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Entscheidung 14 Sa 585/11


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 14. Kammer Entscheidungsdatum 13.10.2011
Aktenzeichen 14 Sa 585/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Senftenberg vom 07.12.2010 - 1 Ca 231/10 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 992,92 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. Mai 2010 zu zahlen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch der Klägerin auf eine Einmalzahlung für das Jahr 2009 gemäß Ziffer 4 c) des TV ERA-Anpassungsfonds wegen der unterbliebenen Einführung des Entgeltrahmenabkommens im Betrieb der Beklagten.

Die am …… 1969 geborene Klägerin ist seit dem 01. April 1996 bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin beschäftigt, zuletzt als Leiterin Verkauf. Die Klägerin ist Mitglied der Gewerkschaft IG Metall.

Am 11. März 1996 hatten die Klägerin und K. E. & M. GmbH F. (im Folgenden: KEM) einen Arbeitsvertrag für die Zeit ab dem 01. April 1996 geschlossen (Ablichtung Bl. 92 und 93 d. A., Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 20. September 2010).

Am 26. Mai 1998 schlossen die Klägerin und die KEM einen Änderungsvertrag (Ablichtung Bl. 105 d. A., Anlage K3), in dessen § 5 unter der Überschrift „Tarifverträge“ folgendes vereinbart wurde:

„Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Anerkennungstarifvertrag, welcher zwischen der Firma K. E. & M. GmbH und der IG Metall Bezirk Brandenburg-Sachsen vereinbart wurde.“

Die K. F. E. & M. GmbH (im Folgenden: KEM) hatte am 12. Mai 1998 mit der IG Metall einen Anerkennungstarifvertrag (im Folgenden: ATV) geschlossen, hinsichtlich dessen vollständigen Inhalts nebst der Anlagen auf die Ablichtungen Bl. 224 - 231 d. A. Bezug genommen wird (Anlage B1).

§ 2 ATV lautet unter der Überschrift „Präambel“ wie folgt:

„Die IG Metall und die Geschäftsführung der K. E. & M. GmbH sind sich darüber einig, dass über die Anpassung dieses Tarifvertrages an das Niveau des Flächentarifvertrages spätestens mit dem Ablauf von 2 Jahren verhandelt werden wird.

…“

§ 3 ATV hat unter der Überschrift „Geltung von Tarifverträgen“ folgenden Wortlaut:

„Soweit in diesem Tarifvertrag nichts Abweichendes vereinbart ist, sind die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Tarifvertrages geltenden Tarifverträge für Arbeiter, Angestellte und Auszubildende der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg, Tarifgebiet II, abgeschlossen zwischen der

Industriegewerkschaft Metall, Bezirksleitung Berlin
(seit 1.4.1995 Bezirksleitung Berlin, Bezirk Brandenburg-Sachsen)

und dem

Verband der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg e.V.,

Bestandteil dieses Tarifvertrages und gelten für die unter dem jeweiligen Geltungsbereich aufgeführten Beschäftigten.

Die zur Zeit geltenden Tarifverträge sind in der Anlage bezeichnet, die Teil dieses Tarifvertrages ist.

Der Wortlaut aller in der Anlage aufgeführten Tarifverträge lag den Parteien dieses Tarifvertrages bei Unterzeichnung vor.“

§ 4 ATV lautet unter der Überschrift „Rechtsstatus der Tarifverträge“ auszugsweise wie folgt:

„Die in Bezug genommenen Tarifverträge gelten in der jeweils gültigen Fassung mit dem jeweils gültigen Rechtsstatus (s. Anlage 1).

Zwischen den Parteien finden alle Abkommen, Zusatzabkommen, Vertragsänderungen und –ergänzungen Anwendung, die zwischen den Parteien der mit diesem Vertrag in Bezug genommenen Tarifverträge abgeschlossen werden. Dies gilt auch hinsichtlich des Inkrafttretens neuer Tarifbestimmungen, die an die Stelle der in Bezug genommenen Tarifverträge bzw. Tarifbestimmungen treten.“

§ 5 ATV hat folgenden Wortlaut:

„§ 5 Tariflöhne und Gehälter sowie Ausbildungsvergütungen

Die derzeit nach Tarifvertrag gültigen Lohn- und Gehaltstabellen sowie Ausbildungsvergütungen werden ab 01.05.1998 wirksam (Anlage 2a-c). Sie behalten ihre Gültigkeit bis zum 31.12.1999. Entsprechend § 2 dieses Anerkennungstarifvertrages werden spätestens im November 1999 Verhandlungen über die Anpassung ab 01.01.2000 vorgenommen. Die tariflichen Leistungszulagen entfallen. Statt dessen werden am Umsatz orientierte Zulagen gezahlt (Anlage 3).“

Am 05. Juli 2001 und am 31. Januar 2002 schlossen die KEM und die IG Metall Sanierungstarifverträge ab, hinsichtlich deren Inhalt auf die Ablichtung auf Bl. 232 und 233 d. A. Bezug genommen (Bestandteil der Anlage B2).

Am 08. Dezember 2003 schlossen die KEM und die IG Metall einen dritten Sanierungstarifvertrag, in dem u. a. folgendes geregelt wurde:

„§ 1

Die Tarifparteien sind sich darüber einig, dass durch den Sanierungstarifvertrag vom 31.01.2002 der Anerkennungstarifvertrag vom 12.05.1998 teilweise außer Kraft gesetzt ist.

§ 7 Geltungsdauer

Diese tariflichen Einmalzahlungen gelten nur für das Jahr 2003 und entfalten keine Nachwirkung. Die Verlängerung des Sanierungstarifvertrages gilt bis 31.12.2005 und entfaltet ebenfalls keine Nachwirkung, danach gilt der Anerkennungstarifvertrag vom 12.05.1998 ohne Einschränkungen weiter.“

Hinsichtlich des vollständigen Inhalts des 3. Sanierungstarifvertrages wird auf die Ablichtung auf Bl. 234 – 235 d. A. Bezug genommen (Bestandteil der Anlage B2).

