Gericht | LG Potsdam 10. Zivilkammer | Entscheidungsdatum | 20.05.2011 | |
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Aktenzeichen | 10 O 251/10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus dem Bauvorhaben „Umbau und Erweiterung der Oberschule R.“ auf Auszahlung eines Sicherungseinbehaltes in Höhe von 15.203,08 € in Anspruch.
Die Beklagte ist der öffentliche Auftraggeber des Bauvorhabens „Umbau und Erweiterung der Oberschule Gr... Allee in R.“. Nach öffentlicher Ausschreibung sowie Aufklärungs- und Bietergespräch beauftragte sie die Klägerin am 18.04.2008 mit der Durchführung der erweiterten Rohbauarbeiten (Los 1) am vorgenannten Bauvorhaben. Die Auftragssumme belief sich auf brutto 481.331,26 Euro. Dem Bauvertrag lagen
- die zusätzlichen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen EVM (B) ZVB/E 215 (Stand 11/2005)
- sowie die Besonderen Vertragsbedingungen der Beklagten EVM (B) 214 zur Vergabenummer 08.2200.9400.1
zugrunde.
Die Ausschreibung wurde im Ausschreibungsblatt der Gemeinde vom Februar 2008 veröffentlicht. Zur Frage des Sicherungseinbehaltes heißt es in der Ausschreibung:
„Geforderte Sicherheiten: …. Sicherungseinbehalt für Mängelansprüche in Höhe von 3 % der Abrechnungssumme einschl. Nachträge durch Einbehalt auf Verwahr“.
Ziffer 10.3 und 10.4 der Besonderen Vertragsbedingungen (EVM B 214) lauten:
„Abweichend von Punkt 4.1 (der zusätzlichen Vertragsbedingungen EVM (B) ZVB/E 215) wird für die Sicherheit für Mängelansprüche durch Einbehalt und Hinterlegung auf ein Verwahrgeldkonto für die Dauer der Mängelansprüchefrist vereinbart.
Die Frist für Mängelansprüche beträgt 4 Jahre“
Im Bietergespräch vom 2.04.2008 (Anlage K 13) verständigten sich die Parteien auf eine Fertigstellung der Bauarbeiten bis zum 28.08.2009. Des Weiteren bestätigte die Klägerin unter Ziffer 1 des Protokolls zum Aufklärungsgespräch gemäß VOB / A § 24 alle der Ausschreibung beigefügten Vertragsbedingungen als Auftragsgrundlage anzuerkennen.
Die Klägerin erbrachte die Arbeiten fristgerecht. Die Abnahme der Bauleistungen erfolgte am 18.09.2009; die im Abnahmeprotokoll aufgenommenen Mängel wurden abgearbeitet und beseitigt. Unter dem 30.09.2009 erstellte die Klägerin die Schlussrechnung. Die Beklagte ließ die Schlussrechnung durch das von ihr beauftragte Planungs- und Bauüberwachungsbüro Pl. GmbH prüfen und brachte den vereinbarten 3 % igen Sicherungseinbehalt in Höhe von 15.203,08 Euro in Abzug.
Mit Schreiben vom 21.12.2009 und 11.01.2010 verlangte die Klägerin, den Bareinbehalt durch eine Gewährleistungsbürgschaft ablösen zu können und übersandte der Beklagten eine entsprechende Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von 15.203,08 Euro. Die Beklagte hat der Abänderung der Vereinbarung zum Sichereinbehalt unter Hinweis auf den Inhalt der vertraglichen Vereinbarung nicht zugestimmt.
Die Klägerin macht geltend, bei der in Ziffer 10.3 der Besonderen Vertragsbestimmungen getroffenen Vereinbarung handele es sich um eine unzulässige Vereinbarung, die das Wahl- und Austauschrecht des Unternehmers gemäß § 17 Nr. 3 VOB/B unzulässig einschränke. Inhaltlich handele es sich bei vorgenannter Vertragsbestimmung um eine Allgemeine Geschäftsbedingung, die von der Beklagten vorgegeben worden sei; die Bereitschaft, über den Inhalt dieser Klausel zu verhandeln, habe bei der Beklagten nicht bestanden. Der hier vereinbarte Ausschluss des Rechts zum Austausch der Sicherheit sei bei einem öffentlichen Auftraggeber ebenso unzulässig wie bei einem privaten Auftraggeber.
