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Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld; Aufnahme einer Beschäftigung; Arbeitslosmeldung; Beweislast


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 18. Senat Entscheidungsdatum 24.08.2011
Aktenzeichen L 18 AL 335/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 48 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 10, § 48 Abs 1 S 2 Nr 4 SGB 10, § 119 SGB 3, § 122 Abs 2 SGB 3

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. September 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Beklagte bewilligte dem 1983 geborenen Kläger, der sich am 28. Oktober 2005 arbeitslos gemeldet hatte, zuletzt mit Bescheid vom 27. März 2006 Arbeitslosengeld (Alg) vom 1. März 2006 bis 16. November 2006 in Höhe eines täglichen Leistungssatzes von 22,12 €. Am Freitag, den 1. September 2006 nahm der Kläger bei der H-B GmbH (HB) eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf, die bis zum 4. September 2006 andauerte. Ausweislich der Arbeitsbescheinigung vom 14. November 2006 hatte der Kläger ein beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 204,75 Euro erzielt.

Am 24. Oktober 2006 sprach der Kläger bei der Beklagten vor und erklärte, er habe vom 1. bis 4. September 2006 bei der HB probegearbeitet, jedoch keinen Arbeitsvertrag erhalten. Aufgrund einer Überschneidungsmitteilung vom 25. Oktober 2006 teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 6. November 2006 mit, sie habe im Hinblick auf das Beschäftigungsverhältnis des Klägers bei der HB vom 1. September 2006 bis 4. September 2006 zu prüfen, ob die Bewilligung des Alg für diesen Zeitraum aufzuheben sei und der Kläger die zu Unrecht erhaltenen Leistungen erstatten müsse. Es komme ferner eine Erstattung der entrichteten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Betracht. Dem Kläger wurde unter Hinweis auf § 24 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 30. November 2006 gegeben. Mit einem am 16. November 2006 bei der Beklagten abgegebenem Schreiben teilte der Kläger mit, er habe vom 1. September 2006 bis 4. September 2006 bei der HB gearbeitet, jedoch weder einen Arbeitsvertrag noch Geld erhalten. Auf Rat seines Augenarztes habe er die Arbeit nicht mehr weiter ausüben können. Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 21. November 2006 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg vom 1. September 2006 bis 23. Oktober 2006 ganz auf und forderte die Erstattung des überzahlten Alg in Höhe von 1.172,36 €. Mit Schreiben vom selben Datum gab die Beklagte dem Kläger Gelegenheit, zur beabsichtigten Erstattung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen von insgesamt 314,19 € für den Zeitraum 5. September 2006 bis 23. Oktober 2006 Stellung zu nehmen. Mit seinem Widerspruch gegen den Bescheid vom 21. November 2006 trug der Kläger vor, er habe am 5. September 2006 im Jobcenter Marzahn-Hellersdorf vorgesprochen. Er habe mit einer Dame vom Empfang gesprochen und habe ihr geschildert, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht bei der HB arbeiten könne. Die Dame habe geantwortet, wenn das so sei, dann könne man leider nichts machen. Nachdem die Dame auf seine Frage, was er jetzt noch tun solle, erwidert habe: „Nix. Was sollen Sie denn jetzt noch tun!“, sei er gegangen. Nachdem ihn die HB aufgefordert habe, den Arbeitsvertrag und eine schriftliche Kündigung zu unterschreiben, sei er erneut am 19. Oktober 2006 zum Jobcenter gegangen. Aufgrund eines Computerausfalls sei ihm dort lediglich eine „Bestätigung der Vorsprache“ überreicht worden. Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2006 zurück und führte unter anderem aus: Der Kläger sei ab 1. September 2006 nicht mehr beschäftigungslos gewesen und habe daher keinen Anspruch auf Alg gehabt. Da er die Aufnahme der Beschäftigung der Beklagten nicht unverzüglich mitgeteilt habe, sei die Wirkung seiner vorherigen Arbeitslosmeldung erloschen. Dementsprechend könne ihm erst wieder ab erneuter persönlicher Arbeitslosmeldung Alg gewilligt werden. Die Bewilligung sei gemäß § 48 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X iVm § 330 Absatz 3 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) vom 1. September 2006 bis 23. Oktober 2006 aufzuheben. Der Kläger habe gemäß § 50 Absatz 1 SGB X die bereits erbrachten Leistungen in Höhe von 1.172,36 Euro zu erstatten. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2006 forderte die Beklagte den Kläger auf, die für die Zeit vom 5. September 2006 bis 23. Oktober 2006 abgeführten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 314,19 € gemäß § 335 Absatz 1 Satz 1 SGB III zu erstatten. Der hiergegen gerichtete Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2007 zurückgewiesen.

