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Familiennachzug, maßgeblicher Zeitpunkt, EuGH-Rechtsprechung, Familienzusammenführungsrichtlinie, Einbürgerung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg Der 3. Senat Entscheidungsdatum 03.06.2025
Aktenzeichen 3 B 20/24 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2025:0603.3B20.24.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3; 28 Abs. 3 Satz 2; 36 Abs.1 AufenthG , 10 Abs. 3 Buchst. a; 3 Abs. 3 RL 2003/86

Leitsatz

  1. Nach der Einbürgerung eines (ehemals) minderjährigen Flüchtlings kann ein Anspruch auf Elternnachzug nicht mehr auf Art. 10 Abs. 3 Buchst. a der Familienzusammenführungsrichtlinie gestützt werden.

  2. Die Rechtsprechung des EuGH zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Minderjährigkeit nach der Familienzusammenführungsrichtlinie ist auf den nationalen Anspruch nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG nicht übertragbar.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. Juni 2024 geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des vollstreckbaren Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beklagte wendet sich gegen die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Verpflichtung, den Klägern Visa zum Familiennachzug zu ihrem in Deutschland lebenden Sohn D_____ zu erteilen.

Der Sohn der Kläger wurde am in Syrien geboren. Im September 2015 reiste er gemeinsam mit seiner 1996 geborenen Schwester und deren Ehemann nach Deutschland ein und meldete sich als Asylsuchender. Auf seinen (förmlichen) Asylantrag vom 2. Juni 2016 hin erkannte ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) zunächst mit Bescheid vom 2. Mai 2017 unter Ablehnung des Antrags im Übrigen den subsidiären Schutzstatus und auf Verpflichtungsurteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen mit Bescheid vom 16. Mai 2018 die Flüchtlingseigenschaft zu. Auf dieser Grundlage wurde ihm im November 2018 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt.

Bereits zuvor, im Oktober 2017, hatten die Kläger bei der Botschaft Beirut die Erteilung von Visa zur Familienzusammenführung beantragt. Die Botschaft lehnte diese Anträge jeweils mit Bescheid vom 5. April 2018 ab. Die Erteilung eines Visums nach § 36 Abs. 1 AufenthG sei nicht mehr möglich, weil der Sohn der Kläger am 21. März 2018 das 18. Lebensjahr vollendet habe. Eine außergewöhnliche Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 AufenthG sei ebenfalls nicht gegeben. Die Bescheide enthielten keine Rechtsmittelbelehrung.

Mit Schreiben vom 25. April 2018 an die Botschaft Beirut beantragte der Sohn der Kläger für seine Eltern die „Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug“ und „Wiedereinsetzung in den vorigen Stand“. Er berief sich auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 12. April 2018 (C-550/16) und beantragte hinsichtlich der dort angesprochenen Dreimonatsfrist ab Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil es aufgrund der Rechtslage in Deutschland vor dem Urteil keine Rechtsgrundlage für einen solchen fristwahrenden Antrag gegeben habe. Mit weiterem Schreiben vom 11. Juli 2018 an die Botschaft Beirut stellte der Sohn der Kläger erneut einen „Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug (fristwahrende Anzeige), Wiederaufgreifensantrag gem. § 51 VwVfG (analog), Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 32 VwVfG“ und nahm Bezug auf die beigefügte „Handlungs- und Auskunftsvollmacht in der Visaangelegenheit im Rahmen des Familiennachzugs“ der Kläger vom 8. Mai 2018. Die Auslandsvertretung wertete diese Schreiben als Remonstration. Auf eine am 3. Juli 2019 per E-Mail gestellte Nachfrage nach dem Bearbeitungsstand teilte die Botschaft am 5. Juli 2019 mit, „dass die Bearbeitung Ihrer Remonstration noch nicht abgeschlossen ist“ und wegen der hohen Verfahrensbelastung noch mehrere Monate in Anspruch nehmen könne. Falls noch Unterlagen benötigt würden, werde sich die Botschaft unaufgefordert melden.

Am 27. Mai 2021 wurde dem Sohn der Kläger die Niederlassungserlaubnis erteilt. Im Februar 2022 beantragte er die Einbürgerung, um in Deutschland gefestigt seine Zukunft aufbauen zu können.

Auf Nachfrage der damaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger erklärte die Botschaft mit E-Mail vom 14. April 2022, die Remonstrationen seien „aktuell noch ruhend gestellt“. Es stehe noch eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus, die schon seit längerer Zeit erwartet werde. Sobald diese Entscheidung ergangen sei, würden die Remonstrationen unaufgefordert weiter bearbeitet,

Am 8. Juli 2022 wurde dem Sohn der Kläger die Einbürgerungsurkunde ausgehändigt.

