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Lärmschwerhörigkeit


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 2. Senat Entscheidungsdatum 12.06.2014
Aktenzeichen L 2 U 192/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen Nr 2301 BKV, § 9 SGB 7

Leitsatz

Das Vorliegen von degenerativ bedingten Hörausfällen gerade in Frequenzbereichen, die typischerweise nicht von Lärm geschädigt werden, schließt das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit rechtlich gerade nicht aus.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. August 2012 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, bei dem Kläger das Vorliegen einer BK Nr. 2301 anzuerkennen.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt 2/3 der außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Anerkennung seiner Schwerhörigkeit als Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV – Lärmschwerhörigkeit).

Der 1948 geborene Kläger arbeitete vom 1. November 1969 bis zum 28. Februar 1981 als Tischler in der Produktion von Fertighäusern. Dabei baute er Bauelemente zusammen und benutzte hierzu unter anderem Handkreissägen und Nageleintreibgeräte. Ab März 1981 bis zum 30. April 1999 war er als Bautischler, hauptsächlich auf Baustellen und in kleinerem Umfang in einer Werkstatt tätig. Zu seinen Aufgaben gehörte es Türen aus Holz an verschiedenen Baustellen einzubauen. Er bearbeitete diese mit verschiedenen Holzbearbeitungsmaschinen vor Ort (Kreissägen, Hobelmaschinen etc.). Auch vom 1. März 2002 bis zum 28. Februar 2003, vom 5. Juli 2004 bis 31. März 2005 sowie vom 10. Oktober 2006 bis 15. Februar 2007 war er beruflich tätig, hierbei jedoch keinem Lärm ausgesetzt. Seit 1. Dezember 2005 bezieht er eine Rente der Deutschen Rentenversicherung Bayern-Süd.

Mit Bescheid vom 25. Februar 1977 ist bei dem Kläger wegen eines Arbeitsunfalls vom 2. September 1976 eine MdE von 10 v.H. anerkannt worden.

Der Kläger ist Schwerbehinderter im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales vom 10. November 2005).

Erstmalig suchte er 1993 den Facharzt für HNO-Heilkunde E wegen Hörbeschwerden und einem Ohrgeräusch auf. Dieser diagnostizierte einen beidseitigen Tinnitus sowie eine Innenohrschwerhörigkeit mit psychischer Begleitstörung und übersandte ein Audiogramm vom 10. Januar 2005. Der Facharzt für HNO-Heilkunde K führte in einem Befundbericht vom 13. November 2006 aus, der Kläger habe ihn wegen einer seit 1981 fortschreitenden Hörminderung mit Tinnitus aufgesucht. Er erstellte Audiogramme des Klägers am 12. März 2001, am 26. April 2001, am 10. Januar 2005, am 30. August 2005, am 13. September 2005, am 7. Dezember 2006, am 13. November 2006 sowie am 18. Dezember 2006.

Mit Schreiben vom 16. Oktober 2006 beantragte der Kläger die Anerkennung einer Berufskrankheit wegen einer starken Hörminderung beidseits sowie einem anhaltenden Tinnitus und führte aus, er sei von 1969 bis 1981 unerträglichem Lärm ausgesetzt gewesen.

Der Technische Aufsichtsdienst der Holz-Berufsgenossenschaft teilte mit Schreiben vom 18. Januar 2007 mit, der Kläger sei in seiner Tätigkeit von November 1969 bis Oktober 1970 sowie von August 1971 bis Februar 1981 einer Lärmbelastung von ca. 93 dB (A) ausgesetzt gewesen. Der Technische Aufsichtsdienst der Großhandels- und Lagerei-Berufsgenossenschaft teilte mit Schreiben vom 10. April 2007 mit, der Kläger sei während seiner Beschäftigung vom 2. März 1981 bis zum 30. April 1999 auf der Baustelle einer Lärmbelastung von 88 dB (A) in ca. 40 Arbeitswochen/Jahr und in der Werkstatt von 92 dB (A) in ca. fünf Arbeitswochen/Jahr ausgesetzt gewesen.