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die gegen den Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2006 gerichtete Klage S 64 AL 157/07 mit der gegen den Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2007 gerichteten Klage S 60 AL 766/07 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung gemäß § 113 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verbunden. Der Kläger hat vorgetragen: Er habe am Freitag, 1. September 2006 einen Anruf der HB mit der Aufforderung, noch am selben Tag um 18.30 Uhr die Arbeit aufzunehmen, bekommen. Es sei ihm nicht mehr möglich gewesen, die Beklagte noch am selben Tag über die Arbeitsaufnahme zu informieren. Zu der von ihm geplanten Meldung am Vormittag des 4. September 2006 sei es nicht gekommen, weil er aufgrund der für ihn ungewohnten Umstellung der Schlafzeiten den Wecker überhört habe. Da er den Bestand seines Arbeitsverhältnisses nicht habe riskieren wollen, habe er sich entschlossen, pünktlich um 13 Uhr zur Arbeit bei der HB zu erscheinen und die Meldung bei der Beklagten am 5. September 2006 vorzunehmen. Während der Arbeit am 4. September 2006 habe sich sein verletzungsbedingtes Augenleiden in sehr starkem Maße bemerkbar gemacht, sodass er am Morgen des 5. September 2006 seinen Augenarzt aufgesucht habe. Dieser habe ihm dringend zur Aufgabe der Arbeit geraten. Unmittelbar nach dem Arztbesuch habe er die Agentur für Arbeit aufgesucht und auf dem Wege dorthin seinen Bekannten T B getroffen, dem er vom Ergebnis des Arztbesuches erzählt und mitgeteilt habe, dass er nun auf dem Wege zum Arbeitsamt sei, um die Sache zu klären. Am gemeinsamen Empfangsschalter des Jobcenters Marzahn-Hellersdorf und der Beklagten habe ihm eine Mitarbeiterin erklärt, es sei sehr schade, dass er die Arbeit nicht ausführen könne. Wenn es Probleme gäbe, würde sich die zuständige Bearbeiterin innerhalb von drei Tagen schriftlich bei ihm melden. Der Bescheid vom 21. November 2006 sei bereits formal rechtswidrig, da er nicht zuvor angehört worden sei. Mangels bei ihm vorhandener grober Fahrlässigkeit könne auch eine Aufhebung der Alg-Bewilligung für die Zeit ab 5. September 2006 nicht gemäß § 48 Absatz 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X erfolgen.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger die Klage insoweit zurückgenommen, als die Bewilligung von Alg für die Zeit vom 1. bis 4. September 2006 aufgehoben und eine entsprechende Rückzahlung überzahlter Leistungen verlangt worden war. Er hat ferner auf die Erklärung der Beklagten, sie ändere die angegriffenen Bescheide dahin ab, dass die Bewilligung von Alg nur bis 18. Oktober 2006 aufgehoben und eine entsprechende Erstattung von Alg sowie von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen verlangt werde, dieses Teilanerkenntnis angenommen.

