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Entscheidung S 26 AS 1318/15


Metadaten

Gericht SG Neuruppin 26. Kammer Entscheidungsdatum 25.10.2019
Aktenzeichen S 26 AS 1318/15 ECLI
Dokumententyp Gerichtsbescheid Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

Ein Gericht ist aufgrund des Untersuchungsgrundsatzes nicht verpflichtet, bei einer reinen Anfechtungsklage Ermittlungen nachzuholen, die die beklagte Behörde unterlassen hat, um die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts selbst festzustellen (Anschluss an BSG vom 25.6.2015 - B 14 AS 30/14 R = SozR 4-4200 § 60 Nr 3, RdNr 17ff).

Tenor

Die mit dem Änderungsbescheid des Beklagten vom 19. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Juni 2015 verlautbarte Aufhebungsentscheidung des Beklagten wird aufgehoben.

Der Beklagte hat den Klägern die ihnen entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach in voller Höhe zu erstatten.

Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob den Klägern Ansprüche auf Gewährung höherer passiver Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für den Zeitraum vom 01. Juni 2015 bis zum 30. November 2015 zustehen.

Die im Jahre 1985 geborene Klägerin zu 1. bezieht zusammen mit der im Jahre 2012 geborenen Klägerin zu 2. und dem im Jahre 2013 geborenen Kläger zu 3. seit geraumer Zeit passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II von dem Beklagten.

Auf einen entsprechenden Fortzahlungsantrag vom 17. Februar 2015 gewährte der Beklagte den Klägern mit bestandskräftig gewordenem Bewilligungsbescheid vom 16. März 2015 Leistungen für den Zeitraum vom 01. April 2015 bis zum 30. November 2015 in Höhe eines Betrages von monatlich 697,44 Euro (Klägerin zu 1.), von monatlich 204,80 Euro (Klägerin zu 2.) sowie von monatlich 74,80 Euro (Kläger zu 3.).

Mit „Änderungsbescheid“ vom 19. Mai 2015 hob der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 16. März 2015 – gestützt auf § 40 SGB II in Verbindung mit § 48 Abs 1 S 1 SGB X – mit Wirkung vom 01. Juni 2015 auf. Daneben bewilligte er den Klägern für den Zeitraum vom 01. Juni 2015 bis zum 30. November 2015 unter Berufung auf § 40 Abs 2 Nr 1 SGB II iVm § 328 Abs 1 S 1 Nr 3 SGB III vorläufig passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitssuchende nach dem SGB II in geringerer Höhe als mit dem Bewilligungsbescheid vom 16. März 2015. Zur Begründung führte er unter anderem aus, die Klägerin zu 1. bilde mit Herrn E. eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, weshalb auch der Bedarf, das Einkommen und Vermögen des Herrn E. zu berücksichtigen sei. Da dieses bislang nicht bekannt sei, erfolge die Gewährung der Leistungen unter dem Vorbehalt der Rückforderung.

Hiergegen erhoben die Kläger mit Schreiben vom 27. Mai 2015 Widerspruch, den sie im wesentlichen damit begründeten, zwischen der Klägerin zu eins und Herrn E. bestehe keine Verantwortung-und Einstandsgemeinschaft, sie lebten nicht gemeinsam, sondern getrennt.

Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09. Juni 2015 als unbegründet zurück. Zur Begründung seiner Entscheidung führt er im Wesentlichen aus, es bestehe zwischen der Klägerin zu 1. und Herrn E. eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft, weil die Voraussetzungen der Vermutungsregelung des § 7 Abs 3a SGB II erfüllt seien. Weil mit der gesetzlichen Neuregelung des § 7 SGB II die Beweiskraft zur Entkräftung der Vermutungsregelung bei der Klägerin und Herrn E. liege und die Vermutung des Vorliegens einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft nicht entkräftet worden sei, würden die Kläger und Herr E. eine Bedarfsgemeinschaft bilden, weshalb gemäß § 9 Abs 2 S 1 und S 3 SGB II auf den Bedarf auch das zu berücksichtigende Einkommen des Partners, hier also von Herrn E., anzurechnen sei. Dieses Einkommen sei bisher nicht bekannt. Zur Vermeidung von Nachteilen in der Leistungsgewährung und zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes sei somit die Leistung vorläufig zu gewähren.

