Gericht | OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 23.09.2013 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | 9 UF 135/13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
I.
Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 24. Juli 2013 - Az.: 21 F 142/13 - zu Ziffer II (Aufenthaltsbestimmungsrecht für S… und J… G…) aufgehoben.
Der Kindesmutter wird auf ihren Antrag vom 5. August 2013 im Weg der einstweiligen Anordnung vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder S… G…, geboren am …. Oktober 2009, und J… G…, geboren am …. September 2006, übertragen.
II.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
III.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.500 EUR festgesetzt.
VI.
Der Kindesmutter wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin … in T… bewilligt.
Dem Kindesvater wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung der Kanzlei … in B… und von Rechtsanwalt … in G… als Verkehrsanwalt bewilligt.
I.
Die getrennt lebenden gemeinsam sorgeberechtigten Kindeseltern haben auf Antrag des Kindesvaters, dem die Kindesmutter mit einem Gegenantrag begegnet ist, um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre vier Kinder D… G…, geboren am …. September 2003, V… G…, geboren am …. März 2005 sowie die hier betroffenen J… G… und S… G… gestritten. Die Kindesmutter hat inzwischen ein weiteres Kind entbunden, das von ihrem jetzigen Lebensgefährten abstammt.
Die vier gemeinschaftlichen Kinder lebten seit der Trennung der Eltern im April 2012 im Haushalt der Kindesmutter in M…. Der Vater zog zurück nach G…, wo die Familie zuvor gewohnt hatte und wo weiterhin Verwandte des Vaters leben.
In dem Hauptsacheverfahren betreffend das Aufenthaltsbestimmungsrecht (Amtsgericht Bad Liebenwerda, Az.: 21 F 91/12) hat das Amtsgericht ein psychologisches Sachverständigen-Gutachten eingeholt und am 9. Juli 2013 die Kinder angehört. Dabei ergab sich, dass die Einschulung J… unmittelbar bevorstand. Am 10. Juli 2013 fand ein umfassender Anhörungstermin statt, in dem die Eltern, der Verfahrensbeistand und das Jugendamt angehört wurden und in dem die Sachverständige ihr Gutachten mündlich erläutert hat. In diesem Termin vereinbarten die Eltern, dass D… ihren Lebensmittelpunkt künftig bei der Mutter haben soll und erklärten insoweit das Verfahren für erledigt. Im Hinblick auf die weiteren drei Kinder sprachen sich sowohl das Jugendamt als auch die Kindeseltern gegen eine Geschwistertrennung aus. Der Verfahrensbeistand, der mit Bericht vom 24. September 2012 empfohlen hatte, dass die Kinder V… und J… ihren Lebensmittelpunkt beim Vater haben sollten, hat am 10. Juli 2013 keine klare Stellungnahme abgegeben, jedoch gemeint, beide Eltern seien mit der Betreuung von lediglich zwei Kindern nicht in der Gefahr der Überforderung. Die Sachverständige empfahl, J… und S… zum Vater wechseln zu lassen.
Im Anschluss an den Termin erließ das Amtsgericht von Amts wegen einen Beschluss, in dem angekündigt wurde, es sei der Erlass einer einstweiligen Anordnung beabsichtigt, und zwar solle der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für V… und dem Kindesvater das Aufenthaltsbestimmungsrecht für J… und S… übertragen werden. Das ermögliche die Überprüfung der Empfehlungen der Sachverständigen nach einer gewissen Zeit.
Dem haben das Jugendamt und die Kindesmutter unter Hinweis auf das Kindeswohl widersprochen. Der Kindesvater hat den Hinweis „zur Kenntnis genommen“.
Mit Beschluss vom 24. Juli 2013 hat das Amtsgericht – wie angekündigt – im Weg einstweiliger Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für V… auf die Kindesmutter und für J… und S… auf den Kindesvater übertragen. In der Folge sind J… und S… zum Vater gewechselt. J… ist in G… zu Beginn des Monats September 2013 eingeschult worden.
Die Mutter hat gegen den am 25. Juli 2013 zugestellten Beschluss mit am 5. August 2013 eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung verbunden. Der Vater ist dem entgegengetreten.
Die Beteiligten sind schriftlich angehört worden. Das Jugendamt hat sich dem Antrag der Mutter angeschlossen, der Verfahrensbeistand hat innerhalb der antragsgemäß verlängerten Frist nicht Stellung genommen
II.