Mit Urteil vom 16. September 2010 hat das SG Berlin den Bescheid vom 21. November 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2006 sowie den Bescheid vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2007 insoweit aufgehoben, als für die Zeit vom 5. September 2006 bis 18. Oktober 2006 die Bewilligung von Alg aufgehoben und die Erstattung überzahlter Leistungen verlangt wird. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Voraussetzungen gemäß § 48 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 und 4 SGB X für die Aufhebung der Bewilligung von Alg im streitigen Zeitraum seien nicht erfüllt. Zwar sei durch die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen des Klägers eingetreten. Dadurch habe seine Arbeitslosigkeit ab 1. September 2006 geendet und es habe bis zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses am 4. September 2006 kein Anspruch auf Alg bestanden. Die Wirksamkeit der vorangegangenen Arbeitslosmeldung sei indessen nicht entfallen. Dies wäre gemäß § 122 Absatz 2 Nr. 2 SGB III nur dann der Fall gewesen, wenn der Arbeitslose die Aufnahme der Beschäftigung der Agentur für Arbeit nicht unverzüglich mitgeteilt hätte. Dies lasse sich nicht feststellen. Nach seinen glaubhaften Angaben habe sich der Kläger am 5. September 2006 beim Jobcenter gemeldet. Es gäbe keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger diese Vorsprache frei erfunden habe. Insbesondere habe er geschildert, dass er aus gesundheitlichen Gründen die Beschäftigung habe aufgeben müssen. Diese Angaben seien sowohl als Mitteilung der Beschäftigungsaufnahme als auch als erneute Arbeitslosmeldung anzusehen. Dass ein entsprechender Vermerk offenbar nicht im Computer der Beklagten eingegeben worden sei, sei nicht ein zwingendes Indiz dafür, dass der Kläger weder vorgesprochen, noch bestimmte Angaben zum Grund seiner Vorsprache gemacht habe. Die Angaben seien auch unverzüglich gemacht worden. Dass der Kläger nicht schon am Montag, den 4. September 2006 vorgesprochen habe, sei in Bezug auf seine diesbezügliche Erklärung als nicht schuldhaft anzusehen. Abgesehen davon, dass von einer unverzüglichen Arbeitslosmeldung am 5. September 2006 auszugehen sei, lägen auch die subjektiven Voraussetzungen für die Aufhebung der Leistungsbewilligung nach den vorstehenden Ausführungen zur Unverzüglichkeit der Arbeitslosmeldung nicht vor. Da im streitigen Zeitraum die Bewilligung von Alg rechtmäßig gewesen sei, seien auch keine Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 335 Absatz 1 und 5 SGB III zu erstatten.

Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen dieses Urteil und trägt vor: Die Wirksamkeit der Arbeitslosmeldung des Klägers sei wegen nicht unverzüglicher Mitteilung der Arbeitsaufnahme ab 1. September 2006 und den Wegfall der Arbeitslosigkeit für die Zeit vom 1. September bis 4. September 2006 entfallen. Der Kläger habe sich nachweislich erst am 19. Oktober 2006 gemeldet. Es sei nicht glaubhaft, dass ein schriftlicher Vermerk des Jobcenters über die Mitteilung von wesentlichen Angaben wie einer Arbeitsaufnahme nicht vorgenommen sein sollte, wenn eine solche Mitteilung am „Empfang“ erfolgt wäre. Unabhängig von der Arbeitslosigkeit sei es für das Jobcenter insbesondere von entscheidungserheblicher Bedeutung, ob ein Hilfebedürftiger Einkommen erzielt oder erzielt habe. Der Kläger habe zwar später vorgetragen, dass er kein Arbeitsentgelt für die vier Arbeitstage erhalten habe, aber dies habe er wohl kaum bereits am 5. September 2006 gewusst haben können. Dass hier im besonderen Fall der Empfang für das Jobcenter und die Agentur für Arbeit in einem Raum gewesen seien, führe gerade dazu, dass die Mitarbeiter des Jobcenters angesichts der vermutlich regelmäßigen Missverständnisse zwischen den Leistungsträgern noch mehr als üblich sensibilisiert seien hinsichtlich der Belange des anderen Leistungsträgers. Angesichts der Angaben im erhaltenen Merkblatt für Arbeitslose sowie zu seiner vorherigen Erfahrungen mit dem Alg habe dem Kläger bewusst sein müssen, dass ihm zumindest für die Dauer der Arbeitsaufnahme kein Anspruch auf Alg zustehe. Die fehlenden Nachweise für die am 5. September 2006 behauptete Mitteilung gingen zu Lasten des Klägers. Soweit auf eine fehlende Anhörung für die Zeiten der Aufhebung ab 5. September 2006 abgestellt werde, könne eine solche bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens rechtmäßig nachgeholt werden (§ 41 SGB X).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 16. September 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil und trägt ergänzend vor: Es komme nicht darauf an, ob ihm bewusst gewesen sei, dass ihm mindestens für die Dauer der Arbeitsaufnahme kein Anspruch auf Arbeitslosengeld zustehe. Denn er habe die Klage, soweit sie auch diesen Zeitraum umfasst habe, zurückgenommen.

Der Senat hat am 31. Mai 2010 durch den Berichterstatter einen Erörterungstermin durchgeführt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 24. August 2011 Bezug genommen.