Mit Schriftsatz vom 19. Juni 2015 haben die Kläger bei dem Sozialgericht Neuruppin am gleichen Tage Klage erhoben. Zur Begründung ihres auf Gewährung von Leistungen ohne Berücksichtigung einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft mit Herrn E. gerichteten Begehrens führen Sie aus, die Gelder und die Haushalte zwischen der Klägerin zu 1. und Herrn E. seien komplett getrennt. Jeder verfüge über sein eigenes Konto und sein eigenes Geld. Die Klägerin zu 1. und Herr E. würden jedenfalls auch nicht aus einem Topf wirtschaften. Dass Herr E. die Klägerin zu 1. zwischenzeitlich auch einmal unterstütze, liege in der Natur der Sache, da die Klägerin zu 1. und Herr E. ein gemeinsames Kind hätten und auch eine Beziehung unterhalten würden. Im Übrigen liege die Beweislast über das Vorliegen einer Einstandsgemeinschaft einzig und allein bei dem Beklagten.

Die Kläger beantragen (nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß),

die mit dem Bescheid des Beklagten vom 19. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Juni 2015 verlautbarte Aufhebungsentscheidung aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung seines Antrages verweist er im Wesentlichen auf die Ausführungen in dem – auch – angegriffenen Widerspruchsbescheid vom 09. Juni 2015 und vertieft seine dortigen Erwägungen. Er ergänzt, es sei davon auszugehen, dass die Vorschrift des § 7 Abs 3a SGB II abschließend die Tatbestandsmerkmale für das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne einer sog einstehen Gemeinschaft feststelle. Seien diese gegeben, so bestehe eine gesetzliche Vermutung für das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft. Infolgedessen obliege es gegebenenfalls den Klägern, den Beweis des Gegenteils zu führen. Dies sei den Klägern jedoch bislang nicht gelungen.

Das Gericht hat die Beteiligten mit Verfügung vom 11. Oktober 2019 zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

Die Prozessakte und die die Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidungsfindung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird ergänzend auf den Inhalt der Prozess- und der Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klagen, über die die Kammer gemäß § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden konnte, weil die Sache keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist, der Sachverhalt geklärt ist, die Beteiligten zuvor mit Verfügung vom 11. Oktober 2019 zu dieser beabsichtigten Entscheidungsform ordnungsgemäß angehört worden sind und eine ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten hierzu nicht erforderlich ist, haben Erfolg.

1. Gegenstand des Klageverfahrens sind die in der Antragstellung genannten Verfügungen des Beklagten, mit der dieser die mit dem Bewilligungsbescheid vom 16. März 2015 zuvor gewährten bewilligenden Rechtspositionen für den Zeitraum vom 01. Juni 2015 bis zum 30. November 2015 aufgehoben hat.

2. a) Die Kläger verfolgen ihr Begehren zu Recht mit (isolierten) Anfechtungsklagen im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Var 1 SGG iVm § 56 SGG. weil die Beklagte in die bislang den Klägern gewährte Rechtspositionen – die Festsetzung weitaus höherer Leistungsansprüche – zu Lasten der Kläger eingegriffen hat und sie allein durch die Aufhebung der die geringeren Leistungsansprüche titulierenden sozialverwaltungsbehördlichen Entscheidungen ihr Klageziel erreichen und sie eine noch höhere Leistungsfestsetzung wegen der Bindungswirkung der vorhergehenden bestandskräftig gewordenen Bewilligungsentscheidungen Beitragsfestsetzungsverfügungen (vgl § 77 SGG) nicht in zulässiger Weise begehren können. Bereits durch die Aufhebung der mit dem Änderungsbescheid vom 19. Mai 2015 (auch) verlautbarten aufhebenden Verfügungen leben die ursprünglichen bewilligenden Verfügungen, mit denen der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II ohne Berücksichtigung eines geringeren Regelbedarfs, mit Berücksichtigung eines Mehrbedarfes für Alleinerziehende und unter Berücksichtigung der vollständigen Kosten der Unterkunft und Heizung und damit ohne Berücksichtigung eines (vermeintlichen) weiteren Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft – Herrn E. – einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft gewährt hatte, wieder auf und die Kläger erlangen ihre zuvor bereits bewilligten Leistungsansprüche zurück, so dass es einer kombinierten Vorgehensweise nicht bedarf.

