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Betreibensaufforderung - fiktive Berufungsrücknahme


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 22. Senat Entscheidungsdatum 18.12.2014
Aktenzeichen L 22 R 155/14 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 156 Abs 2 S 1 SGG

Tenor

Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache durch Rücknahme der Berufung erledigt ist.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung, wobei vorab darüber zu entscheiden ist, ob der Rechtsstreit durch Berufungsrücknahme erledigt ist.

Die im April 1965 geborene Klägerin beantragte im Juli 2007 Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog das Gutachten zum Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation des Internisten Dr. P vom 22. März 2007, den Entlassungsbericht der Reha K-RK GmbH vom 20. Juli 2007 und den Bericht der Poliklinik Neuropsychologie Dr. M vom 24. September 2009 bei.

Mit Bescheid vom 11. März 2008 lehnte sie die Gewährung einer Rente ab: Trotz Zustandes nach Halswirbelsäulenprellung und Schulterbeschwerden rechts könnten Tätigkeiten im Umfang von mindestens 6 Stunden täglich ausgeübt werden.

Auf den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem geltend gemacht wurde, infolge des am 21. März 2006 erlittenen Verkehrsunfalls hätten sich Kopfschmerzen, Schmerzen in den Schultern, ein Taubheitsgefühl im rechten Arm und ein Anschwellen der rechten Hand, Schmerzen vom Nacken bis in das rechte Bein sowie eine mittelgradige Depression und ein allgemeines Schmerzsyndrom entwickelt, holte die Beklagte den Befundbericht des Arztes T vom 25. Juni 2008 ein und veranlasste das Gutachten des Arztes für Orthopädie und Sportmedizin Dr. M vom 4. September 2008.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Aus dem zusätzlich eingeholten Gutachten des Dr. M hätten sich keine weiteren Befunde ergeben, die zu einer Änderung der im Rentenverfahren bereits getroffenen sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung führten. Im Vordergrund stünden die Beschwerden am Stütz- und Bewegungsapparat. Eine wesentliche Leistungseinschränkung habe jedoch nicht festgestellt werden können.

Dagegen hat die Klägerin am 17. April 2009 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben.

Sie hat darauf hingewiesen, weiterhin an den Folgen des Verkehrsunfalls zu leiden. Im Bereich der Halswirbelsäule komme es zu einer permanenten Reizung der Nervenbahnen mit Schmerzen und Ausfallerscheinungen. Sie sei nicht in der Lage, irgendeiner Tätigkeit nachzugehen. Die Klägerin hat ärztliche Unterlagen vorgelegt.

Das Sozialgericht hat den Befundbericht des Arztes T vom 23. Dezember 2009 eingeholt sowie Beweis erhoben durch die schriftlichen Sachverständigengutachten der Fachärztin für Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. H vom 5. Mai 2010 und des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Dr. H vom 21. Dezember 2010. Die Beklagte hat das neuropsychologische Gutachten der klinischen Neuropsychologin S vom 12. Juli 2011 vorgelegt.

Mit Urteil vom 22. November 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Die Klägerin sei nach dem Ergebnis der Beweiserhebung noch in der Lage, mindestens sechs Stunden arbeitstäglich leichte geistige und körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Eine wesentliche Einschränkung des Leistungsvermögens habe weder auf orthopädischem noch auf psychiatrischem Fachgebiet festgestellt werden können. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. H sei das Untersuchungsbild, das durch eine Magnetresonanztomografie der Halswirbelsäule vervollständigt worden sei, durch eine überlagerte, subjektive Beschwerdesymptomatik geprägt, ohne wesentliche morphologische Befundkorrelate aufzuweisen. Es habe sich eine allgemeine Aggravation und psychosomatisierende Belastungsstörung mit chronischem Schmerzsyndrom gezeigt. Das psychiatrische Gutachten des Sachverständigen Dr. H habe zu dem Ergebnis geführt, dass keine psychische Erkrankung vorliege. Der Sachverständige habe darüber hinaus nachvollziehbar den Verdacht einer Simulation geäußert, da die Klägerin trotz maximal vorstellbarer Schmerzbelastung sich als psychisch völlig unbeeinträchtigt beschreibe und eine Diskrepanz zwischen der Intensität der Beschwerden und der sehr geringen Inanspruchnahme von Behandlungsmaßnahmen bestehe. Schließlich habe auch die ergänzende testpsychologische Untersuchung in der Muttersprache der Klägerin nicht eine eindeutige Feststellung einer objektivierbaren Leistungsminderung erbracht. Die durchgehend gezeigte Minderleistung mache eine Bewertung der Testuntersuchung schwierig. Auch werde zumindest der Verdacht einer Simulation geäußert.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 28. Dezember 2011 zugestellte Urteil haben diese für die Klägerin am 26. Januar 2012 Berufung eingelegt und deren Begründung einem späteren Schriftsatz vorbehalten.