Im Jahr 2000 wurde die AFI Beteiligungsgesellschaft mbH gegründet, die im Jahr 2006 in K.DL Dienstleistungsgesellschaft mbH und im Jahr 2007 in K. F. Dienstleistungsgesellschaft mbH umfirmierte (im Folgenden: KDL).

Zum 01. April 2006 bildeten die KEM und KDL einen gemeinsamen Betrieb. Aus diesem Anlass schlossen die Klägerin und die KEM eine Ergänzungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag (Ablichtung Bl. 104 d. A., Anlage K2).

Zum 01. Januar 2007 übertrug die KEM einige Bereiche im Wege eines Betriebsteilübergangs auf die KDL. Die Klägerin verblieb bei der KEM.

Zum 01. Juli 2007 erfolgte durch Spaltungsvertrag vom 03. Dezember 2007 eine Abspaltung folgender Betriebsteile der KEM zur Aufnahme auf folgende Gesellschaften:

- der Bereich Elektroden und Zusatzwerkstoffe auf die K. F. E. und Zusatzwerkstoffe GmbH (KEZ);

- der Bereich Schweißtechnik und Verschleißschutzsysteme auf die K. F. Schweißtechnik und Verschleißschutzsysteme GmbH (KSV);

- der Bereich Plasma und Maschinen auf die Beklagte.

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ging zum 01. Juli 2007 auf die Beklagte über.

Zum 06. Mai 2008 firmierte die KEM in die GWF Verwaltungsgesellschaft mbH um und verlegte ihren Sitz nach G..

Am 16. Mai 2008 schlossen die KEZ, die Beklagte, die KSV sowie die KDL einerseits und der Betriebsrat des gemeinsamen Betriebes andererseits eine Betriebsvereinbarung, in der unter Ziffer 1 die Führung eines gemeinsamen Betriebes und unter Ziffer 5 die Zahlung einer umsatzabhängigen Zulage bis zum Abschluss eines neuen ablösenden Tarifvertrages vereinbart wurde. Hinsichtlich

des vollständigen Inhalts der Betriebsvereinbarung wird auf Ablichtung auf Bl. 10 – 11 d. A. Bezug genommen (Anlage 1 zur Klageerwiderung).

Am 23. März 2010 vereinbarten die IG Metall und der Geschäftsführer der Beklagten – für den gemeinsamen Betrieb – eine „gemeinsame Erklärung der Tarifparteien zum Ergebnis der Tarifverhandlung vom 23. März 2010 in Berlin“, in der u. a folgendes ausführt wird:

„…

3. Die in Anlage 1 des Anerkennungstarifvertrages von 1998 aufgeführten Tarifverträge sollen einheitlich für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der jeweils aktuellen Fassung gelten. Über die zeitlich nach dem Anerkennungstarifvertrag von 1998 abgeschlossenen Tarifverträge der Metall-Elektroindustrie Berlin-Brandenburg ist mit dem Ziel zu verhandeln, ihnen Geltung zu geben.

4. Es soll ein einheitlicher Entgelttarifvertrag abgeschlossen werden. Als Verhandlungsgrundlage dienen der Tarifvertrag der IG Metall und Vorschläge des Arbeitgebers. Die genauen Formulierungen und Bestimmungen werden ausgehandelt.

…“

Hinsichtlich des vollständigen Inhalts der gemeinsamen Erklärung wird auf die Ablichtung auf Bl. 81 d. A. Bezug genommen (Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 20. September 2010).

Mit Schreiben vom 22. Juni 2010 kündigte die IG Metall gegenüber der Beklagten den ATV zum 30. September 2010 (Ablichtung Bl. 88 d. A., Anlage zum Schriftsatz der Beklagten vom 20.09.2010). Mit Schreiben vom 02. August 2010 wies die Beklagte die IG Metall u. a. darauf hin, dass die Beklagte mit der IG Metall keinen Tarifvertrag abgeschlossen habe (Ablichtung Bl. 89 d. A. zum Schriftsatz der Beklagten vom 20.09.2010).

Zum 01. Januar 2011 wurde mit der IG Metall ein „Firmentarifvertrag“ geschlossen.

Mit einer am 08. April 2010 beim Arbeitsgericht Senftenberg eingegangenen, der Beklagten am 03. Mai 2010 zugestellten Klage hat die Klägerin eine Einmalzahlung gemäß Ziffer 4 c) des TV ERA-Anpassungsfonds für das Jahr 2009 verlangt.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, im Hinblick auf die Aufspaltung der KEM sei die Beklagte gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 UmwG i. V. m. § 135 UmwG Rechtsnachfolgerin der KEM geworden und damit in die Stellung als Tarifvertragspartei des ATV eingerückt. Die Auslegung des ATV ergebe, dass auch die nachfolgenden Tarifverträge, insbesondere der so genannte ERA-TV, hiervon mit erfasst seien. All dies habe im Übrigen das Hessische Landesarbeitsgericht mit Urteil vom 05. November 2009, 9 Sa 939/09, in einem zwischen der IG Metall einerseits und der GWF, KEZ, KSV, der Beklagten und der KDL andererseits rechtskräftig entschieden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 992,92 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.05.2010 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, gemäß dem Beschluss des BAG vom 16. Juni 2010, 4 AZR 208/10, seien die Ausführungen des Hessischen LAG zur Begründetheit der Klage als nicht geschrieben anzusehen und daher nicht bindend.

