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Entscheidung 26 Sa 2686/10


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 26. Kammer Entscheidungsdatum 30.06.2011
Aktenzeichen 26 Sa 2686/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 106 GewO, § 315 BGB

Leitsatz

1. Der Arbeitgeber, der sich auf die Wirksamkeit einer Versetzung beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 106 GewO für eine Versetzung. Dazu gehört nicht nur, dass er darlegt und ggf. beweist, dass seine Entscheidung billigem Ermessen entspricht, sondern auch, dass die Versetzung im Rahmen der gesetzlichen, arbeitsvertraglichen und kollektiv-
rechtlichen Grenzen erfolgt ist (vgl. BAG 13. März 2007 - 9 AZR 433/06 - AP Nr. 26 zu § 307 BGB, Rn. 81 ff.).

2. Fehlt es an einer Festlegung des Inhalts oder des Orts der Leistungspflicht im Arbeitsvertrag, ergibt sich der Umfang der Weisungsrechte des Arbeitgebers aus § 106 GewO. Je allgemeiner die vom Arbeitnehmer zu leistenden Dienste oder der Ort der Arbeitsleistung im Arbeitsvertrag festgelegt sind, desto weiter geht die Befugnis des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer unterschiedliche Aufgaben oder einen anderen Ort im Wege des Direktionsrechts zuzuweisen (vgl. BAG 19. Januar 2011 - 10 AZR 738/09 - NZA 2011, 631 = EzA-SD 2011, Nr 9, 8, Rn. 17 f.).

3. Arbeitspflichten können sich nach längerer Zeit auf bestimmte Arbeitsbedingungen konkretisieren. Dazu genügt jedoch nicht schon der bloße Zeitablauf. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, auf Grund derer der Arbeitnehmer erkennen kann und vertrauen darf, dass er nicht in anderer Weise eingesetzt werden soll (vgl. BAG 13. März 2007 - 9 AZR 433/06 - AP Nr. 26 zu § 307 BGB, Rn. 50 ff.).

3. Allein der Umstand, dass die Vertragsparteien bei Abschluss des Arbeitsvertrages davon ausgegangen sein dürften, dass ein Einsatz außerhalb von West-Berlin eher nicht in Betracht kommen werde, ist als solcher nicht ausreichend, um von der Vereinbarung West-Berlins als ausschließlichem Arbeitsort mit entsprechender Begrenzung des Direktionsrechts ausgehen zu können.

4. Hier ergab sich aber aus dem Umstand, dass zwischenzeitlich eine ausdrückliche Vereinbarung über einen Einsatz des Klägers außerhalb von Berlin - verbunden mit einer Vergütungserhöhung und Fahrkostenerstattung - getroffen worden war, dass die Vertragsparteien bereits 1997 übereinstimmend nicht mehr von einer einseitigen Versetzungsmöglichkeit ausgingen.

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 09.11.2010 - 8 Ca 9726/10 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Versetzung.

Der 1948 geborene Kläger ist seit über 45 Jahren bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Die Beklagte betreibt ein Unternehmen der Bekleidungsindustrie mit Standorten in der S. Straße in Berlin und in Großbeeren. Der Standort in Großbeeren ist 19 km von dem in Berlin entfernt. Der Kläger verrichtete seine Tätigkeit zunächst in der B. Straße in Berlin und nach Aufgabe des Standortes seit 1979/80 in der S. Straße. Nur in den Jahren 1997/1998 ist der Kläger in ihrem Logistikzentrum in Großbeeren eingesetzt worden. Dazu trafen die damaligen Vertragsparteien am 4. September 1997 eine Vereinbarung, die wie folgt festgehalten und durch beide Seiten unterschrieben wurde:

„Sie werden am dem 1.10.1997 Ihren Dienst im Logistikzentrum Großbeeren der Fa. R. antreten. Die Arbeitszeit beträgt 37 Stunden wöchentlich.

Hier werden Sie die Aufgabe haben, Fragen, die zwischen R. und U. & K. auftreten, schnellstmöglich zu klären und R. bei anfallenden Arbeiten zu unterstützen.

Ansprechpartner von Seiten R. sind die Herren Sch. und Schr..