Dass der Beklagte den Klägern daneben mit den angegriffenen Aufhebungsverfügungen auch (geringere) Leistungen nach dem SGB II – vorläufig – gewährt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis, weil sich die Kläger hiergegen überhaupt nicht wenden, zumal sie durch diese sozialverwaltungsbehördliche Entscheidung des Beklagten nicht beschwert sind.

b) Die so verstandenen statthaften Klagen sind auch im Übrigen zulässig.

3. Die danach insgesamt zulässigen Klagen sind auch begründet. Die angegriffenen Aufhebungsverfügungen erweisen sich nach Maßgabe des § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 48 Abs 1 S 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) in der Fassung, die die genannten Vorschriften vor dem streitbefangenen Zeitraum hatten, weil in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden ist (vgl dazu nur Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 53/15 R, RdNr 15 mwN), rechtswidrig und die Kläger sind durch sie im Sinne des § 54 Abs 2 S 1 SGG in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten beschwert.

4. Die angegriffenen Aufhebungsentscheidungen des Beklagten vom 16. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Juni 2015 sind materiell rechtswidrig und verletzten die Kläger in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten, weil die Feststellungen des Beklagten die zugrunde zu legenden Aufhebungsvoraussetzungen nicht tragen. Die Voraussetzungen von § 40 Abs 1 S 1 SGB II des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) in der in der strittigen Zeit geltenden Fassung sowie von § 48 Abs 1 S 1 SGB X als der – zumindest – in dem Bescheid vom 16. März 2015 genannten Rechtsgrundlagen liegen nicht vor.

a) Nach § 48 Abs 1 S 1 SGB X ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Diese Voraussetzungen für eine Aufhebung der Leistungsverfügungen ist dem Bescheid vom 16. März 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Juni 2015 allenfalls rudimentär zu entnehmen. Der Beklagte hat zur Begründung der Aufhebungsentscheidungen im Wesentlichen ausgeführt, dass den Klägern wegen des Bestehens einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft mit Herrn E. eine Bedarfsgemeinschaft iSd § 7 Abs 3 SGB II bilde.

Diese – insoweit für den Beklagten offenbar – maßgebliche Begründung trägt indes nicht die Aufhebung der Leistungsbewilligung, weil es an einer entscheidenden Voraussetzung für eine solche Aufhebung fehlt. Notwendig für die Verneinung der Hilfebedürftigkeit ist in derartigen Konstellationen nicht nur das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft, sondern ebenfalls, dass innerhalb der Bedarfsgemeinschaft ein ausreichendes zu berücksichtigendes Einkommen erzielt wird (§ 9 Abs 2 SGB II). Zur Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens hat der Beklagte in den angegriffenen Verfügungen keine Feststellungen getroffen, keine Berechnungen vorgenommen und insbesondere keinerlei Ermittlungen hierzu vorgenommen oder diese zumindest nicht konsequent – notfalls mit Mitteln der Verwaltungsvollstreckung – zu Ende geführt. Die Annahme, den Klägern stünden keinerlei Leistungen zu, was es rechtfertigen würde, die Leistungsbewilligungen vollständig aufzuheben, war jedenfalls keine Feststellung aufgrund von Ermittlungen, sondern eine bloße Vermutung, auf die jedoch die Aufhebungsverfügungen nicht gestützt werden können (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 17).

b) Dass es Aufgabe des Beklagten ist, alle Tatsachen zu ermitteln, die zum Erlass eines Verwaltungsakts notwendig sind, folgt aus dem in § 20 SGB X festgeschriebenen Untersuchungsgrundsatz, dessen Reichweite sich nach dem jeweiligen Gegenstand des Verwaltungsverfahrens richtet vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 18 unter Hinweis auf Siefert in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 20 RdNr 5). Es müssen somit alle Tatsachen ermittelt werden, die für die Verwaltungsentscheidung wesentlich im Sinne von entscheidungserheblich sind. Ein Absehen von Ermittlungen ist nur zulässig, wenn es auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, sie offenkundig ist oder als wahr unterstellt werden kann oder das Beweismittel unerreichbar ist vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 18 unter Hinweis auf Siefert, aaO, § 20 RdNr 15 sowie Luthe in jurisPK-SGB X, 2013, § 20, RdNr 13).

