Gericht | OLG Brandenburg 1. Senat für Bußgeldsachen | Entscheidungsdatum | 12.05.2025 | |
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Aktenzeichen | 1 ORbs 71/25 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2025:0512.1ORBS71.25.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg a. d. H. vom 29. November 2024 wird als unbegründet verworfen.
Der Betroffene trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
I.
Das Amtsgericht Brandenburg a. d. H. erkannte mit Urteil vom 29. November 2024 gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 26 km/h auf eine Geldbuße in Höhe von 150,00 €.
Das Urteil wurde in Abwesenheit des von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen verkündet. Am 20. Dezember verfügte der Bußgeldrichter die Zustellung des Urteils an die Staatsanwaltschaft Potsdam gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 41 StPO. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die schriftlichen Urteilsgründe noch nicht bei den Akten, sie gelangten erst am 23. Dezember 2024 zur Geschäftsstelle. Die Staatsanwaltschaft bestätigte die Zustellung des Urteils unter dem 30. Dezember 2024.
Am 27. Januar 2025 wurde das mit vollständigen Gründen versehene Urteil dem Verteidiger des Betroffenen zugestellt. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 03. Februar 2025, der am selben Tag bei dem Amtsgericht einging, beantragte der Betroffene die Zulassung der Rechtsbeschwerde. Am 03. März 2025 ging die Begründung des Zulassungantrags bei dem Amtsgericht ein.
Der Betroffene erhebt mit näheren Ausführungen die Gehörsrüge, § 80 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG, und vertritt die Auffassung, die Zulassung der Rechtsbeschwerde sei darüber hinaus zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, § 80 Abs. 1 Ziff. 1 OWiG. Darüber hinaus rügt er allgemein die Verletzung materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt mit ihrer Zuschrift vom 27. März 2025, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Der Betroffene hat hierzu mit Anwaltsschriftsatz vom 11. April 2025 Stellung genommen.
II.
Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg.
1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht mit Blick auf eine Gehörsverletzung im Sinne des § 80 Abs. 1 Ziff. 2 OWiG zuzulassen. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs muss mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden (OLG Jena VRS 107, 289; OLG Köln VRS 88, 375; OLG Bamberg NJW 2013, 2212), also in einer den Anforderungen der §§ 80 Abs. 3 S. 1, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Weise. Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen nicht. Der Betroffene legt dar, das Amtsgericht habe sich nicht mit seinem Antrag auf Übermittlung der Messserie an ihn (Schriftsatz vom 26. November 2024) befasst, hierin liege ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht mit einem solchen gegen den Gehörsanspruch gleichzusetzen ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2023, 2 BvR 1616/18, juris). Allein letzterer vermag indes gemäß § 80 OWiG die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu rechtfertigen. Soweit darin, dass das Bußgeldgericht sich mit dem Antrag des Betroffenen auf Übermittlung der Messserie gar nicht auseinandergesetzt habe, nach Ansicht des Betroffenen ein Gehörsverstoß zu erblicken ist, hätte es diesem oblegen vorzutragen, welches Urteil sich im Fall erfolgter Auseinandersetzung ergeben hätte. Daran fehlt es.
Ergänzend nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg in deren Zuschrift vom 27. März 2025. Diese entsprechen der Sach- und Rechtslage, der Senat schließt sich ihnen an. Sie werden durch die Stellungnahme des Betroffenen vom 11. April 2025 nicht entkräftet.
2. Ein Zulassungsgrund aus § 80 Abs. 1 Ziff. 1 OWiG liegt ebenfalls nicht vor. Es ist nicht geboten, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen.
Der Sachverhalt gibt dem Senat keinen Anlass, Leitsätze bei der Auslegung von Rechtssätzen und der rechtsschöpferischen Ausfüllung von Gesetzeslücken aufzustellen und zu festigen (vgl. hierzu BGHSt 24, 15, 21; OLG Düsseldorf VRS 85, 373; OLG Hamm DAR 1973, 139). Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht deshalb zuzulassen, weil sonst schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstünden oder fortbestünden (vgl. hierzu OLG Düsseldorf a. a. O.). Die angefochtene Entscheidung hat keine Bedeutung für die Rechtsprechung im Ganzen (vgl. hierzu BGH a. a. O.).
