangene Geld in bar ausgezahlt habe. Das Geld auf dem Fremdgeldkonto sei zum Teil eigenes Honorar, zum Teil handele es sich um Geldeingänge, die ein Büro … (Büro01) auf Initiative eines Steuerberatungsbüros veranlasst habe. Die Zahlungen seien von den Familienkassen direkt an den Beklagten gezahlt worden. Er habe das nicht zu verantworten und habe in keinem Mandatsverhältnis zu … (Büro01) und zu vielen der durch die Kindergeldzahlungen begünstigten Personen gestanden. Es gebe mithin Zahlungen, die … (Büro01) auf deren Mandate an ihn angewiesen habe. Die begünstigten Personen seien ihm gar nicht bekannt. Insoweit verweist er zum Nachweis auf ein Urteil des LG Frankfurt (Oder), in dem ein vergleichbarer Sachverhalt zur Klage eines polnischen Staatsbürgers gegen ihn geführt hatte und er den Anspruch anerkannt hat (Anl B2, Anlheft LG).

Zudem sei es wiederholt so gewesen, dass … (Büro01) den Beklagten als Kontaktperson gegenüber polnischen Mandanten des Steuerberatungsbüros angegeben habe. Den Mandaten sei vorgetäuscht worden, dass er, der Beklagte, keine Gebühren für seine Tätigkeit erhebe und mithin nur die Gebühren von … (Büro01) geschuldet seien. Er habe daher häufig an die Mandanten eingenommene Beträge in bar ausgezahlt, damit der Steuerberater Herr … (Name02) und … (Büro01) keinen Zugriff auf die Beträge hätten. Diese Mandate seien abgeschlossen.

Zutreffend sei aber, dass er einige an ihn geleistete Zahlungen nicht in voller Höhe ausgekehrt habe, da er den Auszahlungsanspruch mit seinen Gebührenansprüchen verrechnet habe. Diese Mandanten hätten an den Beklagten ein Honorar und möglicherweise an … (Büro01) eine Provision gezahlt. … (Büro01) habe die Antragsteller an Rechtsanwalt … (Name01) verwiesen, der sodann ihm gegenüber die Forderung der bei ihm eingegangenen und von ihm mit Honoraransprüchen verrechneten Beträge geltend gemacht habe. Die Antragsteller seien von Rechtsanwalt … darüber getäuscht worden, dass er, der Beklagte, ein Honorar verlangen würde, das sie sodann tragen müssten. Ein großer Teil der auf dem Fremdgeldkonto vorhandenen Beträge resultiere daher auch aus eigenem Honorar. Er habe die Beträge vorsorglich dort belassen, um etwaige Rückforderungen erfüllen zu können, sofern sie berechtigt seien.

Das Landgericht hat die Erledigung des ursprünglichen Auskunftsantrages festgestellt und die Widerklage, soweit der Antrag nicht anerkannt worden war, abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin als Abwicklerin einen Anspruch auf Auskunft und Herausgabe gehabt habe. Soweit sich der Anspruch hier möglicherweise auch auf Unterlagen beziehe, die abgeschlossene Mandate betreffen, stehe dies dem Herausgabeanspruch der Klägerin nicht entgegen, weil eine Differenzierung tatsächlich für sie nicht möglich gewesen sei. Der mit der Widerklage gestellte Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht sei unbegründet, weil schon nicht ausreichend dargelegt sei, dass die Klägerin Beträge zu Unrecht ausgezahlt habe. Insbesondere sei eine Rückzahlung an die Familienkasse … nach dem Sach- und Streitstand berechtigt vorgenommen worden, weil es sich um eine rechtsgrundlose Zahlung gehandelt habe. Die Klägerin sei auch zur Hinterlegung berechtigt gewesen. Sie sei zur Auskehr von Beträgen, die Dritten zustanden, verpflichtet gewesen und habe nicht feststellen können, inwiefern Ansprüche Dritter bestanden. Sie habe daher, um sich nicht der Haftung auszusetzen, die Hinterlegung wählen dürfen. Es sei ihr demgegenüber nicht zumutbar gewesen, die Kontoguthaben dem Beklagten zu überlassen. Der widerklagend erhobene Anspruch auf Auskunft schließlich sei erfüllt.