Die Leistungsakte der Beklagten und des Jobcenters Marzahn-Hellersdorf sowie die Gerichtsakten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 21. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 2006 und vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2007 zu Recht aufgehoben, soweit sie nach dem angenommenen Teilanerkenntnis und der teilweisen Klagerücknahme noch Gegenstand des Rechtstreits waren. Die Bescheide sind insoweit rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.

Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung der Alg-Bewilligung im hier allein noch streitigen Zeitraum vom 5. September 2006 bis 18. Oktober 2010 ist § 48 SGB X iVm § 330 Abs. 3 SGB III. Danach muss ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, sobald in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihm nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) oder er wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebene Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X), und die Fristen des § 48 Abs. 4 SGB X eingehalten sind.

Zwar war durch die Aufnahme einer auf mehr als 15 Wochenstunden angelegten Beschäftigung bei der HB am 1. September 2006 eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen des Klägers eingetreten, denn dadurch war die Verfügbarkeit des Klägers und mithin die Arbeitslosigkeit iSd § 119 SGB III entfallen. Im Hinblick auf die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses am 4. September 2006 haben jedoch die Voraussetzungen nach § 118 Abs. 1 Nr. 1 und 3 iVm § 119 SGB III für einen Anspruch auf Alg ab 5. September 2006 erneut vorgelegen. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse wäre (auch) für den Zeitraum ab 5. September 2006 allerdings eingetreten, wenn die der Alg-Bewilligung vom 27. März 2006 zugrunde liegende Arbeitslosmeldung als eine nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 SGB III den Leistungsanspruch begründende Voraussetzung entfallen wäre. Die Wirkung der Meldung ist nicht schon durch die Beschäftigung des Klägers vom 1. bis 4. September 2006 bei der HB entfallen. Insoweit handelte es sich lediglich um eine nicht mehr als sechswöchige und mithin nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 SGB III für den Fortbestand der Arbeitslosmeldung unschädliche Unterbrechung der Arbeitslosigkeit. Die Wirkung der Meldung wäre allerdings nach § 122 Abs. 2 Nr. 2 SGB III mit der Aufnahme der – die Arbeitslosigkeit beendenden – Beschäftigung erloschen, wenn der Kläger diese der Agentur für Arbeit nicht unverzüglich mitgeteilt hätte.

Der Senat kann indes bei der erforderlichen Gesamtbewertung aller Umstände nicht im erforderlichen Vollbeweis feststellen, dass der Kläger die Aufnahme der Beschäftigung nicht unverzüglich mitgeteilt hatte. Unverzüglich bedeutet ohne schuldhaftes Zögern. Die Mitteilung muss nicht zwingend sofort vorgenommen werden. Dem Arbeitslosen bleibt vielmehr eine angemessene Zeit zur Reaktion. Der angemessene Zeitraum kann nicht generell festgelegt werden, sondern hängt von der gesamten Lebenssituation des Arbeitslosen ab. Zwar dürfte im Allgemeinen eine Mitteilung, die später als drei Tage nach Beginn der Beschäftigung erfolgt, nicht mehr unverzüglich sein (vgl LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 5. März 2004 – L 8 AL 3169/03 - juris; Steinmeyer in Gagel, SGB III, Stand: Januar 2005, § 122 Rn. 47). Im Hinblick auf den hier vorliegenden Sachverhalt ist der Senat aber der Auffassung, dass auch die vom Kläger behauptete Mitteilung am 4. Tag nach der Arbeitsaufnahme (5. September 2006) noch als unverzüglich anzusehen wäre. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger – entgegen dem im Merkblatt für Arbeitslose der Beklagten erweckten Eindruck, ein Arbeitsloser habe vor Aufnahme der Beschäftigung die damit eintretende Unterbrechung der Arbeitslosigkeit mitzuteilen - nicht verpflichtet war, bereits vor Aufnahme seiner am 1. September 2006 begonnenen Tätigkeit Meldung zu erstatten. Hinsichtlich der ihm ab Aufnahme der Beschäftigung zustehenden angemessenen Reaktionszeit muss weiterhin zu seinen Gunsten ins Gewicht fallen, dass wegen des an den Beginn der Tätigkeit unmittelbar anschließenden Wochenendes eine Meldung frühestens am Montag, den 3. Oktober 2006, bei der Agentur für Arbeit vorgenommen werden konnte. Dementsprechend hätte dem Kläger nach den konkreten Umständen – anders als im Falle einer Arbeitsaufnahme bei Wochenbeginn – bei strikter Anwendung der „Dreitageregel“ letztlich nur ein Tag für die Erfüllung seiner Meldepflicht zur Verfügung gestanden, was nicht als angemessen anzusehen ist. Der vorliegende Geschehensablauf rechtfertigt es, dem Kläger zumindest noch einen weiteren Tag als Reaktionszeit zuzubilligen, sodass eine Meldung am 5. September 2006 als rechtzeitig anzusehen wäre.

