Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 12 U 68/25


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 12. Zivilsenat Entscheidungsdatum 04.07.2025
Aktenzeichen 12 U 68/25 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2025:0704.12U68.25.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

  1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 06.05.2025 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Potsdam, Az. 13 O 17/24, gemäß § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen, soweit der Kläger eine Hauptforderung von 1.209,07 € und eine Nebenforderung von 200,16 € geltend macht, und im Übrigen gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

  2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

I.

Der Kläger macht Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall auf der Langen Brücke in („Ort 01“) am 14.11.2022 gegen 17:10 Uhr geltend. Wegen des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 4.450,20 € nebst Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten verurteilt und festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger 40 % aller weiteren materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall zu ersetzen. Zur Begründung hat es ausgeführt, zu Lasten des Klägers sei ein Verstoß gegen § 6 S. 2 StVO zu berücksichtigen, da er nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nach Stillstand des Fahrzeugs mit starkem rechten Lenkereinschlag wieder angefahren sei und dabei das sich von hinten nähernde Beklagtenfahrzeug nicht beachtet habe. Dies stehe nach der Videoaufzeichnung der Dashcam fest. Die Aussage der Zeugin („Name 01“) sei hingegen nicht belastbar. Dem Beklagten zu 1 sei lediglich ein Verstoß gegen § 5 Abs. 4 S. 2 StVO zuzurechnen, da er mit zu geringem Seitenabstand rechts überholt habe. Wegen des zuvor erfolgten Stillstandes des Klägerfahrzeugs und dem gesetzten linken Fahrtrichtungsanzeiger habe er rechts überholen dürfen. Dabei könne dahinstehen, ob er bereits die Fahrbahnbegrenzung zur Linksabbiegerspur überfahren habe oder nicht. Danach ergebe sich eine Haftung zu Lasten des Klägers von 60 %. Hinsichtlich der Höhe seien die zuletzt unstreitigen Nettoreparaturkosten, der Minderwert, die Sachverständigenkosten und die Kosten der Achsvermessung zu berücksichtigen. Die Kostenpauschale belaufe sich auf lediglich 20 €. Mietwagenkosten seien hingegen nicht zu berücksichtigen. Der Feststellungsantrag sei unter Berücksichtigung der Quote begründet. Auch bestehe ein Ersatzanspruch hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nach einer 1,3 fachen Geschäftsgebühr und dem Wert des begründeten Schadensersatzanspruchs zzgl. 20 € Auslagenpauschale und Umsatzsteuer. Wegen der rechtlichen Ausführungen wird ergänzend auf das Urteil Bezug genommen.

Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 12.05.2025 zugestellte Urteil mit einem am 26.05.2025 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am 20.06.2025 begründet. Er führt aus, das Landgericht habe zu Unrecht seine Mithaftung angenommen. Es habe nicht berücksichtigt, dass er die Geradeausspur nicht verlassen und lediglich nach einer Verkehrsstockung langsam wieder in Richtung Fahrbahnmitte angefahren sei, nachdem der linke Fahrtrichtungsanzeiger nach nur 3-mal Blinken wieder ausgeschaltet worden sei. Darin liege weder ein „Ausscheren“ noch ein Verkehrsverstoß. Der Beklagte zu 1 habe jedoch – entgegen dem verkehrsrechtlichen Gebot – rechts bei unklarer Verkehrslage überholt, die Überholabsicht nicht angezeigt, sei zu dicht und unter Benutzung von zwei Fahrspuren am Klägerfahrzeug vorbei gefahren und habe dieses gefährdet. Am Fahrzeug sei der mit der Klagebegründung geltend gemachte Schaden entstanden, der voll zu ersetzen sei.

Der Kläger hat angekündigt zu beantragen,

unter Abänderung des am 10.04.2025 (richtig 06.05.2025) verkündeten Urteils des Landgerichts Potsdam (13 O 17/24),

  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 12.334,58 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 14.04.2023 zu zahlen,

  2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm alle weiteren materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 14.11.2022 gegen 17:10 Uhr auf der Straße „Lange Brücke“ in Potsdam zu ersetzen, soweit sie nicht auf Dritte übergegangen sind oder übergehen;

  3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.254,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.104,23 € seit dem 06.09.2023 und aus 150,00 € seit dem 29.09.2023 zu zahlen.

Die Beklagten haben angekündigt zu beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Eine Berufungserwiderung liegt noch nicht vor.

II.

1. Die Berufung ist bereits im Umfang einer Hauptforderung von 1.209,07 € und vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten von 200,16 € unzulässig, denn es fehlt insoweit eine den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genügende Begründung der Berufung.

