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Entscheidung 1 ORbs 87/25


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Bußgeldsachen Entscheidungsdatum 23.06.2025
Aktenzeichen 1 ORbs 87/25 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2025:0623.1ORBS87.25.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde wird der Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 04. Februar 2025, soweit darin dem Betroffenen darin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt worden ist, aufgehoben. Dem Betroffenen wird kostenpflichtig Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt.

Auf den Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gegen den Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 04. Februar 2025 wird dieser Beschluss, soweit darin die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unzulässig verworfen worden ist, aufgehoben.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 29. Oktober 2024 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Nauen zurückverwiesen.

Gründe

I.

Mit Bußgeldbescheid vom 02. Februar 2024 setzte der Zentraldienst der Polizei des Landes Brandenburg – Zentrale Bußgeldstelle – gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um toleranzbereinigte 41 km/h ein Bußgeld in Höhe von 320,00 € fest und ordnete unter Einräumung der Gestaltungsmöglichkeit des § 25 Abs. 2 a StVG ein einmonatiges Fahrverbot an.

Über den hiergegen gerichteten Einspruch des Betroffenen verhandelte das Amtsgericht Nauen am 05. August 2024. Weil der Betroffene sich auf eine besondere Härte in Bezug auf das Fahrverbot – berufliche Verpflichtungen als Versicherungsvertreter – stützte, setzte das Bußgeldgericht die Hauptverhandlung aus und gab dem Betroffenen Gelegenheit, hierzu näher vorzutragen.

Diese Gelegenheit nutzte der Betroffene mit Anwaltsschriftsätzen vom 06. September 2024 und Gleichzeitig teilte er mit, im Fall der Verhängung einer Geldbuße von nicht mehr als 640,00 € ohne Fahrverbot mit einer Entscheidung im Beschlusswege einverstanden zu sein, verzichtete aber nicht auf eine Begründung eines solchen Beschlusses.

Mit Verfügung vom 08. Oktober 2024 teilte die Bußgeldrichterin der Staatsanwaltschaft Potsdam mit, nach dem bisherigen Sach- und Rechtsstand zu beabsichtigen, unter Verhängung einer Geldbuße von „64 €“ (gemeint waren offensichtlich 640,00 €) von einem Fahrverbot abzusehen, und bat um Mitteilung, ob einer Entscheidung im Beschlussweg gemäß § 72 OWiG widersprochen werde. Hierauf teilte die Staatsanwaltschaft am 16. Oktober 2024 mit, einer Entscheidung im Beschlussweg nicht zu widersprechen, soweit das Bußgeld auf 640,00 € erhöht werde.

Auf entsprechende Nachfrage des Amtsgerichts vom 22. Oktober 2024 teilte der Betroffene über seinen Verteidiger mit, im Fall der Verhängung einer Geldbuße von nicht mehr als 640,00 € ohne Fahrverbot mit einer Entscheidung im Beschlussverfahren unter Verzicht auf eine Begründung einverstanden zu sein.

Mit Beschluss vom 29. Oktober 2024 setzte das Bußgeldgericht daraufhin gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h eine Geldbuße in Höhe von 640,00 € fest. Ein Fahrverbot verhängte es nicht.

Der nicht mit einer Begründung versehene Beschluss wurde dem Verteidiger des Betroffenen am 05. November 2024, der Staatsanwaltschaft Potsdam am 02. Dezember 2024 gemäß § 41 StPO zugestellt. Am 12. November 2024 legte der Betroffene über seinen Verteidiger Rechtsbeschwerde ein und beantragte Akteneinsicht, die ihm am 23. Dezember 2024 gewährt wurde. Mit Schriftsatz vom 02. Januar 2025, der am selben Tag bei dem Amtsgericht einging, beantragte der Betroffene Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde und beantragte unter Erhebung der allgemeinen Sachrüge zugleich, den Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 29. Oktober 2024 aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Mit Beschluss vom 04. Februar 2025 verwarf das Bußgeldgericht den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet und das Rechtsmittel des Betroffenen gegen den Beschluss vom 29. Oktober 2024 als unzulässig.

