Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 26. Senat | Entscheidungsdatum | 04.04.2014 | |
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Aktenzeichen | L 26 AS 1621/13 B PKH | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 99 Abs 3 Ns 3 SGG, § 16 SGB 2, §§ 81ff SGB 3, §§ 74ff SGB 3, § 16f SGB 2, § 81 Abs 1 Nr 3 SGB 3, § 180 Abs 4 SGB 3 |
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. Juni 2013 aufgehoben. Der Klägerin wird für das Verfahren bei dem Sozialgericht Berlin für die Zeit ab dem 21. Februar 2013 Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung von Monatsraten und aus dem Vermögen zu zahlenden Beträgen unter Beiordnung von Rechtsanwältin M bewilligt.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Klägerin gegen den den Antrag auf Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts ist zulässig und begründet. Sie hat Anspruch auf Prozesskostenhilfe gemäß § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i. V. m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Nach § 114 Abs. 1 ZPO erhält ein Prozessbeteiligter auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn er nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann und wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten ist auf den für das Hauptsacheverfahren zugrunde zu legenden Sachantrag zu beziehen. Hieran anknüpfend ist eine hinreichende Erfolgsaussicht gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt der Kläger aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder für zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht gegebenenfalls von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. A. 2012, § 73 a RdNr. 7a).
Unter Zugrundelegung dieser Vorgaben ist die hinreichende Erfolgsaussicht hier zu bejahen.
Die Erfolgsaussichten der Beschwerde sind nicht deshalb zu verneinen, weil die Klägerin, die ursprünglich beantragt hatte, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 11. Januar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Januar 2013 zu verpflichten, eine Ausbildung zur Logopädin zu fördern, nunmehr nach Antritt der Maßnahme ab dem 01. September 2013 die Verurteilung des Beklagten zur Erstattung der Ausbildungskosten für die Weiterbildung zur Logopädin bei „D S GmbH“ beantragt. Denn wenn wie hier statt der ursprünglichen Leistung eine andere Leistung, wie dies bei einer Kostenerstattung statt einer Sachleistung der Fall ist, verlangt wird, liegt nach § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG keine Klageänderung vor (vgl. Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 38/05 R -, zitiert nach juris).
Die Entscheidung, welche Rechtsgrundlage den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch stützen könnte, hängt u. a. davon ab, ob die Ausbildung zur Logopädin eine berufliche Weiterbildung oder eine Berufsausbildung ist. Zwar gehen die Beteiligten und das Sozialgericht ohne weiteres davon aus, dass nur die Übernahme von Weiterbildungskosten zu prüfen ist. Allerdings ist der formlose Antrag der Klägerin unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Anspruchsgrundlagen zu prüfen, was auch eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt von Ausbildungs- statt Weiterbildungskosten beinhaltet. Ob es sich bei der Ausbildung zur Logopädin um eine Aus- oder Weiterbildung handelt, lässt sich ohne weitere Prüfung der Einzelheiten, die in dem nur auf eine summarische Prüfung ausgerichteten Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht möglich ist, nicht entscheiden. Zwar spricht die dreijährige Ausbildungsdauer, die nach der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Logopäden vom 01. Oktober 1980, zuletzt geändert durch Art. 8 der Verordnung vom 02. August 2013, nicht verkürzbar ist, für eine Berufsausbildung. Nach der Auskunft in BERUFENET, der Datenbank mit berufskundlichen Informationen der Bundesagentur für Arbeit, baut die Ausbildung auch nicht auf vorhandenem beruflichen Wissen auf, allerdings ist für die Beurteilung, ob ein bestimmtes Lernziel im Wege der Aus- oder Weiterbildung erreicht wird, nicht allein auf die Vorschriften der Ausbildungsordnung abzustellen. Es ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung der konkreten Maßnahme angezeigt, die sowohl die einschlägigen Ausbildungsvorschriften als auch die Ausbildungswirklichkeit in den Blick nimmt, insbesondere ob Vorkenntnisse verwertbar sind und die Ausgestaltung der konkreten Ausbildung mitbeeinflusst haben (vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21. November 2011 – L 19 AS 1925/13 B ER, L 19 AS 1953/13 B PKH -, zitiert nach juris). Sollte das Sozialgericht zu dem Ergebnis gelangen, es liegt eine Ausbildung vor, richten sich die Fördermöglichkeiten nach § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch zweites Buch (SGB II) i. V. m. §§ 74 ff. Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Deren Voraussetzungen sind bisher nicht geprüft worden.