Nach mit Verfügung vom 27. Januar 2012 erfolgter Aufforderung zur Berufungsbegründung binnen eines Monats haben die Prozessbevollmächtigten am 19. März 2012 mitgeteilt, dass sie das Mandat niedergelegt hätten; die Klägerin werde nicht mehr von ihnen vertreten.

Nachdem die Klägerin unter dem 24. April 2012 an die Berufungsbegründung erinnert worden ist, ist sie mit gerichtlicher Verfügung vom 8. Januar 2013 darauf hingewiesen worden, dass die Berufung bis heute nicht begründet worden sei. Es ist angeregt worden, die Berufung zurückzunehmen, sofern kein Interesse mehr am Berufungsverfahren bestehe; ansonsten werde nunmehr die Begründung der Berufung bis zum 29. Januar 2013 erwartet.

Mit der vom Berichterstatter unterschriebenen Verfügung vom 8. Februar 2013 ist die Klägerin aufgefordert worden, das Verfahren zu betreiben. Ein dieser Verfügung entsprechendes Schreiben hat der Klägerin jedoch unter ihrer in der Berufung angegebenen Anschrift nicht zugestellt werden können.

Nach Ermittlung der Anschrift ist die Klägerin mit der vom Berichterstatter unterschriebenen Verfügung vom 28. August 2013 aufgefordert worden, das Verfahren zu betreiben. Ihr ist aufgegeben worden, die Berufung zu begründen, insbesondere die Tatsachen anzugeben und die Beweismittel zu bezeichnen, die sie als Einwände gegen das angefochtene Urteil anführen wolle. Es ist außerdem darauf hingewiesen worden, dass die Berufung gemäß § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen gelte, wenn das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrieben werde, wobei die Frist mit der Zustellung dieser Aufforderung beginne. Dieser Verfügung entsprechend ist dieses Schreiben, unter Wiedergabe des vollen Namens des Berichterstatters und beglaubigt durch die Geschäftsstelle des Senats, der Klägerin mit Einschreiben gegen Rückschein, auf dem das Datum der Aushändigung nicht vermerkt ist, zugestellt worden. Der Rückschein ist am 9. September 2013 beim Landessozialgericht eingegangen.

Nachdem der Beschluss des Berichterstatters vom 3. Dezember 2013, mit dem festgestellt worden ist, dass die Berufung als zurückgenommen gilt, der Beklagten am 10. Dezember 2013 und der Klägerin durch Einschreiben gegen Rückschein am 18. Dezember 2013 zugestellt worden war, hat Letztgenannte per E-Mail vom 19. Dezember 2013 mitgeteilt, sie habe vor 6 bis 8 Wochen einen Brief an das Landessozialgericht in einer „Poststelle hier im geschafft“ abgegeben gehabt. Sie hat darum gebeten, die Berufung fortzuführen.

Die Klägerin ist darauf hingewiesen worden, dass kein Schriftsatz vorliege. Ihr ist Gelegenheit gegeben worden, den Inhalt dieses Schriftsatzes nebst Absendung an das Gericht und Eingang zu belegen. Sie ist darauf hingewiesen worden, dass wirksame Erklärungen gegenüber dem Gericht nicht durch einfache E-Mail abgegeben werden können.

Die Klägerin hat daraufhin den Inhalt der E-Mail nochmals schriftlich an das Landessozialgericht, eingegangen am 20. Januar 2014, übermittelt.

