Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 24. Senat | Entscheidungsdatum | 06.09.2013 | |
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Aktenzeichen | L 24 KA 133/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 85 Abs 4 SGB 5, § 87 SGB 5 |
Abschnitt III Ziffer 3.2.2 des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 29. Oktober 2004 zur Festlegung von Regelleistungsvolumen (BRLV) durch die kassenärztlichen Vereinigungen gemäß § 85 Abs. 4 SGB V zum 1. Januar 2005 ist auch dann verbindlich, wenn ein Honorarverteilungsvertrag keine eigene die Förderpflicht für Gemeinschaftspraxen und MVZ im früheren § 87 Abs. 2a S. 1 SGB V umsetzende Regelung trifft, auch wenn ansonsten die Übergangsvorschrift III Ziffer 2.2 BRLV einschlägig ist (wie Urteil vom heutigen Tage L1 KR 132/11). Dies galt auch nach dem 1. April 2007.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Im Streit stehen die Honorarbescheide der Beklagten für die Klägerin für die Quartale 2007/I, 2007/III, 2007/IV, 2008/I und 2008/II.
Die Klägerin ist als medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) nach § 95 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zur vertragsärztlichen Tätigkeit zugelassen. In den Quartalen 2007/I und 2007/III waren bei ihr zwei Ärzte, eine Gynäkologin und ein Chirurg, sowie ab dem Quartal 2007/IV drei Ärzte, zwei Gynäkologen und ein Chirurg tätig.
Die Beklagte bewilligte ihr mit Honorarbescheid vom 26. Juli 2007 für das Quartal 2007/I ein Bruttohonorar in Höhe von 83.444,09 Euro.
Die Klägerin erhob Widerspruch (Eingang: 17. August 2007) und rügte die Verwendung eines Korrekturfaktors von 1,0 sowie die dabei zu Grunde gelegte Zählung hausinterner gemeinsamer Behandlungsfälle. Es gebe über 15 % gemeinsame Fälle der beiden Ärzte.
Mit bestandskräftigem Bescheid vom 8. Januar 2008 setzte die Beklagte den Korrekturfaktor für die Quartale 2007/III und 2007/IV auf 1,25 fest. (Bescheid vom 8. Januar 2008).
Sie gewährte mit Bescheid vom 24. Januar 2008 für das Quartal 2007/III ein Bruttohonorar in Höhe von 86.668,24 Euro. Der Korrekturfaktor betrug dabei 1,25.
Die Klägerin erhob Widerspruch und beantragte eine abweichende Regelung der Leistungssteuerung nach B der Richtlinie zum Honorarverteilungsvertrag (RiliHVV) vom 1. Oktober 2007. Danach sei eine Abänderung erforderlich, wenn eine Überschreitung des Regelleistungsvolumens um mindestens 15 % vorliege.
Die Beklagte wies den Widerspruch gegen den Honorarbescheid vom 26. Juli 2007 mit Widerspruchsbescheid vom 29. April 2008 zurück. Der einschlägige, für das streitgegenständliche Quartal maßgebliche Honorarverteilungsvertrag (HVV) vom 1. Juli 2006 und die RiliHVV seien richtig angewendet worden. Die Bildung der durchschnittlichen Fallzahl und der Grenzfallpunktzahl sei entsprechend § 10 HVV erfolgt. Der reale Korrekturfaktor habe bei 0,89 gelegen, so dass der zu Grunde gelegte richtig sei. Eine Erhöhung des Korrekturfaktors aufgrund einer besonderen Praxisstruktur nach D Nr. 5.1 RiliHVV scheide aus, da bei der Klägerin im streitigen Quartal nur zwei Ärzte beschäftigt gewesen seien.
Eine Erhöhung der Grenzfallpunktzahl sei nicht möglich, da weder ein besonderes Leistungsspektrum noch eine besondere Patientenstruktur vorläge.
Die Beklagte bewilligte bereits zuvor mit Honorarbescheid vom 24. April 2008 für das Quartal 2007/IV ein Bruttohonorar in Höhe von 131.722,04 Euro.
Die Klägerin erhob Widerspruch. Die Beklagte habe bereits mit bestandskräftigen Bescheid vom 8. Januar 2008 einen Korrekturfaktor von 1,25 bewilligt.