Im September 2022 teilte die Botschaft unter Bezugnahme auf die Entscheidungen des EuGH vom 1. August 2022 in den verbundenen Rechtssachen C-355/20 und C-279/20 mit, die Bearbeitung der ruhend gestellten Visumverfahren werde wieder aufgenommen, und bat den aktuellen Aufenthaltstitel der Referenzperson einzureichen. Auf die Mitteilung, dass der Sohn der Kläger mittlerweile eingebürgert worden sei, erklärte die Botschaft im November 2022, nach Weisung des Auswärtigen Amts seien Visumanträge bei zwischenzeitlicher Einbürgerung der Referenzperson nach den Voraussetzungen für den Familiennachzug zu Deutschen zu prüfen, hier also nach § 28 i.V.m. § 36 Abs. 2 AufenthG. Das sei aktuell jedoch noch fraglich.

Nachdem sie im März 2023 den Prozessbevollmächtigten der Kläger Gelegenheit gegeben hatte, zu eine außergewöhnliche Härte begründenden Umständen vorzutragen, lehnte die Botschaft mit Remonstrationsbescheid vom 24. Juli 2023 unter Aufhebung und Ersetzung des Bescheids vom 5. April 2018 den Antrag auf Visumerteilung vom 17. Oktober 2017 ab. Der Sachverhalt falle nicht mehr unter die Rechtsprechung des EuGH, weil mit der Einbürgerung des Sohns der Kläger seine Flüchtlingseigenschaft erloschen sei. Eine außergewöhnliche Härte im Sinne von § 36 Abs. 2 AufenthG sei nicht glaubhaft gemacht.

Daraufhin haben die Kläger am 22. August 2023 Klage erhoben. Zur Begründung haben sie sich auf die EuGH-Rechtsprechung berufen und ergänzend geltend gemacht, es widerspreche jedem Gerechtigkeitsempfinden, wenn gute Integration und Einbürgerung mit dem Verlust des Nachzugsanspruchs bestraft werde. Der EuGH habe klargestellt, dass der Nachzug nicht durch reinen Zeitablauf verhindert werden solle. Im Übrigen sei ihr Sohn zu keinem Zeitpunkt des Einbürgerungsverfahrens über die möglichen Konsequenzen für den Nachzug der Eltern aufgeklärt worden. Die Kläger haben im erstinstanzlichen Verfahren Kopien ihrer aktuellen, bis zum 20. Juni 2028 gültigen Reisepässe vorgelegt.

Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 26. Juni 2024 verpflichtet, den Klägern Visa zum Familiennachzug zu ihrem in Deutschland lebenden Sohn zu erteilen. Infolge der Einbürgerung der Referenzperson richte sich die Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, wonach dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen die Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung der Personensorge zu erteilen ist, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Der Sohn der Kläger sei weiterhin als minderjährig zu behandeln. Im Hinblick auf den bis zur Einbürgerung bestehenden, unionsrechtlich verbürgten Anspruch auf Familienzusammenführung zum anerkannten, ehemals minderjährigen Flüchtling gebiete es die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts (effet utile), den Anspruch auf Familiennachzug nach der - bis zur Einbürgerung der Referenzperson anwendbaren - Familienzusammenführungsrichtlinie nicht durch eine abweichende Bestimmung der Altersgrenze infolge der Einbürgerung untergehen zu lassen, sondern weiterhin den Zeitpunkt der Asylantragstellung des Kindes als maßgeblich anzusehen. Es sei nicht einzusehen, wenn der Anspruch auf Familienzusammenführung nach § 36 Abs. 1 AufenthG allein infolge der Einbürgerung entfiele, denn diese ändere nichts an dem ursprünglichen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der familiären Situation der Referenzperson. Ihr sei die Rückkehr in ihr Herkunftsland weiterhin nicht zumutbar, und der damit bestehende faktische Zwang, entweder das (neue) Heimatland mit den dortigen persönlichen und beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten aufzugeben oder die dauerhafte Trennung der Familie hinzunehmen, sei grundsätzlich geeignet, die betroffene Familie, zu erschüttern und zu gefährden.