Mit seiner dagegen rechtzeitig eingelegten und begründeten gerichteten Berufung macht der Beklagte geltend: Die Klägerin sei mit der Aufhebung ihrer Bestellung nicht mehr befugt gewesen, als Abwicklerin für ihn aufzutreten. Seiner Auffassung nach sei er selbst wieder befugt, die Aufgaben der Abwicklung auszuüben. Er meint, dass es wegen des Zusammentreffens von Berechtigtem und Verpflichtetem keiner Kostenentscheidung bedürfe. Die Erledigung dürfe nicht festgestellt werden. Er wiederholt und vertieft seine Rechtsauffassung, dass nach Beendigung der Abwicklung das bei Übernahme der Aufgabe der Abwicklerin Erlangte, hier die Kontoguthaben, nach den für Beauftragte geltenden Regelungen ausgekehrt werden müsse. Die Verpflichtung treuhänderisch gehaltene Guthaben an die Berechtigten auszukehren, sei auch nach Beendigung der Abwicklung vom ehemaligen Rechtsanwalt zu erfüllen. Ihm stehe, da die Hinterlegung keine Erfüllung herbeigeführt habe, ein Zahlungsanspruch gegen die Klägerin zu; er müsse sich nicht darauf verweisen lassen, die Auszahlung des hinterlegten Betrages zu erwirken.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 27.03.2023 teilweise abzuändern und

  1. festzustellen, dass das Verfahren, soweit es die Klage betrifft, beendet ist;

  2. die Klägerin zu verurteilen, an ihn 67.742,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.06.2022 Zug um Zug gegen Freigabe der durch die Hinterlegung beim Amtsgericht Frankfurt (Oder) - Hinterlegungsstelle - zum dortigen Az.: … (Aktenzeichen01) auf Seiten des Beklagten erlangten Rechtsposition zu zahlen;

    hilfsweise,

  3. die Klägerin zu verurteilen, die Herausgabe des beim Amtsgericht Frankfurt (Oder) zum Az.: … (Aktenzeichen01) hinterlegten Betrages zu bewilligen und der Auszahlung an den Beklagten zuzustimmen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung über die Feststellung der Erledigung und führt aus, dass ein Zusammentreffen von Berechtigung und Verpflichtung hinsichtlich der Verfahrenskosten hier gerade nicht gegeben sei, weil das auf dem Anderkonto verwaltete Guthaben mutmaßlich Dritten aus Sozialleistungen zustehe. Es habe daher keine Möglichkeit bestanden, die entstandenen Kosten aus der verwalteten Masse zu erhalten. Das Verfahren sei notwendig gewesen, weil der Beklagte nicht an der Information über die Herkunft und den Bestimmungszweck der verwalteten Guthaben mitgewirkt habe. Ihrer Auffassung nach habe die Hinterlegung Erfüllungswirkung, weil der Beklagte an der Aufklärung der Verwendung der Beträge nicht mitgewirkt habe und nach seinen wechselnden Darstellungen zum Grund der Verwahrung auf dem Anderkonto auch in Betracht gezogen werden müsse, dass die Guthaben in voller Höhe früheren Mandanten zustehen.

Ergänzend wird hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen und der erstinstanzlich gestellten Anträge auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen. Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

1.

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Auf den mit der Widerklage gestellten Zahlungsantrag ist die ausschließliche Berechtigung des Beklagten an dem hinterlegten Betrag festzustellen. Auf den Hilfsantrag ist die Klägerin zur Mitwirkung an der Auszahlung des hinterlegten Betrages zu verurteilen. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

2.

Die Klägerin ist gemäß § 55 Abs. 3, § 54 Abs. 1 Satz 3 BRAO, § 667 BGB zur Mitwirkung an der Auszahlung verpflichtet, da sie das von ihr verwaltete Kontoguthaben des Beklagten nach Beendigung der Abwicklung infolge der von ihr veranlassten Hinterlegung nicht an den Beklagten herausgegeben hat.