Gegen den Honorarbescheid für das Quartal 2007/I hat die Klägerin am 28. Mai 2008 Klage vor dem Sozialgericht Potsdam (SG) erhoben (Eingang: 28. Mai 2008).
Mit Honorarbescheid vom 24. Juli 2008 hat die Beklagte für das Quartal 2008/I ein Bruttohonorar in Höhe von 133.528,70 Euro bewilligt.
Die Klägerin hat auch hier Widerspruch erhoben (vom 16. September 2008).
Die Beklagte hat mit Honorarbescheid vom 23. Oktober 2008 der Klägerin für das Quartal 2008/II ein Bruttohonorar in Höhe von 138.779,43 Euro bewilligt.
Auch hiergegen ist Widerspruch (vom 19. November 2008) eingelegt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2008 hat die Beklagte den Widerspruch betreffend das Quartal 2007/III zurück gewiesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2008 hat sie den Widerspruch vom 20. Mai 2008 (Quartal 2007/IV) zurückgewiesen. Nach C Nr. 3 RiliHVV erfolge bei Veränderungen – hier Tätigkeit von jetzt drei Ärzten – innerhalb bestehender Praxen eine Neuberechnung der Parameter und des Korrekturfaktors von Amtswegen. Der rechnerische Korrekturfaktor im Basiszeitraum 2006/IV bis 2007/III habe 0,99 betragen, so dass der Klägerin ein Korrekturfaktor von 1,00 zuzuordnen gewesen sei. Eine Anpassung der relevanten Parameter nach § 10 und 11 HVV habe nicht erfolgen dürfen.
Gegen die Honorarbescheide für die Quartale 2007/III und 2007/IV in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 21. November 2008 bzw. 8. Dezember 2008 hat die Klägerin am 5. Dezember 2008 Klage beim SG erhoben. (AZ: S 1 KA 218/08).
Die Beklagte hat zuletzt mit Widerspruchsbescheiden vom 28. Mai 2009 bzw. vom 29. Mai 2009 die Widersprüche gegen den Honorarbescheid für 2008/II bzw. bezüglich des Quartals 2008/I zurückgewiesen.
Die Klägerin hat auch insoweit am 17. Juni 2009 Klage erhoben (AZ: SG Potsdam S 1 KA 58/09).
Das SG hat mit Beschluss vom 7. September 2011 die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Die Klägerin hat unter anderem vorgebracht, Besonderheiten als MVZ seien nicht berücksichtigt worden. So solle nach D Nr. 4 RiliHVV eine Korrektur der Vergütung erfolgen, wenn ein besonderer Versorgungsbedarf bestehe. Die chirurgische Praxis erbringe überdurchschnittliche Fallzahlen im Verhältnis zur Arztgruppe der Chirurgen. Im streitgegenständlichen Zeitpunkt habe es dort nur fünf niedergelassene Chirurgen gegeben. Auch könne die Berechnung des Regelleistungsvolumens nicht richtig seien. Der durchschnittliche Leistungsaufwand je Fall sei bei der Klägerin durch den Chirurgen geprägt. Im Quartal 2007/III habe der durchschnittliche Aufwand beispielsweise bei 713 Punkten und im Quartal 2007/IV bei 723 Punkten gelegen. Zugebilligt habe die Beklagte jedoch nur 617 Punkte. Nach der RiliHVV sei eine Entscheidung aufgrund der Versorgungs- und Sicherstellungsfunktion der Beklagten notwendig gewesen. Unter Berücksichtigung des bestandskräftigen Bescheides vom 8. Januar 2008 hätte der Korrekturfaktor im Quartal 2007/IV nicht auf 1,0 abgesenkt werden dürfen. Zuletzt sei die Zählung der Behandlungsfälle nicht richtig.
Die Beklagte hat unter anderem vorgebracht, was ein Behandlungsfall sei, sei immer nach den Vorgaben der Bundesmantelverträge ermittelt worden. Die Klägerin hingegen habe bei ihrer Zählung die Arztfälle zu Grunde gelegt.
Das SG hat mit Urteil vom 7. September 2011 die streitgegenständlichen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, in den streitigen Quartalen sei jeweils der durch das Landesschiedsamt festgesetzte HVV ab dem 1. Juli 2006 anzuwenden gewesen, zuletzt in der Fassung des 3. Nachtrages. Dessen Rechtmäßigkeit habe es bereits wiederholt festgestellt.