Der mit der Begutachtung des Klägers beauftragte Facharzt für HNO-Heilkunde Dr. M führte in seinem Gutachten vom 3. Mai 2007 unter anderem aus, der Kläger sei einer ausreichenden beruflichen Lärmexposition ausgesetzt gewesen. Erste Anzeichen der Schwerhörigkeit und der Ohrgeräusche hätten sich bereits 1980 und damit nach ca. elfjähriger Tätigkeit gezeigt. Bei Vergleich der Audiogramme von 2001 und des jetzt erstellten Audiogramms sei es zu keiner Zunahme der Schwerhörigkeit gekommen. Außerberufliche Faktoren seien nicht ersichtlich. Dies alles mache eine berufsbedingte Lärmschädigung wahrscheinlich, es bestehe eine haftungsbegründende Kausalität. Er empfehle, eine BK Nr. 2301 mit einer MdE von 60 v.H. anzuerkennen.

Die Beklagte holte zu diesem Gutachten eine beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. Z ein, der unter dem 2. August 2007 unter anderem ausführte, das von Dr. M erstellte Tonaudiogramm zeige einen Schrägverlauf, der untypisch für eine Lärmschwerhörigkeit sei und vielmehr das Vorliegen einer degenerativen Schwerhörigkeit nahelege. Es sei für eine Lärmschwerhörigkeit untypisch, dass auch der Tief- und Mitteltonbereich beteiligt sei. Das von Dr. M erstellte Audiogramm lasse im Übrigen sehr wohl eine Progredienz erkennen.

Die Beklagte beauftragte daraufhin die HNO-Ärztin Dr. L mit der Begutachtung des Klägers, die in ihrem Gutachten vom 28. Januar 2008 unter anderem ausführte, der Kläger sei einer ausreichenden Lärmexposition ausgesetzt gewesen. Eine andere Erkrankung als wesentliche Bedingung für die Hörstörung könne nicht wahrscheinlich gemacht werden. Die Hörstörung habe sich während der Lärmarbeit entwickelt. Sie habe sich nach 1999 (Beendigung der Lärmarbeit) im Vergleich zu dem nun am 2. Januar 2008 durchgeführten Hörtest nicht wesentlich verändert. Die audiometrischen Befunde würden eine Lärmschwerhörigkeit nicht ausschließen. Es liege eine reine Schallempfindungsschwerhörigkeit vor. Die Tonschwellenkurve von 2001 sei nicht typisch für eine Lärmschwerhörigkeit wegen des kontinuierlichen Schrägverlaufs und der fehlenden Hochtonsenke. Im fortgeschrittenen Stadium sei ein solcher Schrägverlauf aber möglich. Bei Impulslärm seien Schrägverläufe sogar typisch (Nageleintreibmaschinen). Die Hörkurven beider Seiten von 2001 und 2008 - insbesondere bei 1 kHz - seien als symmetrisch einzuschätzen, wobei besonders Differenzen im Mittelfrequenzbereich lärmbedingt möglich seien. Es werde daher empfohlen unter Einbeziehung des Tinnitus eine BK Nr. 2301 mit einer MdE von 55 v.H. anzuerkennen.

Der erneut mit der Begutachtung des Klägers beauftragte Dr. Z führte in einer weiteren beratungsärztlichen Stellungnahme vom 6. März 2008 unter anderem aus, das durch Dr. L erstellte Audiogramm zeige eine Schallleitungsstörung, die nicht durch chronischen Lärm hervorgerufen werden könne. Die Störung fließe erheblich in das Sprachaudiogramm ein, so dass es nicht geeignet sei, einen prozentualen Hörverlust festzustellen. Es sei daher nur das Tonaudiogramm heranzuziehen. Es bestehe bei dem Kläger eine erhebliche Differenz zwischen der Ermittlung des Hörverlustes aus dem Ton- gegenüber dem Sprachaudiogramm. Bei Letzterem betrage der Verlust rechts 90 % und links 70 %, bei dem Tonaudiogramm dagegen rechts 75 % und links 60 %. Derartige Unterschiede seien lärmuntypisch, da in der Regel die Tonaudiogramme höhere Werte erbringen würden. Der erneut festgestellte flache Kurvenverlauf sei ebenfalls lärmuntypisch. Auch wenn es zu Schrägverläufen bei einem fortgeschrittenen Stadium kommen könne, seien bei dem Kläger jedoch bessere Wert im Hochtonbereich gegenüber den mittleren Frequenzen gegeben. All dies sei lärmuntypisch. Eine etwaige lärmbedingte Teilursache sei nicht abgrenzbar.

