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Entscheidung 3 W 151/24


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 3. Zivilsenat Entscheidungsdatum 07.07.2025
Aktenzeichen 3 W 151/24 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2025:0707.3W151.24.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

  1. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 19.06.2024 - 6 VI 1023/18 - wird auf Kosten der Beschwerdeführerin zurückgewiesen.

  2. Der Beschwerdewert wird auf bis zu 4.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der verwitwet gestorbene Erblasser hatte sechs Abkömmlinge, die Beteiligten zu 1 bis 5 und den am XX.XX.2023 verstorbenen ... (Name 01).

Auf Antrag des Beteiligten zu 5 hat das Amtsgericht durch die Rechtspflegerin am 23.01.2019 aufgrund gesetzlicher Erbfolge einen gemeinschaftlichen Erbschein erteilt, der die sechs Kinder des Erblassers als dessen Erben zu je 1/6 ausweist.

Das Amtsgericht ... (Ort 01) hat am 18.12.2023 ein eigenhändiges gemeinschaftliches Testament der Eheleute ... (Name 02) und ... (Name 03) vom 13.12.1987 eröffnet, das u. a. folgenden Inhalt hat:

„Hiermit legen wir fest, daß im Falle des Ablebens eines Ehepartners, alle materiellen Güter, sowie Sparguthaben und Bargeld dem Hinterbliebenen Ehepartner zukommt. Kinder erhalten in diesem Fall nichts aus der Hinterlassenschaft.

Beim Ableben beider Ehepartner wird die Hinterlassenschaft an materiellen und finanziellen Gütern an folgende Kinder zu gleichen Teilen aufgeteilt:

1) ... (Name 04) [...]

2) ... (Name 05) [...]

3) ... (Name 06) [...]“.

Mit Beschluss vom 19.06.2024 hat das Amtsgericht durch den zuständigen Richter den Erbschein vom 23.01.2019 eingezogen mit der Begründung, der Erbschein sei gemäß § 2361 BGB unrichtig, weil er aufgrund gesetzlicher Erbfolge erteilt worden sei, eine nachträglich aufgefundene Verfügung von Todes wegen aber eine abweichende Erbeinsetzung enthalte.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1, die geltend macht, es handele sich nicht um ein Berliner Testament. Da die testierenden Eheleute nicht zum gleichen Zeitpunkt verstorben seien, hätte der Erblasser nach dem Tod seiner Frau neu testieren müssen. Auch hätte nach dem Tod der Ehefrau der Pflichtteil geregelt werden müssen. Das Testament sei nicht nachträglich aufgefunden, sondern bereits nach dem ersten Todesfall am 03.11.2000 eröffnet worden. Es könne nach dem Tod des Erblassers keine Rechtswirkung mehr haben. Der Erbschein sei zu Recht erteilt worden. Gründe für dessen Einziehung lägen nicht vor.

Mit Beschluss vom 08.10.2024 hat das Amtsgericht durch den zuständigen Richter der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, der Erbschein sei bereits deshalb als unrichtig einzuziehen, weil dieser angesichts des vorliegenden Testaments von der unzuständigen Rechtspflegerin erteilt worden sei und nicht von dem nach den brandenburgischen Landesvorschriften zuständigen Richter. Es sei unerheblich, ob sich aus der testamentarischen Verfügung eine von der gesetzlichen Erbfolge abweichende Erbfolge ergebe. Ob die verfügenden Ehegatten ein gleichzeitiges Ableben gemeint oder eine Schlusserbfolge nach dem Letztversterbenden geregelt hätten, müsse im Einziehungsverfahren nicht geklärt werden. Die Frage der etwaigen Regelung von Pflichtteilsansprüchen sei irrelevant.

II.

Die gemäß §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Erbschein vom 23.01.2019 ist gemäß § 2361 Abs. 1 S. 1 BGB einzuziehen, weil er unrichtig ist.

1.

Gemäß § 2361 Abs. 1 Satz 1 BGB ist das Nachlassgericht von Amts wegen verpflichtet, einen erteilten Erbschein einzuziehen, wenn er sich als unrichtig erweist. Die Unrichtigkeit des Erbscheins kann sich aus formellen (verfahrensrechtlichen) oder materiellen (inhaltlichen) Gründen ergeben. Eine formelle Unrichtigkeit des Erbscheins liegt vor, wenn der Erbschein unter Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften erteilt worden ist, die Bedingung für die Zulässigkeit des ganzen Verfahrens sind (BGH, NJW 1963, 1972; KG Berlin, Beschluss vom 16.03.2004 – 1 W 458/01, Rn. 5, juris; Staudinger/​Herzog, BGB, 2023, § 2361 Rn. 30).