Die Beklagte macht zur Begründung ihrer Berufung im Wesentlichen geltend, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts folge aus Unionsrecht keine Ausnahme von dem Grundsatz, dass für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Verpflichtungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz maßgeblich sei. Die Rechtsprechung des EuGH zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Feststellung der Minderjährigkeit bei Flüchtlingen greife hier nicht. Mit der freiwillig erfolgten Einbürgerung der Referenzperson sei deren Flüchtlingsstatus gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 2 AsylG erloschen. Nach Art. 3 Abs. 3 der Familienzusammenführungsrichtlinie sei diese auf Familienangehörige eines Unionsbürgers nicht anwendbar. Eine Übertragung der EuGH-Rechtsprechung auf den Nachzug zum nunmehr eingebürgerten (ehemaligen) Flüchtling komme daher ebenso wenig in Betracht wie auf Fälle des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten, für die das Bundesverwaltungsgericht die Frage ausdrücklich entschieden habe. Es verbleibe für den Nachzugsanspruch der Kläger zu ihrem (nunmehr) deutschen Kind bei der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass dieser mit Volljährigkeit des Kindes erlösche, weil der Gesetzgeber einen längerfristigen und eigenständigen Aufenthalt der Eltern nach Erreichen der Volljährigkeit ihres Kindes nicht vorgesehen habe. Unionsrecht einschließlich des Grundsatzes der praktischen Wirksamkeit („effet utile“) könne auf die rein nationalen Regelungen zum Familiennachzug zu einem Deutschen nicht einwirken.

Die Beklagte hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. Juni 2024 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil und führen ergänzend aus, die Rechtsprechung zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten sei nicht übertragbar, weil der Referenzperson bis zur Einbürgerung die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt gewesen sei. Das alleinige Abstellen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz würde dazu führen, dass die Beklagte und beteiligte Behörden es selbst in der Hand hätten, Ansprüche auf Erteilung von Visa zur Familienzusammenführung zu torpedieren. Wie der EuGH eindeutig festgestellt habe, dürften die langen Verfahrenszeiten aber nicht zu Lasten der Betroffenen gehen. Es sei zudem fraglich, ob die Flüchtlingseigenschaft ihres Sohnes mit seiner Einbürgerung im Juli 2022 erloschen sei, denn § 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG, sehe diese Folge erst seit dem 1. Januar 2023 vor. Wäre ihm die mögliche Folge seiner Einbürgerung auf den Nachzugsanspruch seiner Eltern bewusst gewesen, so wäre er diesen Schritt zum damaligen Zeitpunkt nicht gegangen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der vorgelegten Visumvorgänge der Beklagten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beigeladenen und der Ausländerakte der Referenzperson Bezug genommen, die vorliegen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten, über die der Senat trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten und der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung entscheiden kann, weil beide unter Hinweis auf § 102 Abs. 2 VwGO ordnungsgemäß geladen worden sind, ist begründet. Der Remonstrationsbescheid vom 24. Juli 2023 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Sie haben keinen Anspruch auf Erteilung der erstrebten Visa zur Familienzusammenführung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Visumerteilung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG. Diese Vorschrift ist nach der Einbürgerung ihres Sohnes als Rechtsgrundlage der erstrebten Visumerteilung heranzuziehen. Dem steht nicht entgegen, dass der Antrag ursprünglich auf § 36 Abs. 1 AufenthG gestützt war, denn beide Vorschriften regeln einen Aufenthalt aus familiären Gründen (Kapitel 2, Abschnitt 6 AufenthG). Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist die Aufenthaltserlaubnis dem ausländischen Elternteil eines minderjährigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge zu erteilen, wenn der Deutsche seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat.

Die Kläger sind die Eltern des am 21. März 2000 geborenen D_____, der durch Aushändigung der Einbürgerungsurkunde (§ 16 Satz 1 StAG) am 8. Juli 2022 die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hat (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 StAG). Dieser ist - soweit bekannt - ledig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Die Kläger haben zum Beleg ihrer Elternschaft im Visumverfahren eine Geburtsurkunde und einen Auszug aus dem Familienregister vorgelegt, dessen Echtheit und inhaltliche Richtigkeit von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen worden sind.