Mit Schreiben vom 16. Juni 2008 teilte Dr. L nach Kenntnisnahme der Stellungnahme des Dr. Z mit, aufgrund der grenzwertigen Befundlage schließe sie sich der Einschätzung, dass eine berufsbedingte Schwerhörigkeit unwahrscheinlich sei, an.

Mit Bescheid vom 10. September 2008 lehnte die Beklagte daraufhin die Anerkennung einer BK Nr. 2301 unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Gutachter ab.

Der im Widerspruchsverfahren mit der Begutachtung des Klägers beauftragte Prof. Dr. E führte in seinem Gutachten vom 17. Juni 2009 unter anderem aus, das audiometrische Bild, so wie es sich 2001 und auch jetzt zeige, sei mit einer Lärmschwerhörigkeit alleine nicht vereinbar. Es bestehe die Möglichkeit der Abgrenzung der nicht lärmbedingten von der lärmbedingten Schwerhörigkeit durch Verwendung des Hörverlustrechners nach Liedtke nach ISO 1999. Man lege zur Berechnung der Minderung der Erwerbsfähigkeit, die nach Eingabe in den Hörverlustrechner ermittelten Werte für eine Lärmschwerhörigkeit zu Grunde und subtrahiere den Anteil einer offensichtlich hinzukommenden lärmunabhängigen Hörverlustkomponente. Unter Anwendung dieses Verfahrens schätze er bei einer Gesamt-MdE von 30 v.H. den berufsbedingten Anteil auf 15 v.H.

In einer erneuten beratungsärztlichen Stellungnahme vom 28. Juli 2009 führte Dr. Z unter anderem aus, es handele sich bei dem von Prof. Dr. E verwandten Hörverlustrechner um eine mathematische Konstruktion, die die klinische Einschätzung nicht ersetzen könne.

Auch in einer ergänzenden Stellungnahme vom 18. September 2009 hielt Prof. Dr. E die Bewertung der Schwerhörigkeit des Klägers unter Heranziehung des Hörverlustrechners für zutreffend.

Die Beklagte beauftragte daraufhin Prof. Dr. B mit der Erstellung eines weiteren Gutachtens, der unter dem 6. November 2009 unter anderem ausführte, es liege ein lärmuntypischer audiometrischer Befund vor. Damit sei eine außerberufliche Schwerhörigkeit nachgewiesen. Die theoretische Möglichkeit, dass in dieser auch ein lärmbedingter Anteil vorhanden sei, sei rein spekulativ. Insbesondere sei nicht automatisch in jeder außerberuflichen Lärmschwerhörigkeit allein aufgrund der beruflichen Belastung ein Lärmanteil enthalten. Der von Prof. Dr. E verwandte Hörverlustrechner dürfe erst dann Anwendung finden, wenn das Audiogramm überhaupt mit dem Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit vereinbar sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und stützte sich im Wesentlichen auf das Gutachten des Prof. Dr. B.