Weiter hat die Beklagte die Ansicht vertreten, die Auslegungen des ATV ergeben nicht, dass auch auf das ERA-Tarifwerk Bezug genommen worden sei. Denn mit der Einführung des ERA-Tarifwerks sei ein grundsätzlicher und vollständiger „Systemwechsel“ in der Tarifstruktur verbunden. Auch der bei Tarifabschluss bestehende Wille der Tarifvertragsparteien sei ergänzend zu berücksichtigen. Bereits aus der Präambel des ATV ergebe sich, dass über die Anpassung des Tarifvertrages an das Niveau des Flächentarifvertrages mit dem Ablauf von zwei Jahren neu verhandelt werden solle. Eine automatische Übernahme, zumal systematisch völlig neuartiger Tarifnormen, sei zwischen den Tarifvertragsparteien gerade nicht gewollt und beabsichtigt gewesen.

Ferner hat die Beklagte die Ansicht vertreten, sie sei nicht Partei des ATV geworden. Mit Übertragung des Betriebsteils auf die Beklagte sei gemäß § 613a BGB lediglich die „alte Tarifwelt“ Teil des Arbeitsverhältnisses der Parteien geworden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie des streitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen. Ferner wird auf die erstinstanzlich eingereichten Schriftsätze der Parteien nebst den Anlagen Bezug genommen.

Durch ein Urteil vom 07. Dezember 2010 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte sie nicht gemäß Ziffer 2 des ERA-Einführungstarifvertrages vom 14. April 2005 zur Einführung des ERA-Entgeltsystems verpflichtet gewesen. Eine unmittelbare zwingende Verpflichtung scheide mangels Tarifgebundenheit der Beklagten aus. Eine Verpflichtung zur Einmalzahlung der Beklagten lasse sich auch nicht aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag und dem darin enthaltenen Verweis auf die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie, dem Änderungsvertrag vom 26 Mai 1995, in dem auf den ATV Bezug genommen werde, oder aus den Ergänzungen zum Arbeitsvertrag vom 22. Januar 2007 herleiten, woraus neben den tariflichen Regelungen die Betriebsvereinbarung gälte. Spätestens über den Sanierungstarifvertrag vom 03. September 2003 habe der ATV ab dem 01. Januar 2006 ohne Einschränkung weiter gegolten, und nicht etwa die ERA-Tarifverträge. Im Rahmen des Betriebsübergangs sei die Beklagte im Jahre 2007 in den Stand eingetreten, den die Rechtsvorgängerin inne gehabt habe. Die Beklagte habe nicht durch eine so allgemeine einzelvertragliche Bezugnahmeklausel verpflichtet werden können, das Entgeltrahmenabkommen in den Betrieb einzuführen. Die ERA-Tarifverträge seien auf eine betriebseinheitliche Einführung durch tarifgebundene Arbeitgeber hin konzipiert. Mit dieser Konzeption wäre eine sich aus dem Arbeitsvertrag ergebende individualrechtliche Verpflichtung, das Entgeltrahmenabkommen im Betrieb einzuführen, nicht vereinbar. Dies habe das LAG Saarland mit Urteil vom 28. April 2010, 1(2) Sa 68/09, überzeugend ausgeführt. Weiter hat das Arbeitsgericht ausgeführt, eine Verpflichtung der Beklagten zur Einmalzahlung lasse sich auch nicht auf dem Grundsatz der betrieblichen Übung begründen, weil die Rechtsvorgängerin der Beklagten zweimal Zahlungen in Höhe der Strukturkomponente geleistet habe. Denn eine zweimalige Zahlung sei für die Annahme einer betrieblichen Übung nicht ausreichend. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 21. Februar 2011 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 14. März 2011 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum Montag, dem 23. Mai 2011 – mit einem am 23. Mai 2011 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Klägerin tritt dem angefochtenen Urteil entgegen und ist der Ansicht, das Arbeitsgericht habe der Klägerin den geltend gemachten Anspruch rechtswidrig vorenthalten und sich gegen die rechtskräftige Entscheidung des Hessischen LAG gestellt, ohne sich mit dieser Entscheidung auseinanderzusetzen.

Weiter ist die Klägerin der Ansicht, die Verpflichtung der Beklagten zur Einführung des Entgeltrahmenabkommens ergebe sich sowohl aus der allgemeinen Bezugnahme auf die tariflichen Bestimmungen im Arbeitsvertrag als auch aus den mit der IG Metall für die K.-Unternehmen abgeschlossenen Tarifwerke. Auf die individualrechtliche Bezugnahme komme es letztlich nicht an, da als Rechtsfolge des Betriebsübergangs die die Anspruchsgrundlage darstellenden tariflichen Bestimmungen in die Einzelverträge Eingang gefunden hätten. Die seinerzeitige Aufspaltung habe ohnehin die gesetzliche Folge der Fortgeltung der Tarifbindung. Über § 4 ATV sei das ERA-Tarifwerk wirksam in Bezug genommen worden. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe der ERA-Tarifvertrag auch keinen völlig anderen Regelungsgegenstand als die in der Anlage in Bezug genommenen Tarifverträge. Allein der Umstand, dass Regelungsgegenstände, die bisher aufgrund der Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern und Angestellten in verschiedenen Tarifverträgen geregelt würden, jetzt einheitlich zusammengefasst auf eine neue Grundlage gestellt würden, führen nicht dazu, dass der Tarifvertrag einen völlig neuen Regelungsgegenstand beinhalte. Da die Regelung des § 4 ATV eindeutig sei, komme es auch nicht darauf an, ob vor dem Hintergrund der seinerzeitigen Verhandlungen über den ERA-Tarifvertrag im Jahr 2003 es nahe gelegen hätte, im Sanierungstarifvertrag vom 08. Dezember 2003 eine ausdrückliche Regelung über die Geltung des ERA-TV zu treffen. Dabei schade es auch nicht, dass die ERA-Tarifverträge nicht in der Anlage 1 zum ATV genannt seien, da nach dem Sanierungstarifvertrag vom 06. Dezember 2003 der ATV ab 01. Januar 2006 ohne Einschränkung weiter gelte. Nach zutreffender Ansicht des Hessischen LAG in der Entscheidung vom 05. November 2009 könne die Beibehaltung des Anhanges 1 auch nicht als Verzicht auf die Klausel des § 4 Abs. 1 und 5 interpretiert werden. Hierfür fehlten jegliche Anhaltspunkte. Ausnahmen der Geltung der anerkannten Tarifverträge müsse ein Firmentarifvertrag ausdrücklich regeln. Dies sei vorliegend nicht der Fall.