Zu Unrecht habe die Beklagte jedoch in ihrem HVV die verbindliche Vorgabe unter III Ziffer 3.2.2. Satz 2 des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 29. Oktober 2004 zur Festlegung von Regelleistungsvolumen durch die kassenärztlichen Vereinigungen gemäß § 85 Abs. 4 SGB V mit Wirkung zum 1. Januar 2005 (Deutsches Ärzteblatt 101, Ausgabe 46 vom 12.11.2004, Seite A-3129= B-2649 = C-2525; BRLV) nicht umgesetzt.
Die Vorgabe des Bewertungsausschusses spiegele sich weder in dem Honorarverteilungsvertrag noch in der Richtlinie zum Honorarverteilungsvertrag ausreichend wider. § 10 Abs. 5 HVV regele lediglich, dass die Regelungen zur Bildung des Regelleistungsvolumens einer Arztpraxis entsprechend für Gemeinschaftspraxen und medizinische Versorgungszentren gelten.
Entgegen ihrer Auffassung könne sich die Beklagte hier nicht mit Erfolg auf die ebenfalls im Abschnitt III (nachfolgend nicht mehr mitzitiert) zu findende Ziffer 2.2 BRLV berufen. Das grundlegende gesetzgeberische Ziel - die Bildung von arztgruppenspezifischen Grenzwerten und einen festen Punktwert - habe die Beklagte zwar in dem HVV umgesetzt, weil diese Vorgaben des Gesetzgebers bereits in dem zuvor geltenden HVM der Beklagten enthalten gewesen seien. Sie habe jedoch bei der Bildung der Regelleistungsvolumina für Gemeinschaftspraxen und MVZ nicht die Vorgaben des Bewertungsausschusses berücksichtigt. Allein die Nutzung des Korrekturfaktors zur Erweiterung des Regelleistungsvolumens anhand der Behandlungsfälle werde den Organisationsformen einer Gemeinschaftspraxis oder der eines medizinischen Versorgungszentrums nicht gerecht. Diese würden insbesondere unter Berücksichtigung der Definition eines Behandlungsfalles in diesen Kooperationsformen nach den Regelungen der Bundesmantelverträge ggf. benachteiligt (§ 21 Abs. 1 Satz 7 BMV-Ä und § 25 Abs. 1 Satz 7 EKV- Ä). Danach gälten alle in einer Einrichtung nach § 311 SGB V oder einem medizinischen Versorgungszentrum bei einem Versicherten pro Quartal erbrachten Leistungen als ein Behandlungsfall. Das Bundessozialgericht habe dazu ausgeführt, dass diese normativ verbindlichen Regelungen grundsätzlich auch für die Honorarverteilung der KÄVn gälten und zwar unabhängig davon, dass in einer Einrichtung nach § 311 Abs. 2 SGB V Leistungen verschiedener Arztgruppen erbracht werden könnten und die Behandlungsdichte im einzelnen Behandlungsfall deshalb möglicherweise höher sei als bei Behandlungsfällen in einer einzelnen Arztpraxis. Insbesondere die Bezugnahme auf das medizinische Versorgungszentrum im Sinne von § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V lasse erkennen, dass die Partner der Bundesmantelverträge das Problem gesehen hätten, dass in derartigen ärztlich geleiteten Einrichtungen für den einzelnen Patienten Leistungen auf verschiedenen Fachgebieten erbracht werden können. Gerade unter Beachtung dessen werde diese Organisationsformen jedoch gegenüber Einzelpraxen benachteiligt.
Die Ermächtigung für die Sonderregelung in Ziffer 3.2.2 BRLV ergebe sich als expliziter Regelungsauftrag an den Bewertungsausschuss aus § 87 Abs. 2 a Satz 1 SGB V, wonach Gemeinschaftspraxen und andere Kooperationsformen zu fördern seien (Bezugnahme auf BSG, Urt. v. 17.03.2010 -B 6 KA 41/08 R- SozR 4-2500 § 87 Nr. 21).
