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Entscheidung 12 U 186/23


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 12. Zivilsenat Entscheidungsdatum 03.04.2025
Aktenzeichen 12 U 186/23 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2025:0403.12U186.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

  1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

  2. Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen spätestens vier Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.

Gründe

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten materiellen und immateriellen Schadensersatz im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall vom 21.03.2018 auf der BAB …. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach steht zwischen den Parteien nicht im Streit. Vielmehr streiten die Parteien über den Umfang der seitens der Klägerin durch den Unfall erlittenen Verletzungen und deren Folgen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 98,05 € und weiteren 78,90 €, jeweils nebst Zinsen, verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Klägerin habe durch den Unfall eine HWS-Distorsion erlitten, die im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung mit dem seitens der Beklagten gezahlten Betrag von 2.000 € abgegolten sei. Weitere Einschränkungen der Klägerin, insbesondere im Bereich der Lendenwirbelsäule, seien nicht durch den Unfall verursacht worden, wie sich aus den Feststellungen des Sachverständigen („Name 01“) ergebe. Es bestehe kein Zusammenhang zwischen dem Unfall vom 21.03.2018 und dem Bandscheibenvorfall in der Höhe LW 1/2. Es bestehe auch kein Zusammenhang zwischen einem beschriebenen Ausfall des Beines und dem Unfall. Zu keinem Zeitpunkt sei ein neurologischer Ausfall als Unfallfolge im Bereich der unteren Extremitäten durch die behandelnden Ärzte beschrieben worden.

Der Feststellungsantrag sei ebenfalls unbegründet. Die Unfallursächlichkeit der anhaltenden Schmerzen der Klägerin und die damit verbundenen Beeinträchtigungen ihrer Lebensführung habe die Klägerin nicht beweisen können. Sie habe aber einen Anspruch auf Zahlung i.H.v. 51,10 € für Zuzahlungen betreffend unfallbedingter ärztlicher Behandlungen. Ebenso habe sie Anspruch auf Fahrtkosten i.H.v. 46,95 € für notwendige Fahrten zu Ärzten und Heilbehandlungen für den Zeitraum vom 22.03. bis 30.04.2018. Schließlich habe die Klägerin Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten i.H.v. 78,90 €. Wegen der weiteren Einzelheiten zur Begründung wird Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 18.10.2023 zugestellte Urteil mit einem am 16.11.2023 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und hat diese mit einem am 18.12.2023 eingegangenen Schriftsatz begründet. Sie rügt im Wesentlichen, dass das Landgericht ihrem Antrag nicht nachgegangen sei, ein biomechanisches Gutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass auf den Körper der Klägerin ein Kraftimpuls eingewirkt habe, der eine höherrangige Verletzung der Halswirbelsäule der Klägerin sowie eine Verletzung der Lendenwirbelsäule nach sich gezogen habe. Hätte dem medizinischen Sachverständigen ein solches Gutachten, in welchem der Bewegungsablauf der Klägerin im Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision und der nachkollisionären Phase analysiert worden wäre, vorgelegen, wäre er zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Verletzung des ISG mit kurzfristiger Überdehnung der sacroiliacalen und sacrococcygealen Ligamente eingetreten sei. Ohne Kenntnis der Kräfteparameter, die auf die Lendenwirbelsäule der Klägerin gewirkt hätten, sei das medizinische Gutachten fehlerhaft.

Die Klägerin hat angekündigt zu beantragen,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az. 12 O 338/21, vom 17.10.2023 aufzuheben (richtig abzuändern) und

  1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein weiteres Schmerzensgeld zu bezahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unter 19.000 € liegen sollte nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.08.2021,

  2. die Beklagte zu verurteilen, an sie 297,33 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,

  3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr zukünftig entstehenden materiellen und immateriellen Schaden aus dem Schadensereignis vom 21.03.2018, verursacht mit dem zum damaligen Zeitpunkt bei der Beklagten versicherten Fahrzeug, amtliches Kennzeichen …, zu ersetzen, soweit derartige Ansprüche nicht zukünftig kraft Gesetzes auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen,

  4. die Beklagte zu verurteilen, an sie vorgerichtlich entstandene, anrechenbare Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.245,34 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

hilfsweise den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Beklagte hat angekündigt zu beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die Berufung ist zulässig. Sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Die Berufungsbegründung genügt auch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO, und zwar auch, soweit mit der Berufung die über den ausgeurteilten Betrag i.H.v. 46,95 € hinausgehenden Fahrtkosten geltend gemacht werden. Zwar verhält sich die Berufung dazu nicht weiter. Die Begründung, die das Landgericht für die Kürzung des Betrages gegeben hat, beruht aber darauf, dass das Landgericht behandlungsbedürftige Beeinträchtigungen der Klägerin nur für einen bestimmten Zeitraum als unfallbedingt erachtet hat. Diese Einschränkung ist auch bereits Bestandteil der Berufungsangriffe hinsichtlich der übrigen Ansprüche, sodass es hinsichtlich der abgewiesenen weiteren Fahrtkosten keiner ausdrücklichen Berufungsbegründung mehr bedurfte.

