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Entscheidung 10 Sa 1793/14


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 10. Kammer Entscheidungsdatum 08.01.2015
Aktenzeichen 10 Sa 1793/14 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 1 KSchG, § 81 SGB 9

Leitsatz

Hat ein Arbeitgeber vor Ausspruch einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung genügend Anhaltspunkte, dass eine verbale sexuelle Belästigung und ausländerfeindliche Äußerungen ihre (Mit-) Ursache in einer psychischen Erkrankung des Arbeitnehmers haben können, hat er dem jedenfalls dann nachzugehen, wenn die Pflichtverletzungen im Rahmen einer außerplanmäßigen Zusatzaufgabe aufgetreten sind.

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Juli 2014 - 33 Ca 7624/14 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17. Dezember 2013 nicht beendet worden ist.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Der Wert des Berufungsverfahrens wird auf 7.556,13 EUR festgesetzt.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung.

Der in einer Lebenspartnerschaft lebende Kläger ist 45 Jahre alt (…..1969) und seit dem 14. Mai 1991 bei der Beklagten als Reiniger mit 2.518,71 EUR brutto/mtl. beschäftigt. Beim Kläger ist aktuell ein Grad der Behinderung von 60 anerkannt, zuvor war es ein Grad von 80. Vom 14. Mai 1991 bis 31. Oktober 1992 und vom 1. Mai 2003 bis 6. Juli 2008 war der Kläger als Straßen- und Grünflächenreiniger beschäftigt, vom 1. November 1992 bis 30. April 2003 als Müllwerker im Bereich Abfallwirtschaft. Ab dem 7. Juli 2008 war der Kläger im Bereich der Recycling-Höfe eingesetzt.

Wie die Beklagte dem bei ihr gebildeten Personalrat im Rahmen der Beteiligung zur Kündigung des Klägers mitgeteilt hat, wurde beim Kläger ab 11. Mai 2011 eine Leistungsminderung im Rahmen des § 3 Abs. 4 TVöD festgestellt. Deshalb wurde der Kläger danach in leistungsgeminderter Funktion - zunächst weiter im Bereich Recycling-Höfe - eingesetzt, ab dem 22. November 2011 als Reiniger im Taubenkotprojekt im Bereich des Betriebshofs M.str. (VR 11). Hierbei handelt es sich nicht um Gruppenarbeit, sondern um eine Tätigkeit als Einzelfahrer. Der Kläger ist als so genannter leistungsgeminderter Beschäftigter („§27er“) nicht im Gedinge einsetzbar und als einer von berlinweit zwei entsprechend beschäftigten Arbeitnehmern im Taubenkotprojekt unabkömmlich.

Unter dem 12. Juli 2011 wurde der Kläger wegen

eines unangemessenen Tones gegenüber anderen Beschäftigten und den Mitarbeitern einer anderen Firma
der Verletzung von Persönlichkeitsrechten zweier externer Mitarbeiterinnen
Herabwürdigung zweier externer Mitarbeiterinnen
Pauschalverurteilung von Menschen einer anderen ethnischen Herkunft
verbaler Belästigung von Kantinenbesuchern
Verstoß gegen die Verpflichtung zum partnerschaftlichen Verhalten

im Zeitraum Mai/Juni 2011 von der Beklagten abgemahnt.

Bei der Beklagten gab und gibt es ein Projekt „Gemeinsam schaffen wir das“. An diesem können nur Jugendliche teilnehmen, die keinen Schulabschluss oder den Hauptschulabschluss besitzen, ihre allgemeine Schulpflicht erfüllt haben, 17 Jahre alt werden oder sind, auf sozialpädagogische Unterstützung angewiesen sind und für die ein Jugendhilfebedarf begründet werden kann.

Ab dem 11. November 2013 sollte der Kläger im Rahmen dieses Programms für zwei Wochen eine Gruppe Jugendlicher betreuen. Dieser Gruppe gehörten ein minderjähriger Teilnehmer und ein Teilnehmer türkischer Herkunft an. Zuvor hatte der Kläger im Juli/August 2013 bereits einmal eine entsprechende Gruppe betreut. Einen dauerhaften Einsatz des Klägers in diesem Projekt lehnte die Beklagte bereits zuvor ab.

