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Beschwerde; Anordnung der aufschiebenden Wirkung; Aufenthaltserlaubnis; Ehegatten; Spracherfordernis; Dänemark-Ehe; Visumverfahren; Nachholung; Zumutbarkeit; eheliche Beistandsgemeinschaft; Pflegebedürftigkeit; Pflege durch Ehegatten


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat Entscheidungsdatum 03.08.2011
Aktenzeichen OVG 2 S 44.11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 146 Abs 4 S 6 VwGO, § 5 Abs 2 S 2 AufenthG, § 30 Abs 1 S 1 Nr 2 AufenthG, Art 6 GG

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. April 2011 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragsgegners bleibt ohne Erfolg. Der angefochtene Beschluss, mit dem das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 7. Februar 2011 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 25. Januar 2011 angeordnet hat, ist nicht aus den von diesem dargelegten Gründen, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, zu beanstanden.

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass der die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ablehnende Bescheid vom 25. Januar 2011 zwar nicht offensichtlich rechtswidrig sei, eine Folgenabwägung aber ergebe, dass dem privaten Interesse der Antragsteller an einer Aussetzung der Vollziehung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides der Vorrang gebühre.

Der Einwand des Antragsgegners, die Antragstellerin sei nach dem Eindruck, den sie im persönlichen Gespräch vermittelt habe, nicht in der Lage, sich auf einfache Weise in der deutschen Sprache zu verständigen, ist nicht geeignet, die Würdigung des Verwaltungsgerichts zu entkräften, es lasse sich bei summarischer Prüfung nicht feststellen, ob die Antragstellerin sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen könne (§§ 28 Abs. 1 Satz 5, 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG) oder ob sie von diesem Erfordernis befreit sein könnte. Die Belegung eines Sprachkurses hat die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren durch die Vorlage von Teilnahmebestätigungen vom 31. Januar 2011 und vom 31. Mai 2011 nachgewiesen. Es ist spricht daher einiges dafür, dass sie sich in dem für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt in einfacher Weise in deutscher Sprache verständigen kann.

Ohne Erfolg bleiben die Angriffe des Antragsgegners gegen die Würdigung des Verwaltungsgerichts, dass es den Antragstellern nicht zumutbar sei, das Visumverfahren nachzuholen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Fall 2 AufenthG), denn mit der erheblichen Pflegebedürftigkeit des Antragstellers und dem Erbringen der Pflege durch die Antragstellerin lägen vorliegend individuelle Besonderheiten vor, die eine auch nur vorübergehende Trennung der Eheleute zur Nachholung des Visumverfahrens als unzumutbar erscheinen ließen. Soweit der Antragsgegner darauf hinweist, dass es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe von Familie nach Art. 6 GG grundsätzlich vereinbar ist, den ausländischen Ehegatten auf die Einholung eines erforderlichen Visums zu verweisen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Mai 2011 - 2 BvR 1367/10 -, juris Rn. 15; BVerwG, Urteil vom 11. Januar 2011 - 1 C 23.09 -, Rn. 34), stellt dies die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht in Frage. Denn von diesem Grundsatz ist auch das Verwaltungsgericht in der angefochtenen Entscheidung ausgegangen. Es hat jedoch die Gewährung verfassungsrechtlichen Schutzes bei Eheleuten stets dann für geboten erachtet, wenn einer der Partner aufgrund individueller Besonderheiten, insbesondere wegen Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder psychischer Not mehr als im Regelfall üblich auf den persönlichen Beistand des anderen Ehegatten angewiesen ist und daher eine auch kurzfristige Unterbrechung der familiären Bindungen unzumutbar ist. Die Richtigkeit dieses verfassungsrechtlichen Ansatzes greift der Antragsgegner nicht an. Er macht lediglich geltend, dass die Ehe der Antragsteller, geschlossen am 14. Januar 2011 in Dänemark, erst von sehr kurzer Dauer sei. Der Antragsteller sei auch vor der Einreis der Antragstellerin hilfebedürftig gewesen und es sei ihm in diesem Zeitraum möglich gewesen, anderweitige Hilfe zu organisieren. Ihm sei daher zuzumuten, für den überschaubaren Zeitraum der Nachholung des Visumverfahrens wieder auf seine vorherige Pflegemöglichkeit zurückzugreifen.

Diese Argumentation verkennt die Schutzwirkungen des Art. 6 GG. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht in der bereits zitierten Entscheidung (a.a.O., Rn. 20 f.) ausgeführt:

„Die Reichweite der Schutzwirkungen des Art. 6 GG wird insoweit von den das verfassungsrechtliche Bild von Ehe und Familie auch im Allgemeinen prägenden Regelungen der § 1353 Abs. 1 Satz 2, §§ 1626 ff. BGB mitbestimmt (vgl. BVerfGE 76, 1 <43>; BVerfGK 7, 49 <57>). § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB hält die Ehegatten an, füreinander Verantwortung zu tragen. Diese Pflicht beinhaltet wechselseitigen Beistand in Zeiten der Bedrängnis und insbesondere in Zeiten besonderer körperlicher und seelischer Belastungen. (….) Das Selbstbestimmungsrecht der Ehegatten hinsichtlich der persönlichen Lebensführung und die Bestimmung des grundrechtlichen Schutzes auch anhand § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB sind für § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auslegungsleitend. Kommt es für die aufenthaltsrechtliche Erheblichkeit der ehelichen Beistandsgemeinschaft nicht darauf an, ob die von dem ausländischen Ehegatten tatsächlich erbrachte Lebenshilfe auch von anderen Personen erbracht werden kann, so wird in der Regel davon auszugehen sein, dass die Nachholung des Visumverfahrens nicht zumutbar im Sinne von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ist. Dementsprechend werden auch in der aufenthaltsrechtlichen Kommentarliteratur und der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte Krankheit und Pflegebedürftigkeit des Ehepartners, die diesen mehr als im Regelfall auf persönlichen Beistand angewiesen sein lassen, als verfassungsrechtlich gebotene Anwendungsfälle von § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG genannt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 25. September 2008 - 2 M 184/08 -, juris Rn. 4; Bäuerle, in: GK-AufenthG, § 5 Rn. 174 <Juni 2007>, jeweils m.w.N.).“

Auf den Umstand, dass die Ehe erst im Januar 2011 geschlossen wurde, kommt es für die verfassungsrechtliche Bewertung nicht an. Die verfassungsrechtlichen Schutzwirkungen treten bereits mit der Eheschließung und dem Bestehen einer ehelichen Beistandsgemeinschaft ein und nicht erst zu einem späteren Zeitpunkt. Dass zwischen den Antragstellern eine schutzwürdige eheliche Beistandsgemeinschaft besteht, stellt der Antragsgegner nicht in Abrede.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).