Dementsprechend durfte es der Beklagte bei seiner Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 48 SGB X für eine vollständige Aufhebung der Leistungsverfügungen vorlagen, nicht offen lassen, ob und ggf in welcher Höhe Einkommen vorhanden war, das für die Deckung der Bedarfe der Bedarfsgemeinschaft ganz oder teilweise ausgereicht hätte. Es kam dann bei der folgenden Prüfung aber nicht darauf an, ob die Kläger ihre Hilfebedürftigkeit darlegen konnten, sondern in der Aufhebungssituation war der Beklagte gehalten, die erforderlichen Ermittlungen zum zu berücksichtigenden Einkommen und der sich daraus ergebenden Folgen für die Hilfebedürftigkeit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft anzustellen, wozu er zunächst das angesprochene Verfahren nach § 60 Abs 4 S 1 SGB II gegenüber Herrn E. hätte einleiten und konsequent zu Ende führen müssen.

c) Nach den allgemeinen Regeln für die Darlegungs- und Beweislast gilt, dass derjenige die objektiven Tatsachen darlegen muss, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Dies betrifft sowohl das Vorhandensein von positiven, als auch das Fehlen von negativen Tatbestandsvoraussetzungen (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 20 unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Oktober 1957 – 10 RV 945/55). Damit trägt der Beklagte nicht nur die objektive Beweislast für die belastende Aufhebungsentscheidung (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 20 unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 13. September 2006 – B 11a AL 13/06 R, RdNr 18; Bundessozialgericht, Urteil vom 20. Oktober 2005 – B 7a/7 AL 102/04 R, RdNr 13 ff sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 02. April 2009 – B 2 U 25/07 R), sondern er ist bereits im vorherigen Verfahrensstadium verpflichtet, die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Norm, auf die er seine Verwaltungsentscheidung stützt, zu ermitteln und entsprechend festzustellen, damit sich der Leistungsberechtigte im Verfahren mit seiner Argumentation auf die die Entscheidung tragenden Gründe einrichten kann.

Das ist auch deshalb nicht ausnahmsweise unbeachtlich, weil von Ermittlungen abgesehen werden konnte, da die ungeklärte Tatsache nicht oder nur unter unzumutbar erschwerten Bedingungen zu erreichen war. Vielmehr stand dem Beklagten gerade für Sachverhalte wie dem vorliegenden, die Möglichkeit zur Verfügung, sich zur Ermittlung des Vorliegens der tatsächlichen Voraussetzungen des Leistungsanspruchs unmittelbar an den Dritten zu wenden. Der Beklagte kann auf der Grundlage des § 60 Abs 4 S 1 Nr 1 SGB II einen Verwaltungsakt erlassen und bei unterbliebener oder pflichtwidriger Erfüllung der Auskunftspflicht durch den Dritten die Rechte und Befugnisse nach den §§ 62 und 63 SGB II (Schadenersatz, Ordnungswidrigkeitenrecht) in Anspruch nehmen, zudem wäre ein vollstreckungsrechtlicher Zwangsgeldverwaltungsakt gemäß § 40 Abs 6 SGB II nach Erlass des Auskunftsverwaltungsakts gemäß § 60 Abs 4 SGB II zu erwägen (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 21 unter Hinweis auf vgl Blüggel in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 60, RdNr 56 ff mwN).

d) Die Kammer war aufgrund ihrer Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG auch nicht verpflichtet, die vom Beklagten unterlassene Ermittlung des zu berücksichtigenden Einkommens als Voraussetzung für seine Aufhebungsverfügungen hinsichtlich der bewilligenden Verfügungen nachzuholen.

