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Entscheidung 11 KLs 5/22


Metadaten

Gericht LG Neuruppin 1. Große Strafkammer Entscheidungsdatum 10.07.2023
Aktenzeichen 11 KLs 5/22 ECLI ECLI:DE:LGNEURU:2023:0710.11KLS5.22.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen §§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 30a Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 BtMG, 52, 56 Abs. 1 und 2 StGB

Tenor

Der Angeklagte wird wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführen einer Schusswaffe in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln zu einerFreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.

Er trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO):

I. Feststellungen zur Person des Angeklagten

Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung __ Jahre alte, ledige Angeklagte lebt seit jeher in … (Ort 2). Er wurde altersgerecht in der Regelschule eingeschult und verließ schließlich die Gesamtschule nach neun Jahren mit dem Hauptschulabschluss. Danach durchlief er ein Berufsvorbereitungsjahr und erhielt dann einen Ausbildungsplatz zum Ausbaufacharbeiter – Trockenbau – in einer überbetrieblichen Bildungseinrichtung, dem Beruflichen Qualifizierungszentrum des Handwerks in … (Ort 2). Diese Ausbildung schloss er nach dreieinhalb Jahren erfolgreich ab.

Seit Abschluss dieser Ausbildung arbeitete der Angeklagte stets in dem erlernten Beruf, wechselte dabei aber mehrfach seinen Arbeitgeber. Seit nunmehr zwei Jahren ist er für eine Bautischlerei in …(Ort 1) tätig. Sein monatliches durchschnittliches Nettoeinkommen liegt bei 2.000 Euro.

Der Angeklagte ist Vater eines im Jahr 2___ geborenen Sohnes. Die Beziehung zur Kindsmutter besteht seit vielen Jahren nicht mehr, wohl aber gemeinsames Sorgerecht für den Sohn. Für die Betreuung des Kindes haben die Eltern einvernehmlich das Wechselmodell vereinbart. Seit etwa einem Jahr hält der Sohn sich aber, im Einverständnis mit seiner Mutter, hauptsächlich bei dem Angeklagten auf.

Der Angeklagte hat seit inzwischen mehr als fünf Jahren eine neue feste Lebensgefährtin. Beide bewohnen, gemeinsam mit der jüngeren Tochter der Lebensgefährtin, ein Einfamilienhaus in … (Ort 2). Die ältere Tochter der Lebensgefährtin, die zum Zeitpunkt des hier angeklagten Tatgeschehens ebenfalls noch dort lebte, hat inzwischen eine eigene Wohnung in … (Ort 2) bezogen.

Der Angeklagte ist bereits zweimal strafrechtlich in Erscheinung getreten:

1. Am 05.04.2017, rechtskräftig seit dem 25.04.2017, verurteilte ihn das Amtsgericht Oranienburg, Az.: 18 Cs 3115 Js 2691/17 (137/17), wegen vorsätzlichen Fahrens ohne die erforderliche Fahrerlaubnis, begangen am 01.11.2016, zu einer Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen zu je 30,00 Euro.

2. Am 16.05.2019, rechtskräftig seit dem 24.05.2019, verurteilte ihn das Amtsgericht Neuruppin, Az.: 82 Ls 357 Js 14413/16 (59/18), wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz, Tatzeit 24.05.2016, zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Die Bewährungszeit lief bis zum 23.05.2021.

Dieser Verurteilung lag insbesondere zugrunde, dass der Angeklagte im Jahr 2016 auf dem Grundstück … (Ort 2) eine Cannabis-Aufzuchtanlage betrieben hatte, wobei der Großteil der Ernte zum gewinnbringenden Verkauf bestimmt war.

II. Feststellungen zum Tatgeschehen

Zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt vor dem 19.02.2021 begann der Angeklagte, mit Amphetamin Handel zu treiben. Zu diesem Zweck beschaffte er sich auf nicht näher festgestellte Weise von einem nicht festgestellten Lieferanten eine nicht exakt festgestellte, jedenfalls aber 390 g übersteigende Menge an Amphetaminpaste zum Zweck des gewinnbringenden Weiterverkaufs und lagerte diese auf dem Hausgrundstück … (Ort 2). Am 19.02.2021 hatte er davon noch einen Vorrat von 391,33 g netto Amphetaminpaste mit einem Wirkstoffanteil von 14,89 % und einer Wirkstoffmenge von 58,27 g Amphetaminbase. Dieses Amphetamin hatte er in einer Munitionskiste in einer Kommode in der auf dem Hausgrundstück eingerichteten Werkstatt gelagert. Auf der Kommode hielt er eine elektronische Feinwaage und einen Vorrat an Vakuumierbeuteln zum Abpacken der einzelnen Verkaufsmengen bereit.

