Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 23.11.2011 | |
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Aktenzeichen | OVG 2 S 86.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 146 Abs 4 VwGO, § 80 Abs 5 VwGO, § 25 Abs 5 S 1 AufenthG, Art 6 Abs 1 GG, Art 8 MRK |
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. August 2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist aus den vom Antragsteller dargelegten Gründen, die den Umfang der Überprüfung im Beschwerdeverfahren bestimmten (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), nicht zu beanstanden.
Das Verwaltungsgericht hat es abgelehnt, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ablehnenden Bescheid des Antragsgegners vom 27. Juni 2011 anzuordnen. Der Antragsteller habe nach Abschluss seines Promotionsverfahrens spätestens im Juni 2010 weder einen Anspruch nach § 16 Abs. 4 AufenthG darauf, dass ihm eine Aufenthaltserlaubnis für die Zukunft erteilt werde, noch könne er eine – im ausländerbehördlichen Ermessen stehende – Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 oder Abs. 5 AufenthG beanspruchen.
1. Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei rechtswidrig, weil seine Ausreise rechtlich unmöglich im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG sei, denn er sei als „faktischer Inländer“ anzusehen und beabsichtige außerdem, seine langjährige Freundin, eine Unionsbürgerin, zu heiraten.
Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Ausreise - mit der in diesem Zusammenhang sowohl die zwangsweise Abschiebung als auch die freiwillige Ausreise gemeint ist - ist im Sinne von § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen (wie etwa das Fehlen erforderlicher Einreisepapiere oder sonstige Einreiseverbote in den Herkunftsstaat) oder als unzumutbar erscheinen lassen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2006 - 1 C 14.05 -, juris Rn. 17). Derartige Abschiebungsverbote können sich u.a. aus Verfassungsrecht (etwa aus Art. 6 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) ergeben.
a. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich zunächst kein Abschiebungsverbot aus Art. 6 Abs. 1 GG. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass eine ausländerrechtliche Vorwirkung der durch Art. 6 GG geschützten Eheschließungsfreiheit voraussetze, dass die Trauung unmittelbar bevorstehe. Dies sei nur dann der Fall wenn der Standesbeamte nach § 13 Abs. 4 PStG mitgeteilt habe, dass die Eheschließung vorgenommen werden könne, bzw. wenn zumindest das Verfahren zur Feststellung der Ehefähigkeit der Verlobten durch Vorlage der gültigen Ehefähigkeitszeugnisse oder der Befreiung von denselben erfolgreich abgeschlossen sei. Hierzu verhält sich das Beschwerdevorbringen nicht.
b. Der Antragsteller legt mit der Beschwerde auch nicht dar, dass eine behördlich veranlasste Aufenthaltsbeendigung unverhältnismäßig in sein durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht auf Achtung des Privatlebens eingreifen würde. Das von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens umfasst zwar, auch soweit es keinen familiären Bezug hat, die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen - angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen – bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2009 – 1 C 40.07 -, juris Rn. 21). Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. z.B. Urteil vom Urteil vom 16. Juni 2005 – 60654/00 -, Fall Sisojeva, InfAuslR 2005, 349) kann auch eine Aufenthaltsbeendigung bzw. die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens darstellen. Art. 8 EMRK verbietet die Abschiebung eines fremden Staatsangehörigen jedoch nicht allein deswegen, weil dieser sich eine bestimmte Zeit im Hoheitsgebiet des Vertragsstaates aufgehalten hat. Vielmehr haben die Vertragsstaaten nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen das Recht, über die Einreise, den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger selbst zu entscheiden (vgl. EGMR, Entscheidung vom 7. Oktober 2004 - 33743/03 -, Fall Dragan, NVwZ 2005, 1043, 1045; Entscheidung vom 16. September 2004 - 11103/03 -, Fall Ghiban, NVwZ 2005, 1046). Selbst wenn zugunsten des Antragstellers angenommen wird, dass vor dem Hintergrund seines – rechtmäßigen - Aufenthalts in Deutschland von insgesamt annähernd 13 Jahren und den von ihm erbrachten Integrationsleistungen ein Eingriff in das in Art. 8 Abs. 1 EMRK verankerte Recht auf Privatleben vorliegt (vgl. Armbruster in: HTK-AuslR, § 60a AufenthG, zur Abs. 2 Satz 1, Art. 8 EMRK und Verwurzelung, Ziffer 2), erwiese sich dieser Eingriff voraussichtlich als verhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK. Danach ist ein Eingriff gerechtfertigt, wenn es sich um eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme handelt, die durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt ist und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Februar 2011 – 2 BvR 1392/10 -, juris Rn. 19). Im Rahmen dieser Schrankenbestimmung muss eine Abwägung zwischen der Rechtsposition des Ausländers und dem Recht des Vertragsstaates zur Einwanderungskontrolle stattfinden. Dabei ist neben der Integration des Ausländers in die hiesigen Lebensverhältnisse („Verwurzelung“) und der Zumutbarkeit der Integration bzw. Reintegration im Heimatstaat („Entwurzelung“) auch zu berücksichtigen, ob sich der betroffene Ausländer darauf einstellen musste, das Bundesgebiet wieder verlassen zu müssen (vgl. m.w.N., Armbruster, a.a.O.).