Wir erhöhen Ihr Gehalt während der Zeit der Tätigkeit in Großbeeren um 150,--, um einen Ausgleich für die erforderliche Anfahrt zu schaffen. Etwaige Fahrpreiserhöhungen werde zusätzlich ausgeglichen.“

Anfang April 1998 erlitt der Kläger in Großbeeren bei einem Autounfall eine schwere Verletzung, die zu einer eineinhalbjährigen Gehbehinderung führte. Mit Schreiben vom 26. November 2007 teilte die U. & K. GmbH & Co dem Kläger mit, dass sein Arbeitsverhältnis mit Wirkung vom 1. Januar 2008 auf die Beklagte übergehe. Die Beklagte betreibt mit mehreren anderen Unternehmen, u.a. der früheren Arbeitgeberin des Klägers, einen Gemeinschaftsbetrieb. Es gibt eine einheitliche Leitung, eine Telefonnummer, Nutzung derselben EDV, einheitliche Buchführung, zwei Sekretärinnen für die gesamte Unternehmensgruppe, eine Telefonannahme und einen Empfang, eine gemeinsame Finanzbuchhaltung und Lohnbuchhaltung, einen unternehmensübergreifenden Versand, eine Packerei sowie eine Muster- und Schnittbearbeitung. Zum 1. Juni 2009 versetzte die Beklagte eine Mitarbeiterin P. nach Großbeeren. Zum 15. Juni 2010 versetzte sie sie zurück nach Berlin, als in der S. Straße eine Leiterin des Lagerverkaufs benötigt wurde. Die Beklagte versetzte stattdessen den Kläger zur Nachbesetzung der vakanten Stelle mit Schreiben vom 7. Juni 2010 mit Wirkung vom 14. Juni 2010 dauerhaft nach Großbeeren. Zugleich sprach sie eine Änderungskündigung aus. Der Kläger nahm das Änderungsangebot unter Vorbehalt an. Ab dem 14. Juni 2010 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt und später aufgrund Urlaubs und anderweitig bezahlter Freistellung nicht mehr für die Beklagte tätig. Für die Tätigkeit in Großbeeren reaktivierte die Beklagte eine Betriebsrentnerin.

Der Kläger hat die Ansicht vertreten, eine Versetzungsmöglichkeit hätten die Parteien nicht vereinbart. Jedenfalls habe sich das Arbeitsverhältnis aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit sowohl hinsichtlich des Inhalts der Arbeitsaufgaben als auch hinsichtlich des Arbeitsorts konkretisiert. Die vorgesehene Tätigkeit weiche deutlich von seiner bisherigen ab. Die Versetzung nach Großbeeren sei ihm auch aufgrund der Entfernung nicht zuzumuten. Der zeitliche Mehraufwand betrage 1 Stunde 50 Minuten täglich. Seine Aufgaben fielen im Übrigen auch am bisherigen Standort weiterhin an. Er hat zudem mehrere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benannt, die aus seiner Sicht für die Tätigkeit in Großbeeren in Betracht kämen. Insoweit wird insbesondere Bezug genommen auf seinen Schriftsatz vom 19. August 2010. Diese Mitarbeiter seien z.T. ebenfalls mit Versandaufgaben betraut, die sich von denen, für die er in Großbeeren vorgesehen sei, nicht sonderlich unterschieden. Da es sich um einen Gesamtbetrieb handele hätten weitere Arbeitnehmer in die Überlegungen mit einbezogen werden müssen, u.a. die seiner bisherigen Arbeitgeberin. Er hat weitere Arbeitnehmer (Frau S., Frau L., Herr B.) benannt, die aus seiner Sicht die Versandtätigkeit in Großbeeren ausüben könnten und deren Aufgaben er übernehmen könne. Insoweit wird auf Seite sieben seines Schriftsatzes vom 20. September 2010 Bezug genommen.

Der Kläger hat – soweit in der Berufungsinstanz noch von Bedeutung - beantragt,

1. …

2. festzustellen, dass er nicht verpflichtet ist, der Versetzung vom 7. Juni 2010 in die Logistikabteilung der Beklagten nach Großbeeren Folge zu leisten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vertreten, dass die Versetzung des Klägers nach Großbeeren von ihrem Direktionsrecht umfasst sei. Auf die Vereinbarung aus dem Jahr 1997 könne sich der Kläger schon deshalb nicht berufen, weil er sie nicht mit ihr getroffen habe. Die Versetzung sei auch nicht zu beanstanden. Der Kläger sei ihr einziger Mitarbeiter, der fachlich für die Aufgabe in Großbeeren in Betracht gekommen sei. Die Beklagte hat behauptet, es gebe keinen sozial weniger schutzwürdigen Arbeitnehmer in der Betriebsstätte in Berlin, den sie sonst nach Großbeeren hätte versetzen können. Insoweit hat sie zu einzelnen durch den Kläger benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Stellung genommen und zusätzlich weitere Mitarbeiterinnen (F., D., R.) angeführt, deren Arbeitswege aber gleichlang wären wie der des Klägers. Außerdem seien andere Arbeitnehmer nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen, weil durch die unternehmerische Entscheidung nur der Arbeitsplatz des Klägers betroffen sei. Die Aufgaben des Klägers seien umverteilt worden und damit die Stelle des Klägers in Berlin weggefallen. Das Konzept sei in der S. Straße seither auch umgesetzt worden. Es funktioniere. Die Tätigkeiten in Großbeeren entsprächen auch im Wesentlichen den bisherigen Aufgaben. In die übrigen könne der Kläger sich kurzfristig einarbeiten.