Es besteht ein Anspruch des Beklagten auf Auszahlung der auf seinen ehemaligen Rechtsanwaltsanderkonten verwalteten Beträge aus § 54 Abs. 1 Satz 2 BRAO, §§ 666, 667, 670 BGB, der bisher nicht erfüllt ist. Die Bestellung zum Abwickler begründet ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis, zugleich entstehen zwischen dem Abwickler und dem Rechtsanwalt bzw. dessen Rechtsnachfolgern privatrechtliche Beziehungen in Gestalt eines Geschäftsbesorgungsverhältnisses (BGH, Beschluss vom 24.10.2003 - AnwZ (B) 62/02, BGHZ 156, 362, Rn. 19).

Der Herausgabeanspruch des Mandanten aus § 667 BGB richtet sich gegen den Rechtsanwalt, der als Treuhänder Zahlungen für Mandanten entgegengenommen hat. Während der Bestellung zum Abwickler hat der Abwickler der Kanzlei Ansprüche aus den Mandatsverhältnissen zu befriedigen. Nach Beendigung der Bestellung muss er das Treugut an den ehemaligen Rechtsanwalt herausgeben (BGH, Urteil vom 23.06.2006 - IX ZR 139/04, ZIP 2005, 1742, juris Rn. 23). Der Anspruch auf Herausgabe des Erlangten bezieht sich nicht nur auf Gegenstände, sondern auch auf Forderungen, auch soweit sie treuhänderisch gehalten werden (BGH, Urteil vom 30.10.2003 - III ZR 344/02, NJW-RR 2004, 121). Diese Pflicht besteht nur insoweit nicht, als der Beauftragte das Treugut vereinbarungs- oder bestimmungsgemäß weitergeleitet hat (BGH, Urteil vom 30.10.2003 - III ZR 344/02, aaO Rn. 15). Dies muss der Beauftragte darlegen und beweisen, wenn er erlangtes Treugut nach Beendigung der Aufgabe nicht an den Rechtsanwalt herausgibt.

Die Klägerin hat die früheren Kontoguthaben der Anderkonten des Beklagten als ehemaligem Rechtsanwalt unstreitig nur in Höhe eines Teilbetrages von 9.734,46 € um Auszahlungen mindern können, da nur wenige Personen zuvor ihre Berechtigung nachgewiesen haben. Im Übrigen konnte sie eine bestimmungsgemäße Verwendung etwa treuhänderisch gehaltener Beträge nicht vornehmen, weil sie die Zuordnung ohne Vorlage weiterer Unterlagen oder Auskünfte der jeweiligen Familienkassen nicht herstellen konnte. Sie kann daher die bestimmungsgemäße Verwendung der von ihr im Rahmen der Abwicklung treuhänderisch verwalteten Beträge nicht nachweisen.

3.

Die bestimmungsgemäße Verwendung des Treuguts in Höhe des streitgegenständlichen Kontoguthabens ist nicht durch die unmittelbar vor Aufhebung der Abwicklung veranlasste Hinterlegung eingetreten, weil die Voraussetzungen der Hinterlegung nicht vorliegen. Der Hinterlegung kam die Wirkung des § 378 BGB nicht zu.