Nachdem die Beklagte die ihr angebotenen Austauschsicherheit abgelehnt habe, bestehe ein Anspruch auf sofortige Auszahlung des Einbehalts, hilfsweise jedenfalls aber der Anspruch auf Auszahlung des Sicherungseinbehalts, Zug um Zug gegen Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft entsprechend den Anforderungen der VOB/B.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 15.203,08 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.12.2009 zu zahlen,
hilfsweise, Zug um Zug gegen Gestellung einer Gewährleistungsbürgschaft eines deutschen Kreditinstitutes oder Kreditversicherers in gleicher Höhe die folgende Erklärungen des Bürgen enthält:
Der Bürge übernimmt für den Auftragnehmer die selbstschuldnerische Bürgschaft nach deutschem Recht. Auf die Einreden der Anfechtbarkeit und der Aufrechenbarkeit sowie der Vorausklage gemäß §§ 770, 771 BGB wird verzichtet. Der Verzicht gilt nicht für unbestrittene oder rechtskräftig festgestellte Gegenforderungen des Hauptschuldners.
Die Bürgschaft ist unbefristet; sie erlischt mit der Rückgabe dieser Bürgschaftsurkunde. Die Bürgschaftsurkunde verjährt nicht vor der gesetzlichen Hauptforderung. Nach Abschluss des Bürgschaftsvertrages getroffene Vereinbarungen über die Verjährung der Hauptforderung zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer sind für den Bürgen nur im Falle seiner schriftlichen Zustimmung bindend. Gerichtsstand ist der Sitz der zur Prozessvertretung des Auftraggebers zuständigen Stelle,
sowie festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Gewährleistungsbürgschaft in Verzug befindet,
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 755,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.07.2010 (Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte tritt der Klage entgegen und verteidigt sich wie folgt:
Eine unzulässige und unwirksame Vereinbarung liegt nicht vor. Die hier zur Überprüfung gestellte Vereinbarung entspreche inhaltlich der Regelung des § 17 Nr. 6 S. 4 VOB/B; die Vereinbarung eines Verwahrgeldkontos sei hierin als gesetzliches Sicherungsmittel zu Gunsten des öffentlichen Auftraggebers anerkannt und ausdrücklich zugelassen. Eine unzulässige Beschränkung des Austauschrechts liege gleichermaßen nicht vor. Die Vereinbarung entspreche dem Inhalt der Ausschreibung; im Übrigen habe die Klägerin die Vereinbarung zur Sicherheitsleistung auch in dem Bieter- und Aufklärungsgespräch vom 2.04.2008 ausdrücklich anerkannt. Ein etwaiges Insolvenzrisiko bestehe auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers ohnehin nicht, so dass die getroffene Regelung auch insoweit keine unangemessene Benachteiligung der Klägerin darstelle.
Auch dann, wenn man mit der Klägerin zur Auffassung gelangen wollte, die Regelung in Ziffer 10.3 der Besonderen Vereinbarungen sei unwirksam, führe dies nicht dazu, dass die Klägerin vollständig von der Sicherheitsleistung befreit wäre. Die Bürgschaftsurkunde vom 17.02.2009 habe den Anforderungen der VOB/B nicht entsprochen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Das Gericht hat nach Scheitern der Vergleichsgespräche über die Ablösung der Verwahrsicherheit durch Bürgschaft nach Maßgabe des Beweisbeschlusses vom 17.12.2010 über die Absprachen zum Gewährleistungseinbehalt Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift vom 7.04.2011 (Bl. 152 ff. GA) Bezug genommen.
Die Klage ist unbegründet.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Auszahlung des Gewährleistungseinbehaltes. Die Gewährleistungszeit ist unstreitig noch nicht abgelaufen, so dass der Rechtsgrund für vereinbarte Verwahrgeldsicherheit noch nicht entfallen ist, §§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. § 17 Nr. 8 VOB/B.