Mit Schreiben vom 12. Dezember 2013 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich verhaltensbedingt, mit Schreiben vom 13. Dezember 2013 außerordentlich personenbedingt und mit Schreiben vom 17. Dezember 2013 ordentlich verhaltensbedingt, hilfsweise personenbedingt zum 30. Juni 2014, nachdem das Integrationsamt den Kündigungen mit zwei Bescheiden vom 12.12.2013 und einem Bescheid vom 13.12.2013 jeweils zugestimmt hatte. In den Bescheiden war jeweils ausgeführt:

„Obwohl ein Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Kündigungsgründen und den anerkannten Behinderungen nicht gänzlich auszuschließen ist, stimme ich unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls Ihrem Antrag vom 29.11.2013 zu.“

Im Kündigungsschreiben führt die Beklagte aus:

„Sie haben sich nach unserer Überzeugung in der Zeit vom 11.11.2013 bis 18.11.2013 gegenüber vier jugendlichen Schülerpraktikanten aus dem Projekt „Gemeinsam schaffen wir das“ abfällig, beleidigend und diskriminierend über diese und zudem diesen gegenüber über Dritte – hier Menschen mit Migrationshintergrund/türkischer Abstammung – geäußert. Insbesondere haben Sie folgende Äußerungen getätigt, auf die sich die Kündigungsabsicht stützt und die den Pflichtverstoß darstellen:

1. Äußerung: „Türken haben nichts in der Birne / Türken sind hohl im Kopf“

2. Frage direkt an Herrn K.: „Ob er auch „einen Großen“ [Schwanz] hat, Türken seien ja dafür bekannt.“

3. Äußerung über eine (vermutlich) muslimische Frau mit Kopftuch „Guckt mal, die hat aber bunte Haare“.

4. Äußerung/Frage: „Weiß jemand, wie spät es ist?“ um dann unter bewusstem Wegsehen zu ergänzen: „Nicht Du, ich frage nach der deutschen Uhrzeit“.

Mit Ihren Äußerungen haben Sie die von Ihnen beleidigten Personen schwerwiegend in deren Persönlichkeitsrechten verletzt. Mit ihren Äußerungen störten Sie erheblich den Betriebsfrieden und verstießen gleichzeitig gegen die Ihnen obliegende Rücksichtnahmepflicht auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers. Hierin liegt auch ein Verstoß gegen die Dienstvereinbarung zu partnerschaftlichem Verhalten und somit eine Störung des Betriebsfriedens.

Weiterhin haben Sie die genannten Jugendlichen sexuell belästigt, indem Sie ihnen während der Arbeitszeit mindestens ein Handybild sowie mindestens ein Video mit sexuell bestimmten Inhalten zeigten. Dies stellt ebenfalls für sich genommen eine schwerwiegende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar.

Darüber hinaus haben Sie jedenfalls einen der genannten Jugendlichen, Herrn M. G., grundlos systematisch schikanös behandelt, beleidigt und herabgewürdigt und damit dessen Persönlichkeitsrechte erheblich verletzt.

Sie räumten ein, Sätze wie „Türken sind hohl im Kopf, Türken haben nichts in der Birne“ gesagt zu haben; dies sei aber nicht beleidigend gemeint gewesen. Hiermit hätten Sie keine Aussage gegenüber den aktuellen Gruppenmitgliedern getroffen, sondern diese Aussage habe sich auf die Vorgängergruppe von Schülerpraktikanten bezogen, die Sie vertretungsweise auch ab und zu betreut haben. Diese Äußerungen sollten vielmehr ein Lob der Leistungen dieser Gruppe darstellen.

In dieser Anhörung räumten Sie weiter ein, ab und zu der Gruppe Handybilder gezeigt zu haben, insbesondere ein Bild, auf welchem unter der Überschrift „Such Deinen Chef“ 5 Kussmünder zu sehen sind; das 6. Bild zeigt einen Anus.

Auch räumten Sie ein, ein Video gezeigt zu haben, welches unter der Überschrift „Vera am Mittag“ zeigt, wie eine (dicke) Frau beim Verlassen einer Bühne stolpert, die Treppe herunterfällt und im nächsten Bildausschnitt mit laut platschendem Geräusch ein aufgeschlitztes Schwein auf dem Boden „landet“.

Die drei Praktikanten berichteten, dass Sie ihnen an einem Tag im Fahrzeug ein Foto und mehrere Videos gezeigt haben. Das sei abstoßend gewesen. Ein Video zeigt eine nackte Person vor einem Badspiegel beim Zähneputzen, wobei die Kamera vom Gesicht über die Brust und den Bauchbereich schließlich auf das Geschlechtsteil schwenkte. Dabei sah man zunächst eine weibliche Brust und einen weiblichen Bauch und dann „ab der Hüfte“ ein männliches Geschlechtsteil.“

Die Schwerbehindertenvertretung hatte in ihrer Stellungnahme an das Integrationsamt unter dem 11. Dezember 2013, die auch der Beklagten zuging, ausgeführt:

„Der Sachverhalt, welcher den Antrag auf Kündigung des Kollegen R. zur Folge hat, muss aus unserer Sicht schon im Zusammenhang mit dem Krankheitsbild des Kollegen R. gesehen werden.