In der Sache hat die Berufung jedoch offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, sodass sie gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen ist, da auch die übrigen Voraussetzungen vorgenannter Norm erfüllt sind.

Die Klage ist, soweit ihr das Landgericht nicht stattgegeben hat, unbegründet. Ein Anspruch auf ein weiteres Schmerzensgeld aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 1 StVG, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 253 BGB i.V.m. §§ 823 Abs. 1, 253 BGB besteht nicht. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens steht fest, dass die Klägerin am 21.03.2018 eine HWS-Distorsion mit einem leichten Schweregrad erlitten hat, die grundsätzlich nach 4 bis 6 Wochen ausgeheilt ist. Demgegenüber hat die Klägerin weitere auf den Unfall zurückzuführende Beeinträchtigungen im Bereich der Lendenwirbelsäule nicht zu beweisen vermocht. Dabei kann zunächst dahinstehen, ob für das Vorliegen dieser Beeinträchtigung das strenge Beweismaß des § 286 ZPO zugrundezulegen ist, oder ob der Klägerin, soweit man die Beeinträchtigung der Lendenwirbelsäule als Sekundärschaden der HWS-Distorsion betrachtet, wofür allerdings wenig spricht, die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO zugute kommen, denn auch im letztgenannten Fall ist der Beweis für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Beschwerden in der Lendenwirbelsäule unfallbedingt sind, nicht geführt. Der Einholung eines biomechanischen Gutachtens bedarf es hierfür nicht, da kein Anlass zu der Annahme besteht, dass der Sachverständige die hier zu beantwortenden medizinischen Fragestellungen nur sachgerecht hätte beantworten können, wenn zuvor in einem biomechanisch-unfallanalytischen Sachverständigengutachten der Frage nachgegangen worden wäre, welche Kräfteparameter auf die Lendenwirbelsäule der Klägerin gewirkt haben. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit zunächst Bezug genommen auf die sich aus dem angefochtenen Urteil ergebende Darstellung der Feststellungen des Sachverständigen. Der Sachverständige kommt zu der klaren Erkenntnis, dass die von ihm beschriebenen, aus der MRT-Untersuchung vom 27.10.2018 sich ergebenden Veränderungen der Bandscheibe auf eine degenerative Erkrankung der Halswirbelsäule hindeuten. Insbesondere wird kein traumatisches Verletzungsmuster beschrieben. Der Sachverständige hat dabei das Schadensgutachten vom 23.03.2018 in seine Bewertung mit einbezogen und daraus entnommen, dass sich durch den Aufprall keiner der Airbags geöffnet hat und die Einstauchung der Karosserie sowohl vorne als auch hinten nur wenige Zentimeter aufweist. Daraus lasse sich, so der Sachverständige, die einfache Aussage treffen, dass die Aufprallenergie- und Geschwindigkeit niedrig gewesen ist und nicht ausreichend sei, um eine höhere Verletzung im Bereich der Halswirbelsäule zu verursachen. Dabei hat er sich näher mit der Leitlinie für die Begutachtung von Halswirbelsäulendistorsionen auseinandergesetzt und eine Klassifizierung des Grades der HWS-Distorsion vorgenommen. Zur Frage der Beeinträchtigung hinsichtlich der Lendenwirbelsäule hat er aus dem durchgeführten MRT der LWS vom 24.04.2018 hergeleitet, dass keine akuten Traumafolgen erkennbar waren. Diese ließen sich am besten in der spezifischen TIRM-Sequenz darstellen. Hier würden akute Verletzungen im Bereich der Wirbel, Bänder und Wirbelgelenke ausgeschlossen. Im CT der Lendenwirbelsäule vom 08.05.2018 hätten sich ebenfalls keine Hinweise auf knöcherne Verletzungszeichen gezeigt. In einer MRT-Verlaufskontrolle vom 28.06.2018 werde explizit im Befundbericht eine frische diskoligamentäre Verletzung ausgeschlossen. Der Sachverständige wertet sodann den übrigen Behandlungsverlauf aus und bezieht schließlich auch biomechanische Studien ein, nach denen ein isolierter traumatischer Bandscheibenvorfall im Bereich der LWS nur einhergehen kann mit einer begleitenden Verletzung der knöchernen Strukturen. Ein traumatischer Bandscheibenvorfall könne allein ohne Wirbelbruch ausgelöst werden, isoliert bei einer massiven Stauchung des Stammes mit heftiger Überbeugung des Oberkörpers. Beim Auffahrunfall der Klägerin sei es zu keiner heftigen axialen Stauchung mit Flexion des Oberkörpers gekommen. Des Weiteren sei vorwiegend ein Schmerz im unteren lumbosakralen Bereich beschrieben worden, weniger im Bereich der oberen LWS. Die angegebenen Schmerzen passten auch nicht zu einem Bandscheibenvorfall in der Höhe LWK 1/2, sodass er einen Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Bandscheibenvorfall in der Höhe LW 1/2 eindeutig verneint.