Die im anschließenden Verfahren vor dem Sozialgericht Berlin als Sachverständige bestellte Fachärztin für HNO-Heilkunde Dr. H hat in ihrem Gutachten vom 17. Februar 2012 unter anderem ausgeführt, unstreitig habe der Kläger lärmexponierte Tätigkeiten ausgeübt. Streitig sei die Kausalität der vorliegenden Schwerhörigkeit. Die für eine Lärmschwerhörigkeit geforderte Schallempfindungsschwerhörigkeit cochleärer Genese liege vor. Sowohl durch Dr. L als auch durch Prof. Dr. E und bei der jetzigen Begutachtung sei der Nachweis einer cochleären Störung - also eines sensorineuralen Schadens - geführt worden. Bei diesen Befunden erwarte man eine typische Entwicklung der Lärmschwerhörigkeit. Da diese nicht vorliege, sei die Schwerhörigkeit nicht allein mit dem Lärm erklärlich. Die theoretische Möglichkeit, dass in der Gesamt-Schwerhörigkeit ein lärmbedingter Anteil enthalten sei, bleibe rein spekulativ. Somit bleibe der kausale Zusammenhang fraglich. Der Verlustrechner nach Liedtke könne im vorliegenden Fall nicht weiterhelfen, da man am Kurvenverlauf weder nachweisen könne, ob es überhaupt zu einer lärmbedingten Hörstörung gekommen sei, noch könne man andere Beeinflussungen der Hörkurve zum Beispiel durch Vorschäden eindeutig ablesen und dadurch gegebenenfalls abziehen. Es bleibe daher aus Gründen der nicht teilbaren Kausalität zu empfehlen, die bestehende Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits und das cochleäre Ohrgeräusch beidseits nicht als BK Nr. 2301 anzuerkennen. Die Hörgeräteversorgung gehe damit nicht zulasten der Berufsgenossenschaft. Eine berufsbedingte MdE sei nicht festzustellen.

Mit Urteil vom 15. August 2012 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung unter anderem ausgeführt, unter Beachtung der im Unfallversicherungsrecht geltenden Grundsätze sei nach Überzeugung der Kammer eine Lärmschwerhörigkeit nicht nachgewiesen. Sämtliche Audiogramme würden einen lärmuntypischen Verlauf zeigen. Dies hätten letztlich sämtliche Gutachter festgestellt. So liege ein Schrägabfall von den tiefen, über die mittleren zu den hohen Frequenzen ohne eine lärmtypische Senkenbildung vor. Die erheblichen Hörverluste im Tief- und Mitteltonbereich sowie die Asymmetrie würden bereits darauf hinweisen, dass eine schicksalhafte degenerative Innenohrerkrankung vorliege. Für die Annahme des Ursachenzusammenhangs könne grundsätzlich sprechen, dass sich die Hörstörung während der Lärmexposition entwickelt habe, es sich um eine reine Innenohrschwerhörigkeit (Hörstörung der Sinneszellen des Innenohres) mit Betonung des Hörverlustes in den hohen Frequenzen (C5-Senke) handle und dass das Ausmaß und die Entwicklung der Hörstörung im adäquaten Verhältnis zur Lärmeinwirkung stehe (siehe dazu unter anderem: Schönberger/Mehrtens/Valentin, 8. Auflage 2010, Seite 321 ff.). Bei einem atypischen Kurvenverlauf, einer Diskrepanz zwischen Lärmexposition und Ausmaß der Hörstörung sowie auch bei einem Missverhältnis zwischen relativ gutem Tongehör und schlechtem Sprachverständnis spreche jedoch vieles gegen eine Lärmschwerhörigkeit (vergleiche Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O., Seite 343). Die Gutachten von Prof. Dr. E sowie von Dr. M hätten die Kammer nicht davon überzeugt, dass zumindest eine anteilige Lärmschwerhörigkeit vorliege. Auf das Gutachten der Dr. L brauche in Anbetracht der Änderung ihrer Einschätzung nicht eingegangen zu werden. Sowohl Prof. Dr. E als auch Dr. M hätten die sehr untypische Kurve gesehen, würden aber davon ausgehen, dass zumindest eine anteilige Lärmbeeinflussung gegeben sei. Dr. M stütze diese Aussage - soweit ersichtlich - darauf, dass sich die Hörstörung im Rahmen der Tätigkeit entwickelt und sich nach Abbruch dieser nicht mehr verschlimmert habe. Letzteres können nach dem Vortrag des Klägers, er habe auch von 2006 bis 2007 wieder lärmbelästigend gearbeitet, was Dr. H bereits in ihrer Begutachtung berücksichtigt habe, nicht überzeugen. Zwar sei Dr. M zuzustimmen, dass die an das Berufsleben angepasste Entwicklung der Hörstörung ein Indiz für die berufliche Verursachung sein könne. Allein ausschlaggebend könne dieses Kriterium jedoch nicht sein, insbesondere bei einem untypischen Kurvenverlauf. Prof. Dr. E stütze seine Einschätzung mithin darauf, dass sich ein lärmbedingter Teil der Erkrankung berechnen lasse. Dies möge gegebenenfalls rechnerisch durchaus möglich sein. Ausgangspunkt einer solchen anteiligen Berechnung müsse jedoch, wie Dr. H und Prof. Dr. B überzeugend dargelegt hätten, das Vorliegen einer durch Lärm bedingten Schwerhörigkeit sein. Es könne mit dem Hörverlustrechner insofern nicht nachgewiesen werden, ob eine solche Störung überhaupt vorliege, sondern nur ihr Anteil an dem Hörverlust berechnet werden. Etwas anderes habe dann zu gelten, wenn allein der Einfluss von Lärm sich immer nachweislich auf die jeweilige Schwerhörigkeit auswirke. Prof. Dr. B habe aber übereinstimmend mit der gutachterlichen Literatur nachvollziehbar dargelegt, dass nicht in jeder außerberuflichen Lärmschwerhörigkeit ein beruflicher Lärmanteil liege. Nach alledem spreche mehr gegen eine berufliche Verursachung als dafür. So liege bei dem Kläger ein sensorineuraler Schaden (Schallempfindungsschwerhörigkeit) vor. Nach den anerkannten gutachterlichen Kriterien könne eine solche Schwerhörigkeit dann als lärmbedingt angesehen werden, wenn sie sich lärmtypisch entwickelt habe. Dies sei aber in sämtlichen Audiogrammen nicht der Fall. Anhaltend seien bessere Werte im Hochtonbereich gegenüber den mittleren Frequenzen gegeben, der Kurvenverlauf sei flach und der Schrägverlauf beginne bei 125 Hz bei 30 dB und zeige ein kontinuierliches Abwandern der Hörschwelle. Typisch wäre hingegen eine Senke (Schönberger/Mertens/Valentin, a.a.O. Seite 333). Für eine berufliche Verursachung könnten insofern nur die Lärmexposition und die teilweise zeitentsprechende Entwicklung herangezogen werden. In Anbetracht der überzeugenden Ausführungen der Gutachter zu einer nicht allgemein zu vermutenden Auswirkung von Lärm bei einer Schwerhörigkeit vermöge die Kammer nicht zu erkennen, dass die berufliche Auswirkung die wesentliche Bedingung für die bei dem Kläger vorliegende Schwerhörigkeit sei.