Die schwere Kindheit und die damit attestierte Persönlichkeitsretardierung und depressive Entwicklung besteht bis heute und ist in dem letzten Bescheid vom Versorgungsamt Berlin gewürdigt worden. Auch wenn es sich in der Regel bei dieser Erkrankung um Kinder und Jugendliche handelt zeigt der Bescheid des Versorgungsamtes Berlin, dass Kollege R. immer noch unter der Erkrankung zu leiden hat und starke Minderwertigkeitskomplexe auftreten. Aufgrund des fehlenden Selbstvertrauens und der teilweise zur Schau gestellten Sicherheit im Umgang mit Menschen und der Bewältigung von Problemen kommt es zu einem Verhalten was man schwer deuten kann. Aus unserer Sicht ist sich Kollege R. teilweise nicht der Tatsache bewusst was er mit gewissen Äußerungen auslöst. Auch neurologische Störungen und eine vorhandene Wortfindungsstörung machen es dem Kollegen R. nicht leichter sich immer so zu verhalten, wie es wünschenswert wäre.

Kollege R. ist seit 1991 bei der Berliner S. beschäftigt und es kam schon zu Problemen mit Kolleginnen und Kollegen. Diese beruhten in der Regel auf Gegenseitigkeit. Auch blieb es dem Betrieb nicht verborgen, dass Kollege R. in gewissen Situationen teilweise überreagiert. Auch Spannungen im zwischenmenschlichen Bereich kamen vor.

Wir kennen Kollegen R. schon sehr lange und konnten keinerlei rassistische Denkweisen bei ihm feststellen. Im Gegenteil legte Kollege R. immer sehr viel Wert darauf, dass Minderheiten nicht ausgegrenzt und in jeweiliger Art diffamiert wurden.

Sicherlich ist das Verhalten des Kollegen R. nicht zu tolerieren. Aber anhand des Krankheitsbildes und unserer Einschätzung, dass dieses im Zusammenhang mit der Verfehlung und damit verbundenen Kündigung steht, haben wir uns dazu entschlossen der Kündigung seitens der Berliner S. nicht zuzustimmen.“

Der Kläger hielt die Kündigungen allesamt nicht für gerechtfertigt. Eine Einweisung des Klägers in die Betreuung der Jugendlichen sei zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Er bestreitet die ihm vorgeworfenen Äußerungen. Die Karte mit der Überschrift „Suche deinen Chef“ sei beispielsweise bei Amazon käuflich zu erwerben. Auch das Video mit einer korpulenten Frau, die beim Verlassen der Bühne zu Boden fällt, sei auf YouTube abrufbar und solle aus der Sendung „TV Total“ stammen. Das Video der Person beim Zähneputzen möge nicht besonders geschmackvoll sein, es sei aber auch frei auf YouTube zu sehen. Der Kläger habe auch die Schülergruppe nicht aufgefordert, Herrn G. nur mit „Plumperquatsch“ oder „Pillepalle“ oder „Fetti“ anzureden. Richtig sei lediglich, dass der Schüler G. die gesamte Arbeit bei der B. als „Pillepalle“ bezeichnet habe. Darauf habe der Kläger möglicherweise gesagt, dann bist du für mich heute ein „Pillepalle-Arbeiter“.

Im Juni 2013 habe sich der Kläger bemüht, regelmäßig für die Schülergruppe verantwortlich zu sein. Dieses sei von dem Einsatzleiter Herrn W. mit dem Hinweis abgelehnt worden, dass der Kläger dafür völlig ungeeignet sei. Der Grad der Behinderung des Klägers sei wesentlich durch eine Persönlichkeitsretardierung mit depressiver Entwicklung begründet. Die emotionale Entwicklung des Klägers sei so sehr ausgeprägt, dass er stets alles Allen recht machen wolle und zugleich auf jede Herabsetzung und/oder Ungleichbehandlung besonders empfindsam wahrnehme.

Prägend für das beim Kläger diagnostizierte Krankheitsbild sei, dass er am liebsten immer im Mittelpunkt stehen wolle. Alles solle sich um ihn drehen, weshalb er oft genug den „Clown für alle“ gebe. Andererseits gehe der Kläger dann bei Konflikten einer Konfrontation aus dem Weg, weil er einer solchen letztlich nicht gewachsen sei. Das „Mittelpunktbestreben“ verkehre sich schließlich ins Gegenteil, nämlich in depressive Verstimmung.