Ein Anspruch auf Auszahlung des Sicherungseinbehaltes in Höhe von 15.203,08 € gemäß § 17 Nr. 6 Abs. 3 Satz 2 VOB/B besteht gleichermaßen nicht. Denn die Beklagte hat mit der Buchung des der Höhe nach unstreitigen Betrages auf das Verwahrgeldkonto ihrer aus § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B folgenden Obliegenheit entsprochen. Danach sind öffentliche Auftraggeber berechtigt, den als Sicherheit einbehaltenen Betrag auf ein eigenes Verwahrgeldkonto zu nehmen.
Bei der Beklagten, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, handelt es sich um einen öffentlichen Auftraggeber, der dem Regelungsbereich des § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B unterfällt (vgl. Heiermann/Riedl/Rusam, Handkomm. zur VOB/B, 9. Aufl., Vorbem. zur VOB/A Rn. 18; Joussen, Baurecht 2002, Seite 371 ff.).
Umfangreiche Rechtsprechung zu der Frage, ob es sich bei dem in § 17 Nr. 6 Abs. 4 VOB/B genannten Verwahrgeldkonto um ein bei einem Kreditinstitut geführtes Bankkonto handeln muss oder aber ein buchhalterisches Eigenkonto des öffentlichen Auftraggebers ausreicht, existiert zwar nicht. Die Literatur steht jedoch einhellig auf dem Standpunkt, dass die öffentlichen Auftraggeber berechtigt sind, den als Sicherheit einbehaltenen Betrag auf ein als Verwahrgeldkonto geführtes Eigenkonto zu nehmen. Eine Verpflichtung zur Einzahlung auf ein Sperrkonto bei einem Geldinstitut bestehe nicht. Das Konto könne im Rahmen der eigenen Verwaltung der Haushaltsmittel geführt werden (Ingenstau/Korbion, VOB/B, 17. Aufl., § 17 Nr. 6 Rn. 36; Kleine-Möller, Merl, Oelmaier, Handbuch des privaten Baurechts, 2. Aufl., § 12 Rn. 1130; Rn. 171; Nicklisch-Weick, VOB/B, 3. Aufl., § 17 Rn. 48). Dieser Auffassung ist zu folgen. Etwas anderes könnte allenfalls dann zu erwägen sein, wenn die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechtes „insolvenzfähig“ wäre. Das den öffentlichen Auftraggebern im Hinblick auf die von ihnen zu leistende Sicherheit zugebilligte Privileg beruht nämlich auf der grundsätzlichen Erwägung, dass bei ihnen die Gefahr des Eintritts der Insolvenz nicht besteht und daher der Besteller nicht befürchten muss, den Auszahlungsanspruch nach Ablauf der Gewährleistungsfrist infolge zwischenzeitlich eingetretener Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit nicht realisieren zu können. Über das Vermögen der Beklagten kann jedoch das Insolvenzverfahren nicht stattfinden. Gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht eines Landes untersteht, unstatthaft. Vorgenannte Regelung wurde auch im Land Brandenburg durch § 129 II der Gemeindeordnung sowie § 67 LKrO umgesetzt (vgl. zu den landesrechtlichen Regelungen: Kreft, § 12 InsO, 5 Aufl. 2008). Der Landesgesetzgeber hat mithin angeordnet, dass ein Verfahren der Insolvenzordnung über das Vermögen juristischer Personen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Landes unterstehen, nicht stattfindet.
2. Gründe, die zur Unwirksamkeit der zwischen den Parteien getroffenen Verwahrgeldabrede führen, liegen im Ergebnis der Beweisaufnahme sowie der im Rahmen des Bieter- und Aufklärungsgesprächs vom 2.04.2008 getroffenen individualvertraglichen Vereinbarung nicht vor.