Gemessen an diesen Grundsätzen hat der Antragsteller nicht dargelegt, dass eine Rückkehr nach Guatemala für ihn unzumutbar wäre. Er hat bis zu seinem 25. Lebensjahr in Guatemala gelebt, ist dort zur Schule gegangen und hat dort ein Studium an einer Universität mit dem Diplom als Sozialkommunikationswissenschaftler abgeschlossen. Er ist in der Bundesrepublik Deutschland zwar sozial integriert, denn er beherrscht die deutsche Sprache perfekt, hat hier eine Lebensgefährtin und ist als Wissenschaftler ehrenamtlich am Lateinamerikainstitut der FU Berlin sowie für die Lange Nacht der Wissenschaften tätig. Es fehlt jedoch an einer wirtschaftlichen Integration. Der Antragsteller verfügt zwar über eine erfolgreich mit einer Promotion abgeschlossene Berufsausbildung, hat aber bislang – obgleich das Promotionsverfahren bereits vor ca. 17 Monaten mit Übersendung der Promotionsurkunde abgeschlossen wurde - keinen Arbeitsplatz gefunden. Es ist daher nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit zu sichern. Soweit er darauf hinweist, dass er finanzielle Unterstützung von Freunden erhalte und bislang ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel in Deutschland gelebt habe, belegt er damit nicht, dass er in der Bundesrepublik Deutschland wirtschaftlich – d.h. beruflich – integriert ist. Eine Rückkehr des Antragstellers in sein Heimatland, in dem er die prägenden Jahre seiner Kindheit, Jugend und seines ersten Studiums verbracht hat, dürfte für diesen auch nicht mit unzumutbaren Schwierigkeiten verbunden sein. Der Antragsteller ist mit der Sprache seines Heimatlandes und den dortigen Lebensverhältnissen vertraut. Beides ist Gegenstand seiner lehrenden und wissenschaftlichen Tätigkeit. Außerdem besaß er seit seiner Einreise im Jahr 2001 befristete Aufenthaltserlaubnisse zu Studienzwecken bzw. zur Promotion, die jeweils mit dem Hinweis versehen waren, dass der Aufenthaltstitel mit Beendigung des Studiums/der Promotion erlischt. Er musste sich deshalb darauf einstellen, das Bundesgebiet nach Abschluss seiner Promotion wieder verlassen zu müssen, sofern er keinen Arbeitsplatz vorweisen kann. Auch unter Berücksichtigung des angesichts der bisherigen Straflosigkeit des Antragstellers vergleichsweise geringen Gewichts der die Aufenthaltsbeendigung rechtfertigenden öffentlichen Interesses kann bei einer wertenden Gesamtbetrachtung daher nicht angenommen werden, dass eine Rückkehr des Antragstellers nach Guatemala für diesen unzumutbar ist.
2. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass er nach einem Vorstellungsgespräch bei der Deutschen Welle eine Zusage für einen Arbeitsplatz erhalten habe und daher jedenfalls einen Anspruch auf Erteilung einen Aufenthaltserlaubnis nach § 18 ff. AufenthG habe, verhilft dies der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Dahinstehen kann, ob dieser Vortrag, der sich auf einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach dem 4. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes bezieht und bislang nicht verfahrensgegenständlich war, überhaupt geeignet ist, ein überwiegendes Interesse des Antragstellers an der Aussetzung des angefochtenen Bescheides zu begründen. Denn jedenfalls hat der Antragsteller nicht dargelegt und glaubhaft gemacht, dass er inzwischen einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).