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Israel; zwischenstaatliches Abkommen; Fremdrente; Ausland


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 21.02.2011
Aktenzeichen L 3 R 242/10 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 44 SGB 10, § 48 SGB 10, § 15 FRG, § 16 FRG, § 110 SGB 6, § 113 SGB 6, EWGV 1408/71

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. Februar 2010 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Neufeststellung ihrer Witwenrente.

Die Beklagte gewährte der 1915 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 15. Juni 1970 ab 01. Januar 1970 eine Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres am 1908 geborenen und am 1969 verstorbenen Ehemanns. Der Berechnung der Rente lagen Zeiten nach §§ 15 f. des Fremdrentengesetzes (FRG) und im Bundesgebiet zurückgelegte Zeiten zugrunde.

Die Klägerin teilte der Beklagten mit Schreiben vom 17. November 2005 mit, nach Israel verzogen zu sein, wo sie seit 31. August 2002 in einem Pflegeheim lebte. Die Beklagte hörte die Klägerin mit Schreiben vom 07. März 2006 zur beabsichtigten Entscheidung an, den Bescheid vom 15. Juni 1970 ab Änderung der Verhältnisse mit Wirkung ab der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts in Israel aufzuheben und die Überzahlung zurückzufordern, weil die Rente nach Begründung des Auslandsaufenthalts nur noch aus den im Bundes- und Beitrittsgebiet zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten gezahlt werden könne. Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 24. Juli 2006 die Hinterbliebenenrente der Klägerin beginnend ab 01. September 2002 neu fest. Für die Zeit ab 01. September 2006 gewährte sie der Klägerin nunmehr nach Abzug von Beitragsanteilen zur Krankenversicherung, eines zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrags und eines Beitrags zur Pflegeversicherung 140,93 € monatlich und stellte für die Zeit vom 01. September 2002 bis zum 31. August 2006 eine Überzahlung von 36.853,23 € fest; sie verfügte ferner, dass der überzahlte Betrag nicht zu erstatten sei. Sie führte zur Begründung aus, dass die Rente unter Berücksichtigung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit vom 17. Dezember 1973 (AbkSozSich) festzustellen sei. Da der Hinterbliebenenrente auch außerhalb des Bundesgebiets vom 07. Februar 1927 bis zum 15. März 1957 zurückgelegten Zeiten zugrunde lägen, könne die Rente nicht mehr in vollem Umfang, sondern nur noch anteilig gewährt werden. Der Rentenbescheid vom 15. Juni 1970 sei nach § 48 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) aufzuheben sei, weil aufgrund des Auslandsverzuges der Klägerin nach Israel am 31. August 2002 ihre Rente ab 01. September 2002 in unzutreffender Höhe ohne Berücksichtigung der Auslandszahlungsvorschriften der §§ 110 ff. des Sechsten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) gezahlt worden und auch nicht mehr in bisheriger Höhe weiter zu zahlen sei. Im Wege des Ermessens werde auf die Geltendmachung der Rückzahlung der überzahlten Rentenbeträge in Höhe von 36.853,23 € verzichtet. Die Klägerin wandte sich zunächst mit Widerspruch vom 09. August 2006 gegen den Abzug von Beiträgen zur Krankenversicherung, des zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrags und eines Beitrags zur Pflegeversicherung.

Sie beantragte mit Schriftsatz vom 03. Januar 2008, die Rentenneufeststellung insgesamt rückgängig zu machen, weil die Klägerin nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) auch nach dem Verzug nach Israel keine Herabsetzung der Rente hinzunehmen habe. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 29. Januar 2008 die Rücknahme des Bescheids vom 24. Juli 2006 ab. Sie führte zur Begründung aus, dass die Rechtsprechung des EuGH keine Auswirkungen auf den vorliegenden Sachverhalt habe, weil sich die einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Regelungen nicht auf Personen bezögen, welche außerhalb der Mitgliedsstaaten wohnten. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 06. Februar 2008 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2008 zurück.

Die Klägerin hat ihr Begehren mit der am 04. Dezember 2008 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 18. Februar 2010 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung einer höheren Rente unter Berücksichtigung der nach §§ 15 f. FRG zurückgelegten Beitrags- und Beschäftigungszeiten des Versicherten habe. Eine uneingeschränkte Berücksichtigung von Versicherungszeiten, welche außerhalb des Bundesgebietes in entsprechender Anwendung von Art. 10 der Verordnung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft – VO (EWG) – Nr. 1408/71 zurückgelegt worden seien, und damit die Heranziehung des Freizügigkeitsgebots aus Art. 39 und 42 des EG-Vertrags seien für die nach Israel verzogene Klägerin bereits dadurch ausgeschlossen, dass Israel nicht der Anwendung des Gemeinschaftsrechts unterfalle. Die Hinterbliebenenrente der Klägerin sei unter Zugrundelegung des AbkSozSich zutreffend neu festgestellt worden.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 18. Februar 2010 zugestellte Urteil am 17. März 2010 Berufung eingelegt. Sie hält die Rechtsprechung des EuGH auch in ihrem Fall für einschlägig.

Die Klägerin beantragt (sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 18. Februar 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 29. Januar 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20. Mai 2008 zu verpflichten, den Bescheid vom 24. Juli 2006 zurückzunehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den Gerichtsbescheid des SG für zutreffend.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 11. Januar und 02. Februar 2011 einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter allein zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Berichterstatter darf vorliegend nach § 155 Abs. 3 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) anstelle des Senats und nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das SG hat in der angefochtenen Entscheidung die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen durchsetzbaren Anspruch auf Rücknahme des Bescheids vom 24. Juli 2006.