Dieser Beschluss wurde dem Verteidiger am 06. Februar 2025 zugestellt. Am selben Tag legte dieser für den Betroffenen sofortige Beschwerde ein. Er macht geltend, das Amtsgericht sei weder zur Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag berufen noch zur Verwerfung der Rechtsbeschwerde als unzulässig berechtigt gewesen. In der Sache sei nicht ersichtlich, dass die Bußgeldrichterin seine Ausführungen im Schriftsatz vom 06. September 2024 (fehlende Wiederholung der Beschilderung) bei ihrer Beschlussfassung berücksichtigt hätte.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt mit ihrer Zuschrift vom 15. April 2025, die am 30. April 2025 bei dem Oberlandesgericht einging, den Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 04. Februar 2025 hinsichtlich der Versagung der Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsbeschwerdebegründungsfrist aufzuheben und dem Betroffenen insoweit Wiedereinsetzung zu gewähren, den nämlichen Beschluss des Amtsgerichts auch insoweit aufzuheben, als darin die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unzulässig verworfen wurde, sowie, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen den Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 29. Oktober 2024 aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Nauen zurückzuverweisen.

Der Betroffene hat hierzu mit Anwaltsschriftsatz vom 12. Mai 2025 Stellung genommen.

II.

1. Die sofortige Beschwerde gegen den das Wiedereinsetzungsgesuch des Betroffenen verwerfenden Beschluss des Amtsgerichts vom 04. Februar 2025 hat Erfolg.

a) Das Rechtsmittel ist zulässig. Sie ist gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 46 Abs. 3 StPO statthaft und entsprechend §§ 46 Abs. 1 OWiG, 306 Abs. 1,311 Abs. 2 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebracht worden.

Der Senat ist für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen den das Wiedereinsetzungsgesuch des Betroffenen zurückweisenden Beschluss zuständig. Hat – wie hier – das Amtsgericht anstelle des zuständigen Oberlandesgerichts über den Wiedereinsetzungsantrag entschieden, so befindet dieses, nicht das Landgericht jedenfalls dann über die sofortige Beschwerde, wenn gleichzeitig mit der sofortigen Beschwerde ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 346 Abs. 2 StPO gestellt und über das gleichzeitig eingelegte Rechtsmittel noch nicht entschieden worden ist (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2014, 254; KG JR 1983, 214; BayObLGSt 1961, 157; BayObLG MDR 1993, 892; OLG Celle NZV 1998, 258; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Auflage, zu § 46, Rz. 8).

b) Die sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Dem Betroffenen ist auf seinen – fristgerecht gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 45 Abs. 1 S. 1StPO eingegangenen – Antrag hin Wiedereinsetzung in die versäumte Frist des § 79 Abs. 3 S. 1 OWIG in Verbindung mit § 345 Abs. 1 S. 1 StPO zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren.

aa) Der Betroffene hat die genannte Frist versäumt. Diese begann mit der Zustellung des nicht mit Gründen versehenen Beschlusses vom 29. Oktober 2024 an den Verteidiger des Betroffenen am 05. November 2024 zu laufen und endete gemäß § 79 Abs. 3 S.1 OWiG in Verbindung mit § 345 Abs. 1 S. 1 StPO am 12. Dezember 2024. Erst am 02. Januar 2025 ging die Rechtsbeschwerdebegründung (verbunden mit dem Wiedereinsetzungsantrag) bei dem Amtsgericht ein.

Für den Betroffenen war erkennbar, dass der zugestellte Beschluss die für das weitere Verfahren maßgebliche Entscheidung bildete und eine weitere Begründung nicht zu erwarten war. Das Fehlen von Beschlussgründen war irreparabel, denn eine nachträgliche Begründung gemäß § 72 Abs. 6 S. 3 OWiG war dem Amtsgericht verwehrt, weil die Voraussetzungen des § 72 Abs. 6 S. 1 OWiG für ein Absehen von der Begründung nicht vorgelegen hatten. Hierfür fehlte es an einer ausdrücklichen, eindeutigen und vorbehaltslosen Erklärung der Staatsanwaltschaft Potsdam, die in deren alleiniger Erklärung, einer Entscheidung durch Beschluss im Fall der Verhängung eines Bußgeldes in Höhe von 640,00 € bei Wegfall des Fahrverbotes nicht zu widersprechen, nicht gesehen werden kann. Der Senat schließt sich insoweit den zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg zu Ziffer II.2 deren Zuschrift vom 15. April 2025 an; diese entsprechen der Sach- und Rechtslage.