Die Klägerin ist ferner der Ansicht, die Beklagte sei gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 i. V m. § 135 UmwG Rechtsnachfolgerin der KEM geworden und damit in die Stellung als Tarifvertragspartei des ATV eingerückt. Damit sei die kollektivrechtliche Weitergeltung des ATV gegeben.

Schließlich ist die Klägerin der Ansicht, aufgrund des Wortlauts der Inbezugnahme des ATV im Arbeitsvertrag der Parteien könne überhaupt kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, ob und welche – nämlich alle relevanten – tariflichen Bestimmungen für das Arbeitsverhältnis gelten sollten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Senftenberg vom 07. Dezember 2010 – 1 Ca 231/10 – abzuändern und die Beklagte zur verurteilen, an die Klägerin 992,92 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03. Mai 2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und ist der Ansicht, bei der Beklagten habe weder die Verpflichtung noch die Absicht bestanden, die ERA-Tarifverträge einzuführen. Das Arbeitsgericht habe sich nicht gegen eine rechtskräftige Entscheidung des Hessischen LAG gestellt, weil dieses in dem Urteil lediglich die Unzulässigkeit der Klage mangels Feststellungsinteresses festgestellt habe und die Ausführungen zur Begründetheit der Klage als nicht geschrieben gälten.

Weiter ist die Beklagte der Ansicht, eine Verpflichtung aufgrund originärer Tarifgebundenheit bestehe nicht, weil weder die Beklagte noch die KEM jemals Mitglied des entsprechenden Arbeitgeberverbandes gewesen seien. Auch aus dem ATV vom 12. Mai 1998 folge für die Beklagte keine normativ geltende Verpflichtung zur Einführung des ERA-Tarifvertragwerks und dessen Umsetzung. Der ATV nehme die ERA-Tarifverträge nicht in Bezug sondern lediglich die in der Anlage 1 aufgeführten Tarifverträge. Diese seien nicht im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 2 ATV durch die ERA-Tarifverträge ersetzt worden. Dem stehe entgegen, dass die ERA-Tarifverträge einen grundlegend anderen Regelungsgegenstand aufwiesen als die vermeintlich durch sie ersetzten Tarifverträge „alten Tarifwelt“. Denn mit ERA werde einerseits eine gewerkschaftliche Mitbestimmung auf betrieblicher Ebene eingeführt und die bis dahin geltende Mitbestimmung durch den Betriebsrat ersetzt. Andererseits werde die Unterscheidung von Arbeitern und Angestellten aufgehoben und gleichgestellt. Ferner werde ein völlig neuartiges Eingruppierungssystem für alle Beschäftigten der Elektro- und Metallindustrie im Geltungsbereich von ERA festgelegt. Damit unterscheide sich ERA grundlegend von dem mit dem ATV in Bezug genommenen Tarifvertragsystem, so dass von einer „Ersetzung“ i. S. d. § 4 Abs. 5 Satz 2 ATV keine Rede sein könne. Es sei im Übrigen auch völlig unklar, welche im ATV bezeichneten Tarifverträge der TV ERA-Anpassungsfonds ersetzt haben solle. Wolle man die Ersetzungsklausel des § 4 Abs. 5 Satz 2 ATV oder die Bezugnahmeklausel insgesamt derart weit auslegen, dass selbst die ERA-Tarifverträge von dieser erfasst wären, so müsse zugleich zu dem Ergebnis kommen, dass es sich hierbei um eine unzulässige Blankett-Verweisung handele. Im Übrigen spreche auch die in dem ATV von 1998 enthaltene Verhandlungsmaxime zur Annäherung der tariflichen Situation in der K. Unternehmensgruppe „die Fläche“ gegen eine derart weite Auslegung der Ersetzungsklausel. Die Verhandlungsmaxime mache deutlich, dass die Tarifvertragsparteien bei Abschluss des ATV gerade nicht die tarifliche Situation der Verbandstarifverträge insgesamt widerspiegeln, sondern nur einen beschränkten Teil der tariflichen Vorschriften für die K. Unternehmensgruppe hätte gelten lassen wollen. Auch die Verhandlungssituation bei Abschluss des 3. Sanierungsvertrages im Jahr 2003 spreche dagegen, dass die Tarifparteien mit dem ATV auf die ERA-Tarifverträge in Bezug hätten nehmen wollen. Denn im Dezember 2003 seien bereits die ersten ERA-Tarifverträge abgeschlossen worden und ein „großes Thema“ bei den Gewerkschaften und dem Arbeitgeberverband gewesen. Das mit Abschluss des 3. Sanierungstarifvertrages jedoch von einem Aufleben des ATV auch von 1998 ab dem 01. Januar 2006 ausgegangen worden sei und dabei in keiner Weise auf die sich verändernde tarifliche Situation in Bezug auf die Einführung der ERA-Tarifverträge eingegangen worden sei, spreche eindeutig dafür, dass die Tarifparteien im Jahr 2003 davon ausgegangen seien, dass die ERA-Tarifverträge keinesfalls mit dem Aufleben des ATV ab dem 01. Januar 2006 Geltung für die K. Unternehmensgruppe hätten erlangen sollen. Wäre dies tatsächlich von den Tarifparteien beabsichtigt gewesen, so hätten bei Abschluss des 3. Sanierungstarifvertrages im Dezember 2003 ausdrücklich auch die zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegenden ERA-Tarifverträge in Bezug genommen.