Danach muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen nicht; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Jedoch muss die Berufungsbegründung auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen. Dabei muss die Berufung die tragenden Erwägungen des Erstgerichts angreifen und darlegen, warum diese aus Sicht des Berufungsklägers nicht zutreffen; die Begründung muss also - ihre Richtigkeit unterstellt - geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen. Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2016 – IX ZB 88/15 –, Rn. 5 - 6, juris). Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung in dem genannten Umfang nicht gerecht.

Der angekündigte Berufungsantrag entspricht dem Klagebegehren und nimmt lediglich Bezug auf die dort geltend gemachten Schadenspositionen. Dabei berücksichtigt der Kläger – worauf das Landgericht im Urteil explizit abstellt – nicht, dass in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht die Nettoreparaturkosten einvernehmlich auf 8.155,63 € (statt 8.525,13 €) und der merkantile Minderwert auf 1.300 € (statt 1.500 €) festgelegt wurden. Zwar war damit keine ausdrückliche teilweise Klagerücknahme verbunden. Die Erklärungen sind jedoch so auszulegen, dass der Kläger seine Ansprüche auf die vereinbarte Höhe beschränkt. Hiervon ist erkennbar auch das Landgericht ausgegangen, ohne dass sich die Berufung im Rahmen der nunmehr erneuten Geltendmachung der höheren Beträge damit auseinandersetzt. Hinsichtlich der unter Hinweis auf die fehlende Schlüssigkeit des Vortrags zurückgewiesenen Mietwagenkosten von 634,57 € und der reduzierten Pauschale von 20 € (statt 25 €) fehlt jegliche Auseinandersetzung mit dem Urteil. In Summe beträgt die Differenz 1.209,07 €.

Auch im Rahmen der nunmehr beantragten (vollen) vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten fehlt eine Auseinandersetzung mit der Kostenermittlung des Landgerichts, das mit ausführlicher Begründung lediglich eine 1,3 (statt 1,5) Geschäftsgebühr nebst Pauschale von 20 € und Umsatzsteuer berücksichtigt hat. Soweit ferner die geltend gemachten Dokumentenpauschalen nicht berücksichtigt sind, verhält sich die Berufung dazu nicht. Der Umfang der damit unzulässigen Berufung ermittelt sich in der Differenz des Antrags von 1.254,26 € zu 1.054,10 € [1,3 Gebühren a 666 € (Gebührenwert bei vollem Obsiegen des Klägers) + 20 €+ USt.].

2. Die im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gem. §§ 517 ff. ZPO eingelegte Berufung hat nach einstimmiger Auffassung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache weist auch weder grundsätzliche Bedeutung auf, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts aufgrund mündlicher Verhandlung durch Urteil. Eine mündliche Verhandlung ist auch nicht aus sonstigen Gründen geboten. Es ist daher die Zurückweisung der Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss beabsichtigt.

Die Klage ist in dem über den Tenor hinausgehenden Umfang unbegründet. Der Kläger hat keinen weitergehenden Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs.1 StVG, 823 BGB i.V.m. §§ 115 VVG, 1 PflVG.

Zu Recht geht das Landgericht hier nicht von einem unabwendbaren Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG aus, auch die Parteien nehmen dies ernsthaft nicht für sich in Anspruch, so dass für die Haftung im Rahmen der Abwägung der Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 1 StVG auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen ist, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände einzustellen (vgl. nur BGH NJW 2007, 506). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (BGH NZV 1996, S. 231).

a) Danach hat der Beklagte zu 1 weder gegen das Gebot, links zu überholen (§ 5 Abs. 1 StVO) verstoßen, noch bei unklarer Verkehrslage überholt (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO).

Nach den auch aus Sicht des Senates überzeugenden Feststellungen des Landgerichts, denen der Kläger mit der Berufung nicht entgegengetreten ist, beabsichtigte der Kläger, auf der Langen Brücke in („Ort 01“) nach links abzubiegen. Dazu setzte er den linken Fahrtrichtungsanzeiger und ordnete sich jedenfalls zum linken Fahrspurrand der linken Geradeausspur ein, um später auf die dort befindliche, jedoch aufgrund einer Verkehrsstockung blockierte Linksabbiegerspur einzufahren. Zu seinen Gunsten ist dabei zu unterstellen, dass er die Fahrbahnbegrenzung noch nicht überfahren hatte, wenn auch aus der Videoaufnahme erkennbar wird, dass das Klägerfahrzeug sich zumindest mit den linken Reifen bereits auf der Fahrbahnbegrenzung befand. Noch auf seiner Fahrspur hielt er bis zum Stillstand an. Der nachfolgende Beklagte zu 1 durfte deshalb davon ausgehen, dass der Kläger die Fahrspur demnächst nach links verlassen würde. In diesem Fall bestimmt § 5 Abs. 7 StVO, dass derjenige, der seine Absicht, nach links abzubiegen, angekündigt und sich eingeordnet hat, rechts zu überholen ist (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Jahnke, 28. Aufl. 2024, StVO § 5 Rn. 172; Hentschel/König/König, 48. Aufl. 2025, StVO § 5 Rn. 67; BeckOK StVR/Schäfer, 27. Ed. 15.4.2025, StVO § 5 Rn. 103, beck-online). Die Zulässigkeit des Vorbeifahrens rechts ergibt sich zudem aus § 7 Abs. 3 StVO.

