Gericht | OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 12.11.2018 | |
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Aktenzeichen | 13 UF 97/18 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Barunterhaltspflicht des nicht betreuenden Elternteils kann nach § 1603 Abs. 2 S 3 BGB entfallen, wenn er zur Unterhaltszahlung nicht ohne Beeinträchtigung seines angemessenen Unterhalts von 1300 € (Nr. 21.3.1 der Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, fortan auch: LL) in der Lage ist, während der betreuende Elternteil neben der Betreuung der Kinder auch den Barunterhalt leisten kann, ohne dadurch seinen eigenen angemessenen Unterhalt von 1300 € zu gefährden, und die Inanspruchnahme des nicht betreuenden Elternteils zu einem erheblichen finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Eltern führen würde (vgl. Wendl/Klinkhammer, Unterhaltsrecht, § 2 Rn. 398 m.w.N.).
2. Ein erhebliches finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern lässt sich annehmen, wenn dem betreuenden Elternteil nach Deckung des Kindesunterhalts wenigstens 500 € mehr verbleiben als dem Barunterhaltspflichtigen (vgl. Wendl/Klinkhammer, Unterhaltsrecht, § 2 Rn. 398 m.w.N.).
3. Zur Berücksichtigungsfähigkeit von Hausverbindlichkeiten des nicht betreuenden Elternteils
4. Zur Berücksichtigungsfähigkeit eines Nutzungsentschädigungsanspruchs des nicht betreuenden Elternteils gegen den betreuenden Elternteil
5. Wohnwertvorteil des betreuenden Elternteils als dessen Einkommen
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 18.04.2018 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller haben die Kosten der Beschwerde zu tragen.
Wert der Beschwerde: bis 4.000 €
Die beschwerdeführenden Antragsteller begehren noch rückständigen Unterhalt in Höhe von 115 % des Mindestunterhalts vom Antragsgegner, ihrem Vater.
Sie sind einkommens- und vermögenslos und leben bei ihrer alleinsorgeberechtigten Mutter. Diese bewohnte mit ihnen in den noch verfahrensgegenständlichen Monaten 02/2017 – 06/2017 ein vormals als Familienheim genutztes in je hälftigem Eigentum der Kindeseltern stehendes Grundstück, dessen Finanzierungs- und Betriebskosten der Antragsgegner alleine getragen hat.
Sie haben ihn unter Zurechnung eines Wohnwertvorteils für dieses Grundstück für leistungsfähig gehalten.
Der Antragsgegner hat Leistungsunfähigkeit geltend gemacht und die Antragsteller auf ihre Mutter als andere leistungsfähige Verwandte verwiesen.
Mit dem angefochtenen Beschluss, auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist (vgl. 230 ff), hat das Amtsgericht den Antragstellern laufenden Unterhalt ab 07/2017 in beantragter Höhe zuerkannt und ihren Antrag auf rückständigen Unterhalt zurückgewiesen. Ein Wohnvorteil sei dem Antragsgegner für den rückstandsbetroffenen Zeitraum nicht zuzurechnen. Nach Bereinigung seines Einkommens um die Finanzierungs- und Bewirtschaftungskosten liege sein Einkommen unter seinem notwendigen Selbstbehalt. Einer gesteigerten Erwerbsobliegenheit des Vaters stehe die Leistungsfähigkeit ihrer Mutter nach § 1603 Abs. 2 S 3 BGB entgegen, zumal der mit 20% ihrer Unterhaltsansprüche anzusetzende Wohnbedarf der Antragsteller durch die vom Antragsgegner allein getragenen Finanzierungs- und Bewirtschaftungskosten bereits gedeckt sei.
Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Zahlungsbegehren im Umfang ihres Unterliegens uneingeschränkt weiter. Sie meinen, dem Antragsgegner sei ein Wohnwertvorteil zuzurechnen, weil ihre Eltern in einem Vergleich vom 21.02.2017 eine von den Eltern der Höhe nach noch auszuhandelnde Nutzungsentschädigungpflicht der Mutter für die jetzt noch verfahrensgegenständlichen Monate und für den Fall der weiteren Finanzierungsleistungen des Antragsgegners vereinbart hätten. Die Ansprüche des Antragsgegners seien durch Aufrechnung erloschen. Zudem habe das Amtsgericht ihre Mutter fälschlich als anderweitige leistungsfähige Verwandte angesehen.
Sie beantragen,
1) an die Antragstellerin zu 1) einen rückständigen Unterhalt für die Zeit vom 01.02.2017 bis zum 30.06.2017 i.H.v. 1780 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz aus je 356 € ab dem 02.03.2017, 02.04.2017, 02.05.2017 sowie 02.06.2017 zu zahlen;
2) an den Antragsteller zu 2) einen rückständigen Unterhalt für die Zeit vom 01.02.2017 bis zum 30.06.2017 i.H.v. 1490 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz aus je 298 € seit dem 02.03.2017, 02.04.2017, 02.05.2017 sowie 02.06.2017 zu zahlen.