Ferner ist die Beklagte der Ansicht, die §§ 5 und 6 ATV gingen als speziellere Regelungen den allgemeinen Bezugnahmeklauseln von §§ 3 und 4 ATV vor. So werde insbesondere in § 5 geregelt, dass die Lohn- und Gehaltstabellen bis zum 31. Dezember 1999 ihre Gültigkeit behalten sollten und spätestens im November 1999 über Anpassungen ab dem 01. Januar 2000 verhandelt werden sollte. Eine dynamische Verweisung auf die in der Fläche geltenden Lohn- und Gehaltstarife sei demnach gerade nicht beabsichtigt gewesen.

Schließlich ist die Beklagte der Ansicht, jedenfalls mit der Kündigung des ATV und dem Abschluss des neuen Firmentarifvertrages habe festgestanden, dass es im Betrieb der Beklagten endgültig nicht zu einer Einführung von ERA kommen werde. Stehe jedoch endgültig fest, dass ERA nicht eingeführt werde, so bestehe auch kein Anspruch auf Einmalzahlungen. Hinzu komme, dass bei der Beklagten zu keinem Zeitpunkt der Wille zur Einführung von ERA bestanden habe. Die sogenannten Anpassungsfonds seien nicht gebildet worden, es seine keine Vergütungsbestandteile zurückgehalten worden, betriebliche Vereinbarungen seien stets davon ausgegangen, dass ERA im Betrieb der Beklagten nicht eingeführt würde.

Hinsichtlich der Spaltung ist die Beklagte der Ansicht, es habe kein Fall der Abspaltung zur Neugründung vorgelegen, weil die Beklagte schon vor der Abspaltung existiert habe. Auch bei Firmentarifverträgen führe die Abspaltung keinesfalls dazu, dass die aufnehmende Gesellschaft in den Tarifvertrag eintrete und Tarifvertragspartei werde. Vielmehr sei die Vervielfältigung von Vertragsverhältnissen mit den Umwandlungsgesetzen nicht vereinbar. Sämtliche Vertragsverhältnisse müssten im Spaltungsvertrag und Spaltungsplan eindeutig bezeichnet sein und verblieben im Zweifelsfall allein beim übertragenden Rechtsträger.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze vom 23. Mai 2011, 1. September 2011, 14. September 2011 und vom 07. Oktober 2011 nebst der Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 13. Oktober 2011 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist gemäß §§ 8 Abs.2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthaft und frist- und formgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.

B.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte für das Jahr 2009 einen Anspruch auf Zahlung von 992,92 EUR brutto gemäß Ziffer 4 c) des Tarifvertrages ERA-Anpassungsfonds vom 19. Dezember 2003 i. d. F. vom 15. September 2004 mit Nachtrag vom 22. August 2005 i. V. m. Ziffer 5.1. und 5.2 des Gehaltstarifvertrages vom 21. November 2008 (TG II) i. V. m. Ziffer 3.2 des Tarifvertrages über betriebliche Sonderzahlungen, alle abgeschlossen zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg e. V. (VME) und der IG Metall.

1. Diese Tarifverträge sind zwar nicht gemäß § 3 Abs. 1 TVG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar, weil die Beklagte nicht Mitglied im VME ist oder war.

2. Die Tarifverträge fanden jedoch im streitgegenständlichen Zeitraum jedenfalls gemäß § 5 des Änderungsvertrages vom 26. Mai 1998 i. V. m. § 4 Abs. 5 des Anerkennungstarifvertrages vom 12. Mai 1998 Anwendung – mit Ausnahme der Entgelttabellen und der Ausbildungsvergütungen.

a) Der ATV findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien gemäß § 3 TVG Anwendung, weil die Beklagte aufgrund des Spaltungsvertrages vom 03. Dezember 2007 rückwirkend zum 1. Juli 2007 einen Betriebsteil der KEM aufgenommen hatte und damit Partei des ATV geworden ist.

aa) Bei der Verschmelzung im Wege der Neugründung geht ein Firmentarifvertrag wegen der vom Gesetz angeordneten – § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG – Gesamtrechtsnachfolge uneingeschränkt auf den neu gegründeten Rechtsträger über. Der Tarifvertrag wirkt dann kollektiv fort. Der übernehmende Rechtsträger rückt aufgrund der in § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG angeordneten Gesamtrechtsnachfolge in den mit dem übertragenen Rechtsträger abgeschlossenen Firmentarifvertrag ein. Auch der Firmentarifvertrag ist eine Verbindlichkeit, die zum Vermögen des übertragenen Rechtsträgers zu zählen ist. Der übernehmende Rechtsträger wird also Partei des für den übertragenden Rechtsträger geltenden Firmentarifvertrags. Die Regelung des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, die nach § 324 UmwG unberührt bleibt, steht der Annahme nicht entgegen, dass ein Firmentarifvertrag bei Verschmelzung als Teil der Verbindlichkeiten nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG übergeht. Bei § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB handelt es sich um eine Auffangregelung (vgl. BAG, 24.06.1998, 4 AZR 208/97, NZA 1998, 1346). Dies gilt auch für den Fall der Verschmelzung durch Aufnahme (vgl. BAG, 04.07.2007, 4 AZR 491/06, NZA 2008, 307).