Gegen das ihm am 24. August 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 11. September 2012 Berufung bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg erhoben und sein Begehren weiter verfolgt. Er beruft sich im Wesentlichen darauf, dass Prof. Dr. E und Dr. M trotz des lärmuntypischen Verlaufs der Audiogramme zumindest eine anteilige Kausalität der Lärmexposition an der Schwerhörigkeit des Klägers festgestellt hätten, so dass eine Berufskrankheit anzuerkennen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. August 2012 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2010 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm eine Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Berufskrankheiten-Verordnung besteht, und ihm eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 v. H. zu gewähren und ein weiteres Sachverständigengutachten zur Frage einer berufsbedingten Lärmschwerhörigkeit mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 v. H. einzuholen sowie die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Zu Unrecht hat die Beklagte es abgelehnt die bei dem Kläger unstreitig vorliegende Schwerhörigkeit als BK Nr. 2301 anzuerkennen, denn nach dem Ergebnis der Ermittlungen steht für den Senat fest, dass Ursache der Schwerhörigkeit die berufliche Lärmexposition des Klägers ist.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehört nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV die Lärmschwerhörigkeit.

Die Feststellung dieser Berufskrankheit setzt voraus, dass zum einen die arbeitstechnischen (haftungsbegründenden) Voraussetzungen in Form einer adäquaten Lärmexposition gegeben sind und dass zum anderen das typische Krankheitsbild dieser Berufskrankheit, d.h. eine Innenohrschwerhörigkeit bzw. ein Tinnitus, vorliegt und dieses im Sinne der unfallrechtlichen Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist (haftungsausfüllende Kausalität). Danach müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die (hinreichende) Wahrscheinlichkeit ausreicht (siehe hierzu Nr. 4.1 der „Empfehlungen für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit“ – „Königsteiner Merkblatt“ – 4. Aufl. 1995, abgedruckt etwa bei Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung). Der Versicherungsfall ist nach Nr. 4.3.3 Abs. 2 des „Königsteiner Merkblatts“ dann eingetreten, wenn eine lärmbedingte Hörstörung objektiv messbar ist, auch ohne dass ein messbarer Grad der MdE vorliegt.