Die Voraussetzungen einer Hinterlegung liegen nach § 372 Satz 2 BGB vor, wenn der Schuldner aus einem in der Person des Gläubigers liegenden Grund, der nicht in einem Annahmeverzug begründet ist, oder infolge einer nicht auf Fahrlässigkeit beruhenden Ungewissheit über die Person des Gläubigers seine Verbindlichkeit nicht oder nicht mit Sicherheit erfüllen kann. Dabei dürfen sich die Zweifel ausschließlich auf die Person des Gläubigers beziehen. Dies ist nicht der Fall, wenn mehrere Verbindlichkeiten in Frage stehen, deren Erfüllung mehrere Gläubiger aus verschiedenen Rechtsgründen vom Schuldner verlangen (BGH, Urteil vom 25.07.2017, VI ZR 222/16, VersR 2017, 1160, Rn 17; Urteil vom 01.02.2012 - VIII ZR 307/10, NJW 2012, 1718, Rn 44). So liegt der Sachverhalt indes hier. Die Klägerin hat die Hinterlegung vorgenommen, bevor ihre Tätigkeit als Abwicklerin abgeschlossen war. Während sie noch bestellt war, bestand Ungewissheit darüber, ob, aus welchem Rechtsgrund und in welcher Höhe dem Beklagten oder anderen Personen Ansprüche auf Auszahlung an dem Kontoguthaben zustehen könnten. Dies konnten Auszahlungsansprüche aus Mandatsverhältnissen des Beklagten sein oder Ansprüche des Beklagten aus Verrechnung mit Vergütungsansprüchen sein. Es war mithin nicht nur zu klären, wem ein konkreter Anspruch zustand; in Betracht kommt vielmehr eine Vielzahl von Ansprüchen, deren Begründung unsicher ist und deren Höhe nicht näher bestimmt sind. Soweit die Klägerin der Auffassung ist, die Ergänzung der bei der Hinterlegung getroffenen Zweckbestimmung zugunsten unbekannter Anspruchsteller (vgl. Protokoll vom 25.10.2024, Bl. 94 OLG) um die Familienkasse … (Bundesland01) als mögliche Gläubigerin (Vortrag vom 05.02.2025, Bl. 124 OLG und Anl K40, K 41) begründe neben der Hinterlegung zugunsten unbekannter Kindergeldempfänger allein eine Unsicherheit über die Person der Gläubiger, steht dem Erfolg des Vortrages entgegen, dass das Bestehen von Ansprüchen und deren Höhe weiterhin ungewiss ist und von der Klägerin im Rahmen der Abwicklung nicht geklärt werden konnte, dass überhaupt bestimmte Ansprüche bestehen. Insbesondere fehlt es an Aufhebungs- und Rückforderungsbescheiden, die Ansprüche der Kindergeldkasse für geleistete Zahlungen begründen.

4.

Auch besteht Ungewissheit über die Person der Gläubiger insoweit, als neben der Berechtigung Dritter auch Ansprüche des Beklagten aufgrund von Vergütungsansprüchen nicht ausgeschlossen sind.

Das Pfändungsverbot des § 76 EStG, das die Klägerin über die Vorschrift des § 394 BGB zur Begründung eines Verrechnungsverbots anführt, betrifft entgegen der Auffassung der Klägerin nicht den Auszahlungsanspruch des Mandanten gegen den Rechtsanwalt, sondern die Pfändung des Anspruchs auf Kindergeld gegenüber der Kindergeldkasse. Die Aufrechnung mit Gebührenansprüchen gegenüber dem Auszahlungsanspruch ist nicht unzulässig. Gemäß § 43a Abs. 7 BRAO ist der Rechtsanwalt verpflichtet, ihm anvertraute Vermögenswerte mit der erforderlichen Sorgfalt zu behandeln; fremde Gelder sind unverzüglich an den Empfangsberechtigten weiterzuleiten oder auf ein Anderkonto einzuzahlen. Die Aufrechnung gegenüber Treugut ist nach § 4 Abs. 2 BORA nur dann unzulässig, wenn das vom Rechtsanwalt verwaltete Geld zweckgebunden zur Auszahlung an andere als den Mandanten bestimmt ist (BeckOK, BORA / Römermann, § 4 Rn. 28; Henssler/Prütting, BRAO, § 43a Rn. 383). Zudem kann sich die Unzulässigkeit der Verrechnung aus § 242 BGB ergeben, etwa wenn der Mandant auf Unterhaltszahlungen, die vom Rechtsanwalt verwaltet werden, zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes angewiesen ist (Weyland, BRAO, § 4 Rn. 13).

Diese Voraussetzungen liegen bei den hier maßgeblichen Kindergeldzahlungen nicht vor. Die an die polnischen Arbeitnehmer gezahlten Kindergeldzahlungen sind Zahlungen nach § 62 ff. EStG (vgl. BFH, Beschluss vom 18.03.2013 - III R 5/09, juris; EuGH, Urteil vom 12.06.2012, C-611/10 und C-612/10, juris). Kindergeldzahlungen nach § 62 ff. EStG sind Teil des Familienlastenausgleichs nach § 31 EStG. Sie dienen nach § 31 Abs. 1 EStG der Umsetzung einer steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung, Erziehung und Ausbildung. Soweit das Kindergeld dafür nicht erforderlich ist, dient es der Förderung der Familie. Kindergeldzahlungen stellen eine Art „vorläufigen Abschlag“ auf die durch Freibeträge nach dem Einkommensteuerrecht abzubildende steuerliche Entlastung dar (BeckOK EStG/Mutschler, EStG Vorbemerkung zu §§ 62 ff. Rn. 2). Es handelt sich demnach zwar um von der Familienförderung geprägte, aber nicht um zweckgebundene Leistungen, die der Beklagte für die Kindergeldempfänger entgegennahm.