Die Fortgeltung eines Firmentarifvertrages gemäß § 3 Abs. 1 TVG bei Abspaltungen, Aufspaltungen und Ausgliederungen wird jedenfalls dann bejaht, wenn diese Umwandlungen durch Neugründung i. S. d. § 123 UmwG erfolgen (vgl. Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Preis 11. Aufl. 2011, 230 BGB § 613a Rn 186 m.w.N.). Erfolgt die Spaltung auf einen schon bestehenden Rechtsträger, wird diese Rechtsfolge als problematisch angesehen, weil dieser Rechtsträger schon Arbeitsnehmer beschäftigen wird. Dies hätte zur Folge, dass gerade für diese Arbeitnehmer nunmehr kollektivrechtlich ein völlig neuer Firmentarifvertrag zur Anwendung käme, was abgelehnt wird (vgl. Preis a.a.O.).

bb) Im vorliegenden Fall war die Beklagte zwar nicht erst im Rahmen der Spaltung sondern schon vorher gegründet worden. Die Beklagte beschäftigte bis zur Aufnahme jedoch keine Arbeitnehmer und stellte nur einen vorgehaltenen „Firmenmantel“ dar. Wird ein solcher aktiviert, kommt dies einer Neugründung gleich (vgl. ebenso LAG Berlin-Brandenburg, 24.08.2011, 15 Sa 586/11 m.w.N. in einen Parallelfall, Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG eingelegt unter dem Aktenzeichen 5 AZR 1358/11).

b) Selbst wenn die Beklagte nicht durch die Spaltung zur Aufnahme als Tarifvertragspartei in den ATV eingetreten wäre, käme der ATV jedenfalls gemäß § 5 des Änderungsvertrages vom 26. Mai 1998 zur Anwendung, der diesen ausdrücklich in Bezug nimmt. Mit diesem Inhalt ging das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß § 613 a Abs. 1 BGB zum 01 Juli 2007 auf die Beklagte über.

c) Gemäß § 4 Abs. 5 ATV finden zwischen den Tarifparteien die ERA-Tarifverträge Anwendung.

§ 4 Abs. 1 ATV bestimmt, dass die in der Anlage 1 in Bezug genommenen Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung mit den jeweils gültigen Rechtsstatus Anwendung finden. In der Anlage 1 sind 14 der zum Zeitpunkt des Abschlusses des ATV geltenden Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg (TG II) aufgelistet, u. a. die Manteltarifverträge von März 1991 und die Urlaubstarifverträge vom 06. Februar 1997, jeweils für Arbeiter und Angestellte, sowie die Lohn- und Gehaltstarifverträge und der Lohnrahmentarifvertrag – ausgenommen lediglich die in den Lohn- und Gehaltstarifverträgen für den Arbeitgeber vorgesehenen Härtefallregelungen.

§ 4 Abs. 5 Satz 1 ATV bestimmt, dass zwischen den Tarifparteien alle Abkommen, Zusatzabkommen, Vertragsänderungen und -ergänzungen Anwendung finden, die zwischen den Parteien der mit diesem Vertrag in Bezug genommen Tarifverträge abgeschlossen werden. § 4 Abs. 5 Satz 2 ATV bestimmt, dass dies auch hinsichtlich des Inkrafttretens neuer Tarifbestimmungen, die an die Stelle der in Bezug genommen Tarifverträge bzw. Tarifbestimmungen treten, gilt.

Die ERA-Tarifverträge sind an die Stelle der entsprechenden in der Anlage 1 in Bezug genommenen Tarifverträge getreten – mit Ausnahme der Entgelttabellen sowie der Ausbildungsvergütungen.

Gemäß Ziffer 16.3 des Entgeltrahmentarifvertrages vom 14. Mai 2005 (TG I und II) verlieren mit der Einführung des ERA-Tarifvertrages im Betrieb folgende Tarifverträge in Bezug auf den jeweiligen Betrieb ab dem Einführungsstichtag ihre Wirkung, soweit das Tarifgebiet II betroffen ist:

Lohnrahmentarifvertrag, Lohntarifvertrag, Gehaltstarifvertrag.

Gemäß Ziffer 19.2 des Manteltarifvertrages vom 22. November 2006 (TG II) ersetzt dieser Manteltarifvertrag mit der Einführung des ERA-Tarifvertrages im Betrieb den Manteltarifvertrag für die Arbeiter Tarifgebiet II vom 10. März 1991 in der Fassung vom 14. April 2005 und den Manteltarifvertrag für die Angestellten Tarifgebiet II vom 10. März 1991 in der Fassung vom 14. April 2005.

Gemäß Ziffer 6 des Urlaubstarifvertrages vom 22. November 2006 (TG I und II) ersetzt dieser Urlaubstarifvertrag mit der Einführung des ERA-Tarifvertrages im Betrieb die Urlaubstarifverträge für die Arbeiter und Angestellten vom 06. Februar 1997 (TG II).

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es unerheblich, dass mit den ERA-Tarifverträgen ein völlig neues Vergütungs- und Eingruppierungssystem in der Metall- und Elektroindustrie geschaffen wurde. Hieraus folgt nicht, dass das ERA-Tarifwerk nicht an die Stelle der in der Anlage 1 des ATV in Bezug genommenen Tarifverträge treten kann.

In einem ähnlichen Fall mit einer fast wortgleichen Regelung in einem Haustarifvertrag, nach der die „an Stelle der in Bezug genommenen Tarifverträge bzw. Tarifbestimmungen“ gelten sollten, hat das BAG die Anwendbarkeit der ERA-Tarifverträge nicht etwa daran scheitern lassen, dass diese nicht an die Stelle der vorhergehenden Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie getreten seien sondern mit umfangreicher Begründung daran, dass ein Betriebsübergang lange vor Abschluss der ERA-Tarifverträge stattgefunden hatte und die Verweisungsklausel mit der Transformation nach § 613a Abs. 1 BGB ihre Dynamik verloren hatte (BAG, 26.08.2009, 5 AZR 969/08, NZA 2010, 173).