Das Arbeitsgericht hat den Feststellungsantrag zu 2) dahingehend ausgelegt, dass der Kläger festgestellt wissen wolle, dass die Versetzung unwirksam sei. Insoweit sei die Klage auch begründet. Die Versetzung des Klägers sei vom Direktionsrecht nicht erfasst. Dies ergebe sich jedenfalls aus der Konkretisierung der Einsatzmöglichkeit auf Betriebsstätten in Berlin. Die Konkretisierung folge hier daraus, dass der Kläger 1997 nicht einfach nach Großbeeren versetzt worden, sondern eine besondere Vereinbarung getroffen worden sei, verbunden mit einer Gehaltserhöhung. Damit habe die Beklagte zum Ausdruck gebracht, dass sie den Kläger künftig nicht mehr einseitig dort einsetzen werde.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 30. November 2010 zugestellte Urteil am 17. Dezember 2010 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28. Februar 2011 – mit einem beim Landesarbeitsgericht am 28. Februar 2011 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Zur Begründung wiederholt und vertieft sie im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortag unter Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung. Gegen die Entscheidung spreche schon, dass nicht die Beklagte, sondern deren Rechtsvorgängerin damals die Vereinbarung über den Einsatz des Klägers in Großbeeren getroffen habe. Die Vereinbarung sei auch damals nur getroffen worden, um möglichen Streitigkeiten über den Arbeitsortwechsel aus dem Weg zu gehen. Die Beklagte habe ihrerseits durch zahlreiche Versetzungen anderer Mitarbeiter zum Ausdruck gebracht, dass eine Konkretisierung auf eine der beiden Arbeitsstätten nicht erfolgen solle. Der Kläger sei auch durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten nicht nur für eine Tätigkeit in Berlin eingestellt worden. Die Versetzung sei ihm auch zumutbar. Der Arbeitsort sei gut erreichbar und die Arbeitsaufgaben entsprächen weitgehend den bisherigen. In die neuen Aufgaben könne er sich in kurzer Zeit einarbeiten. Im Übrigen wiederholt die Beklagte, warum der Kläger mit einzelnen anderen Arbeitnehmern nicht vergleichbar sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 9. November 2010 – 8 Ca 9726/10 – teilweise abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als ihr stattgegeben wurde.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Auch er wiederholt im Wesentlichen seinen erstinstanzlichen Vortrag. Zum Zeitpunkt seiner Einstellung sei gar nicht davon ausgegangen worden, dass irgendwann einmal ein Einsatz außerhalb West-Berlins in Betracht kommen könnte. Die Beklagte berechne die Fahrzeiten weiterhin nicht zutreffend. Sie habe auch nicht berücksichtigt, dass es sich um einen Gesamtbetrieb handele. Außerdem könnten die Aufgaben aufgrund der technischen Möglichkeiten auch problemlos von Berlin aus erledigt werden. Er führt wiederum zahlreiche Mitarbeiter an, die die Aufgabe in Großbeeren erledigen könnten.

Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien vom 28. Februar und vom 26. April 2011.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung ist jedoch unbegründet, da die Klage – soweit in der Berufungsinstanz noch streitgegenständlich – mit dem durch das Arbeitsgericht ausgelegten Antragsinhalt zulässig und begründet ist. Die Versetzung des Klägers vom 7. Juni 2010 ist unwirksam. Sie ist nicht durch das Direktionsrecht der Beklagten gedeckt. Im Übrigen ist nach dem Vortrag der Beklagten nicht erkennbar, dass die Weisung billigem Ermessen entsprach.