Die Beklagte habe die besondere Persönlichkeit des Klägers und den daraus resultierenden Grad der Behinderung völlig außer Acht gelassen. Es sei daher festzustellen, dass die Beklagte dem Kläger unter keinen Umständen die Betreuung von Schülergruppen hätten anvertrauen können. Der Beklagten sei die Persönlichkeitsretardierung bei depressiver Entwicklung während der 22jährigen Betriebszugehörigkeit hinlänglich bekannt.

Die Beklagte ging davon aus, dass das Fehlverhalten des Klägers wie in den Kündigungen beschrieben sowohl die fristlose wie die fristgemäße Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertige. Mit seinen Äußerungen habe der Kläger die Schüler schwerwiegend in deren Persönlichkeitsrechten verletzt. Mit den Äußerungen habe er auch erheblich den Betriebsfrieden gestört und gegen die Rücksichtnahmepflicht auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers verstoßen. Hierin liege auch ein Verstoß gegen die Dienstvereinbarung zu partnerschaftlichem Verhalten. Der Kläger habe die Jugendlichen sexuell belästigt, indem er ihnen während der Arbeitszeit mindestens ein Handybild sowie mindestens ein Video mit sexuell bestimmten Inhalten gezeigt habe. Dies stelle ebenfalls für sich genommen eine schwerwiegende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung dar. Darüber hinaus habe er jedenfalls den Jugendlichen M. G. grundlos systematisch schikanös behandelt, beleidigt und herabgewürdigt und damit dessen Persönlichkeitsrechte erheblich verletzt.

Das Arbeitsgericht hielt im Urteil vom 10. Juli 2014 die außerordentlichen Kündigungen sowie die ordentliche personenbedingte Kündigung für unwirksam. Die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung hielt das Arbeitsgericht demgegenüber für wirksam. Der Kläger habe die Schüler mit dem Kussmund/Anus-Bild sowie dem Zahnputzvideo sexuell belästigt. Das Zeigen beruhe auf einem steuerbaren Verhalten des Klägers. Es sei zwar zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger an einer Persönlichkeitsretardierung mit depressiver Entwicklung leide. Es sei aber nicht festzustellen, dass diese Erkrankung für das Zeigen des Videos bzw. der Bilder in dem Sinne kausal gewesen sei, dass der Kläger nicht in der Lage gewesen sei, dieses Verhalten zu steuern. Hierzu hätte der Kläger schlüssig und substantiiert vortragen müssen, was er nicht getan habe. Er habe nicht dargelegt, dass ihm die Einsichtsfähigkeit in die Auswirkungen seines Verhaltens auf die Wahrnehmung und Empfindlichkeiten anderer Menschen vollständig fehle. Aufgrund der Schwere der Verfehlung sei eine vorherige Abmahnung entbehrlich. Auch beinhalte die Abmahnung vom 12. November 2011 einen vergleichbaren Pflichtenverstoß, indem der Kläger in Anwesenheit anderer Mitarbeiter den Ausspruch getätigt habe, dass die Ausländer sich durchficken würden, um Kinder zu kriegen und auch noch Geld zu kassieren. Allerdings sei der jetzige Vorwurf nicht von einem solchen Gewicht, dass nicht der Ablauf der ordentlichen Frist abgewartet werden könne. Im Rahmen der Interessenabwägung müsse die Beklagte damit rechnen, dass der Kläger auf lange Sicht auch zukünftig zu ähnlichen Pflichtverletzungen neige. Der Kläger selbst habe letztlich vorgetragen, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass er gegenüber Mitarbeitern oder Kunden der Beklagten ausfällig, beleidigend oder sogar aggressiv werde. Auch könnten weitere sexuelle Belästigungen nicht ausgeschlossen werden. Der Kläger könne nicht ohne Kontakt mit anderen Menschen beschäftigt werden. Mit dem Einsatz im Taubenkot-Projekt habe die Beklagte schon das ihr zumutbare getan, um auf die Verhaltensauffälligkeiten des Klägers zu reagieren.

Gegen dieses dem Klägervertreter am 1. September 2014 zugestellte Urteil legte dieser am 26. September 2014 Berufung ein und begründete diese sogleich.

Eine sexuelle Belästigung liege mit dem Kussmund/Anus-Bild nicht vor. Diese Bild sei vielleicht nicht besonders geschmackvoll, ziele aber nicht auf einen sexuellen Inhalt ab, sondern auf das allgemeine Verhältnis von Arbeitnehmern zu Vorgesetzten. Es handele sich auch nicht um einen pornografischen Inhalt. Eine nackte Person beim Zähneputzen sei nicht pornografisch. Der Kläger habe lustig sein wollen und sich hervortun, er habe aber keinen der Schüler in der persönlichen Würde verletzen wollen. Er habe, wie das Arbeitsgericht festgestellt habe, die Schüler an der „belustigenden“ Wirkung ungefragt teilhaben lassen wollen, die Schüler aber nicht zum Objekt seines Verhaltens erniedrigt. Das angefochtene Urteil stelle auch nicht fest, wer entsprechend betroffen gewesen sein solle. Es habe sich um eine Gruppe von 16-19jährigen Schülern gehandelt, denen äußere Geschlechtsmerkmale gezeigt worden seien.