Die Beschwerde gegen die einstweilige Anordnung ist gemäß § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG zulässig. Dies setzt voraus, dass die angefochtene Entscheidung „aufgrund mündlicher Erörterung“ ergangen ist. Das ist hier der Fall, obwohl die mündliche Erörterung, d.h. die persönliche Anhörung der betroffenen Kinder und der übrigen Beteiligten formell in einem anderen Verfahren, nämlich dem Hauptsacheverfahren zum Az. 21 F 91/12 erfolgt ist. Der Erlass der einstweiligen Anordnung beruht jedoch auf der ausführlichen Anhörung vom 9. und 10. Juli 2013 zur Hauptsache, wie sich aus dem unmittelbar folgenden gerichtlichen Hinweis und aus dem angefochtenen Beschluss selbst ergibt. Mithin war die Anhörung unmittelbar Grundlage der Entscheidung. In einem solchen Fall ist es unerheblich, unter welchem Aktenzeichen die Anhörung erfolgte (so auch: OLG Hamm, Beschluss vom 14. November 2011, Az.: II-8 UF 172/11; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 2. März 2011, Az.: 6 WF 222/10; jeweils zitiert nach juris).
Die Beschwerde hat schon deshalb Erfolg, weil das Amtsgericht eine einstweilige Anordnung nicht hätte erlassen dürfen. In der Sache ging es um einen Streit der Eltern um die (teilweise) Auflösung des gemeinsamen Sorgerechts gemäß § 1671 BGB. Dabei handelt es sich um ein Antragsverfahren. Von Amts wegen kann ein Gericht insoweit nicht tätig werden, wie sich aus § 1671 Abs. 1 BGB eindeutig ergibt. In Antragsverfahren darf eine einstweilige Anordnung ebenfalls nur auf Antrag erlassen werden, § 51 Abs. 1 S. 1 FamFG. Ein derartiger Antrag ist nicht gestellt worden. Nicht einmal nach der Ankündigung des auch nur teilweise seinem Begehren entsprechenden Vorgehens durch das Amtsgericht (der Vater wollte jedenfalls auch V… zu sich holen und insoweit eine Geschwistertrennung verhindern) hat der Kindesvater nachträglich einen entsprechenden Antrag gestellt. Vielmehr hat er ausdrücklich den Hinweis des Amtsgerichts nur „zur Kenntnis genommen“. Auch im Beschwerdeverfahren hat er – anders als die Kindesmutter, keinen entsprechenden Antrag gestellt.
Außer dem Fehlen eines Antrags mangelt es aber auch an der notwendigen Voraussetzung eines dringenden Bedürfnisses für die einstweilige Anordnung gemäß § 49 FamFG. Ein derartiges Eilbedürfnis fehlt schon deshalb, weil die Hauptsache ohne Weiteres entscheidungsreif ist. Das Amtsgericht hat alle Beteiligten ausführlich angehört sowie ein schriftliches Sachverständigen-Gutachten eingeholt, das mündlich erläutert wurde. Weder ist erkennbar, dass objektiv weitere Aufklärung erforderlich ist, noch hat das Amtsgericht auch nur angedeutet, dass es weiter ermitteln wolle. Im Gegenteil ergibt sich aus der Begründung für die einstweilige Anordnung, dass deren Ziel eine Art „Versuchsphase“ sein sollte, um möglicherweise Erkenntnisse zu gewinnen, wie sich eine Geschwistertrennung und Aufteilung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die familiären Beziehungen auswirkt. Ein derartiges Vorgehen ist unzulässig. Gerichte sind verpflichtet, in Kindschaftssachen zügig nach Abschluss der notwendigen Ermittlungen über die gestellten Anträge zu entscheiden (§ 155 Abs. 1 FamFG). Auch wenn sich aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse und unterschiedlicher Einschätzungen der Beteiligten gelegentlich – wie hier – die Prognose als sehr schwierig darstellen kann, welche Entscheidung für das Wohl der betroffenen Kinder die beste Lösung darstellen wird, muss das Gericht eine solche Prognoseentscheidung treffen. „Probeläufe“ und übergangsweise Versuchsanordnungen bergen die erhebliche Gefahr der Schädigung des Kindeswohls und sind unzulässig. Die Kinder haben als Ausfluss ihres Persönlichkeitsrechts und Anspruchs auf Schutz der Familie (Art. 2; 6 Abs. 2 GG) einen Anspruch darauf, dass über ihr weiteres Schicksal so schnell wie möglich entschieden wird, damit sie aus der Phase der Ungewissheit herauskommen und wissen, wo sie künftig leben werden und wie sich ihre Beziehungen zu Eltern und Geschwistern gestalten. Das zeigt sich insbesondere hier, wo die Eltern in erheblicher Entfernung voneinander leben, die Trennung von Geschwistern „erprobt“ wird und der Umgang mit der Restfamilie aufgrund der Zerstrittenheit der Eltern äußerst problematisch erscheint. Zudem ist unberücksichtigt geblieben, dass auch noch die Einschulungsphase für J… betroffen ist, der ohnehin als verunsichert, emotional belastet und zu depressiver Verstimmung neigend beschrieben wird.