Soweit die Klägerin weiter einwendet, Ansprüche des Beklagten kämen auch deshalb nicht in Betracht, weil der Beklagte keine Abrechnungen vorgelegt habe, steht dies der Fälligkeit möglicher Ansprüche auf Vergütung aus abgeschlossenen Aufträgen, § 8 RVG, nicht entgegen. Soweit Honoraransprüche verjährt sein könnten, steht die Einrede etwaigen Schuldnern zu und kann von der Klägerin nicht erhoben werden.

5.

Der Beklagte hat gegen die Klägerin einen Anspruch auf Erfüllung ihrer Herausgabepflicht nach § 667 BGB, der hier durch Mitwirkung der Klägerin bei der Auszahlung an den Beklagten zu erfüllen ist. Der Senat legt den Zahlungsantrag des Beklagten - wie im Schriftsatz vom 13.01.2025 (Bl. 114 OLG) von ihm angeregt, dahin aus, dass der Beklagte hilfsweise, sofern sein Zahlungsantrag nicht zum Erfolg führt, die vom Gericht angeregte Feststellung begehrt, dass er allein zur Auszahlung berechtigt sei.

Der Anspruch aus § 667 BGB ist keine gewöhnliche Geldschuld. Herauszugeben ist vielmehr der während der Geltung des Auftragsrechts erlangte oder verwaltete Gegenstand. Anders als bei einer gewöhnlichen Zahlungsverpflichtung finden § 270 Abs. 1 BGB und § 279 BGB keine Anwendung. Ist dem Schuldner die Herausgabe nicht möglich, ist maßgeblich, aus welchem Grund dies der Fall ist und inwiefern den Schuldner an seinem Unvermögen ein Verschulden trifft, § 276 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 04.02.2000 - V ZR 260/98, BGHZ 143, 373, juris Rn. 11; Urteil vom 16.05.2002 - III ZR 330/00, NJW 2002, 2316, juris Rn. 11; Urteil vom 21.12.2005 - III ZR 9/05, BGHZ 165, 298, juris Rn. 10).

Die Herausgabe des hinterlegten Betrages ist - wenn die Parteien dabei zusammen wirken - nicht objektiv unmöglich, § 275 Abs. 1 BGB. Der Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1, Abs. 3, § 281 BGB ist daher derzeit nicht begründet.

Der Herausgabe steht nicht entgegen, dass die Klägerin auf die Rücknahme des hinterlegten Betrages verzichtet hat, § 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Diese Erklärung führt zwar auch dann zum Verlust des freien Rücknahmerechts, wenn die Wirkung der Hinterlegung nach § 378 BGB nicht eintritt, weil die Voraussetzungen des § 372 BGB nicht vorlagen (BeckOGK/Ulrici, § 376 BGB Rn. 39). Der Klägerin bleibt es in diesem Fall aber möglich, an der Auszahlung an den Beklagten mitzuwirken. Er ist bei der Hinterlegung neben einer Zahl unbekannter möglicher Berechtigter an dem hinterlegten Betrag als Berechtigter bezeichnet. Die Klägerin bleibt, obwohl sie auf das Recht zur Rücknahme des hinterlegten Betrages verzichtet hat, an der Hinterlegung beteiligt, weil der bloße Antrag des Gläubigers nicht genügt, um die Herausgabe zu erreichen. Gerade in Fällen, in denen Zweifel am Bestehen einer Schuld vorhanden sind oder der Gläubiger - hier der Beklagte - mit Erfolg die Rechtmäßigkeit der Hinterlegung in Frage stellt, besteht Anlass, eine Beteiligung des Schuldners anzunehmen (RGZ 87, 375 (382)), hier, um die Auszahlung zu bewirken. Ein Hinterlegungsgrund bestand nicht, so dass die unbekannten Ansprüche unbekannter Beteiligter durch die Hinterlegung nicht erfüllt werden können ebenso wenig wie der Anspruch des Beklagten auf Auszahlung etwaiger Vergütungen aus früherer Tätigkeit als Rechtsanwalt. Die Feststellung, dass die Hinterlegung zugunsten unbekannter Berechtigter an unbekannten Ansprüchen nach § 372 BGB nicht rechtmäßig war, da während der Abwicklung nicht festgestellte, sondern allein für möglich gehaltene Ansprüche Dritter nach Aufhebung der Abwicklerbestellung vom Beklagten zu prüfen und zu erfüllen sind, kann nur gegenüber der Hinterlegerin getroffen werden mit der Folge, dass sie am Verfahren beteiligt bleiben muss.