Die in D Nr. 5.1 RiLiHVV vorgesehene Regelung zur Förderung dieser Organisationsformen werde den verbindlichen Vorgaben des Bewertungsausschusses nicht gerecht, da hier mindestens drei Ärzte tätig sein müssten und der Nachweis eines Anteils von mehr als 15% gemeinsamer Fälle erfolgen müsse. Die Regelung werde auch von der Öffnungsklausel in Ziffer 2.2 BRLV nicht gedeckt. Denn die Öffnungsklausel verlange eine Vergleichbarkeit der Auswirkungen der Steuerungsinstrumente, also der Honorarverteilungsergebnisse, die sie bewirkten. Eine Vergleichbarkeit der Ziele genüge nicht (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 17. März 2010, B 6 KA 43/08 R, in: SozR 4-2500 § 85 Nr. 54). Entgegen der Ansicht der Beklagten sei die Vorgabe des Bewertungsausschusses in Ziffer 3.2.2. BRLV umzusetzen gewesen. Der Beschluss des Bewertungsausschusses regele in Ziffer 3.2.2 ausdrücklich, dass für Gemeinschaftspraxen und medizinische Versorgungszentren ein Aufschlag zur Fallpunktzahl zu erfolgen habe. Fehle eine derartige Regelung, sei nach § 85 Abs. 4 Satz 10 SGB V die Vorgabe des Bewertungsausschusses Bestandteil des Honorarvertrages. Die insoweit hier nur in der Richtlinie zum HVV enthaltene, mit den Vorgaben des Bewertungsausschusses nicht vereinbare Regelung sei daher als nachrangig anzusehen. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen der Normengeltung und -hierarchie folge hieraus, dass die im Verhältnis zu den höherrangigen Regelungen des Bewertungsausschusses nachrangigen Bestimmungen des HVV rechtswidrig und damit unwirksam seien (Bezugnahme auf BSG, Urt. v. 3.02.2010 – B 6 KA 31/08 R – SozR 4-2500 § 85 Nr. 53 m. w. N.). Dass die im Beschluss des Bewertungsausschusses geregelte Begünstigung von Gemeinschaftspraxen, medizinischen Versorgungszentren und ähnlichen Einrichtungen rechtmäßig sei, habe die Rechtsprechung zwischenzeitlich bestätigt (Bezugnahme auf BSG, SozR 4-2500 § 87 Nr. 21 m. w. N.).
Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung der Beklagten vom 14. November 2011, die sich allerdings nicht gegen die im Urteil zusätzlich ausgesprochene Verpflichtung wendet, beim Honorarbescheid 2007/IV einen Korrekturfaktor von 1,25 zu Grunde zu legen.
Die Anwendbarkeit der Ziffer 3.2.2 BRLV hänge davon ab, ob die bei der Klägerin bis zum 31. März 2005 vorhandenen Steuerungsinstrumente mit den Vorgaben des § 85 Abs. 4 SGB V vergleichbar gewesen sei. Auch das BSG habe in seiner Entscheidung vom 17. März 2010 (B 6 KA 43/08 R) zum Ausdruck gebracht, dass es vorrangig auf die im Gesetz normierten Mechanismen fester Punktwert und arztgruppenspezifische Grenzwerte ankomme, aus denen sachlogisch folge, dass bei deren Vorhandensein den gesetzgeberischen Vorgaben weitgehend entsprochen werde. Der Gesetzgeber sehe in § 85 Abs. 4 SGB V keine besondere Honorarverteilungsregelungen für Gemeinschaftspraxen und Medizinische Versorgungszentren vor. Das Vorhandensein derartiger Vorschriften im Honorarverteilungsvertrag bis zum 31. März 2005 sei damit keine Tatbestandsvoraussetzung für deren Fortgeltung mit der Folge der Nichtanwendbarkeit des BRLV gewesen.
Der Regelungsauftrag des Gesetzgebers an den Bewertungsausschuss in § 87 Abs. 2a SGB V, sei im Rahmen der Leistungsbewertung im einheitlichen Bewertungsmaßstabe ergangen und habe in Ziffer 2.2 BRLV keine Berücksichtigung gefunden. Zur Frage der Anwendbarkeit der Ziffer 2.2 BRLV habe der 6. Senat des BSG bereits mehrfach in ihrem Sinne entschieden (Urteile vom 3. Februar 2010 -B 6 KA 31/08 R; 17. März 2010 -B 6 KA 43/08 R; 18. August 2010 -B 6 KA 27/09; 14. Dezember 2011 -B 6 2012 -B 6 KA30/11R, juris). An der Honorarverteilungssystematik hätten die Vertragspartner bis zum 31. Dezember 2008 grundsätzlich nichts geändert und die weitere Fortgeltung auf die jeweiligen Verlängerungen der Übergangsregelung gestützt.
