Gericht | OVG Berlin-Brandenburg Der 3. Senat | Entscheidungsdatum | 14.05.2025 | |
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Aktenzeichen | 3 B 15/24 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2025:0514.3B15.24.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | 22; 25 Abs. 3; 60 Abs. 5 AufenthG |
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Kläger, syrischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, ist 2015 in das Bundesgebiet eingereist. Mit Bescheid vom 14. Oktober 2015 erkannte ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft zu. Hierauf erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG und einen Reiseausweis für Flüchtlinge, jeweils gültig bis zum 18. November 2018. Nachdem er ausgereist war, widerrief das Bundesamt mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 26. November 2019 die zuerkannte Flüchtlingseigenschaft, versagte die Zuerkennung subsidiären Schutzes und stellte ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Syriens fest.
Am 24. Mai 2022 beantragte der Kläger beim Generalkonsulat der Beklagten in Erbil die Erteilung eines Visums zur Wiedereinreise. Er sei am 7. Mai 2016 in die Türkei ausgereist. Seine Ehefrau und seine Tochter hätten sich damals in Afrin (Syrien) aufgehalten. Die Stadt sei von der türkischen Armee angegriffen worden. Er habe seine Familie in die Türkei und nach Deutschland bringen wollen. Im Juni 2018 sei er in den Irak (Region Kurdistan) ausgereist, wo er sich seitdem aufhalte.
Das Generalkonsulat lehnte den Antrag mit Bescheid vom 18. September 2022 und Remonstrationsbescheid vom 4. Dezember 2023 ab.
Mit der hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass er im Irak über kein Aufenthaltsrecht und keine Arbeitsstelle mehr verfüge, sondern in einem Flüchtlingslager lebe. Er müsse jederzeit damit rechnen, nach Syrien zurücküberstellt zu werden. Wegen des festgestellten Abschiebungsverbots könne von ihm nicht verlangt werden, dorthin zurückzukehren. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 20. Juni 2024 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung eines Visums nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Die Vorschrift diene ausschließlich dazu, den Aufenthalt eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers abzusichern und die Rechtsstellung von Abschiebungsverboten betroffener Personen zu verbessern. Der freiwillig ausgereiste, seit mehr als acht Jahren außerhalb des Bundesgebiets lebende Kläger gehöre nicht zu dem von der Regelung erfassten Personenkreis. Dringende humanitäre Gründe im Sinne von § 22 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor.
Mit der von dem Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung macht der Kläger im Wesentlichen folgendes geltend: Ihm stehe ein Anspruch auf Erteilung eines Visums gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG zu, denn nach § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG richte sich die Visumerteilung nach denselben Vorschriften wie für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Die vom Verwaltungsgericht genannten Regelungen, wonach die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur an bereits im Bundesgebiet lebende Personen in Betracht komme, seien nicht vergleichbar. So werde in § 25a Abs. 1 AufenthG, anders als bei § 25 Abs. 3 AufenthG, ausdrücklich auf einen ununterbrochenen Voraufenthalt in der Bundesrepublik abgestellt. Der Gedanke des Verwaltungsgerichts, dass von dem Regelungsgehalt des § 25 Abs. 3 AufenthG nur Personen profitieren sollten, die zwingend in Deutschland bleiben müssten, sei nachvollziehbar. Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger. Er verfüge weder in der Türkei noch in der Region Kurdistan über ein Aufenthaltsrecht. Er habe sich nicht freiwillig dorthin begeben, sondern sei hierzu gezwungen gewesen, um seiner Familie beizustehen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 20. Juni 2024 zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Remonstrationsbescheides des Generalkonsulats Erbil vom 4. Dezember 2023 ein Visum zur Wiedereinreise zu erteilen,
hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Visumantrag zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
§ 25 AufenthG sei im Gegensatz zu §§ 22, 24 AufenthG nur auf Ausländer anwendbar, die sich bereits im Bundesgebiet aufhielten. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Zweck des § 25 Abs. 3 AufenthG, der ausschließlich darauf gerichtet sei, den Aufenthalt eines bereits im Bundesgebiet lebenden Ausländers abzusichern. Die Regelung solle nur Personen zugutekommen, denen die Ausreise in einen anderen Staat nicht möglich und nicht zumutbar sei. Der Kläger sei jedoch vor mehr als acht Jahren freiwillig aus der Bundesrepublik ausgereist. Daran ändere auch der Vortrag nichts, dass sich seine Familie damals in einer schwierigen Situation befunden habe und er seiner Familie habe helfen wollen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Streitakte und auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Urteilsberatung gewesen sind.
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger, dem keine Flüchtlingseigenschaft und kein subsidiärer Schutz (mehr) zusteht, hat weder einen Anspruch auf Erteilung des begehrten Visums zur Wiedereinreise nach § 25 Abs. 3 AufenthG, noch kann er eine erneute Entscheidung der Beklagten über seinen Visumantrag verlangen, § 113 Abs. 5 VwGO.