Es kann zwar nicht zur vollen Überzeugung des Senats festgestellt werden, dass der Kläger am 5. September 2006 der Agentur für Arbeit vorgesprochen und die Beschäftigungsaufnahme mitgeteilt hat. Dafür spricht allerdings, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat detailliert und nachvollziehbar geschildert hat, dass er sich am 5. September 2006 nach dem Besuch des Augenarztes zur Arbeitsagentur begeben habe, um dort die Beschäftigungsaufnahme mitzuteilen. Die Angaben des Klägers hierzu waren stimmig und stimmten in allen wesentlichen Punkten mit dem Vorbringen im Widerspruchsverfahren und im erstinstanzlichen Verfahren überein. Ernstliche Bedenken gegen die Richtigkeit dieser Angaben ergeben sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger im Verwaltungsverfahren erst mit dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 21. November 2006 und nicht schon mit dem am 16. November 2006 bei der Beklagten abgegebenen Schreiben auf eine Vorsprache am 5. September 2006 hingewiesen hatte. Da der Kläger vor Erlass des Bescheides vom 21. November 2006 aufgrund des Anhörungsschreibens vom 6. November 2006 lediglich mit einer Rücknahme der Alg-Bewilligung für den Beschäftigungszeitraum zu rechnen hatte, bestand für ihn zu diesem Zeitpunkt noch kein zwingender Anlass, die für die dann getroffene Aufhebungsentscheidung für den Zeitraum nach Aufgabe der Beschäftigung maßgeblichen Gesichtpunkte mitzuteilen. Gegen die Annahme einer Vorsprache des Klägers am 5. September 2006 spricht auch nicht der Umstand, dass darüber entgegen der üblichen Praxis weder von der Agentur für Arbeit noch vom Jobcenter ein Vermerk erstellt worden ist. Der gerichtliche Alltag zeigt, dass die Beklagte und ihre Dienststellen wie auch die Jobcenter (verständlicherweise) nicht völlig fehlerlos arbeiten und funktionieren. Der nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck glaubwürdig erscheinende Kläger vermochte jedoch den Senat nicht voll davon zu überzeugen, dass seine Ausführungen bei der Vorsprache im gemeinsamen Empfangsbereich der Agentur für Arbeit Marzahn-Hellersdorf und des Jobcenters Marzahn-Hellersdorf aus Sicht eines objektiven Empfängers als Anzeige der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bzw. als Arbeitslosmeldung zu interpretieren waren. Sein Vorbringen in der mündlichen Verhandlung zum Inhalt dieser Vorsprache blieb ausgesprochen vage. Er gab zwar an, dass er der Dame am Empfangstresen die Aufnahme der Arbeit am 1. September 2006 und ihre spätere Beendigung aus gesundheitlichen Gründen mitgeteilt habe. An den genauen Ablauf des Gespräches konnte er sich jedoch nicht erinnern und relativierte seine vorherigen Angaben damit, er meine schon, dass er die Sachlage ordentlich dargelegt und insbesondere auf seinen Alg-Bezug hingewiesen habe. Da auch die zeitnäher erfolgten Angaben des Klägers in der Widerspruchsbegründung nicht präziser gehalten sind („Ich war am 5. September 2006 im Jobcenter Marzahn-Hellersdorf, um meine Situation bei der Firma H B zuschildern“), kann der Ablauf des Gespräches am 5. September 2006 aufgrund der Angaben des Klägers nicht hinreichend geklärt werden. Insoweit bestehen auch keine weiteren Ermittlungsmöglichkeiten, da der Kläger in der mündlichen Verhandlung auch keine näheren Angaben zur Person der „Dame am Empfangstresen“ machen konnte. Nach alledem hält es der Senat zwar für möglich, aber nicht für erwiesen, dass der Kläger am 5. September 2006 und mithin unverzüglich im Sinne des § 122 Abs. 1 Nr. 2 SGB III der Beklagten die Aufnahme seiner Beschäftigung bei der HB mitgeteilt hat.