Dass im Falle des Klägers die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 2301 vorliegen, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und folgt aus den eingeholten Stellungnahmen der Technischen Aufsichtsdienste, die Lärmpegel zwischen 88 dB (A) und 93 dB (A) für die Tätigkeiten des Klägers ermittelt haben.

Vorliegend liegen zur Überzeugung des Senates bei dem Kläger auch die medizinischen Voraussetzungen zur Anerkennung einer BK Nr. 2301 vor, denn es liegt eine Schwerhörigkeit vor, die lärmbedingt ist. Der Senat stützt sich hierbei auf die überzeugenden Gutachten der im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren tätig gewesenen Gutachter Dr. M und Dr. L sowie Prof. Dr. E. Insbesondere Dr. L hat für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass der Kläger einer ausreichenden Lärmexposition ausgesetzt war, eine andere Erkrankung als wesentliche Bedingung für die Hörstörung nicht wahrscheinlich gemacht werden kann, sich die Hörstörung während der Lärmarbeit entwickelt hat und nach Beendigung der Lärmarbeit nicht fortgeschritten ist und die audiometrischen Befunde eine Lärmschwerhörigkeit nicht ausschließen. Für eine Lärmschwerhörigkeit spricht nach ihren Ausführungen außerdem, dass es sich um eine reine Schallempfindungsschwerhörigkeit handelt, dass die Hörkurven beider Seiten sowohl 2001 als auch 2008 – insbesondere bei 1 kHz – als symmetrisch einzuschätzen sind und dass der von ihr durchgeführte SISI-Test positiv war. Gegen das Vorliegen einer lärmbedingten Schwerhörigkeit spricht damit allein der für eine solche untypische Verlauf der Tonschwellenkurven mit einem kontinuierlichen Schrägverlauf und der fehlenden Hochtonsenke. Für den Senat überzeugend hat die Gutachterin Dr. Lindemann insoweit jedoch darauf hingewiesen, dass Schrägverläufe bei Impulslärm – wie ihm der Kläger an der Nageleintreibmaschine ausgesetzt war – typisch ist und auch im fortgeschrittenem Stadium des Hörverlustes nach Feldmann (S. 167) möglich ist. Ähnlich hatte sich zuvor bereits Dr. M geäußert, der in seinem für die Beklagte erstellten Gutachten ebenfalls empfahl, das Vorliegen einer BK Nr. 2301 anzuerkennen. Bestätigt hat diese Einschätzung des Vorliegens einer BK Nr. 2301 der von der Beklagten im Berufungsverfahren als Gutachter beauftragte Prof. Dr. E, der ebenfalls – wie bereits Dr. M und Dr. L – das Vorliegen einer BK Nr. 2301 bejahte, allerdings nachvollziehbar dargelegt hat, dass der zunächst – scheinbar – untypische Verlauf der Hörkurve der Audiogramme damit zu erklären ist, dass neben der lärmbedingten Schwerhörigkeit auch eine lärmunabhängige (degenerative) Schwerhörigkeit vorliegt, die zu den Hörverlusten in den nicht vom Lärm geschädigten Frequenzen führt. Dies ist für den Senat schlüssig, nachvollziehbar und überzeugend, dem schließt er sich an.

Die beratungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. Z und des Prof. Dr. B sowie das im Klageverfahren eingeholte Gutachten der Sachverständigen Dr. H vermochten demgegenüber nicht zu überzeugen. Diese stützen ihre Ansicht im Wesentlichen darauf, dass die Hörkurve in den Audiogrammen nicht dem typischen Bild einer Lärmschwerhörigkeit entspreche. Dass dieses Argument vorliegend nicht zu einer Verneinung der Lärmschwerhörigkeit führt, steht für den Senat aber nach den Aussagen der Dr. L und des Prof. Dr. E fest.