Ein Visumanspruch nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG ist jedoch nicht gegeben, weil der Sohn der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr minderjährig, sondern seit dem 21. März 2018 volljährig ist. Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 9.12 - juris Rn. 11; Urteil vom 8. Dezember 2022 - 1 C 8.21 - juris Rn. 8). Eine Ausnahme hiervon gilt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn der Anspruch die Minderjährigkeit des Antragstellers voraussetzt, mit der Folge, dass diese zum Zeitpunkt der Antragstellung vorliegen muss, während die übrigen Voraussetzungen für den Kindernachzug spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze und zudem der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz gegeben sein müssen (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2022 - 1 C 8.21 - juris Rn. 9). So liegt der Fall hier indessen nicht, weil es nicht um Kindernachzug geht, sondern Antragsteller die Eltern sind, die zu ihrem (ehemals) minderjährigen Kind nachziehen wollen.

Für den Anspruch der Eltern auf Nachzug zum minderjährigen Flüchtling nach § 36 Abs. 1 AufenthG kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Vorverlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Einhaltung der Höchstaltersgrenze auf den Zeitpunkt der Antragstellung nicht in Betracht. Vielmehr erlischt der Anspruch mit Eintritt der Volljährigkeit (BVerwG, Urteil vom 18. April 2013 - 10 C 9.12 - juris Rn. 17 ff.; Beschluss vom 23. April 2020 - 1 C 9.19 - juris Rn. 13 ff.). Maßgeblich hierfür ist die Erwägung, dass das Aufenthaltsrecht nachgezogener Eltern nach nationalem Recht auf den Zeitraum bis zur Volljährigkeit des Kindes begrenzt ist, während der Kindernachzug auf Dauer angelegt ist, weil sich die einem Kind erteilte Aufenthaltserlaubnis mit Eintritt der Volljährigkeit zu einem eigenständigen, vom Familiennachzug unabhängigen Aufenthaltsrecht wandelt (§ 34 Abs. 2 AufenthG), das verlängert werden kann, solange die Voraussetzungen für die Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltsrechts (nationale Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU) noch nicht vorliegen (§ 34 Abs. 3 AufenthG). Nachgezogenen Eltern gewährt das deutsche Recht bei Volljährigkeit des Kindes kein derartiges eigenständiges Aufenthaltsrecht; eine Verlängerung der ihnen erteilten Aufenthaltserlaubnis bleibt an das Fortbestehen der Voraussetzungen des Nachzugstatbestands gebunden und ist daher nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes nicht mehr möglich (BVerwG, Beschluss vom 23. April 2020 - 1 C 9.19 - juris Rn. 13; Urteil vom 18. April 2013  10 C 9.12 - juris Rn. 20).

Diese zu § 36 Abs. 1 AufenthG angestellten Erwägungen sind auf den hier fraglichen Anspruch nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG übertragbar. Auch hier gilt, dass das nach dem Wortlaut der Vorschrift „zur Ausübung der Personensorge“ gewährte Aufenthaltsrecht der Eltern auf den Zeitraum bis zur Volljährigkeit ihres deutschen Kindes begrenzt ist und das Aufenthaltsgesetz den nachgezogenen Eltern bei Volljährigkeit des Kindes kein eigenständiges Aufenthaltsrecht gewährt (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2022 - 1 C 49.21 - juris Rn. 11 ff.). Ein solches folgt auch nicht aus der in § 28 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vorgesehenen Verlängerung der einem Elternteil eines minderjährigen ledigen Deutschen zur Ausübung der Personensorge erteilten Aufenthaltserlaubnis nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes, solange das Kind mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und sich in einer Ausbildung befindet, die zu einem anerkannten schulischen oder beruflichen Bildungsabschluss oder Hochschulabschluss führt. Die kumulativen Voraussetzungen, an deren Vorliegen die Verlängerung über den Eintrifft der Volljährigkeit hinaus geknüpft ist, zeigen deutlich, dass es gerade nicht um ein eigenständiges Aufenthaltsrecht der Eltern geht, sondern darum, dass das volljährig gewordene Kind während seiner Ausbildung und bis zu deren Abschluss nicht auf das Elternteil verzichten muss, mit dem es zusammenlebt.