Dies gilt zunächst, soweit die Beklagte im Bescheid vom 24. Juli 2006 zukunftsgerichtet ab 01. September 2006 die laufende Rente neu feststellte. Nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2006 ist, soweit er die Neufeststellung der Rente betrifft, nicht rechtswidrig. Rechtsgrundlage für die in der Rentenneufeststellung enthaltene Teilaufhebung der Rentengewährung ist § 48 Abs. 1 SGB X. Nach Abs. 1 S. 1 der Vorschrift ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben.

Mit der Begründung ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Israel liegt eine wesentliche Änderung der Verhältnisse vor. Nach der im Fünften Abschnitt enthaltenen Regelung des § 110 Abs. 2 des SGB VI erhalten Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, Leistungen, soweit nicht die folgenden Vorschriften über Leistungen an Berechtigte im Ausland etwas anders bestimmen. Nach § 110 Abs. 3 SGB VI sind die Vorschriften dieses Abschnitts nur anzuwenden, soweit nicht nach über- oder zwischenstaatlichem Recht etwas anderes bestimmt ist.

Dies zugrunde gelegt waren die Fremdrentenzeiten ab dem Zeitpunkt, in welchem die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Israel begründete, nicht mehr zu berücksichtigen.

Dies folgt zum Einen aus § 113 Abs. 1 S. 1 SGB VI, wonach die persönlichen Entgeltpunkte von Berechtigten, welche ihren persönlichen Aufenthalt im Ausland haben, in erster Linie aus Entgeltpunkten für Bundesgebiets-Beitragszeiten ermittelt werden. Nach § 113 Abs. 1 S. 2 sind Bundesgebiets-Beitragszeiten solche Beitragszeiten, für welche Beiträge nach Bundesrecht nach dem 08. Mai 1945 gezahlt worden sind, und die diesen im Fünften Kapitel gleichgestellten Beitragszeiten. Hierzu gehören nicht die gemäß nach §§ 15 f. FRG zurückgelegten Zeiten (etwa Polster, in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 67. Ergänzungslieferung 2010, § 113 SGB VI Rn. 5).

Hieran gemessen ist der Bescheid vom 24. Juli 2006, dessen rechnerische Richtigkeit die Klägerin im Übrigen nicht gerügt hat, rechtlich nicht zu beanstanden, indem die Hinterbliebenenrente nunmehr ohne Berücksichtigung von Entgeltpunkten für Fremdrentenzeiten niedriger als zuvor festgestellt wurde.

Zum Anderen kam auch nach über- beziehungsweise zwischenstaatlichem Recht eine Berücksichtigung von Fremdrentenzeiten nicht mehr in Betracht. Nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 AbkSozSich gelten, soweit dieses Abkommen nichts anderes bestimmt, die Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates, nach denen die Entstehung von Ansprüchen auf Leistungen oder die Gewährung von Leistungen oder die Zahlung von Geldleistungen vom Inlandsaufenthalt abhängig ist, nicht für die in Art. 3 Abs. 1 AbkSozSich genannten Personen (insbesondere Staatsangehörige des anderen Vertragsstaates, Art. 3 Abs. 1 lit. a AbkSozSich), die sich im Gebiet des anderen Vertragsstaates aufhalten. Nach Nr. 3 lit. a 2. Spiegelstrich des Schlussprotokolls zum AbkSozSich berührt Art. 4 Abs. 1 ABkSozSich nicht die deutschen Rechtsvorschriften über Leistungen aus Versicherungszeiten, die nicht nach Bundesrecht zurückgelegt sind.

Dies zugrunde gelegt schreibt das durch das AbkSozSich verkörperte zwischenstaatliche Recht zwischen Deutschland und Israel keine Berücksichtigung der auf Fremdrentenzeiten beruhenden Entgeltpunkte vor; vielmehr soll nach dem AbkSozSich unter anderem auch die in § 113 Abs. 1 SGB VI enthaltene Regelung zur Höhe der Rente für Berechtigte im Ausland unberührt bleiben.

Auch aus europäischem Gemeinschaftsrecht folgt nicht, dass nach der Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts in Israel die persönlichen Entgeltpunkte auch aus Entgeltpunkten für Beitrags- und Beschäftigungszeiten nach §§ 15 f. FRG zu ermitteln sind. Dies folgt zunächst nicht aus Art. 10 VO (EWG) Nr. 1408/71, wonach die Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für die Hinterbliebenen, die Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten und die Sterbegelder, auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten Anspruch erworben worden ist, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden dürfen, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.

Diese Regelung erfasst die Klägerin schon deshalb nicht, weil sie nicht in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union (EU) wohnt. Aus denselben Gründen lässt sich auch aus Grundfreiheiten des europäischen Gemeinschaftsrechts für das klägerische Begehren mangels Gemeinschaftsrechtsbezugs von vornherein nichts herleiten und liegt für eine Richtervorlage im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) – vormals nach Art. 234 des EG-Vertrags - nichts vor.

Die Berufung ist ferner ohne Erfolg, soweit sich die Klage auch gegen die teilweise rückwirkende Neufeststellung der Rente für die Zeit vom 01. September 2002 bis zum 31. August 2006 richtet. Hierbei kann dahinstehen, ob die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 bis 4 SGB X vorliegen. Jedenfalls fehlt es der Klage am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis, weil die Klägerin durch die Anfechtung der in der teilweise rückwirkenden Neufeststellung liegenden Teilaufhebung der Rente ihre Rechtsposition nicht verbessern kann, nachdem die Beklagte im Bescheid vom 24. Juli 2006 ausdrücklich und gemäß § 34 Abs. 1 SGB X mit bindender Wirkung zusicherte, von einer Erstattung der infolge der rückwirkenden Teilaufhebung entstandenen Überzahlung abzusehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil kein Revisionsgrund gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG vorliegt.