Mit Verfügung vom 13. März 2014 ist die Klägerin daran erinnert worden zu belegen, welchen Inhalt ihr Brief gehabt habe, und einen Nachweis dazu, dass dieser Brief tatsächlich an das Gericht abgeschickt worden sei, zu erbringen.

Die Klägerin hat darauf telefonisch mitgeteilt, weder über eine Durchschrift des abgesandten Briefes, noch einen Beleg darüber, dass dieser Brief an das Gericht abgesandt worden sei, zu verfügen. Sie hat um Einräumung einer Frist zur Beauftragung eines Rechtsanwaltes gebeten.

Nach Ablauf der eingeräumten Frist von zwei Monaten und trotz Hinweises auf eine beabsichtigte Terminierung ist kein weiterer Vortrag erfolgt.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

unter Aufhebung des Beschlusses vom 3. Dezember 2013 das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. November 2011 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2009 zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren und die höhere Rente zu leisten.

Die Beklagte beantragt,

festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache durch Rücknahme der Berufung erledigt ist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten (), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe

Auf Antrag der Klägerin ist das Berufungsverfahren zwar fortzusetzen. Der Senat ist jedoch gehindert, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 22. November 2011 zu überprüfen und eine Sachentscheidung zum Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung zu treffen, denn das Berufungsverfahren ist durch Rücknahme der Berufung erledigt.

Nach § 156 Abs. 1 Satz 1 SGG kann die Berufung bis zur Rechtskraft des Urteils oder des nach § 153 Abs. 4 SGG oder § 158 Satz 2 SGG ergangenen Beschlusses zurückgenommen werden. Die Zurücknahme bewirkt den Verlust des Rechtsmittels (§ 156 Abs. 3 Satz 1 SGG).

Die Klägerin hat zwar keine Rücknahme ihrer Berufung erklärt. Gleichwohl ist wegen § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG die dort ausgesprochene Rechtsfolge eingetreten, denn die Voraussetzungen der fiktiven Berufungsrücknahme nach dieser Vorschrift sind erfüllt.

Danach gilt die Berufung als zurückgenommen, wenn der Berufungskläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Der Berufungskläger ist in der Aufforderung auf die Rechtsfolgen hinzuweisen, die sich aus § 156 Abs. 2 Satz 1 ergeben (§ 156 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die formalen Voraussetzungen des § 156 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGG sind erfüllt.

Die Klägerin ist aufgefordert worden, das Verfahren zu betreiben. Ihr ist insoweit aufgegeben worden, die Berufung zu begründen. Sie ist zugleich in dieser Aufforderung auf die sich ergebenden Rechtsfolgen hingewiesen worden, wenn das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrieben wird, dass nämlich in diesem Falle die Berufung gemäß § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG als zurückgenommen gilt. Dabei ist mitgeteilt worden, dass diese Frist mit der Zustellung dieser Aufforderung beginnt (so gerichtliches Schreiben vom 28. August 2013).

Die erfolgte Fristsetzung ist wirksam, denn die Betreibensaufforderung ist vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet worden. Außerdem ist das der Verfügung entsprechende gerichtliche Schreiben durch Wiedergabe des vollen Namens des zuständigen Richters von der Geschäftsstelle des Senats beglaubigt worden (vgl. dazu das Urteil des Bundessozialgerichts – BSG – vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R).

Schließlich ist die Betreibensaufforderung der Klägerin gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SGG, wonach Anordnungen und Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, zuzustellen sind, zugestellt worden.

Nach § 63 Abs. 2 Satz 1 SGG wird nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) zugestellt. Eine Zustellung im Ausland ist nach den bestehenden völkerrechtlichen Vereinbarungen vorzunehmen. Wenn Schriftstücke aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen unmittelbar durch die Post übersandt werden dürfen, so soll durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden, anderenfalls die Zustellung auf Ersuchen des Vorsitzenden des Prozessgerichts unmittelbar durch die Behörden des fremden Staates erfolgen (§ 183 ZPO). Nach Art. 76 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 können die Behörden und Träger der Mitgliedsstaaten, wobei "Träger" in jedem Mitgliedstaat die Einrichtung oder Behörde ist, der die Anwendung aller Rechtsvorschriften oder eines Teils hiervon obliegt (Art 1 Bst. p Verordnung <EG> Nr. 883/2004), für die Zwecke dieser Verordnung miteinander sowie mit den betroffenen Personen oder deren Vertretern unmittelbar in Verbindung treten, so dass eine Zustellung nach § 175 Satz 1 ZPO durch Einschreiben mit Rückschein zulässig ist.