Die Unerweislichkeit einer Tatsache geht grundsätzlich zu Lasten des Beteiligten, der aus ihr eine ihm günstige Rechtsfolge herleiten will. Während denjenigen, der sich auf einen Anspruch beruft, die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen trifft, ist derjenige, der das geltend gemachte Recht bestreitet, für die rechtsvernichtenden, rechtshindernden oder rechtshemmenden Tatsachen beweispflichtig. Die Verteilung der Beweislast bestimmt sich nach der für den Rechtsstreit maßgeblichen materiell-rechtlichen Norm (vgl BSGE 6, 70, 72 f; BSGE 71, 256, 260 = SozR 3-4100 § 119 Nr. 7, S. 28, S. 32 mwN).

Bezogen auf die hier streitentscheidende Norm des § 48 Abs. 1 SGB X bedeutet dies, dass die Beweis- bzw. Feststellungslast für das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse gegenüber denjenigen Verhältnissen, die den ursprünglichen begünstigenden Verwaltungsakt rechtfertigten, grundsätzlich die Behörde, vorliegend also die Beklagte, trägt (vgl BSG, Urteil vom 8. September 2009 – B 11 AL 4/09 R -, juris, mwN), weil sie den Wegfall einer Anspruchsvoraussetzung geltend macht. Zu beachten ist aber, dass die Beklagte nach diesen Grundsätzen die Beweislast allein für die (negative) Tatsache der unterbliebenen Meldung zu tragen hätte. Eine Beweislastumkehr ist für bestimmte Fallgestaltungen anerkannt, in denen etwa der Gegner der beweisbelasteten Partei den Beweis vereitelt oder erschwert oder die Beweisführung unmöglich ist, weil die zu beweisenden Tatsachen sich im Bereich des Gegners abgespielt haben und dieser an der ihm möglichen Sachverhaltsaufklärung nicht oder nicht rechtzeitig mitgewirkt hat (vgl insgesamt BSGE 95, 57, 64 = SozR 4-1300 § 48 Nr. 6; auch BSG SozR 4-1500 § 128 Nr. 5), also etwa in Konstellationen, in denen in der persönlichen Sphäre oder in der Verantwortungssphäre des Arbeitslosen wurzelnde Vorgänge nicht mehr aufklärbar sind, das heißt wenn eine besondere Beweisnähe des Betroffenen vorliegt. Die in arbeitsförderungsrechtlichen Angelegenheiten zuständigen Senate des Bundessozialgerichts haben dies vor allem bei unterlassenen Angaben zu Vermögenswerten bei der Antragstellung von Arbeitslosenhilfe angenommen (vgl BSGE 96, 238, 245f., BSG, Urteile vom 24. Mai 2006 – B 11a AL 49/05 R -, vom 13. September 2006 – B 11a AL 13/06 R, vom 21. März 2007 – B 11a 13/06 R – und vom 28. August 2007 – B 7/7a AL 10/06 R – alle juris). Diese Erwägungen sind auf die vorliegende Fallgestaltung indessen nicht übertragbar. Denn die Frage der (unterbliebenen) Meldung einer für den Alg-Anspruch wesentlichen Aufnahme einer Beschäftigung berührt die Verantwortungssphäre des Arbeitslosen wie die der Beklagten gleichermaßen. Die Beklagte wäre im Widerspruchsverfahren durchaus in der Lage gewesen, die Behauptung des Klägers, er habe die Beschäftigungsaufnahme rechtzeitig angezeigt, zu überprüfen. So hätte sie zB zeitnah Nachfragen an die am 5. September 2006 im Empfangsbereich tätigen Mitarbeiterinnen richten können. Anhaltspunkte dafür, dass sie entsprechende Anstrengungen unternommen hatte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Es bleibt daher dabei, dass die Beklagte die Beweislast für die Nichtfeststellbarkeit der Tatsachen trägt, aus denen sich eine unterbliebene unverzügliche Meldung des Klägers ergibt.

Die Beklagte verlangt hinsichtlich des streitbefangenen Zeitraums auch zu Unrecht die Erstattung von Alg sowie von Krankenversicherungs- und Pflegeversicherungsbeiträgen. Die insoweit in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlagen des § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X bzw. des § 335 Abs. 1 und 5 SGB III setzen voraus, dass die Bewilligung von Alg für den betreffenden Zeitraum rechtmäßig bzw bestandskräftig aufgehoben worden ist, was hier nicht der Fall ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.