Durch die Erklärung der Klägerin, den hinterlegten Betrag freizugeben und die gerichtliche Feststellung, dass der Beklagte allein berechtigt ist, sich den hinterlegten Betrag auszahlen zu lassen, kann der Beklagte gegenüber der Hinterlegungsstelle gemäß § 13 Abs. 2 Nr. 2 HinterlO, § 21 Abs. 3 Nr. 2 BbgHintG seine Berechtigung nachweisen. Die Feststellung kommt nach Auffassung des Senats die gleiche Wirkung zu, die sich ergäbe, wenn die Klägerin die Bestimmung der Hinterlegungsberechtigten gegenüber der Hinterlegungsstelle wirksam dahin ändern würde, dass nur der Beklagte Berechtigter an dem hinterlegten Betrag ist. Der Senat legt das prozessuale Verhalten der Klägerin auch nicht dahin aus, dass sie sich unabhängig von ihrer rechtlichen Verpflichtung weigert, an der Herausgabe mitzuwirken, was ihre Schadensersatzpflicht begründen könnte.

6.

Der Beklagte ist allein berechtigt, Auszahlung an sich zu verlangen. Nach Beendigung der Abwicklung ist auch Fremdgeld gemäß § 667 BGB an den vom Abwickler zuvor Vertretenen herauszugeben. Die treuhänderische Bindung bleibt bestehen (BGH Urteil vom 23.06.2005 - IX ZR 139/04, MDR 2006, 231; BGH, Urteil vom 30.10.2003 - III ZR 344/02, NJW-RR 2004, 121). Eine rechtliche Grundlage, dem Beklagten die Auszahlung vorzuenthalten - vergleichbar einer strafprozessrechtlichen Einziehung - ist nicht ersichtlich. Der Beklagte ist verpflichtet, Auszahlungs- oder Ersatzansprüchen früherer Mandaten oder Geschäftspartner zu erfüllen.

7.

Die Berufung ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Feststellung der Erledigung durch das Landgericht richtet. Die Klage auf Herausgabe der in der Klageschrift bezeichneten Unterlagen und Datenträger war zulässig und begründet. Die Klägerin forderte Unterlagen auch über abgeschlossene Mandate, um die Zahlungseingänge auf den Anderkonten nachvollziehen und Auszahlungen vorbereiten zu können. Mit der Aufhebung der Abwicklerbestellung ist ihre Berechtigung, Unterlagen zu verlangen, entfallen; die Klage ist unbegründet geworden. Es liegt kein Fall der Konfusion vor, da die Klägerin den Herausgabeanspruch nicht als Insolvenzverwalterin in Prozessstandschaft des Beklagten erhoben hat, sondern zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben als Abwicklerin. Im Verhältnis zwischen Abwickler und vertretenem Rechtsanwalt gilt Auftragsrecht, § 54 Abs. 1 Satz 3 BRAO.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, § 711 Satz 2, § 709 Satz 2 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen insoweit nicht vorliegen, § 543 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung beruht auf den Umständen eines Einzelfalls.

Der Gebührenstreitwert für die Berufungsinstanz wird auf 78.242,64 € festgesetzt. Der Wert des Antrags zu 1. ist nach dem Kosteninteresse der erstinstanzlich erhobenen Auskunftsklage zu bemessen. Ausgehend von dem vom Landgericht angenommenen Wert der Auskunftsklage von 56.687,27 € ergibt sich ein Kosteninteresse für das erstinstanzliche Verfahren von 10.500 €. Der Zahlungsantrag ist mit dem geltend gemachten Betrag von 67.742,64 € zu berücksichtigen. Der Hilfsantrag ist wirtschaftlich auf dasselbe Interesse gerichtet.