Es lag auch keine unklare Verkehrslage vor. Zwar hatte der Kläger seine Fahrbahn noch nicht verlassen. Er hat sich aber bereits soweit möglich nach links eingeordnet und bis zum Stillstand abgebremst. Sein Fahrverhalten war mithin für den Nachfolgeverkehr eindeutig. Dies räumt letztlich auch der Kläger selbst ein, denn er hat angegeben, er sei lediglich rechts ausgewichen, weil das vor ihm befindliche Fahrzeug zurückgesetzt habe und er eine Kollision befürchtete. Damit musste der Beklagte zu 1 nicht rechnen.

Dass der Beklagte zu 1 nicht rechtzeitig den Fahrtrichtungsanzeiger gemäß § 5 Abs. 4 a StVO gesetzt hat, steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht fest.

Allerdings hat er den nach § 5 Abs. 4 S. 2 StVO erforderlichen Seitenabstand zum Klägerfahrzeug nicht eingehalten, nachdem er unstreitig unter Mitbenutzung der linken Geradeausspur am Klägerfahrzeug vorbeifuhr und aus der Videoaufnahme erkennbar wird, dass dies nur mit geringem Seitenabstand möglich war. Dadurch hat er zugleich andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. Dem ebenfalls gegebenen Verstoß gegen die allgemeinen Sorgfaltspflichten nach § 1 StVO kommt danach kein eigenständiger Unfallbeitrag zu.

b) Allerdings muss sich auch der Kläger einen Verkehrsverstoß zurechnen lassen. Denn, ändert der Abbiegewillige – wie hier – sein Vorhaben, muss er den anderen Verkehrsteilnehmern dieses ebenfalls deutlich und rechtzeitig anzeigen. Zur Verhütung der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer muss er aufgrund seines vorherigen Ankündigens auf das geänderte Verkehrsverhalten der anderen Verkehrsteilnehmer Rücksicht nehmen und dieses in sein neues Vorhaben mit einkalkulieren. So muss derjenige, welcher das Linksabbiegen ankündigt und kurz vor dem Abbiegen seine Absicht ändert und weiterfahren möchte, damit rechnen, dass er inzwischen rechts von anderen Verkehrsteilnehmern überholt wird (MüKoStVR/Bender, 1. Aufl. 2016, StVO § 9 Rn. 17, beck-online). Insoweit stellt das plötzliche Anfahren und starke Einlenken nach rechts, das das Landgericht festgestellt hat, ohne Beachtung des nachfolgenden Verkehrs jedenfalls einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO dar, allerdings nicht ein Ausscheren i.S.d. § 6 S. 3 StVO (vgl. zum Begriff Ausscheren: BeckOK StVR/Grabow, 27. Ed. 15.4.2025, StVO § 6 Rn. 22a; OLG München, Urteil vom 09.03.2018 - 10 U 3204/17).

c) Bei der Abwägung der Unfallverursachungsbeiträge hat das Landgericht zu Recht neben der bei beiden Fahrzeugen zu berücksichtigenden Betriebsgefahr zunächst die beiderseitigen Verkehrsverstöße berücksichtigt und diese als etwa gleichwertig betrachtet, letztlich jedoch in dem für den nachfolgenden Verkehr überraschenden Fahrverhalten einen leicht überwiegenden Verursachungsbeitrag auf Seiten des Klägers gesehen. Die Haftungsquote von 60 % zu Lasten des Klägers ist daher nicht zu beanstanden.

3. Die Höhe des ersatzfähigen Schadens und die Feststellung der weitergehenden Ersatzpflicht für materielle Schäden unter Berücksichtigung der Haftungsquote hat das Landgericht – soweit die Berufung zulässig ist – zutreffend ermittelt.

4. Da das Rechtsmittel keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).