Der Antragsgegner hat mit Anwaltsbestellung für die Beschwerde seine Verteidigungsbereitschaft angezeigt (278).
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf den Schriftsatzwechsel im Beschwerderechtszug. Er entscheidet, wie angekündigt (305), ohne mündliche Verhandlung (§§ 117 Abs. 3, 68 Abs. 3 S 2 FamFG).
II.
Die nach §§ 58 ff FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Die Barunterhaltspflicht des Antragsgegners als nicht betreuender Elternteil entfällt nach § 1603 Abs. 2 S 3 BGB, da er ihnen gegenüber in den beschwerdegegenständlichen Unterhaltsperioden zur Unterhaltszahlung nicht ohne Beeinträchtigung seines eigenen angemessenen Unterhalts von 1300 € (Nr. 21.3.1 der Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, fortan auch: LL) in der Lage war, während die Mutter als anderer Elternteil neben der Betreuung der Kinder auch den Barunterhalt leisten konnte, ohne dadurch ihren eigenen angemessenen Unterhalt von 1300 € zu gefährden, und die Inanspruchnahme des Antragsgegners zu einem ganz erheblichen finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Eltern geführt hätte (vgl. Wendl/Klinkhammer, Unterhaltsrecht, § 2 Rn. 398 m.w.N.).
Das Einkommen des Antragsgegners errechnet sich wie folgt.
Netto | 2.179,88 € |
BBA | -108,99 € |
Finanzierungskosten | -703,00 € |
Bewirtschaftung | -275,14 € |
Summe | 1.092,75 € |
Die Hausverbindlichkeiten sind abzugsfähig. Grundsätzlich sind auch sie wie andere Verbindlichkeiten unter umfassender Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu behandeln. Dabei kann insbesondere die Tatsache, dass ein Haus als Familienheim gedient hat, für eine unterhaltsrechtliche Anerkennung der darauf bezogenen Schulden sprechen, sofern diese sich in einem angemessenen und zumutbaren Rahmen halten, wie hier (vgl. BGH NJW-RR 1995, 129 m.w.N.). Der auf den Vater entfallende Finanzierungsanteil von etwa 350 € monatlich liegt deutlich unter dem Mietanteil von 380 € im notwendigen Selbstbehalt von 1080 € (vgl. 21.1. LL). Zudem bildete der Vater unterhaltsrechtlich kein Vermögen zu Lasten der Kinder, da der ihm schon aus damaliger Sicht perspektivisch zuzurechnende Wohnwertvorteil seinen Finanzierungsaufwand überstieg und damit den Unterhaltsanspruch der Kinder tendenziell erhöhte, wie deren zuerkannte Unterhaltsansprüche für die Zeit nach Wiedereinzug des Vaters in das vormalige Familienheim deutlich zeigen. Überdies entspricht seine Fortführung der Finanzierung der elterlichen Absprache im Vergleich vom 21.02.2017, die eine alleinige Ratenzahlung des Vaters voraussetzt und zur Bedingung erhebt (vgl. 291).
Letzteres gilt in ähnlicher Weise für die zwischen den Eltern übereinstimmend ins Auge gefasste Übernahme der Bewirtschaftungskosten, die der Senat allerdings mit 275 € um rund 45 € niedriger ansetzt als das Amtsgericht. Der Minderbetrag entfällt auf Kosten für Internet/Telefon/TV und stellt sich insoweit nicht als Bewirtschaftung dar, da der Vater diese Anschlüsse mit seinem Auszug hat sperren lassen (vgl. 300).
Ein Wohnvorteil ist dem Antragsgegner in der Zeit, in der er das Haus nicht bewohnt hat, nicht zugeflossen (vgl. Nr. 5 LL).
Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist dem Antragsgegner ein Nutzungsentschädigungsanspruch gegen ihre Mutter unterhaltsrechtlich weder als Einkommen (vgl. etwa Nr. 1.6 LL) noch als Vermögen zuzurechnen. Tatsächlich ist ihm eine Nutzungsentschädigung in den noch streitbefangenen Unterhaltsperioden nicht zugeflossen, da die Mutter keine Zahlungen an den Vater vorgenommen hat. Fiktiv wäre es ihm zuzurechnen, wenn er gegen seine Obliegenheit, Vermögenswerte zur Sicherstellung des Kindesunterhalts in zumutbarer Weise zu realisieren, verstoßen hätte, wenn es ihm also möglich und zumutbar gewesen wäre, seinen Nutzungsentschädigungsanspruch noch während der überlassungsgegenständlichen fünf Unterhaltsperioden gegen die Mutter titulieren zu lassen und zu vollstrecken. Dies war ihm in Ansehung der üblichen Verfahrensdauer diesbezüglicher erstinstanzlicher Erkenntnis- und anschließender Vollstreckungsverfahren schon tatsächlich nicht möglich. Überdies hätte er mit einer sofortigen Klage gegen die vertraglich vereinbarte Verständigungspflicht aus dem Vergleich vom 21.02.2017 verstoßen, auf deren Einhaltung er zunächst vertrauen durfte.