Die Kausalitätsbetrachtungen der Dr. H, des Dr. Z und des Prof. Dr. B stellen nach Auffassung des Senats zu sehr die Frage nach einer beruflich oder –alternativ- außerberuflich-degenerativ bedingten Schwerhörigkeit in den Mittelpunkt der Ausführungen und verkennen damit die (beweis-)rechtlichen Voraussetzungen der Anerkennung einer Lärmschwerhörigkeit. Danach sind die Einwirkungen (Lärm) und die Erkrankung (Schwerhörigkeit) im Vollbeweis zu sichern, der Zusammenhang zwischen beiden ist aber nach der im Sozialrecht herrschenden Theorie von der wesentlichen Bedingung zu beurteilen. Hiernach ist es notwendig aber auch ausreichend, wenn der Lärm wesentliche Ursache der Hörstörung ist, dass weitere (wesentliche) Ursachen vorliegen, schließt den Ursachenzusammenhang gerade nicht aus. Dies verkennen Dr. H, Dr. Z und Prof. Dr. B mit ihrem wiederholten Hinweis auf degenerative Verursachungsbeiträge gerade in Frequenzen, die von typischen Lärmschwerhörigkeiten nicht betroffen sind.

Es steht außer Frage, dass beim Kläger nicht die typische Entwicklung bzw. der typische audiometrische Befund einer Lärmschwerhörigkeit vorliegt, die bzw. der sich insbesondere nach den Ausführungen des Dr. Z und des Prof. Dr. B dann zeigt, wenn die Frequenzen nicht betroffen sind, die normalerweise nur durch degenerative Veränderungen und nicht durch Lärm geschädigt werden, und somit nur die lärmtypische Hochtonsenke vorliegt. Die so beschriebene Hörstörung betrifft aber ersichtlich nur Fälle, die noch frei sind von degenerativen Veränderungen (konkurrierende Ursachen) und deshalb nur lärmbedingte Hörstörungen zeigen. Allerdings sind rechtlich nicht nur diese Fälle zu entschädigen, sondern auch die Fälle, in denen der Lärm „nur“ wesentliche Ursache der eingetretenen Hörstörung ist. Mit anderen Worten: Das Vorliegen von degenerativ bedingten Hörausfällen gerade in Frequenzbereichen, die typischerweise nicht von Lärm geschädigt werden, schließt das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit rechtlich gerade nicht aus.

So wird bei einer Vielzahl von älteren Beschäftigten ein degenerativer Gehörverlust in nicht von Lärm betroffenen Frequenzen vorliegen. Es ist kein medizinischer Grund ersichtlich und es ist rechtlich unzutreffend, diesen Personenkreis von der Entschädigung einer Lärmschwerhörigkeit auszuschließen, weil diese degenerativen Veränderungen vorliegen. Vielmehr ist diese konkurrierende Ursache nach den Grundsätzen der Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung abzuwägen gegen den Verursachungsbeitrag des Lärms.

Vor dem Hintergrund dieser rechtlichen Gegebenheiten überzeugen die Gutachten des Dr. M, der Dr. L und des Prof. Dr. E, die sich insbesondere auch damit befasst haben, dass der angeblich nicht typische Kurvenverlauf/Schrägverlauf sich mit Impulslärm erklären lässt und im späteren Stadium einer Schwerhörigkeit ohnehin auftreten kann.

Damit steht für den Senat fest, dass bei dem Kläger eine lärmbedingte Schwerhörigkeit vorliegt. Insoweit hatte die Berufung Erfolg.

Soweit der Kläger auch die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mehr als 20 v. H. beantragt hat, war seine Berufung dagegen zurückzuweisen, denn insoweit fehlt es – aus Sicht der eine Berufskrankheit bisher verneinenden Beklagten konsequenterweise – an Feststellungen zur Höhe der MdE und damit an einer im Klage- und Berufungsverfahren zu überprüfenden Verwaltungsentscheidung hierzu.

Nach alledem ist auf die Berufung des Klägers das Urteil des Sozialgerichts Berlin aufzuheben und der Klage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang stattzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.