In dieser Werkstatt befanden sich, wie dem Angeklagten bewusst war, außerdem diverse Werkzeuge, insbesondere Sägen, Hammer und Eisenstangen, sowie – in einer der Schubladen eines Schubladencontainers, der in weniger als 2 m Abstand zu der besagten Kommode aufgestellt war – eine ungeladene Schreckschusspistole, Typ Colt, Kaliber 9 mm, sowie unmittelbar daneben griffbereit eine dazu passende noch nicht verschossene Knallpatrone. Dem Angeklagten war bewusst, dass er die Pistole jederzeit hätte erreichen können und dass er sie durch Laden der Knallpatrone auch jederzeit in einen einsatzbereiten Zustand bringen konnte. Ihm war auch klar, dass er die Pistole und auch die in der Werkstatt vorhandenen Werkzeuge dazu benutzen konnte, nötigenfalls seine Interessen beim Handeltreiben mit den Betäubungsmitteln durchzusetzen und insbesondere seinen Besitz an dem Betäubungsmittel zu verteidigen, und dass es ohne weiteres möglich war, damit anderen Personen Verletzungen beizubringen.

Seine Handelsaktivitäten in der Werkstatt führten indessen dazu, dass von anonymer Seite, wohl aus der Nachbarschaft im Dorf, mehrfach Hinweise auf den Verdacht eines von ihm betriebenen Betäubungsmittelhandels an die Polizei gegeben wurden.

Das führte dazu, dass am 19.02.2021 eine durch den Ermittlungsrichter angeordnete Durchsuchung des Hausgrundstücks stattfand. Dabei wurden das Amphetamin sowie die Pistole und die Patrone gefunden und sichergestellt.

Außerdem hatte der Angeklagte auch Marihuana zum Eigenkonsum in seinem Besitz. Zum Zeitpunkt der Durchsuchung am 4 verfügte er über einen Vorrat von 3,7 g. Auch dieses Marihuana wurde bei der Durchsuchung gefunden und sichergestellt.

Der Angeklagte wusste, dass für den Umgang mit all diesen Betäubungsmitteln eine ausdrückliche schriftliche Erlaubnis erforderlich gewesen wäre, und dass er eine solche Erlaubnis nicht hatte.

III. Rechtliche Würdigung

Nach diesen Feststellungen hat sich der Angeklagte zunächst wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführen einer Schusswaffe gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG strafbar gemacht.

Er besaß das Amphetamin, um damit Handel zu treiben, und zwar bei einer Wirkstoffmenge von 58,27 g Amphetaminbase, mithin dem 5,83-fachen der nicht geringen Menge im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG. Die in unmittelbarer Nähe zum Lagerort des Amphetamins sichergestellte Schreckschusspistole stellte auch, weil aus ihr Explosionsgase nach vorn austreten konnten, eine Schusswaffe im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG dar. Ebenso waren die in der Werkstatt vorhandenen Werkzeuge im Sinne dieser Vorschrift sonstige Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt waren.

Tateinheitlich hat sich der Angeklagte wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG strafbar gemacht, indem er 3,7 g wirkstoffhaltiges Cannabis für den Eigenkonsum in seinem Wohnhaus aufbewahrte, obwohl er wusste, dass er dazu nicht berechtigt war.

IV. Strafzumessung

1.

Bei der Strafzumessung hatte die Kammer gemäß § 52 StGB zunächst vom Strafrahmen des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG auszugehen, der Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren (und bis zu 15 Jahren) vorsieht.

Dabei hatte die Kammer aber das Vorliegen eines minder schweren Falles im Sinne von § 30a Abs. 3 BtMG zu prüfen, also ob die strafmildernden Umstände die strafschärfenden in der Gesamtbetrachtung deutlich überwogen, und ob angesichts dieses Überwiegens die Anwendung des Regelstrafrahmens als der Tat und der Schuld des Angeklagten insgesamt nicht mehr angemessen erschien.

Dabei sprach zwar gegen den Angeklagten, dass er einschlägig vorbestraft war und dass er die Tat bei laufender Bewährung aufgrund dieser einschlägigen Vortat begangen hatte. Hinzu kam außerdem der tateinheitlich begangene Besitz von (weiteren) Betäubungsmitteln – der aber nicht sonderlich schwer wog, weil es sich einerseits um eine sehr geringe Menge an Betäubungsmitteln handelte und andererseits „nur“ um Marihuana, also um eine sogenannte weiche Droge, deren schädliche Wirkungen deutlich hinter denen zurückbleiben, die beispielsweise Amphetamin oder gar Kokain und Heroin auslösen.