Die bloße Aufhebung der getroffenen einstweiligen Anordnung würde nur dazu führen, dass der umstrittene und ungeregelte Zustand – gemeinsames Sorgerecht bei massivem Streit über den Aufenthalt der Kinder – wieder hergestellt würde. Es ist jedoch erforderlich, den ohne Not geschaffenen Aufenthaltswechsel der Kinder rückgängig zu machen, bis abschließend über das Aufenthaltsbestimmungsrecht entschieden ist. Deshalb war dem nur von der Mutter in der Beschwerdeinstanz gestellten Antrag auf einstweilige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts stattzugeben, damit die Geschwistertrennung beendet wird. Eine einstweilige Übertragung auf den Vater kam schon mangels entsprechenden Antrags nicht in Betracht.
Der Senat verkennt nicht, dass sich insbesondere für J… durch den Wechsel zurück zur Mutter, verbunden mit der Einschulung in einer anderen Schule eine erneute Belastung ergeben könnte. Andererseits dürften aber keine allzu großen Probleme entstehen, insbesondere wenn nunmehr schnell eine Rückführung zur Mutter erfolgt. Angesichts der nur kurzen Zeit einer Beschulung in G… und der Tatsache, dass die Einschulung bei der Mutter bereits vorgesehen war und J… dort an bestehende Freundschaften anknüpfen kann, wird er wohl auch die aufgrund des früheren Schulbeginns verpasste Zeit nachholen können, ohne dass dies dem Kindeswohl zuwider liefe.
Allerdings besteht das Risiko, dass das Amtsgericht in der Hauptsache wiederum eine Entscheidung trifft, die einen nochmaligen Wechsel der hier betroffenen Kinder nach sich ziehen könnte, was mit einem erneuten Schulwechsel für J… einhergehen würde. Der Senat hält allerdings nach vorläufiger Bewertung durchaus auch eine Entscheidung für möglich, welche nicht nur der Geschwisterbindung, sondern auch den Grundsatz der Kontinuität ein stärkeres Gewicht beimisst, so dass mindestens eine gleichwertige Möglichkeit besteht, dass kein erneuter Wechsel für die Kinder erforderlich wird.
Der Senat hat über die Beschwerde gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG im schriftlichen Verfahren entschieden, da die Beteiligten sämtlich vor kurzer Zeit im Hauptsacheverfahren durch das Amtsgericht angehört worden sind und von einer erneuten Anhörung keine weitere Aufklärung für das einstweilige Anordnungsverfahren zu erwarten war.
Angesichts der hier getroffenen Entscheidung über die Beschwerde selbst hat sich eine vorherige Entscheidung über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung erübrigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG. Im Hinblick auf das erstinstanzliche Verfahren bleibt es bei der durch das Amtsgericht getroffenen Kostenentscheidung.
Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus §§ 40 Abs. 1, 41 und 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 70 Abs. 4 FamFG).
III.
Die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe für die Kindesmutter beruht auf §§ 76 Abs. 1; 78 Abs. 2 FamFG; 114; 115; 119 Abs. 1 S. 1 ZPO; diejenige für den Kindesvater auf §§ 76 Abs. 1; 78 Abs. 2 FamFG; 114; 115; 119 Abs. 1 S. 2 ZPO.