Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 20.01.2012 | |
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Aktenzeichen | L 1 KR 24/09 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 275 Abs 1c SGB 5, § 275 Abs 1 SGB 5 |
Eine reine Verweildauerprüfung löst die Aufwandspauschale des § 275 Abs. 1 c S. 3 SGB V nicht aus.
Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 19. Dezember 2008 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Im Streit steht, ob die Beklagte dem klagenden zugelassenen Krankenhaus eine Aufwandspauschale für eine MDK-Prüfung in Höhe von 100,- Euro zahlen muss.
Die bei der Rechtsvorgängerin der heutigen Beklagten - Barmer Ersatzkasse - versicherte Frau R R, nachfolgend Versicherte (=V.), befand sich in der Zeit vom 5. Oktober 2007 bis zum 11. Januar 2008 wegen einer gemischten schizoaffektiven Störung in vollstationärer Krankenhausbehandlung im psychiatrischen Krankenhaus der Klägerin. Der stationäre Aufenthalt wird von den Beteiligten übereinstimmend als medizinisch notwendig angesehen.
Am 25. Oktober 2007 stellte die Klägerin einen Antrag auf Kostenübernahmeverlängerung ab 2. November 2007. Die Beklagte erteilte mit Schreiben vom 30. Oktober 2007 dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) den Prüfungsauftrag zu klären, ob und ggf. für welchen Zeitraum die Fortsetzung der stationären Behandlung medizinisch erforderlich sei. Der MDK bat daraufhin die Klägerin schriftlich um Zusendung aller zur Beantwortung der Krankenkassenfrage notwendigen Krankenunterlagen und um Beschreibung der nach dem 2. November 2007 noch anhaltenden und für die andauernde Krankenhausbehandlungspflicht verantwortlichen psychopathologischen Symptomatik und der Behandlungsführung mit detailliertem zeitlichen Ausblick auf die weiteren Behandlungsoptionen. Die Klägerin antwortete dem MDK mit Schreiben vom 6. November 2007 die Übersendung der angeforderten Sozialdaten (Behandlungsunterlagen) könne von ihr nicht mit einem vertretbaren Aufwand geleistet werden. Die abschließend gefertigte Epikrise sei für den MDK gewiss nicht ausreichend. Es werde deshalb um Prüfung vor Ort gebeten anhand des dann zur Verfügung stehenden Krankenblatts.
Weitere Verlängerungsanträge zu Kostenübernahme der Klägerin ab 23. November 2007 gingen am 19. November 2007 und am 18. Dezember 2007 bei der Beklagten ein.
Der Gutachter des MDK S suchte das Krankenhaus am 16. Januar 2008 auf und gelangte zum Ergebnis, dass die vollstationäre Behandlung bis zum 11. Januar 2008 zu befürworten sei.
Die Klägerin forderte die Beklagte mit Rechnung vom 23. Januar 2008 zur Zahlung von 100,- Euro Aufwandspauschale für die erfolglose MDK-Prüfung auf. Die Beklagte widersprach: Im psychiatrischen Bereich würden aufgrund der langen Verweildauer Prüfungen eingeleitet, nicht jedoch aufgrund von eventuell zufällig zur gleichen Zeit eingehenden (Zwischenab-)Rechnungen, sondern ausschließlich zur Klärung der Leistungsverpflichtung. Eine Abrechnung der Pauschale nach § 275 Abs. 1 c Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sei nur möglich, wenn es sich um Rechnungsprüfungen handele.
Die Klägerin erhob am 26. Mai 2008 Klage beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) (SG). Im Satz 3 des § 275 Abs. 1 c SGB V sei bestimmt, dass die Krankenkasse dem Krankenhaus in all denjenigen Fällen eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 100,- Euro (nach heutiger Gesetzesfassung 300,- Euro) zu zahlen habe, falls eine MDK-Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechungsbetrages führe. Das Gesetz sehe nicht voraus, dass zum Zeitpunkt der Einleitung der MDK-Prüfung bereits eine Abrechnung des Krankenhauses vorliegen müsse. Die Prüfung solle nach § 275 Abs. 1 c Satz 1 SGB V zeitnah, spätestens 6 Wochen nach Eingang der Endabrechnung erfolgen. Dies schließe nicht aus, dass eine Prüfung auch vor der Endrechnung erfolgen könne. Im Übrigen sei mit jeder Überprüfung durch den MDK ein erheblicher Aufwand verbunden.
Die Beklagte hat ihr außergerichtliches Vorbringen wiederholt. Nur die nicht zu einer Minderung führenden Prüfung einer Abrechnung löse die Zahlung der Aufwandspauschalen nach § 275 Abs. 1 c SGB V aus. Sie hat sich ergänzend auf eine Stellungnahme des Bundesversicherungsamtes vom 3. September 2008 (Az.: II2-1691/08) berufen.