Auch der TVöD, mit dem im Bereich des öffentlichen Dienstes ein völlig neues System eingeführt wurde, ist an die Stelle des bis dahin geltenden BAT und des BMTG getreten, so dass beispielsweise eine einzelvertragliche Bezugnahmeklausel, nach der auch die „den BAT ersetzenden Tarifverträge“ gelten sollen, zur Anwendbarkeit des TVöD führt (vgl. hierzu z. B. BAG, 22.09.2009, 4 ABR 14/08, NZA 2009, 1287 und BAG, 19.05.2010, 4 AZR 796/08, NZA 2010, 1183).

Bei Regelung in § 4 Abs. 5 ATV handelt es sich nicht um eine unzulässige Blankett-Verweisung. Über diese Norm und die Anlage 1 werden nur solche Tarifverträge in Bezug genommen, die für die Beklagte dann gelten würden, wenn sie Mitglied im VME wäre. Diese sind durchaus sachnahe Tarifverträge. Die Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien des ATV ist daher nicht überschritten (vgl. ebenso LAG Berlin-Brandenburg, 24.08.2011, 15 Sa 586/11 in einem ähnlichen Fall - Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG eingelegt unter dem Aktenzeichen 5 AZN 1358/11).

Die Regelungen § 5 ATV spricht nicht gegen die Annahme, dass über § 4 Abs. 5 ATV auch das ERA-Tarifwerk zur Anwendung kommt.

§ 5 ATV stellt eine Spezialregelung bezüglich der Lohn- und Gehaltshöhen sowie der Ausbildungsvergütungen dar und bestimmt, dass die damals gültigen Lohn- und Gehaltstabellen sowie Ausbildungsvergütungen ab dem 01. Mai 1998 wirksam werden und bis zum 31. Dezember 1999 gelten sollten.

Spätestens im November 1999 sollten Verhandlungen über die Anpassung ab dem 01. Januar 2000 vorgenommen werden. Aus dieser Regelung ist ersichtlich, dass die Parteien des ATV bezüglich der Höhe der Löhne und Gehälter sowie der Ausbildungsvergütungen eigene Vereinbarungen treffen sollten und somit lediglich diesbezüglich die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie nicht in Bezug nehmen wollten. Diese Regelung steht der Einführung des ERA-Tarifwerks nicht entgegen, denn auch nach Einführung des Entgeltrahmenabkommens im Betrieb hätten die Parteien des ATV bezüglich der Höhe des Entgelts eigene Vereinbarungen treffen können. Gemäß Ziffer 2 ERA-TV wird die Höhe der tariflichen Grundentgelte in den einzelnen Entgeltgruppen und -stufen in einem gesonderten Tarifvertrag vereinbart: dem ERA-Entgelttarifvertrag.

Unerheblich ist, dass die KEM und die IG Metall bei Abschluss des Sanierungstarifvertrages vom 08. Dezember 2003 die ERA-Tarifverträge nicht ausdrücklich erwähnt haben. Denn diese kommen, wie oben dargelegt wurde, ohne weitere Vereinbarung gemäß § 4 Abs. 5 ATV zur Anwendung.

Die Aufrechterhaltung der Anlage 1 zum damaligen Zeitpunkt kann auch nicht als Verzicht auf die Klausel des § 4 Abs. 1 und 5 ATV interpretiert werden. Hierfür fehlen jegliche Anhaltspunkte. Zudem werden die jeweiligen Tarifverträge ohnehin erst mit Einführung des Entgeltrahmenabkommens im Betrieb abgelöst, so dass die Anlage 1 nicht die Einführung des ERA-Tarifwerks ausschließt.

Die gemeinsame Erklärung vom 23. März 2010 lässt nicht den Schluss zu, dass die Parteien des ATV am 01. Mai 1998 nicht die Anwendung sämtlicher zukünftiger Tarifverträge vereinbaren wollten, die an die Stelle der in Bezug genommenen Tarifverträge treten würden – mit Ausnahme der Lohn- und Gehaltestabellen sowie der Ausbildungsvergütungen. Was die Vertreter der IG Metall und des gemeinsamen Betriebes im Jahr 2010 annahmen, ist für den im ATV zum Ausdruck gekommenen Willen der Tarifvertragsparteien im Jahre 1998 unerheblich.

3. Nach Ziffer 4 c) TV-Anpassungsfonds wird, wenn der ERA-TV im Betrieb nach Ablauf der Tarifperiode 2005/2006 nicht eingeführt wird, in den folgenden Tarifperioden eine Einmalzahlung von 2,79% bis zur betrieblichen Einführung des ERA-TV ausgezahlt. Die Zahlung setzt voraus, dass der ERA-TV trotz der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einführung nicht zu dem genannten Zeitpunkt im Betrieb eingeführt ist. Besteht keine Verpflichtung zur betrieblichen Einführung, fehlt es an der Grundlage für einen Zahlungsanspruch (vgl. BAG, 14.01.2009, 5 AZR 175/08, EZA § 4 TVG Metallindustrie Nr. 134).

Für die Beklagte bestand eine entsprechende Verpflichtung, weil der ERA-TV in Verbindung mit dem ATV auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar war – bis zum 30. September 2010.

Unerheblich ist, dass die IG Metall den ATV, über den der ERA-TV zur Anwendung kommt, mit Schreiben vom 22. Juni 2010 zum 30. September 2010 gekündigt hat und seit dem 01. Januar 2011 im Betrieb der Beklagten ein „Firmentarifvertrag“ zu Anwendung kommt. Dies ändert nichts an der in der Vergangenheit bestehenden Verpflichtung der Beklagten, den ERA-TV einzuführen und an der im Jahr 2009 bestehenden Zahlungsverpflichtung gemäß Ziffer 4 c) TV-Anpassungsfonds.