Die inhaltliche Ausgestaltung der fortgeführten Honorarverteilungsregelungen erfüllten zudem die tatbestandlichen Anforderungen der Übergangsregelung. Insofern unterschieden sich die Honorarverteilungsregelungen der Beklagten entscheidend von denen, die bisher in den o. g. Verfahren vor dem Bundessozialgericht einer Überprüfung unterzogen worden seien und sämtliche als nicht unter die Übergangsregelung des Abschnitts III Ziffer 2.2 des o. g. Beschlusses fallend beurteilt worden seien. Aus der Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der fortgeführten Honorarverteilungsregelungen folge deren uneingeschränkte Anwendung bei der Honorarfestsetzung des hier streitbefangenen Quartals und die Nichtanwendbarkeit der einzelnen Vorgaben der Ziffer 3 BRLV. Abweichendes folge auch nicht aus der von der Klägerin angeführten Entscheidung des BSG vom 17. März 2010 (B 6 KA 41/08 R). Denn hierbei sei es lediglich um die Frage gegangen, ob der Bewertungsausschuss eine gesetzliche Ermächtigung zur Regelung der in Ziffer 3.2.2 BRLV enthaltenen Inhalte besessen habe. Eine solche Regelungskompetenz habe sie nicht in Frage gestellt.
Das BSG habe bereits in seiner Entscheidung vom 14. Dezember 2011 (B 6 KA 6/11 R) klargestellt, dass Modifizierungen der Honorarverteilung, die nicht systemrelevant seien und nicht von den Vorgaben des § 85 Abs. 4 Satz 6-8 SGB V wegführten, der Annahme der Fortführung nicht entgegenstünden. Auch hieran werde deutlich, dass allein die gesetzlichen Vorgaben relevant seien, nicht aber die Vorgaben der Beschlussfassung des Bewertungsausschusses.
Die Beklagte beantragt,
das Urteils des Sozialgericht Potsdam vom 7. September 2011 aufzuheben, insoweit die Beklagte verpflichtet wurde, über den Honoraranspruch der Klägerin in den Quartalen I/2007 und III/2007 bis II/2008 unter Anwendung der Ziffer 3.2.2 Satz 2 des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 29. Oktober 2004 zur Festlegung von Regelleistungsvolumen neu zu bescheiden und die Klagen insofern abzuweisen
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Beklagte zu Recht unter Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide zur Neubescheidung verpflichtet.
Gemäß § 85 Abs. 4 Satz 1 SGB V in der hier maßgeblichen Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes -GMG- (vom 24.November 2003, BGBl I 2190) verteilt die Beklagte die Gesamtvergütungen an die Vertragsärzte. Sie wendet dabei ab dem 1. Juli 2004 gemäß Satz 2 den gemeinsam und einheitlich mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen erstmalig bis zum 30. April 2004 zu vereinbarenden Verteilungsmaßstab (Honorarverteilungsvertrag) an. Bei der Verteilung der Gesamtvergütung sind Art und Umfang der Leistungen der Vertragsärzte zu Grunde zu legen; dabei ist jeweils für die von den Krankenkassen einer Kassenart gezahlten Vergütungsbeträge ein Punktwert in gleicher Höhe festzulegen. Der Verteilungsmaßstab hat sicherzustellen, dass die Gesamtvergütungen gleichmäßig auf das gesamte Jahr verteilt werden. Der Verteilungsmaßstab hat Regelungen zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Vertragsarztes vorzusehen. Insbesondere sind arztgruppenspezifische Grenzwerte festzulegen, bis zu denen die von einer Arztpraxis erbrachten Leistungen mit festen Punktwerten zu vergüten sind (Regelleistungsvolumina). Für den Fall der Überschreitung der Grenzwerte ist vorzusehen, dass die den Grenzwert überschreitende Leistungsmenge mit abgestaffelten Punktwerten vergütet wird (§ 85 Abs. 4 Sätze 1 bis 8 SGB V).