Ein Visumanspruch der Kläger lässt sich auch nicht auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Familienzusammenführungsrichtlinie (RL 2003/86) stützen. Allerdings ist, wie der EuGH bereits mit Urteil vom 12. April 2018 (C-550/16 - juris) entschieden hat, unter Berücksichtigung des deklaratorischen Charakters der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (EuGH, Urteil vom 12. April 2018 - C-550/16 - juris Rn. 53) Art. 2 Buchst. f in Verbindung mit Art. 10 Abs. 3 Buchst. a RL 2003/86 dahin auszulegen, dass ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, der zum Zeitpunkt seiner Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats und der Stellung seines Asylantrags in diesem Staat unter 18 Jahre alt war, aber während des Asylverfahrens volljährig wird und dem später die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, als „Minderjähriger“ im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist (EuGH, Urteil vom 12. April 2018 - C-550/16 - juris Rn. 64). Die praktische Wirksamkeit von Art. 10 Abs. 3 Buchst. a RL 2003/86 würde in Frage gestellt, wenn das Recht auf Familienzusammenführung aus dieser Bestimmung davon abhinge, zu welchem Zeitpunkt die zuständige nationale Behörde förmlich über die Anerkennung des Betroffenen als Flüchtling entscheidet, und damit von der mehr oder weniger schnellen Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz durch diese Behörde (EuGH, Urteil vom 12. April 2018  C550/16 - juris Rn. 55). Zudem liefe es den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit zuwider, wenn zwei unbegleitete Minderjährige gleichen Alters, die ihren Antrag auf internationalen Schutz zum gleichen Zeitpunkt gestellt haben, hinsichtlich des Rechts auf Familienzusammenführung je nach der Bearbeitungsdauer dieser Anträge unterschiedlich behandelt werden könnten (EuGH, Urteil vom 12. April 2018 - C-550/16 - juris Rn. 56) und es für einen unbegleiteten Minderjährigen, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, völlig unvorhersehbar wäre, ob er das Recht auf Familienzusammenführung mit seinen Eltern in Anspruch nehmen können wird (EuGH, Urteil vom 12. April 2018  C550/16 - juris Rn. 59). Diese Rechtsprechung hat der EuGH in seinen Entscheidungen vom 1. August 2022 - C-273/20 und C-355/20 (juris Rn. 33 ff.) und vom 30. Januar 2024 - C-560/20 - (juris Rn. 34 ff.) bekräftigt. Mit entsprechender Argumentation hat er auch für die Bestimmung der Minderjährigkeit für den Nachzug eines Kindes zum als Flüchtling anerkannten Zusammenführenden nach Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. c RL 2003/86 auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung abgestellt (EuGH, Urteil vom 16. Juli 2020 - C-133/19 u.a. - juris Rn. 27 ff.; Urteil vom 1. August 2022 - C-279/20 - juris Rn. 36 ff., 52).

Basierend auf dieser Rechtsprechung hatten die Kläger bis zur Einbürgerung ihres Sohnes einen Anspruch auf Familiennachzug, wenn nicht - im Wege unionsrechtskonformer Auslegung - nach § 36 Abs. 1 AufenthG (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. April 2024 - OVG 3 B 45/23 - juris Rn. 17 ff.), so doch in unmittelbarer Anwendung des Art. 10 Abs. 3 Buchst. a RL 2003/86 (BVerwG, Beschluss vom 23. April 2020 - 1 C 9.19 - juris Rn. 15 f.; s.a. Urteil von 29. August 2024 - 1 C 9.23 - juris Rn. 14 zum Kindernachzug nach Art. 4 Abs. 1 RL 2003/86; vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. April 2024 - OVG 3 B 45/23 - juris Rn. 25 ff.).

Der am 21. März 2000 geborene Sohn der Kläger hat am 2. Juni 2016, im Alter von 16 Jahren, (förmlich) Asyl beantragt. Die Kläger haben ihren Visumantrag schon am 17. Oktober 2017 gestellt, vor Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an ihren Sohn, die erst - nach erfolgreichem Klageverfahren - durch Bescheid vom 16. Mai 2018 erfolgte. Gegen die zu diesem Zeitpunkt schon ausgesprochene Ablehnung der Visumanträge durch Bescheid der Botschaft vom 5. April 2018 wandte sich der Sohn der Kläger bereits mit seinem Schreiben vom 25. April 2018, mit dem er unter Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 12. April 2018 erneut die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte. Seinem im Wesentlichen inhaltsgleichen Schreiben vom 11. Juli 2018 war eine Vollmacht beider Kläger beigefügt. Auch zu diesem Zeitpunkt war der Ablehnungsbescheid vom 5. April 2018 noch nicht bestandskräftig, weil mangels Rechtmittelbelehrung die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO lief. Die Botschaft hat die Schreiben, die beide die vom EuGH als zeitliche Begrenzung für die Stellung des Nachzugsantrags für angemessen gehaltene Frist von drei Monaten ab dem Tag der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Urteil vom 12. April 2018 - C-550/16 - juris Rn. 61) wahren, zu Recht als Remonstration angesehen.