Der Kläger habe auch seine Steuerungsfähigkeit nicht bestritten. Der Kläger habe deutlich herausgestellt, dass Teil seiner Persönlichkeitsstörung sei, dass er immer im Mittelpunkt stehen und den Clown abgeben wolle, andererseits sich aber Konflikten nicht gewachsen fühle und diesen krankheitsbedingt nicht gewachsen sei. Deshalb weiche er Konfrontationen wiederum aus. Die Schwerbehinderung des Klägers verlange auch eine Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin. Damit habe sich das Arbeitsgericht nicht auseinandergesetzt. Auch mit der Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung habe sich das Arbeitsgericht nicht auseinandergesetzt.

Die Abmahnung vom 12. Juli 2011 habe einen anderen Sachverhalt betroffen. Mit einer sexuellen Belästigung bzw. einem gleichartigen Pflichtenverstoß habe der damalige Vorwurf überhaupt nichts zu tun gehabt. Insofern hätte es einer erneuten Abmahnung bedurft. Dieses sei auch deshalb geboten gewesen, weil die Beklagte den Kläger mit der Betreuung der Schülergruppe beauftragt hatte, obwohl der Kläger dazu überhaupt nicht in der Lage gewesen sei. Gerade deshalb sei die Bewerbung des Klägers für eine dauerhafte Betreuung des Projektes ja von der Beklagten abgelehnt worden.

Der Kläger sei über 23 Jahre bei der Beklagten beschäftigt und habe sich abgesehen von dem der Abmahnung vom 12. Juli 2011 zugrundeliegenden Sachverhalt nichts zu Schulden kommen lassen. Die Vorkommnisse seien auf eine persönlichkeitsbedingte Überforderungssituation zurückzuführen, die erst durch die Zuweisung der Schülergruppe durch die Beklagte entstanden sei. Es stelle kein Problem dar, wenn der Kläger mit anderen Menschen in Kontakt komme. Aber Anleitungs- oder Betreuungsaufgaben dürften dem Kläger nicht übertragen werden. Dafür sei der Kläger persönlich nicht geeignet und auch nicht qualifiziert. Eine Einweisung oder Anleitung sei für ihn nicht erfolgt.

Die Beklagte habe auch keine milderen Sanktionsmittel geprüft. Das Verhalten des Klägers habe sich nicht gegen eine bestimmte Person gerichtet. Nach Ausspruch der Kündigung habe der Kläger eine stationäre Therapie mit ambulanter Nachsorge absolviert. Eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht, zumal die Beklagte es ja in der Hand habe, ihm zukünftig keine Betreuungsaufgaben mehr zu übertragen.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Juli 2014 - 33 Ca 7624/14 dahingehend abzuändern, dass festgestellt wird, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 17. Dezember 2013 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht sei zutreffend von einem steuerbaren Verhalten des Klägers und einer Wiederholungsgefahr ausgegangen. Abzuwarten und ein Risiko einzugehen, ob der Kläger sich während des Laufs der Kündigungsfrist hätte „benehmen“ können, oder – was nach Einschätzung der Beklagten in einer so emotionalen Lage beim Kläger eher wahrscheinlich gewesen wäre – er erneut ausfällig gegenüber anderen Beschäftigten geworden wäre, sei schon aus Gründen der Fürsorgepflicht gegenüber den übrigen Beschäftigten ausgeschlossen. Letztlich seien jedoch Kostengesichtspunkte entscheidend dafür gewesen, dass die Beklagte gegen das Urteil des Arbeitsgerichts keine Berufung eingelegt habe. Dem Urteil des Arbeitsgerichts sei hinsichtlich der inhaltlichen Ausführungen weitgehend zuzustimmen. Zu kritisieren sei allerdings, dass die ausländerfeindlichen und diskriminierenden Äußerungen nicht thematisiert worden seien. Aber für den Fall, dass Vorwürfe der sexuellen Belästigung nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts die Gründe der angefochtenen Entscheidung nicht tragen würden, blieben die erstinstanzlichen Ausführungen auch für das Berufungsverfahren maßgeblich.