Zwar fehlen vorliegend schriftliche Urteilsgründe. Das Bußgeldgericht hat die Akten vor Absetzung der Urteilsgründe gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 41 StPO der Staatsanwaltschaft zur Urteilszustellung übersandt und damit das nicht mit einer Begründung versehene Protokollurteil aus seinem inneren Dienstbereich herausgegeben. Dieses Protokollurteil war gemäß § 71 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 275 Abs. 1 S. 1 StPO maßgeblich, eine nachträgliche Ergänzung war nicht möglich (vgl. Göhler, OWiG, 19. Auflage, zu § 77b, Rz. 8, und zu § 80, Rz. 12).
Das Fehlen schriftlicher Urteilsgründe begründet die Zulassung der Rechtsbeschwerde jedoch nicht. Die gegenteilige Auffassung würde die Bedeutung und die Reichweite des Zulassungsverfahrens im Ordnungswidrigkeitenrecht verkennen. In den Fällen des § 80 OWiG sind selbst bei einem Urteil, das überhaupt keine Gründe enthält, die Zulassungsvoraussetzungen zu prüfen (grundlegend: BGHSt 42, 187, 189 ff. = NJW 1996, 3158 = NStZ 1997, 39 = VRS 92, 135; ebenso OLG Köln NZV 1997, 371; Göhler, OWiG, 19. Auflage, zu § 80, Rz. 12; std. Senatsrspr., vgl. statt vieler Beschluss vom 02. Januar 2020 – (1 Z) 53 Ss-OWi 714/19 (404/19) m. w. N.).
Das Fehlen der Urteilsgründe führt nicht zwingend zur Zulassung der Rechtsbeschwerde. Die gegenteilige Auffassung würde auf der fehlerhaften Annahme beruhen, dass die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1 und 2 OWiG nur anhand der Urteilsgründe überprüft werden können. Damit würden sachlich-rechtliche Rechtsbeschwerdegrundsätze auf das Zulassungsverfahren ausgedehnt, ohne dass dies zwingend ist. Die bei Nichtvorliegen von Urteilsgründen lediglich nicht ausschließbare Möglichkeit, dass die Zulassung der Rechtsbeschwerde geboten sein kann, ersetzt nicht die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1 und 2 OWiG. Hierzu hat der Bundesgerichtshof hervorgehoben, dass selbst in den Fällen, in denen die Sachrüge erhoben ist, die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde häufig ohne Kenntnis von Urteilsgründen geprüft werden können. Dies gelte insbesondere bei massenhaft auftretenden Bußgeldverfahren wegen einfacher Verkehrsordnungswidrigkeiten, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keine Schwierigkeiten aufzeigen und bei denen nach den Gesamtumständen ausgeschlossen werden kann, dass die Zulassungsvoraussetzungen nach § 80 OWiG vorliegen. Zur Prüfung der Zulassung der Rechtsbeschwerde ist es möglich, den Bußgeldbescheid (vgl. dazu auch BGHSt 23, 336; BGHSt 23, 365; BGHST 27, 271), den Zulassungsantrag, nachgeschobene Urteilsgründe oder dienstliche Äußerungen heranzuziehen; sonstige Umstände können selbst bei Vorliegen von Urteilsgründen berücksichtigt werden, wenn etwa zu erwägen ist, ob sich ein rechtsfehlerhaftes Urteil als bloße Fehlentscheidung im Einzelfall darstellt (vgl. BGHSt 42, 187, 189). All dies folgt schon daraus, dass es sich bei dem Zulassungsverfahren um ein Vorschaltverfahren handelt, bei dem ermittelt wird, ob ein Rechtsbeschwerdeverfahren durchzuführen ist (std. Senatsrspr., vgl. a. a. O. m. w. N.).
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde bei Fehlen von Urteilsgründen ist auch nicht aus Gründen der Verfassung (Rechtsstaatsprinzip, Gewährung rechtlichen Gehörs) geboten. Denn durch den Verfahrensverstoß ist der Betroffene nicht gehindert, die Zulassung der Rechtsbeschwerde zu beantragen und Umstände vorzutragen, die zu einer Zulassung führen können (vgl. BGH a. a. O.). Da zudem die Zulassung der Rechtsbeschwerde einer einheitlichen und sachgerechten Rechtsprechung und nicht in erster Linie der Entscheidung des Einzelfalls dient, ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, allein aus dem Umstand, dass Urteilsgründe fehlen, einen Zulassungsgrund herzuleiten.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.