Eine formelle Unrichtigkeit des Erbscheins ist vorliegend im Hinblick darauf gegeben, dass für das Erbscheinsverfahren der Richter und nicht der Rechtspfleger funktionell zuständig war. Abweichend von der grundsätzlich nach § 3 Nr. 2 c RpflG gegebenen Zuständigkeit des Rechtspflegers für das Erbscheinsverfahren bleibt gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 6 RpflG dem Richter die Erteilung von Erbscheinen dann vorbehalten, wenn eine Verfügung von Todes wegen vorliegt, weil diesem die Prüfung und Entscheidung obliegt, ob eine wirksame Verfügung von Todes wegen vorhanden und geeignet ist, die gesetzliche Erbfolge zu beeinflussen.

a)

Allein der Umstand, dass nunmehr ein Testament vorliegt, kann aber entgegen der Auffassung des Amtsgerichts für sich genommen die Einziehung des Erbscheins nicht rechtfertigen.

Denn gelangt der Richter zu dem Ergebnis, dass der Erbschein auch in Ansehung des Testaments nach gesetzlicher Erbfolge zu erteilen ist, kann er die Erteilung des Erbscheins gemäß § 16 Abs. 3 Nr. 1 RpflG dem Rechtspfleger übertragen. Sind die Voraussetzungen für eine Übertragung im Allgemeinen gegeben, ist eine solche aber nicht erfolgt oder fehlt es nur im Einzelfall an den Voraussetzungen der Übertragung, so ist die Entscheidung des Rechtspflegers gemäß § 8 Abs. 2 RpflG gleichwohl wirksam (BayObLG, Beschluss vom 28.04.1997 - 1Z BR 86/97, NJWE-FER 1997, 186 m. w. N.; KG Berlin, a. a. O., Rn. 6, juris; MüKo/Grziwotz, BGB, 9. Aufl., § 2361 Rn. 14). Allein die Erteilung des Erbscheins durch den unzuständigen Rechtspfleger nötigt deshalb nicht zur Einziehung, wenn deutsches Recht anzuwenden und der Erbschein trotz Vorliegens einer letztwilligen Verfügung aufgrund gesetzlicher Erbfolge zu erteilen ist (KG, a. a. O., Rn. 7). Nur wenn also aufgrund geänderter Umstände (insbesondere durch ein später bekannt gewordenes Testament) tatsächlich die gewillkürte Erbfolge eingetreten ist, hätte keine Übertragung nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 RPflG erfolgen können, und nur dann ist der Erbschein des Rechtspflegers nach § 8 Abs. 4 S. 1 RPflG unwirksam und daher einzuziehen (BeckOGK/Neukirchen, BGB, Stand: 01.07.2023, § 2361 Rn. 13.2).

Die Einziehungsentscheidung erfordert demzufolge eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Testament und kann nicht - wie in der angefochtenen Entscheidung - bloß mit der funktionellen Unzuständigkeit der Rechtspflegerin begründet werden. Das Nachlassgericht muss sich bei seiner Entscheidung über die Einziehung in die Lage versetzen, als hätte es über die Erteilung des Erbscheins nach § 352e Abs 1 S 1 FamFG zu befinden. Es hat ihn also einzuziehen, wenn es ihn aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr erteilen dürfte, falls es jetzt über die Erteilung zu entscheiden hätte, selbst wenn zur endgültigen Klärung noch weitere Ermittlungen nötig wären (Staudinger/​Herzog, a. a. O., § 2361 Rn. 26 f.). In diesem Fall kann über die Einziehung erst nach abschließender Aufklärung des Sachverhalts entschieden werden (BayObLG, a. a. O., unter Bezugnahme auf BGH, NJW 1963, 1972).

b)

Die Einziehung ist aber im Ergebnis zu Recht erfolgt, weil sich die Erbfolge hier nicht nach den gesetzlichen Vorschriften richtet, sondern nach der vorliegenden Verfügung von Todes wegen.

Da das Testament vor dem Beitritt errichtet wurde und die Testierenden zur Zeit der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der früheren DDR hatten, gilt – soweit es die Wirksamkeit des Testaments und die Bindung des nachverstorbenen Erblassers hieran betrifft – gemäß Art. 235 § 2 EGBGB das Recht des ZGB-DDR (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 25.10.2021 – 3 W 147/20, NJOZ 2022, 651 Rn. 15; OLG Naumburg, NJW-RR 2022, 1520 Rn. 15; Senat, Beschluss vom 29.11.2023 – 3 W 13/23, BeckRS 2023, 39633 Rn. 11). Soweit es hingegen um Inhalt, Auslegung und materielle Wirkung der letztwilligen Verfügung geht, unterliegen diese nicht Art. 235 § 2 EGBGB, sondern dem Erbstatut, bei Erbfällen nach dem 03.10.1990 – wie hier – also dem BGB (BGH, NJW 2003, 2095, OLG Rostock, a. a. O., Rn. 18 m. w. N.; Senat, a. a. O.).