Liegt eine berufliche Weiterbildung vor, richtet sich die Förderung nach § 16 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB II i. V. m. §§ 81-87 und §§ 131 a und b SGB III. Eine Förderung dürfte aber an den ergänzenden Anforderungen in § 180 Abs. 4 Satz 1 und 2 SGB III scheitern, da es sich bei der Ausbildung zur Logopädin um eine dreijährige, nicht verkürzbare Ausbildung handelt (s. o).
Es ist jedoch entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass im Fall der Klägerin eine freie Förderung nach § 16f SGB II in Betracht kommt, die durch die außerordentliche Weite der in Betracht kommenden Fördermöglichkeiten gekennzeichnet ist, die nur geringen Einschränkungen unterliegen (vgl. Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, 46. Erg.Lfg. V/12, § 16f RdNr. 12 ff.). Zwar regelt § 16 Abs. 2 Satz 2 SGB II, dass Leistungen der freien Förderung gesetzliche Leistungen weder umgehen noch aufstocken dürfen. Davon macht Satz 4 jedoch eine Ausnahme für u. a. Langzeitarbeitslose im Sinne von § 18 SGB III. Um eine solche dürfte es sich bei der Klägerin handeln, denn sie ist zumindest im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats seit einem Jahr vom 01. August 2012 bis zum 31. Juli 2013 arbeitslos gewesen. Da es sich vorliegend nicht um eine reine Anfechtungsklage handelt, bei der maßgebender Zeitpunkt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage der der letzten Verwaltungsentscheidung ist, reicht die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals vor Antritt der Ausbildung aus. Eine Erwerbstätigkeit der Klägerin bis Februar 2013 ergibt sich nicht aus der dem Senat vorliegenden Leistungsakte.
Die freie Förderung dürfte auch nicht daran scheitern, dass der Maßnahmeträger „Die Schule“, wie der Beklagte angibt, als Maßnahmeträger gemäß § 16 SGB II i. V. m. § 81 Abs. 1 Nr. 3 SGB III nicht zugelassen sei. Bereits dem dem formlosen Antrag der Klägerin vom 10. Januar 2013 beigefügten Schreiben von „Die Schule“ vom 07. Januar 2013 lässt sich die Zertifizierung entnehmen. Auf der Internetseite der Schule sind weitere Hinweise zur Zertifizierung zu entnehmen. Danach ist am 03. Februar 2006 die Zulassung nach der Anerkennungs- und Zulassungsverordnung - Weiterbildung (AZWV) erfolgt, später nach der Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Weiterbildung (AZAV). Ob allerdings die konkrete Maßnahme, die Ausbildung zur Logopädin, zertifiziert ist, lässt sich ohne Ermittlungen, soweit die Zertifizierung als Merkmal der Qualitätssicherung überhaupt Voraussetzung einer freien Maßnahme ist (dazu weiter unten), nicht feststellen.
Weiter wird die von dem Sozialgericht angenommene eingeschränkte Suspendierung vom Umgehungs- und Aufstockungsverbot in § 16f Abs. 2 Satz 3, Satz 4 SGB II von der Literatur nicht geteilt.
Voelzke, a. a. O., § 16f RdNr. 46, verweist darauf, dass das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) ursprünglich die in Satz 4 geregelte Ausnahme vom Umgehungs- und Aufstockungsverbot durch Abs. 2 Satz 5 a. F. insofern begrenzt hatte, als ein Abweichen lediglich bei den Voraussetzungen und der Förderhöhe für zulässig erklärt worden war. Eine Verlängerung der gesetzlich geregelten Förderdauer war bei den gesetzlich geregelten Leistungen nach früherer Rechtslage dagegen nicht eröffnet. Das Eingliederungschancengesetz hat Satz 5 a. F. ersatzlos gestrichen. Hieraus schließt er im Umkehrschluss, dass die Ausnahme vom Umgehungs- und Aufstockungsverbot künftig umfassend gelten soll. Dies werde in der Begründung des Ausschusses für Arbeit und Soziales, auf den diese Änderung zurückgehe, damit zum Ausdruck gebracht, dass bei genanntem Personenkreis die gesetzlichen Regelungen so weit modifiziert werden sollten, wie es den Zielen und Grundsätzen des SGB II entspreche (BT-Drucks. 17/7065 S. 19).