Für den Angeklagten sprach demgegenüber, dass er in der Hauptverhandlung umfassend geständig war. Die Betäubungsmittel waren außerdem insgesamt polizeilich sichergestellt worden und mithin nicht in die Hände von Endkonsumenten gelangt. Weiter strafmildernd hinzu kam die sehr lange Verfahrensdauer von als zwei Jahren zwischen der Durchsuchung beim Angeklagten und dem Ergehen des vorliegenden Urteils – die den Angeklagten umso mehr belastete, als die Entscheidung über seine offene Bewährung dadurch ebenso verzögert wurde. Mit ganz erheblichem und aus Sicht der Kammer entscheidendem Gewicht kam zugunsten des Angeklagten hinzu, dass die in Rede stehende Schusswaffe unter dem Gesichtspunkt, dass dafür nur Knallmunition, und davon nur eine einzige Patrone zur Verfügung stand, den Tatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG insoweit in der mildesten überhaupt denkbaren Form verwirklichte. Auch die zusätzlich vorhandenen, als Schlag- oder Stichwerkzeuge geeigneten Werkzeuge konnten bei ihrer Haushaltsüblichkeit keine besonders erschwerende Wirkung entfalten, die das hätte ausgleichen können. Insgesamt stellte das „Arsenal“ des Angeklagten für sein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln keinen derart objektiv gefahrerhöhenden Umstand dar, dass dies noch dem Regelbild des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG zuzuordnen gewesen wäre.

Demgemäß hat die Kammer einen minder schweren Fall im Sinne von § 30a Abs. 3 BtMG angenommen.

Dabei hatte sie aber weiter zu berücksichtigen, dass diese Annahme eines minder schweren Falles sich in allererster Linie auf den vom § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG besonders inkriminierten Aspekt der tief gesteigerten Gefährlichkeit durch die mitgeführte Waffe bezog, während die Tatumstände bezogen auf die von § 30a BtMG verdrängte, von ihr aber vorausgesetzte Strafbarkeit des Angeklagten nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG die Annahme eines minder schweren Falles eindeutig nicht rechtfertigten. Vor diesem Hintergrund hat die Kammer die Mindeststrafe dem (insoweit schärferen) Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen und ist mithin zu einem Strafrahmen von einem Jahr bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe gelangt.

Innerhalb dieses Strafrahmens hat die Kammer nach nochmaliger Abwägung der im Rahmen der Prüfung eines minder schweren Falles bereits dargelegten einzelnen für und gegen den Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgründe und nach nochmaliger Gesamtwürdigung der Taten und der Persönlichkeit des Angeklagten, wie sie sich im Ergebnis der Hauptverhandlung darstellten, eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren für tat- und schuldangemessen erachtet und als zur Ahndung der Taten erforderlich, aber auch ausreichend und allen Strafzwecken genügend befunden und demgemäß auf diese Strafe erkannt.

2.

Die Kammer konnte die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe gemäß § 56 Abs. 1 und 2 StGB zur Bewährung aussetzen.

Zunächst war dem Angeklagten eine positive Legalprognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB zu stellen. Es war nach der vom Angeklagten gezeigten Tatreue und seinem vorbehaltlosen Geständnis – ungeachtet des zu verzeichnenden Bewährungsversagens in der Vergangenheit – zu erwarten, dass er sich nunmehr schon die Tatsache seiner Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen werde.

Nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten lagen überdies auch besondere Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vor, die die Möglichkeit einer Bewährung auch für eine 1 Jahr überschreitende Freiheitsstrafe öffneten. Der Angeklagte lebt in geordneten familiären und beruflichen Verhältnissen. Er führt seit mehreren Jahren eine offenbar stabile partnerschaftliche Beziehung, hat ein gutes Verhältnis zu seinem Sohn und zu den Kindern seiner Lebensgefährtin und steht seit mehreren Jahren in Anstellung bei seinem Arbeitgeber. Seit der Aufdeckung der dieses Verfahren betreffenden Straftat hat er sich straffrei geführt. Bei dieser Sachlage hätte – erst recht angesichts der schon angesprochenen sehr langen Verfahrensdauer – die Verhängung einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe eine für ihn nur schwer erträgliche Härte dargestellt.

V. Einziehung

Da sich der Angeklagte mit der außergerichtlichen Einziehung sämtlicher für eine Einziehung in Betracht kommender Gegenstände, insbesondere der Pistole samt der dazugehörenden Knallpatrone, des Amphetamins und des Cannabis, der Feinwaage und der Vakuumierbeutel, einverstanden erklärt hatte, erübrigte sich eine gesonderte Einziehungsentscheidung der Kammer.

VI. Kosten

Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 StGB.