Die Betreibensaufforderung ist mit Einschreiben gegen Rückschein der Klägerin zugestellt worden, wie sich aus dem Rückschein ergibt. Allerdings ist diesem Rückschein das genaue Datum der Zustellung nicht zu entnehmen. Da dieser Rückschein jedoch am 9. September 2013 beim Landessozialgericht eingegangen ist, steht jedenfalls fest, dass spätestens zu diesem Zeitpunkt auch die Zustellung bei der Klägerin erfolgt ist.

Die Frist von drei Monaten hat damit (spätestens) am 10. September 2013 begonnen (§ 64 Abs. 1 SGG) und am 9. Dezember 2013 geendet (§ 64 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die erst am 19. Dezember 2013 eingegangene E-Mail der Klägerin wahrt somit, ungeachtet dessen ob es sich im Hinblick auf das Begehren, das Berufungsverfahren fortzusetzen, um eine wirksame Prozesserklärung handelt, die Frist von drei Monaten auch deswegen nicht, weil damit die Berufung nicht begründet worden ist.

Im Zeitpunkt der Betreibensaufforderung ist auch das für eine Rechtsmittelrücknahmefiktion geforderte ungeschriebene Tatbestandsmerkmal erfüllt gewesen, dass nach dem prozessualen Verhalten des Klägers hinreichender Anlass bestand, von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses auszugehen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 01. Juli 2010, B 13 R 58/09 R unter Hinweis auf Bundesverfassungsgericht - BVerfG -, Beschluss vom 27. Oktober 1998 – 2 BvR 2662/95, abgedruckt in DVBl 1999, 166).

Nach dieser Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei der fingierten Klagerücknahme um einen gesetzlich geregelten Fall des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses (Hinweis auf Bundestagsdrucksache 16/7716 S. 19, 20 zu § 102 SGG des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes m.w.N.). Das BVerfG hat in dem genannten Beschluss darauf hingewiesen, dass in Einklang mit Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) jede an einen Antrag gebundene gerichtliche Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt und ein Gericht im Einzelfall von einem Wegfall eines ursprünglich gegebenen Rechtsschutzbedürfnisses ausgehen kann, wenn das Verhalten eines Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist. Hiervon ausgehende Vorschriften sind mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar. Das BVerfG hat aber betont, dass Regelungen dieser Art Ausnahmecharakter haben, der bei ihrer Auslegung und Anwendung besonders zu beachten ist. Hiernach müssen (so BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1993 – 2 BvR 1972/92, abgedruckt in DVBl 1993, 1000 unter Hinweis auf Bundesverwaltungsgericht - BVerwG -, Urteil vom 23. April 1985 – 9 C 48/84, abgedruckt in BVerwGE 71, 213 = DVBl 1985, 959) zum einen zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses bestehen, die den späteren Eintritt der Fiktion als gerechtfertigt erscheinen lassen. Solche Anhaltspunkte sind insbesondere dann gegeben, wenn der Kläger seine prozessualen Mitwirkungspflichten verletzt hat. Des Weiteren hat ein Kläger das Verfahren nur dann nicht mehr betrieben, wenn er innerhalb der 3-Monats-Frist nicht substantiiert dargetan hat, dass und warum das Rechtsschutzbedürfnis trotz des Zweifels an seinem Fortbestehen, aus dem sich die Betreibensaufforderung ergeben hat, nicht entfallen ist.

Zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung vom 28. August 2013 haben sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses der Klägerin bestanden, denn mit der unterlassenen Berufungsbegründung hat die Klägerin aus den nachfolgenden Gründen im vorliegenden Einzelfall ihre prozessuale Mitwirkungspflicht verletzt.