Stölting in Eicher, SGB II, 3. A. 2013, § 16f, RdNr. 3, ist ebenfalls der Auffassung, dass durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt das Umgehungs- und Aufstockungsverbot für bestimmte Personengruppen vollständig aufgehoben worden ist. Dies sei in der Weise geschehen, dass der ehemalige Satz 5 des Abs. 2, nach dem nur von den Voraussetzungen und der Förderhöhe gesetzlich geregelter Maßnahmen abgewichen werden dürfe, gestrichen worden sei, so dass eine Modifikation nunmehr in allen Punkten zulässig sei. Der Gesetzgeber begründe diese Änderung damit, dass Langzeitarbeitslose trotz verbesserter Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt weiterhin nur schwer in Arbeit eingegliedert werden könnten. Es müsse daher nach zusätzlichen Wegen gesucht werden, um diesen Personenkreis in den Arbeitsmarkt zu integrieren (vgl. BT-Drucks. 17/6277 S. 117). Die völlige Aufhebung des Aufstockungs- und Umgehungsverbotes sei dann auf Vorschlag des Ausschusses für Arbeit und Soziales auf Jugendliche, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und deren berufliche Eingliederung auf Grund von schwerwiegenden Vermittlungshemmnissen besonders erschwert sei, erweitert worden. Nach der Ansicht des Ausschusses sei diese Änderung erforderlich, um vor Ort noch flexibler auf die Problemlagen von jungen Menschen unter 25 Jahren eingehen zu können (vgl. BT-Drucks. 17/7065 S. 21).
Schnell in Estelmann, SGB II, 36. Ergänzung Juni 2013, § 16F RdNr. 37, führt zu den Rechtsfolgen der Abschaffung des Umgehungs- und Aufstockungsverbots ausdrücklich aus, dass diese nicht mehr nur die Voraussetzungen und die Förderhöhe gesetzlich geregelter Maßnahmen betreffe. Vielmehr sei auch ein Abweichen von anderen Aspekten der gesetzlich geregelten Förderinstrumente, wie z. B. Fördergruppen, Förderart, Förderdauer, Qualitätsstandards etc. bei Maßnahmen der freien Förderung für Langzeitarbeitslose und für unter 25-jährige mit besonderen Vermittlungshemmnissen zulässig. Soweit der Gesetzgeber in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 17/6277 S. 117) – auf die das Sozialgericht Bezug nimmt – zur Aufhebung des Umgehungs- und Aufstockungsverbots allerdings ausführe, „weiterhin unzulässig ist es, von gesetzlich vorgeschriebenen Gutschein- und Zulassungsverfahren bei Eingliederungsleistungen für Langzeitarbeitslose abzuweichen“, weil „diese Regelungen … eine hohe Qualität bei Maßnahmeträgern und Maßnahmeinhalten, die insbesondere bei langzeitarbeitslosen Menschen besonders wichtig sind,“ gewährleisten, komme diese Einschränkung im Gesetzeswortlaut nicht im Ansatz zum Ausdruck und könne daher auch keine Geltung beanspruchen (s. a. Kellner in NZS 2012, S. 652 ff., S. 656).
Die Aufhebung des Umgehungs- und Aufstockungsverbot für Langzeitarbeitslose entbindet letztlich nicht von der noch anzustellenden Prüfung, ob im Fall der Klägerin innerhalb einer angemessenen Zeit von in der Regel sechs Monaten nicht mit Aussicht auf Erfolg auf einzelne Gesetzesgrundlagen des SGB II oder des SGB III zurückgegriffen werden kann (§ 16f Abs. 2 Satz 4 a. E.).
Damit besteht eine hinreichende Erfolgsaussicht für das Klageverfahren.
Die Klägerin ist nach wie vor hilfebedürftig und nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung, auch nicht in Raten, aufzubringen. Deshalb ist ihr die Prozesskostenhilfe ohne Festsetzung von Monatsraten und aus dem Vermögen zu zahlenden Beträgen unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das BSG angefochten werden (§ 177 SGG).