Der Bewertungsausschuss bestimmt Kriterien zur Verteilung der Gesamtvergütung nach Absatz 4 der Vorschrift sowie den Inhalt der nach Abs. 4 Satz 4, 6, 7 und 8 zu treffenden Regelungen, d. h. zur Vergütung psychotherapeutischer Leistungen, zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit eines Vertragsarztes, zu arztgruppenspezifischen Grenzwerten (Regelleistungsvolumina) und zur Vergütung der den Grenzwert überschreitenden Leistungen mit abgestaffelten Punktwerten. Die vom Bewertungsausschuss getroffenen Regelungen sind nach § 85 Abs. 4 Satz 10 SGB V Bestandteil der Honorarverteilungsverträge.
Dieser Verpflichtung ist der Bewertungsausschuss mit dem BRLV nachgekommen.
Bestandteil des Beschlusses ist dabei dessen Ziffer 3.2.2 im Abschnitt III.
Ziffer 3.2.2. Satz 2 BRLV lautet
„Für diese Gemeinschaftspraxen, medizinischen Versorgungszentren und Praxen mit angestellten Ärzten, die nicht einer Leistungsbeschränkung gemäß den Bedarfsplanungs-Richtlinien oder den Richtlinien über die Beschäftigung von angestellten Praxisärzten in der Vertragsarztpraxis (Angestellte-Ärzte Richtlinien) unterliegen, gilt folgende Regelung:
Die zutreffende Fallpunktzahl wird unter Berücksichtigung eines Aufschlages von
- 130 Punkten für arztgruppen- und schwerpunktgleiche Gemeinschaftspraxen und Praxen mit angestellten Ärzten, die nicht einer Leistungsbeschränkung unterliegen,
- 30 Punkten je in einer arztgruppen- oder schwerpunktübergreifenden Gemeinschaftspraxis oder einem medizinischen Versorgungszentrum repräsentierten Fachgebiet oder Schwerpunkt, jedoch mindestens 130 Punkten und höchstens 220 Punkten errechnet.“
Gemäß der Übergangsregelung in der Beschlussfassung des Bewertungsausschusses Ziffer 2.2 können allerdings Steuerungsinstrumente, die den Auswirkungen mit der gesetzlichen Regelung in § 85 Abs. 4 5GB V vergleichbar sind, im Einvernehmen mit den Krankenkassen auf Landesebene fortgeführt werden.
Die Beklagte kann sich insoweit aber nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der HVV in Anwendung der Ziffer 2.2 BRLV eine Übernahme der Ziffer 3.2.2 S. 2 BRLV obsolet mache.
Der Senat teilt vielmehr die Auffassung des SG, dass der einschlägige HVV zwar grundsätzlich wirksam ist, jedoch die bindende Vorgabe der Ziffer 3.2.2. S. 2 BRLV nicht ausreichend umgesetzt wurde:
Hierzu wird zunächst auf die Ausführungen des SG im angegriffenen Urteil nach § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verwiesen.
§ 87 Abs. 2a S. 1 SGB V stellte einen expliziten Regelungsauftrag dar. Dieser tritt zusätzlich zu § 85 Abs. 4 SGB V:
Das BSG führt dazu im Urteil vom 17. März 2010 (– B 6 KA 41/08 R –) wörtlich aus:
(Rdnr.16)
„Bei der Neufassung des EBM-Ä zum 1.4.2005, durch die der Bewertungsausschuss die Übergangsphase nach dem Auslaufen der Praxisbudgets zum 30.6.2003 beendet hat, konnte der Normgeber an die frühere Regelung im EBM-Ä und dazu ergangene Rechtsprechung anknüpfen. Zudem war er nach § 87 Abs 2a Satz 1 SGB V in der ab 1.1.2004 geltenden Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) gehalten, Besonderheiten kooperativer Versorgungsformen zu berücksichtigen. Dieser gesetzliche Auftrag ist im Gesetzgebungsverfahren zum GMG dahin interpretiert worden, der Bewertungsausschuss sei verpflichtet, bei der Zusammenfassung von Einzelleistungen zu Leistungskomplexen und Fallpauschalen die Besonderheiten von Gemeinschaftspraxen und anderen Kooperationsformen zu berücksichtigen. Zur Begründung dieses Regelungsziels ist darauf hingewiesen worden, der anfallende Betreuungsaufwand pro Patient bei der Behandlung durch eine kooperative Versorgungsform im Vergleich zur Behandlung durch eine Einzelpraxis sei höher, da in der kooperativen Versorgungsform oftmals mehrere Ärzte an der Behandlung beteiligt seien. Zur Förderung der Versorgung durch kooperative Versorgungsformen, beispielsweise medizinische Versorgungszentren, sollten spezifische Fallpauschalen entwickelt werden, die den Besonderheiten dieser Versorgungsform Rechnung tragen . Im Hinblick auf diese spezialgesetzliche Ermächtigung konnte sich der Bewertungsausschuss für die Regelungen in Nr 5.1 in Teil I der Allgemeinen Bestimmungen des EBM-Ä und in Nr 3.2.2 in Teil III des BRLV nicht nur auf die allgemeine gesetzliche Ermächtigung des § 87 Abs 2 SGB V, sondern auf den expliziten Regelungsauftrag des § 87 Abs 2a Satz 1 SGB V stützen.“
Der Bundesgesetzgeber durfte einen solchen Regelungsauftrag auch erteilen.
Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich gehindert sein könnte, im Rahmen von Regelungen der vertragsärztlichen Vergütung vorzugeben, dass die Leistungserbringung in kooperativer Berufsausübung besonders zu berücksichtigen sei, bestünden nach Auffassung des BSG allerdings nicht. Solange die Vorgaben nicht bewirkten, dass wegen der begrenzten Gesamtvergütungen die Förderung der Gemeinschaftspraxis in der Weise zu Lasten der Einzelpraxen geht, dass diese nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden könne, sei der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sehr weit (BSG., a. a. O. Rdnr. 17).
Der Bewertungsausschuss musste also die verbindliche Vorgabe des Bundesgesetzgebers zur Förderung der Gemeinschaftspraxen und MVZ beachten, die bis zum 31. März 2007 in § 87 Abs. 2a SGB V enthalten war (bis zum Inkrafttreten der Änderungen durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV Wettbewerbsstärkungsgesetz – GKV-WSG] Vom 26. März 2007).
Die erfolgte Umsetzung in Ziffer 3.2.2 BRLV trägt dem Rechnung.
Sie gilt auch vorrangig gegenüber dem HVV, ungeachtet der Ziffer 2.2 BRLV:
Dies ergibt sich bereits aus allgemeinen Erwägungen zum Verhältnis der Regelungen des Bewertungsausschusses zu denen eines HVV.
Ganz allgemein gilt nämlich, dass die Regelungen des Bewertungsausschusses denjenigen des HVV vorgehen.
Dies folgt daraus, dass in § 85 Abs. 4 Satz 6 bis 8 i. V. m. Abs. 4a Satz 1 letzter Teilsatz SGB V vorgesehen ist, dass "der Bewertungsausschuss … den Inhalt der nach Absatz 4 Satz 4, 6, 7 und 8 zu treffenden Regelungen" bestimmt. Zudem ist in § 85 Abs 4 Satz 10 SGB V normiert, dass "die vom Bewertungsausschuss nach Absatz 4a Satz 1 getroffenen Regelungen … Bestandteil der Vereinbarungen nach Satz 2" sind.
Durch diese beiden Regelungen ist klargestellt, dass der Inhalt des HVV sich nach den vom Bewertungsausschuss normierten Vorgaben zu richten hat und dass diese Regelungen des Bewertungsausschusses Bestandteil des HVV sind. Aus beidem folgt jeweils, dass die Bestimmungen des HVV nachrangig gegenüber den Vorgaben des Bewertungsausschusses sind, sodass der HVV zurücktreten muss, soweit ein Widerspruch zwischen ihm und den Vorgaben des Bewertungsausschusses vorliegt, es sei denn, dieser hätte Spielräume für die Vertragspartner des HVV gelassen (so weitgehend wörtlich, BSG, Urt. v. 3.02.2010 - B 6 KA 31/08 R - Juris Rdnr. 21).