Das SGG enthält zwar für die Begründung der Berufung, insbesondere für die Angabe von Beweismitteln und von Tatsachen, durch deren Nichtberücksichtigung der Kläger sich beschwert fühlt, keine zwingenden Vorschriften, denn § 151 Abs. 3 SGG bestimmt insoweit, dass die Berufungsschrift das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben soll. Allerdings ist bei fehlender Mitwirkung das Gericht nicht verpflichtet, von sich aus in jede nur mögliche Richtung („ins Blaue hinein“) zu ermitteln und Beweis zu erheben (BSG, Urteil vom 01. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R). Angesichts dessen stellt die Berufungsbegründung gleichwohl regelmäßig eine gebotene Mitwirkungshandlung des Klägers dar, denn allein diese lässt erkennen, ob und ggf. in welcher Weise erhobene Ansprüche in welchem Umfang weiter verfolgt werden und inwieweit sich der Kläger in seinen Rechten verletzt sieht. Deswegen wird mit dem durch Gesetz vom 26. März 2008 (BGBl 1 2008, 444) neu eingefügten § 106 a (i. V. m. § 153 Abs. 1) SGG in dessen Abs. 2 bestimmt, dass der Vorsitzende (Berichterstatter, § 155 Abs. 1 SGG) einem Beteiligten nunmehr unter Fristsetzung u. a. aufgeben kann, zu bestimmten Vorgängen Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen. Ungeachtet dieser Vorschrift bestimmt § 106 Abs. 1 (i. V. m. § 153 Abs. 1) SGG, dass der Vorsitzende (Berichterstatter, § 155 Abs. 1 SGG) darauf hinzuwirken hat, dass Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. Dazu rechnet insbesondere die Aufforderung zur Berufungsbegründung, denn darin werden die zur Feststellung und Beurteilung des Sachverhaltes wesentlichen Angaben tatsächlicher Art dargelegt. Mit dieser Regelung korrespondiert § 92 Abs. 2 Satz 1 (i. V. m. § 153 Abs. 1) SGG, wonach der Vorsitzende den Berufungskläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern hat, wenn die Berufung den in § 151 Abs. 3 SGG genannten Anforderungen nicht entspricht.

Jedenfalls dann, wenn eine solche sanktionslose prozessleitende Verfügung zur Abgabe einer Berufungsbegründung unbeachtet bleibt, besteht Anlass zur Annahme, der Kläger werde seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommen (BVerwG, Urteil vom 23. April 1985 – 9 C 48/84, Juris – RdNr 23). Dies gilt, soweit und solange keine Gründe dafür angegeben werden, weswegen die Berufung nicht begründet wird.

Im vorliegenden Verfahren bestand nach Aktenlage kein Anlass, von Amts wegen weiter – ins Blaue hinein – zu ermitteln, so dass die verlangte Mitwirkung keine bloße Formalie war.

Die Klägerin bzw. ihre Prozessbevollmächtigten haben auf die unter dem 27. Januar 2012 verfügte Aufforderung zur Begründung der Berufung binnen Monatsfrist nichts vorgetragen. Angesichts der Urteilsbegründung mit dem dargestellten eindeutigen Beweisergebnis hat die Berufung ersichtlich keine Erfolgsaussicht haben können. Es ist daher naheliegend gewesen, dass eine überzeugende Begründung gegen dieses Urteil nicht hat gegeben werden können. Dazu passt, dass die ehemaligen Prozessbevollmächtigten trotz Ankündigung, die Berufung in einem späteren Schriftsatz zu begründen, dies nicht getan haben, sondern stattdessen das Mandat niedergelegt haben. Hinderungsgründe, weswegen die Berufung nicht hat begründet werden können, sind von Ihnen nicht vorgetragen worden. Die Berufung ist auch anschließend durch die Klägerin trotz Erinnerung nicht begründet worden ist.