Das SG hat die Beklagte im Urteil vom 19. Dezember 2008 unter Zulassung der Berufung verurteilt, an die Klägerin 100,- Euro als Aufwandspauschale für die Überprüfung der Behandlungsdauer zu zahlen. Die hier durchgeführte Überprüfung der Krankenhausbehandlung sei eine Prüfung nach § 275 Abs. 1 SGB V. Sie habe auf einem Einzelauftrag beruht und einen konkreten Leistungsfall betroffen. § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V setze weder dem Wortlaut des Gesetzes nach, noch seinem Sinnzusammenhang und der Begründung durch den Gesetzgeber voraus, dass immer erst eine Abrechnung vorliegen müsse.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung erhoben.
Mit dem Krankenhausfinanzierungsreformgesetz vom 17. März 2009 (BGBl. I Seite 546) ist die Pauschale in § 275 Abs. 1 c S. 3 SGB V auf 300,- Euro angehoben worden.
Zur Berufungsbegründung führt die Beklagte aus (GA Bl. 68 ff), dass es Fallgestaltungen gäbe, in welchen das Krankenhaus selbst der Auslöser der MDK-Überprüfung sei. Es sei ein rechtlich nicht haltbares, kaum ernsthaft nachvollziehbares Ergebnis, wenn selbst in diesem Falle die Aufwandspauschale anfiele. Der Gesetzgeber habe vielmehr nicht jegliche Prüfung mit dem so genannten Strafzoll bewähren wollen, sondern nur bei Überprüfung einer Abrechnung und nicht - wie hier - bei einer Verweildauerprüfung.
Auch nach Auffassung des Hessischen Landessozialgerichts ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 275 Abs. 1 c SGB V, dass bereits eine Abrechnung erfolgt sein müsse (Urt. v. 12.11.2009 - L 1 KR 90/09 -). Anderes ergebe sich auch nicht den Gesetzesmaterialien. Im Gegenteil: Der gesetzgeberische Zweck, die Zahl der Überprüfungen zu reduzieren, damit den Krankenkassen nicht ungerechtfertigte Aussenstände entstünden und Liquiditätsprobleme aufkämen, könne nur eintreten, wenn bereits Abrechnungen erfolgt seien.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 19. Dezember 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil.
Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen. Der Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie die V. betreffende Patientenakte der Klägerin lagen zur mündlichen Verhandlung vor und waren Gegenstand der Erörterungen.
Die Berufung hat Erfolg. Die Klage ist abzuweisen, weil der Klägerin die Fallpauschale nach § 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V im vorliegenden Falle nicht zusteht.
§ 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V ist einschränkend auszulegen. Die Fallpauschale fällt nicht in jedem Falle an. Eine isoliert aus dem Wortlaut abgeleitete Auslegung, dass die „nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages“ führenden MDK-Prüfung einzige Voraussetzung für den Anspruch des Krankenhauses nach § 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V ist, greift nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22. Juni 2010 - B 1 KR 1/10 R = SozR 4-2500 § 275 Nr. 3), welcher der Senat folgt, zu kurz.
Es muss vielmehr bereits eine (Zwischenab-)Rechnung erfolgt sein, deren Überprüfung durch den MDK nicht zu einer Rechnungsminderung geführt hat. Ist - wie hier bei der Verweildauerprüfung- noch gar keine Abrechnung erfolgt - auch keine Zwischenabrechnung, kann das Krankenhaus den ihm durch die Einschaltung des MDK entstandenen Aufwendungen nicht in Rechnung stellen. Dies folgt aus Sinn und Zweck der Regelung und ihrem funktionalen Zusammenspiel mit der Prüfpflicht nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Auch wenn das Krankenhaus mit dem Antrag auf Verlängerung der Kostenzusage nicht fehlerhaft oder gar rechtswidrig gehandelt hat und sich die Beklagte auch nicht auf einen wohl von ihr vertretenen Grundsatz berufen kann, im psychiatrischen Bereich müsse per se mit unberechtigten Anträgen gerechnet werden, ist die Verweildauerprüfung Teil der vom Gesetz geforderten Wirtschaftlichkeitsprüfung und entsprechend angezeigt. Die Berechnung einer Aufwandspauschale nach § 275 Abs. 1 c Satz 3 SGB V setzt voraus, dass überhaupt eine Prüfung mit dem Ziel der Verminderung eines Rechnungsbetrages für die Krankenhausbehandlung eingeleitet und durchgeführt wurde, und dass zum anderen dem Krankenhaus durch die erneute Befassung ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand entstanden ist (vgl. ausdrücklich BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 - B 1 KR 1/10 R - Rn. 12). Beides ist vorliegend nicht der Fall.