Soweit die Beschwerde meint, mit Schreiben vom 04.08.2017 eine Aufrechnung erklärt zu haben, führt dies weder tatsächlich noch rechtlich zu einer Leistungsfähigkeit des Antragsgegners in den durchweg davor liegenden verfahrensgegenständlichen Zeiträumen. Abgesehen davon, dass schon der Wortlaut des Vergleiches vom 21.02.2017 erhebliche Anhaltspunkte für die Vereinbarung einer Effektiverfüllung oder Barzahlung der jeweiligen Forderungen und damit für ein vertragliches Aufrechnungsverbot enthält, fehlt es im Schreiben vom 04.08.2017 ohnehin an einer Aufrechnungserklärung. Das anwaltlich verfasste Schreiben spricht vielmehr von einer Anrechnung (vgl. 299) und ist daher aus objektiver Empfängersicht zu verstehen als gerichtet auf den Ausgleich unselbständiger Rechnungsposten und noch dazu als bloßer Vorschlag im Rahmen von Vergleichsverhandlungen. In diesem Sinn durfte es der Adressat, gleichfalls Rechtsanwalt, auch auffassen, und hat es tatsächlich auch so verstanden (vgl. 302).
Das Einkommen der Mutter ermittelt sich wie folgt.
Netto | 2.397,93 € |
BBA | -119,90 € |
Wohnvorteil | 1.107,00 € |
Rückstellung Nutzungsentschädigung | -510,00 € |
Rückstellung Betriebskosten | -275,14 € |
Unterhalt … | -297,00 € |
Unterhalt … | -246,00 € |
Summe | 2.056,89 € |
Der Wohnvorteil ist der Mutter in voller Höhe zuzurechnen, allerdings ohne dass dadurch die Bedürftigkeit der Kinder (§ 1602 BGB) zu vermindern wäre. Da sie das Haus zur Hälfte auf vertraglicher Basis entgeltlich und zur anderen Hälfte als Eigentümerin nutzt, ist sie es, die den Kindern deren Wohnvorteil alleine vermittelt, nicht anders als in einer von ihr anderweitig gemieteten Wohnung. Bei Wohnungsgewährung durch die das Kind betreuende Mutter findet eine Anrechnung nach § 1602 BGB regelmäßig nicht statt, weil es sich insoweit um eine Drittleistung handelt, die den Unterhaltspflichtigen nicht entlasten soll (vgl. Staudinger/Klinkhammer (2018) BGB § 1610, Rn. 27).
Da die Eltern die Entgeltlichkeit der Grundstücksüberlassung vereinbart haben, ist der Mutter, auch wenn sie vor Abschluss der Preisfindung keine Zahlungen geleistet hat, jedenfalls die Bildung von Rücklagen zuzugestehen, die sie hier in Höhe von 510 € für angemessen gehalten hat (vgl. 299), sowie in Höhe der Bewirtschaftungskosten.
Mit diesem Einkommen konnte die Mutter den Mindestunterhalt der Antragsteller tragen, ohne ihren eigenen angemessen Selbstbehalt zu gefährden. Zugleich bestand ein finanzielles Ungleichgewicht zwischen den Eltern, das sich annehmen lässt, wenn dem betreuenden Elternteil nach Deckung des Kindesunterhalts wenigstens 500,– EUR mehr verbleiben als dem Barunterhaltspflichtigen (vgl. Wendl/Klinkhammer, Unterhaltsrecht, § 2 Rn. 398 m.w.N.). Der betreuenden Mutter verblieben nach Deckung des Kindesunterhalts mehr als 750 € gegenüber ihrem angemessen Selbstbehalt und mehr als annähernd 1000 € als dem Barunterhaltspflichtigen.
Bei der Heranziehung der Mutter zum Barunterhalt abweichend von der Regel des § 1606 Abs. 3 S 2 BGB berücksichtigt der Senat namentlich das erhebliche finanzielle Ungleichgewicht zwischen den Eltern, den Umstand, dass die Mutter das jüngere Kind bereits in einem Umfang fremdbetreuen lassen konnte, der ihr die Ausübung einer Vollzeitstelle ermöglichte und einen weiter herabgesetzten Betreuungsbedarf bei dem älteren Kind, einer 8- bis 9-jährigen Schülerin.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 243 Nr. 1 FamFG.
Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 55 Abs. 2, 51 Abs. 2 FamGKG.
Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (§ 70 Abs. 2 FamFG), besteht nicht.