Diese Verpflichtung bestand im vorliegenden Fall auch dann, wenn der ERA-TV lediglich über eine einzelvertragliche Inbezugnahme des ATV zur Anwendung käme. Zwar ist das Entgeltrahmenabkommen auf eine betriebseinheitliche Einführung hin konzipiert (vgl. Ziffer 2 ERA-Einführungstarifvertrag vom 14. April 2005). Hieraus folgt entgegen der vom LAG Saarland im Urteil vom 28. April 2010 (1 Sa 65/09, Revision beim BAG zum Aktenzeichen 5 AZR 468/10) geäußerten Ansicht nicht, dass ein Arbeitgeber im Rahmen einer einzelvertraglichen Verweisung nicht dazu verpflichtet werden kann, dass Entgeltrahmenabkommen im Betrieb einzuführen. Ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber, der mit seinen Arbeitnehmern einzelvertraglich die Anwendbarkeit der ERA-Tarifverträge vereinbart, ist ebenso wie ein tarifgebundener Arbeitgeber dazu verpflichtet, diese Tarifverträge umzusetzen. Dasselbe gilt für den nicht tarifgebundenen Arbeitgeber, der mit seinen Arbeitnehmern einzelvertraglich die Anwendbarkeit eines Anerkennungstarifvertrages vereinbart, über den dann die ERA-Tarifverträge zur Anwendung kommen. Selbst wenn in einem Betrieb ein solcher Anerkennungstarifvertrag nur für einen Teil der Arbeitnehmer anwendbar wäre – z. B. gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB – und für einen anderen Teil nicht, läge allenfalls eine der Tarifpluralität vergleichbare Konstellation vor. Nach der Rechtsprechung des 4. und des 10. Senats des BAG, der sich die erkennende Kammer anschließt, besteht kein hinreichender Grund, die in §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG angelegten Möglichkeit auszuschließen, dass für verschiedene Arbeitnehmer im Betrieb unterschiedliche Tarifverträge gelten (vgl. hierzu BAG, 27.01.2010, 4 AZR 549/08 (A), NZA 2010, 645 und BAG, 23.06.2010, 10 AS 2/10, NZA 2010, 778). Erst recht ist kein Grund für die Annahme ersichtlich, es sei unmöglich, dass für einen Teil der Belegschaft eines Betriebes die ERA-Tarifverträge gelten und einen anderen Teil nicht.

Im vorliegenden Fall ist eine solche Situation ohnehin nicht gegeben. Denn im Gemeinschaftsbetrieb kam der ATV entweder aufgrund der Abspaltung zur Aufnahme bei den Arbeitnehmern der KPM, KEZ und KSV gemäß § 3 Abs. 1 TVG zur Anwendung oder jedenfalls gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB.

Waren der ATV und damit die ERA-Tarifverträge für alle Arbeitnehmer im Gemeinschaftsbetrieb anwendbar, war das Entgeltrahmenabkommen ohnehin betriebseinheitlich einzuführen. Auch wenn möglicherweise bei einzelnen Arbeitnehmern, die nach den Betriebsübergängen eingestellt worden sind, die Anwendbarkeit des ATV nicht vereinbart worden sein sollte, änderte dies nichts an der Verpflichtung der Beklagten zur Einführung des Entgeltrahmenabkommens.

4. Der Anspruch der Klägerin scheitert schließlich auch nicht daran, dass Ziffer 4 c) TV ERA-Anpassungsfonds den Anspruch nicht abschließend regelt (vgl. BAG, 14.01.2009, 5 AZR 175/08, EZA § 4 TVG Metallindustrie Nr. 134). Denn eine vom BAG geforderte nähere Ausgestaltung ist Ziffer 5.1 und 5.2 Abs. 2 des Gehaltstarifvertrages vom 21. November 2008 (TG II) in Verbindung mit Ziffer 3.2 des Tarifvertrages über betriebliche Sonderzahlungen enthalten. Dort ist der Auszahlungszeitpunkt geregelt. Von der Möglichkeit, die ERA-Strukturkomponenten vorläufig oder teilweise nicht auszuzahlen, haben die Betriebsparteien keinen Gebrauch gemacht. In Ziffer 3.4 ist auch die Berechnung näher ausgestaltet (vgl. ebenso LAG Berlin-Brandenburg, 24.08.2011, 15 Sa 586/11).

Unerheblich ist auch, dass bei der Beklagten der Aufbau eines Anpassungsfonds nicht stattgefunden hat. Zwar sieht Ziffer 3 TV ERA-Anpassungsfonds einen solchen Fonds vor, doch ist Ziffer 4 c) dieses Tarifvertrages allein als Sanktionsnorm dafür ausgestaltet, dass der ERA-Tarifvertrag im Betrieb nicht rechtzeitig eingeführt wird. Hieran knüpft die Zahlung an, nicht an den unterlassenen Aufbau eines Anpassungsfonds (vgl. ebenso LAG Berlin-Brandenburg, 24.08.2011, 15 Sa 586/11).

5. Die Anspruchshöhe ist zwischen den Parteien nicht im Streit (2.690,00 EUR brutto x 6 Monate x 1,115 x 2,79% = 502,09 EUR brutto und 2.690,00 EUR brutto x 6 Monate x 1,090 x 2,79% = 490,83 EUR brutto).

6. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2, 247 BGB.

C.

I.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

II.

Die Revision wurde für die Beklagte zugelassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) und weil eine Divergenz zur Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 24. August 2011, 15 Sa 586/11, besteht (Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG eingelegt unter dem Aktenzeichen 5 AZN 1358/11).