Bei dieser Sachlage haben nach Ablauf der mit Verfügung vom 27. Januar 2012 gesetzten Frist, spätestens nach der erstmaligen Erinnerung, da ein Grund für ein der Berufungsbegründung entgegenstehendes Hindernis weiterhin nicht geltend gemacht worden ist, Zweifel am Bestehen des Rechtsschutzinteresses bestanden. Dabei ist zudem zu berücksichtigen, dass zwischen der Berufungseinlegung im Januar 2012 und der Betreibensaufforderung vom 28. August 2013 eineinhalb Jahre verstrichen gewesen sind, ohne dass die Klägerin in irgendeiner Weise zu diesem Verfahren etwas beigetragen hat, insbesondere ihren Willen verdeutlicht hat, ungeachtet der Mandatsniederlegung ihrer Prozessbevollmächtigten dieses fortzuführen. Dies rechtfertigt die Annahme, dass die Klägerin an der Fortführung des Berufungsverfahrens kein Interesse mehr gehabt hat, also ihr Rechtsschutzinteresse weggefallen ist.

Diese Zweifel am Rechtsschutzinteresse hat die Klägerin trotz der Betreibensaufforderung vom 28. August 2013 nicht innerhalb der Frist von 3 Monaten behoben. Dies hätte nämlich nach der o. g. Rechtsprechung erfordert, dass die Klägerin substantiiert dargelegt hätte, dass und warum das Rechtsschutzinteresse trotz des Zweifels an seinem Fortbestehen nicht entfallen ist. Selbst bis heute sind weder Umstände benannt worden, weswegen die Berufung nach jetzt fast 3 Jahren nicht hat begründet werden können, noch ist überhaupt eine Berufungsbegründung erfolgt.

Angesichts dessen ist mit dem Ablauf des 09. Dezember 2013 die Wirkung des § 156 Abs. 2 Satz 1 SGG eingetreten, dass die Berufung als zurückgenommen gilt, denn die überhaupt erste Reaktion der Klägerin, die am 19. Dezember 2013 eingegangene email, ist zu einem Zeitpunkt eingegangen, zu dem die Berufung bereits nicht mehr anhängig gewesen ist.

Dem steht nicht entgegen, dass bereits am 3. Dezember 2013 durch Beschluss festgestellt worden ist, dass die Berufung als zurückgenommen gilt. Zum einen ist dieser Beschluss frühestens mit der Zustellung an die Beklagte am 10. Dezember 2013 wirksam geworden. Zum anderen hat dieser Beschluss nur deklaratorische Bedeutung (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 11. Auflage, § 156 Rdnr. 5), so dass die Rechtsfolgen der Betreibensaufforderung allein mit Ablauf der Frist von drei Monaten eintreten.

Ungeachtet dessen, ob wegen der Versäumnis der Frist von drei Monaten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden könnte, liegen die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht vor.

Nach § 67 Abs. 1 und 2 SGG gilt: Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedersetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrages sollen glaubhaft gemacht werden. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

Ohne Verschulden handelt derjenige Beteiligte, der diejenige Sorgfalt angewendet hat, die einem gewissenhaft Prozessführenden nach den gesamten Umständen nach allgemeiner Verkehrsanschauung vernünftigerweise zuzumuten ist, wenn auch bei Anwendung dieser Sorgfalt die Versäumnis der Verfahrensfrist nicht vermeidbar gewesen wäre (BSG – Großer Senat, Beschluss vom 10. Dezember 1974 – GS 2/73, abgedruckt in BSGE 38, 248 = SozR 1500 § 67 Nr. 1).

Die Klägerin hat zum einen nicht glaubhaft gemacht, dass sie ohne Verschulden verhindert war, die Frist von drei Monaten einzuhalten.

Sie hat zwar vorgetragen, sechs bis acht Wochen vor dem Beschluss vom 3. Dezember 2013 einen Brief an das Landessozialgericht geschickt zu haben. Sie hat jedoch weder den Inhalt dieses Briefes noch die Tatsache, dass sie ihn in einer Poststelle abgegeben hatte, glaubhaft gemacht. Zum anderen hat sie auch die versäumte Rechtshandlung, nämlich die Berufungsbegründung, bisher nicht, somit nicht innerhalb der Antragsfrist, nachgeholt.

Scheidet daher eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus, ist es dem Senat nach alledem verwehrt, zum Begehren der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung zu entscheiden. Es ist vielmehr festzustellen, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache durch Rücknahme der Berufung erledigt ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.