Soweit es das Verhältnis der Ziffern 2.2 zu 3.2.2 BRLV betrifft, könnte nur eine bereits bestehende Honorarregelung, welche dem Förderungsgebot in § 87 Abs. 2a S. 1 SGB V in gleicher Weise Rechnung trägt, an Stelle der vom Bewertungsausschuss selbst getroffenen Regelung Wirksamkeit beanspruchen. Nur insoweit könnte über Ziffer 2.2 BRLV ein Spielraum im vorgenannten Sinne bestehen. Bereits bestehende Honorarregelungen können also in einengender Anwendung der Übergangsvorschrift nur als Alternativregelungen zu Ziffer 3.2.2 BLRV Fortgeltung beanspruchen.
Folgte man hingegen der Auffassung der Beklagten, aufgrund Ziffer 2.2 BRLV bliebe auch 3.2.2. BRLV unanwendbar, verstieße Ziffer 2.2 BRLV gegen die Förderpflicht des § 87 Abs. 2a S. 1 SGB V und wäre generell unwirksam.
Der HVV selbst und die dazu ergangene Richtlinie sind als Alternativregel zur Förderung der Gemeinschaftspraxen und MVZs unzureichend, wie bereits das SG herausgearbeitet hat:
Der HVV selbst enthält keine Regelung, welche als Förderung der Gemeinschaftspraxen und MVZ angesehen werden könnte.
D 5 RiLiHVV lautet:
„Weist eine Gemeinschaftspraxis, Einrichtung nach § 311 Abs. 2 SGB V oder MVZ nach § 95 SGB V mit mehr als drei Ärzten einen Anteil von mehr als 15 % gemeinsamer Fälle nach, deren Berücksichtigung zu einer Überschreitung des Korrekturfaktors führen würde, wird auf Antrag der Korrekturfaktor der Gemeinschaftspraxis oder des medizinischen Versorgungszentrums um 0,25 maximal auf 1,5 angehoben.“
Zum einen wären Gemeinschaftspraxen und MVZ nicht erst ab einer Größe von vier Ärzten zu fördern gewesen.
Dass dies speziell bei einer Konstellation wie hier -Gynäkologie und Chirurgie- ausgeschlossen oder auch nur geringer wäre, ist nicht ersichtlich. Beispielsweise kann in einem Quartal eine Patientin zusätzlich zu einer Routineuntersuchung bei ihrer Gynäkologin aufgrund eines Unfalls den Chirurgen aufsuchen.
Außerdem stellt die Regelung in der RiLiHVV nur auf eine ausnahmsweise Beseitigung einer sich bei der Honorarabrechnung ergebenden Benachteiligung ab. Eine Förderung ist aber bereits begrifflich mehr als die Vermeidung einer Benachteiligung.
An der Verbindlichkeit der Ziffer 3.2.2 BRLV ändert sich auch nichts, weil in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum die bundesgesetzliche Regelungsvorgabe des § 87 Abs. 2a S. 1 SGB V bereits zum 1. April 2007 durch Neufassung des Absatzes im GKV-WSG wieder außer Kraft getreten ist.
Es bleibt nämlich beim Vorrang des Beschlusses des Bewertungsausschusses vor den Regelungen des HVV, dessen Wirkung erst durch den Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses in der 7. Sitzung vom 27./28. August 2008 mit Wirkung zum 1. September 2008 beendet worden ist.
Einem Klageerfolg steht auch nicht entgegen, dass das gesetzgeberische Förderziel für die längst abgelaufenen Quartale nicht mehr erreicht werden kann.
Zwar kann eine neu zu konzipierende Honorarverteilungsregelung keine Steuerungswirkungen mehr für die Leistungserbringung in diesem Quartal erzielen. Dies ist indessen nicht entscheidend.
Vom Streitgegenstand her kommt es maßgebend darauf an, ob die streitgegenständlichen Honorarbescheide rechtmäßig sind, was voraussetzt, dass die ihnen zugrunde liegende Honorarverteilungsregelung wirksam war. Diese Frage kann im vorliegenden Verfahren entschieden werden.
Erweist sich der HVV als rechtswidrig, so muss die Honorarverteilung neu geregelt werden, auch wenn die neue Honorarverteilung die mit solchen Regelungen an sich verbundenen Steuerungsziele nicht mehr realisieren kann.
(so wiederum weitgehend wörtlich: BSG, Urteil vom 17. März 2010 –B 6 KA 43/10 juris Rdnr. 12).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Gründe zur Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich sowohl auf Ebene des Bundesgesetzgebers als auch hinsichtlich der Regelungen des Bewertungsausschusses um abgelaufenes Recht.