Gemäß § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Nach § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG wird die Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt.
Zwar liegen die Voraussetzungen des § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG insoweit vor, als das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 26. November 2019 zugunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Syriens festgestellt hat. Diese Feststellung ist weder gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 AsylG erloschen noch nach § 73 Abs. 6 AsylG widerrufen oder zurückgenommen worden.
Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG setzt jedoch voraus, dass sich der Ausländer im Inland aufhält. Dies ergibt sich in erster Linie aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Sie will gewährleisten, dass Ausländern, die wegen eines vom Bundesamt förmlich festgestellten Abschiebungsverbots auf absehbare Zeit nicht abgeschoben werden oder in einen anderen Staat ausreisen können, zur Vermeidung von Kettenduldungen regelmäßig eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird, durch die ihr Aufenthalt legalisiert und ihnen die Möglichkeit eingeräumt wird, bei fortdauernder Schutzbedürftigkeit eine dauerhafte Aufenthaltsposition in Form einer Niederlassungserlaubnis zu erlangen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2005 – 1 C 18.04 – juris Rn. 15). Die Vorschrift knüpft damit an einen bestehenden Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet an.
Mit der Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG, das allein die Unzulässigkeit der zwangsweisen Beendigung des Aufenthalts im Inland bewirkt, wird dem Ausländer keine Rechtsstellung zugesprochen, aufgrund derer ihm nach einer Ausreise erneut die Einreise gestattet werden müsste. Damit unterscheidet sich die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG grundlegend von der Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne des Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2011/95/EU, die einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG begründet. Personen, denen von einem Mitgliedstaat der internationale Schutz zuerkannt worden ist, können von diesem – unbeschadet der in der Genfer Flüchtlingskonvention verankerten Rechte (vgl. Art. 20 Abs. 1 RL 2011/95/EU; zur GFK vgl. Art. 26 und 28 GFK sowie §§ 6 und 13 des Anhangs zur GFK) – die Vergünstigungen beanspruchen, die unionsrechtlich zum Inhalt des internationalen Schutzes gehören (Kap. VII der Richtlinie 2011/95/EU). Dazu gehört gemäß Art 24 der Richtlinie 2011/95/EU auch die Ausstellung eines Aufenthaltstitels. Daraus ergibt sich ein Anspruch auf Wiedereinreise für international Schutzberechtigte, die nicht mehr im Besitz eines gültigen Aufenthaltstitels sind, weil nach dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem der Mitgliedstaat, der dem Ausländer internationalen Schutz gewährt hat, grundsätzlich für ihn verantwortlich bleibt und ihm deshalb bei fortbestehendem internationalem Schutz weiterhin die Vergünstigungen nach Kapitel VII der Anerkennungsrichtlinie zugänglich machen muss (vgl. zu subsidiär Schutzberechtigten OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. Juli 2021 – 3 S 24/21 – juris).
Ein tragfähiger Grund, der Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots eine vergleichbare Wirkung beizumessen, ist nicht zu erkennen. Ausländer, für die ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG gilt, das als solches nichts an der vollziehbaren Ausreisepflicht ändert, wird nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG (regelmäßig) nur deshalb eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, damit sie im Falle eines fortgesetzten Aufenthalts – wie schon ausgeführt – nicht im Status der Duldung verbleiben und ihnen die Möglichkeit einer Aufenthaltsverfestigung eröffnet wird. Mit einer Ausreise erledigt sich dieser Regelungszweck jedoch.
Die Voraussetzungen für eine Aufnahme des Klägers nach § 22 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben. Dringende humanitäre Gründe im Sinne von § 22 Satz 1 Alt. 2 AufenthG liegen zum einen dann vor, wenn sich der Ausländer aufgrund besonderer Umstände in einer auf seine Person bezogenen Sondersituation befindet, sich diese Sondersituation deutlich von der Lage vergleichbarer Ausländer unterscheidet, der Ausländer spezifisch auf die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland angewiesen ist oder eine besondere Beziehung des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland besteht und die Umstände so gestaltet sind, dass eine baldige Ausreise und Aufnahme unerlässlich sind. Sie können sich zum anderen unter besonderen Umstände des Einzelfalles aus Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG ergeben (vgl. BVerwG, Urteile vom 8. Dezember 2022 – 1 C 31.21 – juris Rn. 23 und – 1 C 8.21 – juris Rn. 26). Derartige Umstände hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht dargelegt. Sein bisheriges Vorbringen genügt nicht, um eine Sondersituation gegenüber der Lage anderer syrischer Geflüchteter im Irak feststellen zu können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage zugelassen, ob § 25 Abs. 3 AufenthG i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG Grundlage für die Erteilung eines Visums sein kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).