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türkischer Staatsangehöriger; Visum; Ehegattennachzug; deutsche Ehefrau; Scheineheverdacht; Beweislastverteilung; EuGH-Rechtsprechung Zambrano; Mc. Carthy; Derici


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 11. Senat Entscheidungsdatum 10.01.2012
Aktenzeichen OVG 11 N 9.12 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 27 Abs 1 AufenthG, § 27 Abs 1a AufenthG

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. Juni 2011 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich etwaiger außergerichtlicher Kosten des Beigeladenen.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratete türkische Kläger begehrt die Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug. Seine hierauf gerichtete Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 8. Juni 2011 abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, es habe bei Würdigung aller Umstände und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht die Überzeugung gewinnen können, dass beide Eheleute den übereinstimmenden Willen hätten, in der Bundesrepublik Deutschland eine eheliche Lebensgemeinschaft im Sinne einer dauerhaften, durch enge Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägten Beziehung herzustellen und zu wahren. Die Indizwirkung einer wirksamen Eheschließung genüge für die erforderliche Überzeugungsbildung dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte – z.B. aus den tatsächlichen Verhältnissen oder den Angaben der Eheleute – Zweifel an der Absicht der Eheleute begründen würden, eine eheliche Lebensgemeinschaft in dem genannten Sinne herzustellen. Dies sei, wie das Verwaltungsgericht im Einzelnen begründet hat, hier der Fall. Die Beweislast dafür, dass tatsächlich beide Ehegatten die Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft beabsichtigten, trage der ausländische Ehegatte. Gelinge der Nachweis nicht, gehe dies zu seinen Lasten und führe zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis. Diese Grundsätze hätten durch die Einführung von § 27 Abs. 1a AufenthG, wonach ein Ehegattennachzug nicht zugelassen werde, wenn feststehe, dass die Ehe ausschließlich zu dem Zweck geschlossen worden sei, dem Nachziehenden die Einreise in das oder den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen, keine Änderung erfahren.

II.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil er die von ihm geltend gemachten Berufungszulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO nicht begründet dargelegt hat.

1. Das Rechtsmittelvorbringen rechtfertigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die vom Verwaltungsgericht angewendeten Beweislastgrundsätze sind entgegen der Ansicht des Klägers rechtlich nicht zu beanstanden. Nach der vom Senat geteilten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts trägt der Ausländer für die innere Tatsache, eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet führen zu wollen, die materielle Beweislast, denn der Herstellungswille gehört beim Familiennachzug zu den für den Ausländer günstigen Tatsachen. Verbleiben hier nach Ausschöpfung der zugänglichen Beweisquellen auch nur bei einem Ehepartner Zweifel, trägt der Ausländer die Last des non liquet. An dieser Beweislastverteilung hat sich durch die Einführung des §§ 27 Abs. 1a Nr. 1 Aufenthaltsgesetz nichts geändert (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. März 2010 – 1 C 7/09 –, BVerwGE 136, 222; Urteil vom 22. Juni 2011 – 1 C 11/10 –, bei juris, insbes. Rz. 16 f.). Anders als der Kläger vorträgt, ist er nicht darauf angewiesen, seinen Willen zur Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft dadurch unter Beweis zu stellen, dass er diese gegebenenfalls in der Türkei aufnimmt, was seiner deutschen Ehefrau nicht zumutbar sei. Vielmehr wäre von ihm lediglich gefordert, die vom Verwaltungsgericht im einzelnen aufgezählten verbliebenen Zweifel an einem solchen Willen auszuräumen und insbesondere die dargestellten Widersprüche, Kenntnislücken und Ungereimtheiten zu entkräften. Hieran lässt es das Rechtsmittelvorbringen schon im Ansatz fehlen.