1) Die Beklagte war nicht kraft Direktionsrechts nach § 106 Satz 1 GewO berechtigt, den Kläger nach Großbeeren zu versetzen.

a) Das Direktionsrecht der Beklagten zur Änderung der Arbeitsaufgabe folgt aus § 106 Satz 1 GewO. Danach kann der Arbeitgeber den Inhalt der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit die Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind (vgl. BAG 23. Februar 2010 - 9 AZR 3/09 - AP Nr. 9 zu § 106 GewO = EzA § 106 GewO Nr. 6, Rn. 16). Fehlt es an einer Festlegung des Inhalts oder des Orts der Leistungspflicht im Arbeitsvertrag, ergibt sich der Umfang der Weisungsrechte des Arbeitgebers aus § 106 GewO. Je allgemeiner die vom Arbeitnehmer zu leistenden Dienste oder der Ort der Arbeitsleistung im Arbeitsvertrag festgelegt sind, desto weiter geht die Befugnis des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer unterschiedliche Aufgaben oder einen anderen Ort im Wege des Direktionsrechts zuzuweisen. Bei einer engen Bestimmung der Tätigkeit oder Festlegung des Orts der Leistungspflicht wird das Direktionsrecht hingegen eingeschränkt; der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer nur die betreffenden Aufgaben zuweisen. Eine Veränderung des Tätigkeitsbereichs oder des Orts der Arbeitsleistung kann er nur einvernehmlich oder durch eine Änderungskündigung herbeiführen. Fehlt es an einer Festlegung und weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen anderen Arbeitsort zu, so unterliegt dies der Ausübungskontrolle nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 3 BGB. Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind (vgl. BAG 19. Januar 2011 - 10 AZR 738/09 - NZA 2011, 631 = EzA-SD 2011, Nr 9, 8, Rn. 17 f.).

Ob ein konkreter Arbeitsort vertraglich vereinbart ist, ergibt die Auslegung des Vertrages. Verträge sind dabei nach § 157 BGB so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Dabei ist nach § 133 BGB ausgehend vom objektiven Wortlaut der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Bei der Auslegung sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die für die Frage von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war.

Arbeitspflichten können sich nach längerer Zeit auf bestimmte Arbeitsbedingungen konkretisieren. Dazu genügt jedoch nicht schon der bloße Zeitablauf. Vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, auf Grund derer der Arbeitnehmer erkennen kann und vertrauen darf, dass er nicht in anderer Weise eingesetzt werden soll. Dass ein Arbeitnehmer sich im Laufe der Zeit bezüglich der Gestaltung seines persönlichen Umfeldes an der ausgeübten Tätigkeit und insbesondere am Ort seiner Arbeitsleistung ausrichtet, ist nur eine Folge der langjährigen Tätigkeit und begründet, ohne dass weitere Umstände hinzutreten, keine Konkretisierung auf einen bestimmten Arbeitsort. Auch aus dem Umstand, dass ein Vertragspartner auf das Bestehen eines vertraglich vereinbarten Rechtes über einen längeren Zeitraum nicht hinweist, darf der andere Vertragspartner nicht den Schluss ziehen, sein Vertragspartner werde von seinem Recht keinen Gebrauch mehr machen (vgl. BAG 13. März 2007 - 9 AZR 433/06 - AP Nr. 26 zu § 307 BGB, Rn. 50 ff.).

Der Arbeitgeber, der sich auf die Wirksamkeit einer Versetzung beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 106 GewO für eine Versetzung. Dazu gehört nicht nur, dass er darlegt und ggf. beweist, dass seine Entscheidung billigem Ermessen entspricht, sondern auch, dass die Versetzung im Rahmen der gesetzlichen, arbeitsvertraglichen und kollektiv-rechtlichen Grenzen erfolgt ist (vgl. BAG 13. März 2007 - 9 AZR 433/06 - AP Nr. 26 zu § 307 BGB, Rn. 81 ff.).

b) Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Argumentation des Arbeitsgerichts vertretbar. Die Kammer schließt sich dem im Wesentlichen an.