Es handele sich auch beim Zeigen einer nackten Person bereits um eine sexuelle Belästigung. Die Würde anderer werde nicht erst durch körperliche Übergriffe oder Handlungen mit entsprechenden eindeutigen Bemerkungen verletzt. Es komme nicht mehr darauf an, ob das „Opfer“ eine ablehnende Haltung erkennen lasse oder nicht. Es genüge eine einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweise, dass nach allgemeinen Maßstäben objektiv als nicht erwünscht erkannt werde. Mindestens in zwei Fällen habe der Kläger seine vertraglichen Pflichten im Sinne des § 7 Abs. 3 AGG verletzt. Dass es sich um 16-19jährige Schüler gehandelt habe, sei für die Bewertung des Vorwurfs unerheblich.

Die Darstellung der Kussmünder mit dem Anus sei als geschmackloser Scherz beleidigend und keinesfalls erwünscht. Die nackt zähneputzende Person sei allein auf die Belustigung über Andere aufgrund sexuell/geschlechtsorganmäßiger „Abartigkeiten“ ausgerichtet gewesen. Es sei die provozierende Inszenierung des Videos, das diesem den vom Gesetz geächteten pornografischen Inhalt gebe.

Der Vorwurf der nicht hinreichenden Auseinandersetzung mit der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers und dem behaupteten Zusammenhang zwischen der Persönlichkeitsretardierung und dem willentlich gesteuerten Verhalten des Klägers gehe ins Leere. Für diese Frage sei das Integrationsamt zuständig. Die Widersprüche gegen die zustimmenden Bescheide seien aber zurückgewiesen worden. Auch die Stellungnahme der Scherbehindertenvertretung sei für die Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht erheblich gewesen. Die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers könne kein „Freifahrtschein“ für Vertragspflichtverletzungen sein.

Die Beklagte treffe kein „Organisationsverschulden“ wie der Kläger meine. Eine Überforderungssituation habe es nicht gegeben. Dem Kläger sei auch nicht die Ausbildung der Praktikanten übertragen worden. Er habe diesen nur zwei Wochen lang zeigen sollen, wie Straßen- und Grünflächenreiniger bei der Beklagten ihre Aufgaben wahrnehmen.

Die Kündigung sei nicht unverhältnismäßig. Die Beklagte habe auch wegen der Einlassung des Klägers in der Anhörung vor Ausspruch keinerlei Einsichtsfähigkeit wahrgenommen. Der Kläger habe die Vorfälle vielmehr herunterspielen wollen.

Bei der Interessenabwägung sei dem Arbeitsgericht auch kein Fehler unterlaufen. Neben den Kriterien der langjährigen Beschäftigung und der Unterhaltspflichten einerseits sowie der schwerwiegenden Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten komme hier die Abmahnung aus dem Jahre 2011 wegen rassistischer und beleidigender Äußerungen ebenso hinzu wie die erzielte negative Außenwirkung gegenüber Betriebsfremden. Die Beklagte habe dem Kläger schon einen leidensgerechten Arbeitsplatz zugewiesen, bei dem es auf Teamarbeit nicht ankomme. Aber das Arbeitsgericht habe zu Recht festgestellt, dass der Kläger auch da in Zusammenhang mit Menschen tätig werde.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung des Klägers vom 24. September 2014 und des Schriftsatzes vom 15. Dezember 2014 sowie der Berufungsbeantwortung der Beklagten vom 13. November 2014 und das Sitzungsprotokoll vom 8. Januar 2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaften Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Wie bereits erstinstanzlich rechtskräftig zu den außerordentlichen Kündigungen festgestellt, ist die ordentliche Kündigung vom 17. Dezember 2013 ebenfalls unwirksam. Im Einzelnen gilt Folgendes:

1.

Soweit zwischen den Parteien streitig ist, ob es sich bei der Kussmünder/Anus-Darstellung und der nackten zähneputzenden bisexuellen Person um pornografische Darstellungen bzw. das jeweilige Zeigen eine sexuelle Belästigung gewesen sei, bedarf das keiner Entscheidung. Auch die zwischen den Parteien streitige Wirkung der Darstellungen auf die vier 16-19jährigen Schüler bedarf keiner Aufklärung. Denn eine Kündigung ist aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat (vgl. BAG, Urteil vom 3. November 2011 – 2 AZR 748/10).

1.1

Dass der Kläger hier vertraglichen Nebenpflichten erheblich verletzt hat, steht für die Kammer außer Frage. Es ist gelinde gesagt absolut ungehörig und völlig unangemessen, Schülerpraktikanten, egal welchen Alters, Nacktdarstellungen oder Bildfolgen wie die Kussmünder/Anus-Darstellung zu zeigen. Selbst wenn der unstreitige Vortrag des Klägers aus der Berufungsbegründung zutreffend ist, dass in einer Vielzahl von betriebseigenen Werkstätten der Beklagten Poster bzw. Kalenderbilder von nackten Frau hängen, was mit dem Anspruch der Beklagten auf partnerschaftliches Verhalten im Betrieb und eine von Respekt geprägte Unternehmenskultur kaum vereinbar sein dürfte, rechtfertigt das die beanstandeten Verhaltensweisen des Klägers nicht. Grundsätzlich ist das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit den Nacktdarstellungen oder Bildfolgen der Kussmünder/Anus-Darstellung geeignet, eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen.