Der Nachzugsanspruch der Kläger aus Art. 10 Abs. 3 Buchst. a RL 2003/86 ist jedoch mit der Einbürgerung ihres Sohnes am 8. Juli 2022 erloschen. Das gilt   unabhängig davon, dass er mit seiner Einbürgerung nicht mehr Ausländer im Sinne von § 2 Abs. 1, § 36 Abs. 1 AufenthG war - schon deshalb, weil die Familienzusammenführungsrichtlinie nach ihrer ausdrücklichen Regelung in Art. 3 Abs. 3 auf Familienangehörige eines Unionsbürgers keine Anwendung findet. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch Art. 1 der Richtlinie, der als deren Ziel die Festlegung der Bedingungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige festlegt, in Verbindung mit der Definition dieses Begriffs in Art. 2 Buchst. a als jede Person, die nicht Unionsbürger ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. November 2016 - 1 B 110.16 - juris Rn. 3).

Es kommt daher im Ergebnis nicht darauf an, ob die fehlende Anwendbarkeit des Art. 10 Abs. 3 Buchst. a RL 2003/86 auch daraus folgt, dass mit der Einbürgerung des Sohnes der Kläger dessen Flüchtlingseigenschaft nach § 72 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG in der seit dem 1. Januar 2023 geltenden Fassung des Gesetzes vom 21. Dezember 2022 (BGBl. I S. 2817), erloschen ist, der in Umsetzung des Art. 45 Abs. 5 Satz 2 RL 2013/32/EU (vgl. Bergmann/Keller, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 15. A., § 72 AsylG Rn. 8) den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit auf eigenen Antrag als Erlöschenstatbestand regelt, oder ob auf die im Juli 2022 erfolgte Einbürgerung § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylG in der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung Anwendung findet, der - in beinahe wörtlicher Übereinstimmung mit Art. 11 Abs. 1 Buchst. c RL 2011/95/EU - vorsah, dass die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erlischt, wenn der Ausländer auf Antrag eine neue Staatsangehörigkeit erworben hat und den Schutz des Staates genießt, dessen Staatsangehörigkeit er erworben hat. Ebenso kann dahinstehen, ob diese Vorschrift auch den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit erfasste (vgl. dazu Müller, in: Hofmann, AuslR, 3. A., § 72 AsylG Rn. 22 m.w.N.) oder ob dieser die Flüchtlingsanerkennung automatisch entfallen ließ (so Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 14. A., § 72 AsylG Rn. 24).

Weder aus Art. 10 Abs. 3 Buchst. a RL 2003/86 noch aus der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH lässt sich eine Fortwirkung des Status als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ableiten, die es rechtfertigen würde, den maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Minderjährigkeit im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG auf den Zeitpunkt der Asylantragstellung vorzuverlegen. Die Familienzusammenführungsrichtlinie nimmt den Nachzug zu einem Unionsbürger nicht in den Blick, was angesichts der Beschränkung des Anwendungsbereichs in Art. 3 Abs. 3 RL 2003/86 nur konsequent ist. Eine derartige Nachwirkung des Anspruchs auf Familienzusammenführung aus Art. 10 Abs. 3 Buchst. a RL 2003/86 über ihren Geltungsbereich hinaus lässt sich nicht aus der Verpflichtung zur Auslegung und Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie im Lichte von Art. 7 GRCh (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) und der Verpflichtung zur Berücksichtigung des Kindeswohls aus Art. 24 Abs. 2 GRCh (EuGH, Urteil vom 1. August 2022   C273/20 u.a. - juris Rn. 39) ableiten. Das gilt erst recht, wenn es um einen Nachzugsanspruch geht, der - wie hier § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG - allein im nationalen Recht wurzelt. Sie lässt sich auch nicht mit den Erwägungen begründen, auf die der EuGH seine Rechtsprechung gestützt hat.