aa)

Das gemeinschaftliche Ehegattentestament vom 13.12.1987 ist gemäß §§ 388, 391 Abs. 2, 385 ZGB-DDR formwirksam errichtet. Denn es ist von der vorverstorbenen Ehefrau eigenhändig verfasst und von beiden Ehegatten unterschrieben worden. Es hat auch einen nach § 389 Abs. 1 ZGB-DDR zulässigen Inhalt. Danach können sich die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig als Erben und Nachkommen oder andere Personen als Erben des zuletzt versterbenden Ehegatten einsetzen.

bb)

Die testierenden Ehegatten haben sich hier wechselseitig zu ihren jeweiligen Alleinerben eingesetzt und die namentlich benannten Beteiligten zu 4, 5 und 6 - ... (Name 04), ... (Name 05) und ... (Name 06) - zu ihren Schlusserben bestimmt.

Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin soll die Schlusserbeneinsetzung nicht nur im Fall des gleichzeitigen Versterbens der Ehegatten gelten. Das lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen.

Bei der Testamentsauslegung ist zwar vor allem der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Der Wortsinn der benutzten Ausdrücke muss gewissermaßen „hinterfragt“ werden, wenn dem wirklichen Willen des Erblassers Rechnung getragen werden soll. Der Erblasserwille geht aber nur dann jeder anderen Interpretation, die der Wortlaut zulassen würde, vor, wenn er formgerecht erklärt ist. Ausgehend von dem allgemeinen für die Auslegung letztwilliger Verfügungen geltenden Grundsatz, dass nur dem Willen Geltung verschafft werden kann, der im Testament zum Ausdruck gelangt, dort also eine, wenn auch noch so geringe Grundlage findet, muss daher im Hinblick auf eine infrage stehende Anordnung des Erblassers verlangt werden, dass für sie wenigstens gewisse Anhaltspunkte in der letztwilligen Verfügung enthalten sind, die im Zusammenhang mit den sonstigen heranzuziehenden Umständen außerhalb des Testaments den entsprechenden Willen des Erblassers erkennen lassen (BGH, NJW 2019, 2317, Rn. 14 ff.)

Schon bei mehrdeutigen Formulierungen, die auch den gleichzeitigen Tod meinen können, ist immer sehr sorgfältig zu prüfen, ob der Wille der Ehepartner wirklich auf diesen äußerst seltenen Fall gerichtet ist oder ob sie sich nur ungenau ausgedrückt haben (BeckOK/Litzenburger, BGB, 74. Ed., Stand: 01.05.2025, § 2269 Rn. 25). Denn die Umstände ihres Todes und der Zeitraum zwischen den Erbfällen dürften für die Beteiligten bei der Wahl ihrer Schlusserben regelmäßig kaum eine Rolle spielen (BeckOGK/Braun, BGB, Stand: 01.03.2025, § 2269 Rn. 28.2). Die hier von den Testierenden gewählte Formulierung „beim Ableben beider Ehepartner“ bietet jedenfalls keinen hinreichenden Anlass anzunehmen, sie hätten insoweit die Rechtsnachfolge lediglich für den eher unwahrscheinlichen Fall ihres gleichzeitigen oder kurz aufeinanderfolgenden Versterbens regeln wollen. Sie lässt ebenso wenig wie etwa die Formulierung „Sterben beide Partner unserer Ehe“ eine Begrenzung auf einen gleichzeitigen Tod erkennen (vgl. MüKo/Leipold, BGB, 9. Aufl., § 2084 Rn. 53; siehe auch Senat, Beschluss vom 14.05.2019 – 3 W 29/19, BeckRS 2019, 13885 Rn. 14). Es gibt auch keinerlei Umstände außerhalb des Testaments, die eine solch einschränkende Auslegung stützten könnten. Es handelt sich vielmehr lediglich um eine ungelenke Ausdrucksweise, die nichts anderes besagt, als dass nach dem Ableben bzw. im Falle des Ablebens beider Ehegatten - also nach dem Tod des Letztversterbenden - die getroffene Schlusserbeneinsetzung greifen soll.

2.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Der Beschwerdewert wurde gemäß §§ 40 Abs. 1 Nr. 2, 61 GNotKG entsprechend dem wirtschaftlichen Interesse der Beschwerdeführerin auf 1/6 des Nachlasswertes, der insgesamt 20.000 € beträgt, festgesetzt.