2. Der Kläger hat auch nicht begründet dargelegt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hätte (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage, ob aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 8. März 2011 in der Rechtssache C-34/09 (Zambrano) auch dann der Nachzug des drittstaatsangehörigen Ehegatten eines deutschen Staatsangehörigen ermöglicht werden muss, wenn nicht feststeht, ob ein Wille zur Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft besteht, erfordert nicht die Durchführung eines Berufungsverfahrens, denn sie lässt sich aufgrund der vorliegenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts bereits im Berufungszulassungsverfahren eindeutig verneinen. Zwar kann nach der neueren Rechtsprechung des EuGH unter bestimmten Umständen auch bei Familienangehörigen eines Unionsbürgers, der von seinem Freizügigkeitsrecht keinen Gebrauch gemacht hat, das Unionsrecht einer Aufenthaltsverweigerung im Herkunftsmitgliedstaat des Unionsbürgers entgegenstehen (vgl. EuGH, Urteile vom 5. Mai 2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - und vom 8. März 2011 - Rs. C-34/09, Zambrano -). Jedoch kommt der Gerichtshof in der Rechtssache McCarthy, in der es - wie hier - um die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts für den drittstaatsangehörigen Ehegatten eines Unionsbürgers ging, zu dem Ergebnis, dass dem Unionsbürger der tatsächliche Genuss des Kernbestands der mit dem Unionsbürgerstatus verbundenen Rechte nicht verwehrt oder die Ausübung des Rechts, sich gemäß Art. 21 AEUV im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, nicht behindert würde. Denn das würde einen Sachverhalt voraussetzen, der dadurch gekennzeichnet ist, dass sich der Unionsbürger de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, in dem er angehört, zu verlassen, sondern das Gebiet der Union als Ganzes. Nur unter derartigen Umständen wäre es dem Unionsbürger de facto unmöglich, den Kernbestand der Rechte, der ihm seinen Unionsbürgerstatus verleiht, in Anspruch zu nehmen, so dass die Unionsbürgerschaft ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würde. Infolgedessen rechtfertigt die bloße Tatsache, dass es für einen Staatsbürger eines Mitgliedstaats aus wirtschaftlichen Gründen oder auch zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass sich Familienangehörige, die nicht die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats besitzen, mit ihm zusammen im Gebiet der Union aufhalten können, für sich genommen nicht die Annahme, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn kein Aufenthaltsrecht gewährt würde (vergleiche EuGH, Urteil vom 15. November 2011 –Rs. C-256/11 –, Derici, insbesondere Rz. 64 f., 68). Das trifft auch vorliegend zu. Anders als in der Rechtssache Zambrano, die minderjährige Unionsbürger und die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts für deren drittstaatsangehörigen Eltern betraf, bewirkt die Aufenthaltsverweigerung für den drittstaatsangehörigen Ehegatten nicht, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Hoheitsgebiet der Union zu verlassen. Aufgrund seiner Staatsangehörigkeit steht ihm im Herkunftsmitgliedstaat ein nicht an Bedingungen geknüpftes Aufenthaltsrecht zu. Daher fehlt es an einer Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte, auf die das Unionsrecht abstellt, und weist diese Situation mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinaus. In einem solchen Fall sind etwaige Benachteiligungen, denen Staatsangehörige eines Mitgliedstaates nach dem Recht dieses Staates ausgesetzt sein können, allein im Rahmen des internen Rechtssystems dieses Staates zu entscheiden (vgl. BVerwG, vom 22. Juni 2011 – 1 C 11/10 –, bei juris, insbes. Rz. 10 f.). Im Übrigen sei an dieser Stelle nochmals darauf hingewiesen, dass der Kläger und seine deutschen Ehefrau ohnehin nicht von vornherein darauf verwiesen werden, die eheliche Lebensgemeinschaft in der Türkei aufzunehmen, sondern dass von Ihnen lediglich erwartet wird, die vom Verwaltungsgericht dargelegten Zweifel an dem Willen, die eheliche Lebensgemeinschaft in der Bundesrepublik Deutschland führen zu wollen, auszuräumen. Hierfür bedarf es keiner Aufenthaltsnahme der deutschen Ehefrau außerhalb der Europäischen Union, sondern schlüssiger Erklärungen, warum die vom Verwaltungsgericht im Einzelnen begründeten Zweifel unberechtigt seien.

Soweit der Kläger schließlich geltend macht, in der Rechtsprechung des EuGH sei geklärt, dass ein Recht des Ehegatten eines EU-Angehörigen auf Familienzusammenführung selbst dann bestehe, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft nicht gegeben sei, z.B. während eines laufenden Scheidungsverfahrens, und sich hierzu auf das Urteil des EuGH vom 13. Februar 1980 in der Rechtssache C-267/83 (Diatta) beruft, ist dem entgegenzuhalten, dass das genannte Urteil den Fall eines Wanderarbeitnehmers im Sinne der Verordnung Nr. 1612/68 betraf, also eines Arbeitnehmers, der zwar die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besaß, sich jedoch im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhielt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2; § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).