Ausgehend von den Zielen der Richtlinie, die Familienzusammenführung zu begünstigen und insbesondere Minderjährigen besonderen Schutz zu gewähren (EuGH, Urteil vom 1. August 2022 - C-273/20 u.a. - juris Rn. 35), ist maßgeblich für die Anknüpfung der Minderjährigkeit an den Zeitpunkt der Stellung des Asylantrags der Gesichtspunkt, dass ein Abstellen auf einen späteren Zeitpunkt, wie etwa den der Entscheidung über den Asylantrag oder der Entscheidung über den Visumantrag, den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit zuwiderliefe, weil dies „eine gleiche und vorhersehbare Behandlung aller Antragsteller, die sich zeitlich in der gleichen Situation befinden“, nicht gewährleisten könnte, sondern dazu führen würde, dass „der Erfolg des Antrags auf Familienzusammenführung hauptsächlich von Umständen abhinge, die in der Sphäre der nationalen Behörden oder Gerichte liegen, insbesondere von der mehr oder weniger zügigen Bearbeitung des Antrags auf internationalen Schutz oder von der mehr oder weniger zügigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf gegen die Ablehnung eines solchen Antrags, und nicht von Umständen, die in der Sphäre des Antragstellers liegen“ (EuGH, Urteile vom 1. August 2022 - C-279/20 - juris Rn. 50 und - C-273/20 u.a. - juris Rn. 44; Urteil vom 16. Juli 2020 - C-133/19 u.a. - juris Rn. 42; Urteil vom 12. April 2018 - C-550/16 - juris Rn. 55 ff.). Damit würde das Recht auf Familienzusammenführung „von zufälligen und nicht vorhersehbaren Umständen abhängig gemacht (…), die voll und ganz im Verantwortungsbereich der zuständigen nationalen Behörden und Gerichte des betreffenden Mitgliedstaats lägen“, was große Unterschiede bei der Bearbeitung von Anträgen auf Familienzusammenführung zwischen den Mitgliedstaaten und innerhalb ein und desselben Mitgliedstaats zur Folge haben könnte (EuGH, Urteile vom 1. August 2022 - C-279/29 - juris Rn. 51 und C-273/20 u.a. - juris Rn. 45; Urteil vom 16. Juli 2020 - C-133/19 u.a. - juris Rn. 43). Das Abstellen auf den Zeitpunkt des Asylantrags stellt, so der EuGH, demgegenüber sicher, dass „der Erfolg des Antrags auf Familienzusammenführung in erster Linie von Umständen abhängt, die in der Sphäre der Antragsteller liegen, nicht aber von Umständen, die in der Behördensphäre liegen“ (EuGH, Urteil vom 12. April 2018 - C-550/16 - juris Rn. 60).

Danach fehlt es an einem rechtlichen Ansatzpunkt für Überlegungen, den Schutz des Art. 10 Abs. 3 Buchst. a RL 2003/86 in zeitlicher Hinsicht so weit auszudehnen, dass er auch (ehemals) minderjährige Flüchtlinge erfasst, die infolge des Erwerbs der Unionsbürgerschaft nicht mehr dem Anwendungsbereich der Richtlinie unterfallen. Anders als in den der Rechtsprechung des EuGH zugrunde liegenden Fällen geht es hier nicht darum, dass das Recht auf Familienzusammenführung nicht von Umständen abhängen soll, die der einzelne nicht beeinflussen kann, weil sie „voll und ganz“ im Verantwortungsbereich der nationalen Behörden liegen. Grund für das Erlöschen des Anspruchs auf Familienzusammenführung nach Art. 10 Abs. 3 Buchst. a RL 2003/86 ist vielmehr, dass die Richtline auf den Sohn der Kläger infolge des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit und damit der Unionsbürgerschaft keine Anwendung mehr findet. Die zweifellos im Verantwortungsbereich der Beklagten liegende lange Dauer des Visumverfahrens, das mehr als vier Jahre lang ausgesetzt worden war, um die Entscheidung des EuGH (EuGH, Urteil vom 1. August 2022 - C-273/20 u.a. - juris) auf die Vorlagebeschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. April 2020 und vom 20. August 2020 - 1 C 9.19 - beide juris) abzuwarten, hat zwar dazu beigetragen, dass das Visumverfahren nicht abgeschlossen war, bevor der Sohn der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit im Juli 2022 erworben hat. Der hieraus resultierende Rechtsverlust war jedoch für die Kläger nicht unvermeidbar, denn er wäre nicht eingetreten, wenn ihr Sohn nicht die Einbürgerung beantragt hätte. Hierzu war er nicht gezwungen. Er war seit dem 27. Mai 2021 im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, sein Aufenthaltsrecht war weder befristet noch sonst gefährdet. Als Motivation für seinen Antrag auf Einbürgerung hat er seinen Wunsch angegeben, sich in Deutschland gefestigt seine Zukunft aufbauen zu können. Diese Motivation deutet - wie der erreichte Schulabschluss und das begonnene Studium - auf eine wünschenswerte Integration hin. Das ändert allerdings nichts daran, dass der mit der Einbürgerung verbundene Statuswechsel in erster Linie von Umständen abhing, die in der Sphäre der Kläger liegen, nämlich der Entscheidung ihres Sohnes, die Einbürgerung vor Abschluss des Visumverfahrens zu beantragen und anzunehmen.