a) Eine in einem Bauvertrag enthaltene Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Auftraggebers, wonach dieser für die Dauer der Gewährleistungsfrist einen Einbehalt zur Sicherung der Gewährleistungsansprüche vornehmen darf, benachteiligt den Auftragnehmer zwar unangemessen, wenn ihm kein angemessener Ausgleich dafür zugestanden wird, dass er den Werklohn nicht sofort ausgezahlt bekommt, das Bonitätsrisiko für die Dauer der Gewährleistungsfrist tragen muss und ihm die Liquidität sowie die Verzinsung des Werklohns vorenthalten werden (vgl. BGHZ 136, 27 = NJW 1997, 2598; BGH in BauR 2002, 463; BGHZ 157, 29 = NJW 2004, 443; BGH in BauR 2005, 539, BauR 2005, 1154 sowie BauR 2006, 374 = ZfBR 2006, 145). Ein angemessener Ausgleich wird dem Auftragnehmer - unbestritten dann nicht gewährt -, wenn er die Liquidität nur dadurch erlangen kann, dass er den Sicherheitseinbehalt durch eine Bürgschaft auf erstes Anfordern ablöst. Denn diese Bürgschaft kann ohne Weiteres in Anspruch genommen und dadurch dem Auftragnehmer die Liquidität auch dann wieder für längere Zeit entzogen werden, wenn sich herausstellt, dass ein Sicherungsfall nicht vorliegt. An dieser Beurteilung ändert sich auch dann nichts, wenn der Sicherheitseinbehalt auf ein Verwahrgeldkonto des öffentlichen Auftraggebers genommen wird (vgl. BGH, NZBau 2006, 107 = BauR 2006, 374 = ZfBR 2006, 145). Daraus wird zu folgern sein, dass ein angemessener Ausgleich auch nicht dadurch geschaffen werden kann, dass dem Auftragnehmer in derartigen Fällen die Möglichkeit eröffnet wird, die Hinterlegung des Sicherheitseinbehalts zu verlangen. Denn dadurch erhält er nicht die Möglichkeit, den ihm nach der Gesetzeslage zustehenden Werklohn dauerhaft liquide an sich zu ziehen.
b) Zulässig wäre hingegen etwa die Beschränkung der Sicherungsmittel auf eine in § 17 Abs. 4 VOB/B vorgesehene selbstschuldnerische Bankbürgschaft (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.2003, VII ZR 57/02 = BGHZ 157, 29).
c) Ob die hier vorliegende Einschränkung des Austauschrechtes auf das allein vorgesehene Verwahrgeldkonto in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines öffentlichen Auftraggebers unwirksam wäre, bedarf hier letztlich jedoch keiner Entscheidung. Denn die durch das Aufklärungs- und Bietergespräche vom 2.04.2008 vereinbarte Beschränkung auf die Sicherheitsleistung des Verwahrgeldkonto ist wirksam.
Ein Stellen von Vertragsbedingungen liegt begrifflich nicht vor, wenn die vorformulierten Vertragsbedingungen, etwa im Wege der vorausgegangenen Ausschreibung oder im Rahmen des Bietergespräches, auf einer freien Entscheidung desjenigen beruhen, der vom anderen Teil mit dem Verwendungsvorschlag konfrontiert wird (BGH, Urt. v. 27.02.2010- VIII ZR 67/09, ZfBR 2010, 453). Inhaltlich könne die Parteien eines Bauvertrages dabei das Austauschrecht zulässigerweise beschränken, insbesondere dann, wenn es sich um eine Individualvereinbarung handelt (vgl. hierzu Herig, VOB, 4 Aufl., 2009, § 17 Rn. 30; OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.05.2004- 12 W 3/04).
Nach der glaubhaften Bekundung der Zeugen Kn. und Gö. war auch die hier streitgegenständliche Verwahrgeldabrede Gegenstand der Erörterungen des Bieter- und Aufklärungsgesprächs vom 2.04.2008. Einwendungen gegen hiergegen wurden von Klägerseite nicht erhoben.
Eine nachträgliche Abänderung der Verwahrgeldsicherheit durch das Gericht im Urteilswege war insoweit, auch in der Fassung des Hilfsantrages, nicht möglich; der Einwand der „Treuwidrigkeit“ verhilft der Klage ebenfalls nicht zum Erfolg. Denn die Klägerin hat die Vereinbarung zur Sicherheitsleistung in dem Bieter- und Aufklärungsgespräch vom 2.04.2008 ausdrücklich anerkannt.
Der auf einen angemessenen Interessensausgleich hinwirkende Vergleichsvorschlag vom 17.12.2010 hat bedauerlicherweise nicht die Zustimmung der Parteien gefunden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
Der Streitwert wird auf 15.203,08 € festgesetzt.