Die den Krankenkassen nach § 275 SGB V auferlegte Prüfpflichten dienen der Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 2 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 3, § 12 SGB V), welches die Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung, ihre Vergütung und die Kontrolle des Vorliegens miteinander verknüpft. Ein Anspruch auf Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V setzt voraus, dass die Behandlung notwendig bzw. erforderlich war. § 275 Abs. 1 SGB V verpflichtet die Krankenkassen, diese Voraussetzungen zu überprüfen. Allein die Erfüllung dieser gesetzlichen Prüfpflicht mit Hilfe der dazu vorgesehenen Verfahren und Prüfsysteme kann nicht einseitige Zahlungsansprüche eines Krankenhauses zu Lasten einer Krankenkasse auslösen, seien sie auch in das Gewand einer Aufwandspauschale gekleidet. Die für Prüfverfahren entstehenden Kosten sind vielmehr grundsätzlich Teil der Kosten der Leistungserbringung selbst, das heißt schon in die Vergütung für die erbrachten Leistungen mit "eingepreist" und können daher nur ausnahmsweise - unter eng umrissenen Voraussetzungen - zusätzlich und allein auferlegt werden. Wird durch das Gesetz von vornherein ohnehin nur einem Teil (hier: der Krankenkasse) die Pflicht zum pauschalen Ausgleich des Aufwandes des anderen Teils (hier: des Krankenhauses) auferlegt, dem anderen Teil (dem Krankenhaus) dagegen nicht auch die Pflicht zum Ausgleich des Aufwandes des anderen Teils (hier: der Krankenkasse für das Aufgreifen und die Vorprüfung von unklaren Krankenhausabrechnungen), bedarf § 275 Abs. 1c SGB V schon zur Wahrung der Gleichgewichtigkeit der wechselseitigen Interessen von Krankenkassen und Krankenhäusern einer einschränkenden Auslegung. Eine davon abweichende Sichtweise liefe vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgebots auf eine sachlich nicht gerechtfertigte Belastung und Ungleichbehandlung der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung und der sie finanziell tragenden Beitragszahler hinaus und ist selbst unter dem insoweit angeführten Aspekt hinzunehmender Detailungerechtigkeiten im Einzelfall (so - teilweise wörtlich - BSG, a.a.O. Rdnr. 19)
Anlass zur Schaffung des § 275 Abs. 1c Satz 3 SGB V bot ausweislich der Gesetzesbegründung der Umstand, dass einzelne Krankenkassen die Prüfungsmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V "in unverhältnismäßiger und nicht sachgerechter Weise" zur Einzelfallsteuerung genutzt hatten. Dies führe - so die Gesetzesbegründung - insbesondere bei nicht zeitnahen Prüfungen zu "unnötiger Bürokratie", nämlich zu einer teilweise erheblichen Belastung der Abläufe in den Krankenhäusern mit zusätzlichem personellen und finanziellen Aufwand sowie zu in der Regel hohen und nicht gerechtfertigten Außenständen und Liquiditätsproblemen mit Unsicherheiten bei Erlösausgleichen und Jahresabschlüssen. Um vor diesem Hintergrund "einer ungezielten und übermäßigen Einleitung von Begutachtungen entgegenzuwirken", wurde die Aufwandspauschale eingeführt, um Anreize zu setzen Einzelfallprüfungen "zukünftig zielorientierter und zügiger" einzusetzen (vgl. BSG., a.a.O. Rdnr. 23 unter Bezugnahme auf den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum Entwurf des GKV-WSG, BT-Drucks 16/3100 S 171 zu Nummer 185 <§ 275> zu Buchst a). Gibt es bei Verweildauerprüfungen noch keine Abrechnung, kann es auch noch keinen Außenstand geben.
Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich dagegen nicht herleiten, dass eine Krankenkasse die Aufwandspauschale auch "unabhängig davon" entrichten muss, ob sie selbst oder das Krankenhaus die wesentlichen Gründe für die Einschaltung des MDK gesetzt hatte. In den Materialen werden vielmehr auf der Grundlage der in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen erkennbar nur die typischen unbefriedigend verlaufenen ("Bürokratie verursachenden") Verfahren angesprochen und zum Regelungsgegenstand gemacht, in denen es aus der Initiative der Krankenkassen heraus zu einer übermäßig starken, "streufeuerartigen", stark zeitversetzten und/oder verzögernden Inanspruchnahme der Prüfmöglichkeit gekommen war. Während der Gesetzgeber bei missbräuchlichem Vorgehen von Krankenkassen bzw. bei nahezu routinemäßig erfolgender Prüfungseinleitung im Grenzbereich hin zum Rechtsmissbrauch die Zahlung einer Aufwandspauschale als gerechtfertigt angesehen hat, kann dies nicht gleichermaßen für andere Sachverhaltskonstellationen gelten (BSG, a.a.O. Rdnr 24).
Im Übrigen spricht auch die Wendung in den Gesetzesmaterialien, "die Verpflichtung zur Zahlung einer Aufwandspauschale durch die Krankenkasse … (entstehe) grundsätzlich unabhängig davon, ob eine Rechnung bereits beglichen ist oder nicht", für die Auffassung, das Vorliegen einer Rechnung für zwingend zu halten.
Der Klägerin ist überdies auch kein erkennbarer wesentlicher zusätzlicher Verwaltungsaufwand entstanden. Der Aufwand erschöpfte sich vielmehr in der Bereitlegung der Krankenakte für den MDK-Gutachter.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VWGO.
Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Das BSG hat sich bislang nicht ausdrücklich mit der - häufigen - Fallvariante auseinandergesetzt, dass die MDK-Prüfung eine reine Verweildauerprüfung darstellt.