Angesichts des letztlich auf eine eigene freie Entscheidung ihres Sohnes zurückgehenden Rechtsverlusts der Kläger kann auch nicht angenommen werden, die effektive Umsetzung des Unionsrechts gebiete die Fortwirkung der Fixierung der maßgeblichen Altersgrenze, weil nur dadurch die mit der Familienzusammenführungsrichtlinie bezweckte Begünstigung des Familiennachzugs besonders der Mitglieder der Kernfamilie sowie der mit ihr im Speziellen verfolgte stärkere Schutz von Flüchtlingen, die unbegleitete Minderjährige sind, wirksam gewährleistet werden könne. Die auf Antrag des Sohnes der Kläger erfolgte Einbürgerung hat die Anwendbarkeit der Familienzusammenführungsrichtline nach ihren eigenen Regelungen unabhängig davon entfallen lassen, dass sich an dem ursprünglichen Grund für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nichts geändert haben mag. Jenseits des Anwendungsbereichs der Familienzusammenführungsrichtlinie rechtfertigen auch Art. 6 GG, Art. 8 EMRK keine Vorverlegung des maßgeblichen Zeitpunkts für die Minderjährigkeit im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG in Anknüpfung an Art. 10 Abs. 3 Buchst. a RL 2003/86, weil diese Grundrechte keinen unmittelbaren Anspruch auf Familienzusammenführung durch Einreise in das Bundesgebiet verleihen (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 26. September 2024 - 1 C 11.23 - juris Rn. 31 m.w.N.).

Informationspflichten, deren Verletzung dazu führen kann, dass den Betreffenden eine etwaige Fristversäumung oder verspätete Antragstellung nicht entgegengehalten werden könnte, haben der EuGH (EuGH, Urteil vom 7. November 2018   C380/17 - juris Rn. 63) und das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG, Urteil vom 29. August 2024 - 1 C 9.23 - juris Rn. 20 ff.) aus der Familienzusammenführungsrichtlinie abgeleitet, die hier - wie ausgeführt - nicht mehr greift. Abgesehen davon, dass es hier nicht um Antragsfristen, sondern um den mit der Einbürgerung verbundenen Statuswechsel geht, ist nicht erkennbar, woraus sich eine Pflicht der Ausländerbehörde ergeben sollte, anerkannte Flüchtlinge dahin zu belehren, dass sie mit Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit Rechte aus der Familienzusammenführungsrichtline verlieren. Ebenso wenig ist zu erkennen, dass die Einbürgerungsbehörde eine entsprechende Verpflichtung hätte und woraus diese sich ergeben sollte.

Ein Anspruch der Kläger auf Visumerteilung nach § 36 Abs. 2 oder § 22 AufenthG ist ebenfalls nicht gegeben, weil für eine außergewöhnliche Härte oder dringende humanitäre Gründe nichts ersichtlich und im Übrigen von den Klägern auch nichts geltend gemacht worden ist.

Ein Visumanspruch nach § 2a Abs. 2 i.V.m. § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 FreizügG/EU als Familienangehörige (Verwandte in gerader aufsteigender Linie, denen von der Person Unterhalt gewährt wird, § 1 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. d FreizügG/EU) scheitert daran, dass der Sohn der Kläger kein Unionsbürger im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist; das sind nach der gesetzlichen Definition nämlich nur Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die nicht Deutsche sind. Dies begegnet keinen unionsrechtlichen Bedenken, weil die Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) nach ihrem Art. 3 Abs. 1 nur für Unionsbürger gilt, die sich in einen anderen als den Mitgliedsstaat ihrer Staatsangehörigkeit begeben oder sich dort aufhalten, sowie für ihre sie begleitenden oder nachziehenden Familienangehörigen im Sinne des Art. 2 Nr. 2. Dass ihr Sohn von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht hätte, tragen die Kläger selbst nicht vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zuzulassen, ob der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Minderjährigkeit des Zusammenführenden im Rahmen des § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG in Anknüpfung an die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 10 Abs. 3 Buchst. a RL 2003/86 auf den Zeitpunkt der Stellung des Asylantrags vorzuverlegen ist, wenn dieser nicht mehr vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst wird, weil er durch Einbürgerung die Staatsangehörigkeit des Mitgliedsstaats erworben hat, in dem er sich aufhält.