bb) Das Wiedereinsetzungsgesuch ist gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 und 2 StPO zulässig. Auch insoweit schließt sich der Senat den zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in deren Stellungnahme vom 15. April 2025 (dort Ziffer II. 1 b) an. Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene, auf dessen Kenntnis vom Wegfall des Hindernisses es allein ankommt (vgl. BGH BeckRS 2014, 390), vor seinem Verteidiger Kenntnis von dem fehlenden ausdrücklichen Verzicht der Staatsanwaltschaft auf eine Beschlussbegründung erhielt, sind nicht ersichtlich.

cc) Der Betroffene hat die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde unverschuldet versäumt. Das Versäumnis beruhte auf der irrigen Annahme seines Verteidigers, die Frist begänne erst mit Zustellung der auf die Rechtsbeschwerde hin nachzuholenden Beschlussgründe zu laufen. Selbst wenn hierin ein Verschulden des Verteidigers zu sehen wäre, könnte dies dem Betroffenen nicht zugerechnet werden (vgl. hierzu BGH NJW 1994, 1856; BGHSt 14, 306, 308; BGH NStZ-RR 2023, 348).

2. Aufgrund der Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelbegründungsfrist unterliegt der die Rechtsbeschwerde als unzulässig verwerfende Beschluss des Amtsgerichts vom 04. Februar 2025 auf den gemäß § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG in Verbindung mit § 346 Abs. 2 StPO statthaften und fristgerecht innerhalb der Wochenfrist gestellten Antrag des Betroffenen auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts der Aufhebung.

3. Schließlich hat die Rechtsbeschwerde des Betroffenen Erfolg.

a) Sie ist gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 und 2 OWiG statthaft und nach erfolgter Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsbeschwerdebegründungsfrist entsprechend §§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG in Verbindung mit §§ 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, sonach zulässig.

b) In der Sache hat sie – vorläufig – Erfolg.

Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts Nauen vom 29. Oktober 2024 enthält die nach § 72 Abs. 4 S. 3 bis 5 OWiG vorgeschriebene Begründung nicht. Nach den genannten Vorschriften muss die Begründung eines Beschlusses, mit dem eine Geldbuße festgesetzt wird, im Wesentlichen den Anforderungen genügen, die gemäß § 71 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 267 Abs. 1 S. 1 und 2, Abs. 3 S. 1 2. Hlbs. StPO an die Begründung eines nicht freisprechenden Urteils gestellt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 17. März 2020 – (1 B) 53 Ss-OWi 110/20 (70/20), juris; KG, Beschluss vom 16. Januar 2019 – 3 Ws (B) 312/18 – 122 Ss 146/18, juris; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 15. Oktober 2019 – Ss Bs 59/2019 (62/19 OWi) m. w. N. = BeckRS 2019, 25067). Das Fehlen von Urteilsgründen zwingt in der Regel auf die Sachrüge hin zur Urteilsaufhebung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., zu § 338, Rz. 52 m. w. N.). Nichts anderes gilt für einen Bußgeldbeschluss nach § 72 OWiG, wenn die Voraussetzungen für das Absehen von einer Begründung nach § 72 Abs. 6 S. 1 OWiG nicht vorlagen (Senat a. a. O.).

III.

Die Kostenentscheidung zur Wiedereinsetzung beruht auf § 46 Abs.1 OWiG in Verbindung mit § 473 Abs. 7 StPO. Eine Kostenentscheidung zum Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nicht veranlasst, weil das Kostenverzeichnis zum GKG keine Gebühr hierfür vorsieht und Auslagen nicht entstehen (vgl. OLG Koblenz VRS 68, 51; Meyer-Goßner/Schmitt, a. a. O., zu § 346, Rz.12).