Zur Frage einer unfallbedingten Steißbeinprellung wertet der Sachverständige die Angaben der Klägerin in der Selbstauskunft und in der Klageschrift ebenso überaus sorgfältig aus wie die Befundberichte der behandelnden Ärzte. Daraus gelangt der Sachverständige zu der Feststellung, dass mit Ausnahme der Frau („Name 02“) keiner der behandelnden Ärzte einen Schmerz im Bereich des Steißbeines erwähnt oder in einer Untersuchung gefunden habe. Soweit in der Beurteilung der Frau („Name 02“) von einer Prellung des Steißbeines die Rede ist, kann er dies nicht nachvollziehen, da die verschiedenen MRT-Untersuchungen der LWS und des Beckens keine Traumafolgen im Bereich des Steißbeines festgestellt hätten. Eine Prellung im Bereich des Steißbeines verursache anatomisch bedingt Schmerzen im Endglied der Wirbelsäule. Dies werde fachlich als Coccygodynie beschrieben und das Schmerzzentrum befinde sich im Endglied der Wirbelsäule afternah. Dies sei bei keiner ärztlichen Anamnese oder Untersuchung festgestellt worden, auch nicht bei Frau („Name 02“). Bei den Schmerzen im Bereich des Sacrums sei auffällig, dass die Schmerzangabe initial links gewesen sei, dann sich die Blockaden gelöst hätten, im Verlauf dann rechts waren und schließlich wieder beidseitig. Die deutliche Diskrepanz sei nicht nur ihm bei der Begutachtung aufgefallen, sondern bereits einem der behandelnden Ärzte, dem Neurochirurgen („Name 03“). Der steigende Charakter der Schmerzsymptomatik mit Wechsel der Seiten sei ein Hinweis dafür, dass die Schmerzen und Schmerzdauer keine organische Ursache hätten. Ein Schmerz, der durch eine Verletzung im Rahmen eines Unfalls eingetreten ist, sollte einen abnehmenden Charakter mit einem klaren Bezug zum verletzten Organ haben. Auch insoweit kommt der Sachverständige letztlich zu der klaren Feststellung, dass eine Verletzung des Steißbeines und des Sacrums durch den Unfall nicht eingetreten ist.

Vor diesem Hintergrund erschließt sich nicht, welche Erkenntnisse aus der Einholung eines biomechanischen Gutachtens den Sachverständigen zu einer anderen Einschätzung gelangen lassen könnten. Er hat zwar im Rahmen der Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht eingeräumt, kein Sachverständiger für technische Fragen zu sein. Er hat aber gleichzeitig erläutert, woraus er schließe, dass der Aufprall eine geringe Intensität gehabt habe und wiederholt vor allem auch noch einmal seine Feststellung, dass im MRT keine traumatischen Veränderungen zu sehen sind und es keine Hinweise auf Knochenkontusionen oder Muskelzerreißungen, also keine Verletzungen im Knochenbandapparat im Bereich der Halswirbelsäule gibt. Der Sachverständige hat seine Feststellungen auch nicht unter den Vorbehalt von Erkenntnissen aus einem biomechanischen Gutachten gestellt, sondern hat den fehlenden Ursachenzusammenhang mit den vorhandenen degenerativen Veränderungen im Bereich der LWS und dem Fehlen traumatischer Verletzungsmuster mit neurologischen Ausfällen begründet und weil hinsichtlich der Problematik betreffend die Steißbeinprellung keine für eine Unfallbedingtheit passenden Beschwerden festgestellt worden seien. Dass sich an diesen medizinisch klaren Erkenntnissen etwas durch Einholung eines biomechanischen Gutachtens ändern kann, wurde seitens der Klägerin nicht plausibel dargelegt. Ein solches Gutachten ist nicht seiner selbst Willen einzuholen.

Soweit das Landgericht hinsichtlich der durch den Unfall erlittenen HWS-Distorsion ein Schmerzensgeld von 2.000,00 € für angemessen erachtet hat, ist dies nicht zu beanstanden. Vor dem Hintergrund der vorherigen Ausführungen bestehen auch keine weitergehenden materiellen Ansprüche. Da hinsichtlich der HWS-Distorsion von einer Ausheilung auszugehen ist, ist auch der Feststellungsantrag unbegründet.