1.2

Auch die dem Kläger vorgeworfenen - teilweise streitigen - ausländerfeindlichen Äußerungen sind absolut ungehörig und völlig unangemessen. Sie stellen für den Fall, dass sie so stattgefunden haben sollten, wie von der Beklagten vorgetragen, ebenfalls eine erhebliche und schuldhafte Pflichtverletzung des Klägers dar. Grundsätzlich ist auch das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit den ausländerfeindlichen Äußerungen, was im Falle ihrer Entscheidungserheblichkeit durch eine Beweisaufnahme hätte geklärt werden müssen, geeignet, eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen.

2.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es jedoch nicht allein ausreichend, dass eine erhebliche Pflichtverletzung begangen wurde. Es bedarf vielmehr zusätzlich einer Feststellung, dass eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht (vgl. BAG, Urteil vom 3. November 2011 – 2 AZR 748/10).

2.1

Wie die Beklagte selbst dargestellt hat, hat sie dem Kläger zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene bei ihr anfallende Aufgaben, jeweils auf vertrauensärztliche Empfehlung übertragen. Auch wenn die Beklagte mehrfach hervorgehoben hat, dass ihr die gesundheitlichen Einschränkungen, die zu der ärztlichen Aussage, dass der Kläger nicht mehr im Zweischichtsystem oder im Winterdienst eingesetzt werden solle, nicht bekannt seien, hat sie den Kläger im November 2011 aufgrund einer im Rahmen des § 3 abs. 4 TVöD festgestellten Leistungsminderung auf einen Arbeitsplatz zur Taubenkotbeseitigung und damit in ein Einzelaufgabengebiet umgesetzt. In der Personalratsanhörung wurde ausgeführt, dass es sich dabei um eine Tätigkeit „als Einzelfahrer, d.h. nicht in Gruppenarbeit“ handele. Das Arbeitsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung auf Seite 10 unten ausgeführt, dass die Beklagte damit „auf die auch von ihr erkannten Verhaltensauffälligkeiten des Klägers“ reagiert habe.

Damit hat die Beklagte Gelegenheit gehabt, den Kläger im Rahmen der langjährigen Beschäftigung in verschiedenen Arbeitssituationen zu erleben. Lediglich im Zeitraum Mai/Juni 2011 ist es zu den völlig zu Recht beanstandeten absolut ungehörigen Vorfällen gekommen, die die Beklagte schließlich mit der Abmahnung vom 12. Juli 2011 geahndet hat. Sowohl die der Abmahnung als auch die der jetzigen Kündigung zugrunde liegenden Sachverhalte ereigneten sich bei der unmittelbaren Zusammenarbeit des Klägers mit Anderen, seien es interne Kolleginnen, eine externe Mitarbeiterin oder Schülerpraktikanten. Dass der Kläger gegenüber seinem sonstigen Arbeitsumfeld, insbesondere Kunden oder Passanten in irgendeiner Form bereits ausfällig geworden wäre, hat die Beklagte nicht behauptet. Das Arbeitsgericht hatte ausdrücklich die beanstandungsfreie Zeit von mehr als 2 Jahren seit Erhalt der Abmahnung angeführt.

2.2

Dass der Kläger aber, wie vom Arbeitsgericht angenommen, bei jedem Kontakt mit Mitarbeitern oder Kunden eine Gefahr darstelle, diese zu beleidigen, zu beschimpfen, herabzuwürdigen und mitunter sogar aggressiv zu handeln, ergibt sich aus dem bisherigen Vortrag der Parteien nicht. Die Beklagte hat aus der Zeit seit Übertragung der Taubenkotbeseitigung am 22. November 2011 für einen Zeitraum von 2 Jahren bei Ausübung dieser Tätigkeit keinerlei Auf- oder Ausfälligkeiten des Klägers vorgetragen. Zu diesen ist es erst wieder im Zusammenhang mit der Schülerpraktikantenbetreuung gekommen. Soweit die Beklagte im Rahmen der Berufungserwiderung ausgeführt hat, dass „aufgrund der bisherigen Erfahrungen“ damit gerechnet werden müsse, dass der Kläger immer wieder ausfallend und mitunter aggressiv werde und auch zukünftig mit Beleidigungen und sexuellen Belästigungen Dritten gegenüber gerechnet werden müsse, hat sie bezogen auf das Taubenkotprojekt keine entsprechenden Tatsachen vorgetragen.