Der Kläger ist bei der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerin seit über 45 Jahren tätig, ohne dass es einen schriftlichen Arbeitsvertrag gab. Auch der Umfang des vereinbarten Direktionsrechts ist nicht dokumentiert. Anhaltspunkte für den Willen der Parteien bei Abschluss des Arbeitsvertrages können sich daher nur aus den Begleitumständen bei Abschluss des Arbeitsvertrages ergeben und aus der Vertragsdurchführung. Zunächst ist es wohl richtig, dass die Parteien bei Begründung des Arbeitsverhältnisses eher nicht davon ausgegangen sein dürften, dass ein Einsatz außerhalb von West-Berlin in Betracht kommen könnte. Dieser Umstand allein hätte der Kammer nicht ausgereicht, um zu einer entsprechenden Einschränkung des Direktionsrechts zu gelangen. Die einzige durch die Parteien ausdrücklich getroffene Vereinbarung betrifft eine Verlagerung des Arbeitsortes von der S. Straße in Berlin nach Großbeeren aus dem Jahr 1997. Der Kläger musste jedenfalls nach dieser Vereinbarung nicht mehr davon ausgehen, dass er in Großbeeren ohne sein Einverständnis aufgrund einer einseitigen Maßnahme seiner Arbeitgeberin eingesetzt werden würde. Das Vorgehen spricht – als Vertragsdurchführung - zunächst objektiv dafür, dass die damalige Arbeitgeberin des Klägers auch davon ausgegangen ist, dem Kläger nicht einseitig eine Tätigkeit in Großbeeren zuweisen zu können. Jedenfalls konnte der Kläger dieses Vorgehen so verstehen, dass ihm künftig gegen seinen Willen Arbeitsaufgaben in Großbeeren nicht zugewiesen werden würden. Soweit die Beklagte vorträgt, dass die Vereinbarung nur dem Zweck gedient habe, die Versetzungsbereitschaft des Klägers zu erhöhen und zu beschleunigen, ist bereits nicht ersichtlich, dass dies dem Kläger gegenüber oder auch sonst irgendwie zum Ausdruck gekommen wäre. Außerdem hat die Beklagte diese streitige Tatsache nicht unter Beweis gestellt. Soweit sie sich darauf beruft, sie habe sich die Erklärungen ihrer Rechtsvorgängerin nicht zurechnen zu lassen, steht dem entgegen, dass es unstreitig zum 1. Januar 2008 zu einem Betriebsübergang auf die Beklagte gekommen ist mit den sich daraus ergebenden Rechtsfolgen hinsichtlich des Inhalts des Arbeitsverhältnisses.

2) Im Übrigen lässt sich dem Vortrag der Beklagten auch nicht entnehmen, ob sie ihr Weisungsrecht nach billigem Ermessen ausgeübt hat.

a) Nach § 106 Satz 1 GewO hat der Arbeitgeber sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben. Auch wenn die Versetzung des Arbeitnehmers nach dem Arbeitsvertrag zulässig ist, muss die Ausübung des Direktionsrechts gemäß § 106 Satz 1 GewO billigem Ermessen entsprechen. Eine Leistungsbestimmung entspricht billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falls abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Ob die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind, unterliegt der gerichtlichen Kontrolle (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB). Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. Das gebietet eine Berücksichtigung und Verwertung der Interessen unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls. Hierzu gehören im Arbeitsrecht die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen (vgl. BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 377/08, nv., Rn. 22).

b) Nachdem der Kläger die Richtigkeit der von der Beklagten vorzunehmenden Auswahl bestritten und einzelne Belegschaftsmitglieder benannt hatte, die nach seiner Ansicht für die Tätigkeit in Großbeeren sogar geeigneter gewesen wären, hätte die Beklagte in nachvollziehbarer Weise darlegen müssen, wie sie bei ihrer Versetzungsentscheidung anhand welcher Kriterien vorgegangen ist. Dazu hätte sie im Einzelnen erläutern müssen, auf Grund welcher Abwägungsgesichtspunkte sie bei der Auswahl vorgegangen ist. Es ist insoweit nicht ausreichend, eine Vielzahl an Arbeitnehmern dafür zu benennen, dass sie nicht in der Lage sind, bestimmte Arbeitsaufgaben zu erledigen. Vielmehr wäre dies zunächst im Hinblick auf die durch den Kläger benannten Personen im Einzelnen zu begründen gewesen. Bezüglich einzelner Personen fehlt es insoweit an jeglichem Vortrag der Beklagten. Das betrifft die durch den Kläger in seinem Schriftsatz vom 20. September 2010 benannten Belegschaftsmitglieder Frau Sch., Frau L. und Frau B. aus dem Inlandvertrieb. Insoweit tritt die Beklagte auch dem Vortrag des Klägers nicht entgegen, er sei für einen Einsatz im Inlandbetrieb vorgesehen gewesen. Bezüglich der durch die Beklagte selbst genannten Mitarbeiterinnen F., D., R. fehlt es an Vortrag zur Tätigkeit. Insoweit beschränkt sich die Beklagte darauf, sich auf einen gleich langen Anfahrtsweg zu berufen, was zudem unter den Parteien streitig ist. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Ausführungen zu den übrigen Belegschaftsmitgliedern ausreichend substanzreich sind, wogegen manches spricht. Die fehlenden Ausführungen der Beklagten sind durch den Kläger im Verfahren auch ausdrücklich gerügt worden.

III.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.