Weshalb danach bei ausschließlicher Beibehaltung des Aufgabengebietes der Taubenkotbeseitigung eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung nicht mehr für die Zukunft zu erwarten sein soll, war für die Kammer nicht ersichtlich. Unstreitig handelt es sich um eine Arbeitsaufgabe, die der Kläger zwei Jahre lang beanstandungsfrei ausgeübt hat. Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 11. März 2014 sogar darauf hingewiesen, dass der Kläger dort „unabkömmlich“ sei.

3.

Selbst wenn man wie vom Arbeitsgericht angenommen davon ausgehen sollte, dass es Tatsachen gebe, die im Rahmen des § 286 ZPO zu der Annahme berechtigen, dass eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten stehe, ist die Kündigung nur dann gerechtfertigt, wenn in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Lösung des Arbeitsverhältnisses angemessen erscheint (vgl. BAG, Urteil vom 3. November 2011 – 2 AZR 748/10).

3.1

Anders als die Beklagte meint, ist es nicht allein Aufgabe des Integrationsamtes, die Auswirkungen der Schwerbehinderung des Klägers zu berücksichtigen. Auch im Rahmen der Interessenabwägung schlägt diese zugunsten des Klägers zu Buche. Soweit die Beklagte vorträgt, keinerlei Kenntnis von irgendwelchen Diagnosen des Klägers gehabt zu haben, stehen dem einerseits die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts entgegen, wenn dort unbeanstandet ausgeführt ist, dass die Beklagte mit der Umsetzung des Klägers in das Taubenkotprojekt auf dessen Verhaltensauffälligkeiten reagiert habe. Auch die Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung an das Integrationsamt hat der Beklagten vor Ausspruch der hier noch streitgegenständlichen Kündigung vorgelegen. Selbst die drei Bescheide des Integrationsamtes vom 12.12. und 13.12.2013 beinhalteten den Hinweis, dass ein Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Kündigungsgründen und den anerkannten Behinderungen nicht gänzlich auszuschließen sei. Damit hatte die Beklagte genügend Anhaltspunkte, dass der Kläger an einer psychischen Erkrankung leidet. Deshalb hätte die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung im Rahmen ihrer Pflichten nach § 81 Abs. 3 SGB IX prüfen müssen, ob eine behinderungsgerechte (Weiter-) Beschäftigung des Klägers möglich ist. Dieses hatte die Beklagte aber offenbar gar nicht in Erwägung gezogen, obwohl sie ihre positive Haltung zum partnerschaftlichen Verhalten, also zur Vielfalt im Betrieb als Teil der Unternehmenskultur in diesem Verfahren mehrfach hervorgehoben hat.

3.2

Der Beklagten ist zuzustimmen, dass die Schwere der Pflichtverletzung des Klägers und das darauf begründete Interesse der Beklagten an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses einerseits sowie die lange Betriebszugehörigkeit des Klägers und seine Unterhaltspflicht sich gegeneinander neutralisieren.

Soweit die Beklagte im Rahmen der Berufungserwiderung ausgeführt hat, dass bei der Interessenabwägung die Auswirkung der Vorkommnisse berücksichtigt werden müsse, ist dem auch uneingeschränkt zuzustimmen. Aber auch wenn die Vorfälle nur intern erfolgt wären, müssten kein Arbeitnehmer für sich und kein Arbeitgeber für seine Beschäftigten dulden, dass diese sexuell belästigt und/oder als Opfer ausländerfeindlicher Beleidigungen würdelosem Verhalten des Klägers ausgesetzt werden.

3.3

Im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Interessen hat die Beklagte jedoch zu keinem Zeitpunkt in Erwägung gezogen, dass das Krankheitsbild des Klägers zumindest mitursächlich für seine Pflichtverletzungen sein könnte, obwohl dazu nicht erst im Prozess, sondern bereits zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung genügend Anhaltspunkte (vgl. 3.1) bestanden hätten. Analog den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast hätte die Beklagte dem bereits vor Ausspruch der im Berufungsverfahren allein noch zu prüfenden ordentlichen Kündigung vom 17. Dezember 2013 nachgehen müssen. Denn der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die das Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt oder zumindest in einem milderen Licht erscheinen lassen (vgl. BAG, Urteil vom 3. November 2011 – 2 AZR 748/10). Insofern überwiegt das Interesse des schwerbehinderten Klägers an einer Weiterbeschäftigung bei der Beklagten deren Interesse an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

III.

Die Kostenentscheidung folgt § 64 Abs.6 ArbGG in Verbindung mit § 91 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs.2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.