aa) Die Gerichte sind grundsätzlich verpflichtet, den angefochtenen Verwaltungsakt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend nachzuprüfen (vgl § 54 Abs 2 S 1, § 103 SGG); die beklagte Behörde kann deshalb im Laufe des Gerichtsverfahrens neue Tatsachen und Rechtsgründe „nachschieben“ (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 ua unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 87/09 R sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 21. September 2000 – B 11 AL 7/00 R, BSGE 87, 132, 139 = SozR 3-4100 § 128 Nr 10 S 87 f: nicht nur „Kassation“, sondern auch „Reformation“). Hinsichtlich eines solchen Nachschiebens von Gründen gibt es jedoch bei belastenden Verwaltungsakten, die im Wege der reinen Anfechtungsklage angefochten werden, Einschränkungen, wenn die Verwaltungsakte dadurch in ihrem Wesen verändert werden und der Betroffene infolgedessen in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werden kann (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 ua unter Hinweis auf BSGE 3, 209, 216; BSGE 9, 277, 279 f; BSGE 29, 129, 132; BSGE 38, 157, 159; BSGE 87, 8, 12; Kischel, Folgen von Begründungsfehlern, 2004, 189 ff).

Da die Aufrechterhaltung eines Verwaltungsakts mit einer völlig neuen tatsächlichen Begründung dem Erlass eines neuen Verwaltungsakts gleichkommt, würde das Gericht anderenfalls entgegen dem Grundsatz der Gewaltentrennung (Art 20 Abs 2 S 2 des Grundgesetzes) selbst aktiv in das Verwaltungsgeschehen eingreifen (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 unter Hinweis auf BSGE 9, 277, 280). Eine solche Änderung des „Wesens“ eines Verwaltungsakts, das in Anlehnung an den Streitgegenstand eines Gerichtsverfahrens bestimmt werden kann (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 unter Hinweis auf BSGE 9, 277, 280 sowie Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl 2015, § 113 RdNr 69), ist ua angenommen worden, wenn die Regelung auf einen anderen Lebenssachverhalt gestützt wird, zB bei einem Streit um die Höhe einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung im Laufe des Gerichtsverfahrens ein weiteres Element der Rentenberechnung vom Rentenversicherungsträger in Abrede gestellt wird (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 unter Hinweis auf BSGE 38, 157, 159; BSG SozR 1500 § 77 Nr 56), oder wenn auf eine andere Rechtsgrundlage zurückgegriffen werden soll, die einem anderen Zweck dient (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 23 unter Hinweis auf Bundessozialgericht, Urteil vom 24. Februar 2011 – B 14 AS 87/09 R, RdNr 16).

bb) Neben dieser Entwicklung der Rechtsprechung hat der Gesetzgeber einerseits in § 41 Abs 2 SGB X die Heilungsmöglichkeiten für Verfahrens- und Formfehler der Behörde bei Erlass eines Verwaltungsakts bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines gerichtlichen Verfahrens erleichtert (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 24 unter Hinweis auf Dolderer, DÖV 1999, 104 ff) und andererseits die Möglichkeit der Zurückverweisung vom Gericht an die Behörde eingeführt, wenn diese Ermittlungen unterlässt (§ 131 Abs 5 SGG), sowie dem Gericht das Recht eingeräumt, der Behörde die Kosten einer von ihr unterlassenen und vom Gericht nachgeholten Ermittlung aufzuerlegen (§ 192 Abs 4 SGG). Hierdurch sind die Heilungs- und Nachbesserungsmöglichkeiten der Behörde in formeller Hinsicht erweitert worden, während sie auf der anderen Seite ihre Ermittlungsarbeit nicht auf die Gerichte verlagern soll, weil diese für die materielle Entscheidung von zentraler Bedeutung ist und deren Kern und damit das Wesen des erlassenden Verwaltungsakts bestimmt. Ausgehend von diesen Konkretisierungen des Gesetzgebers und der zuvor dargestellten Rechtsprechung ist in reinen Anfechtungssachen das Nachschieben eines Grundes durch die Behörde regelmäßig unzulässig (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 24 unter Hinweis auf Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29. Juni 2015 – 1 C 2/15, RdNr 14 f zur gesetzlich ausdrücklich angeordneten Pflicht der Gerichte zur Nachermittlung neuer Sachverhalte im Asylrecht), wenn dieser umfassende Ermittlungen seitens des Gerichts erfordert, die Behörde ihrerseits insofern keine Ermittlungen angestellt hat und der Verwaltungsakt hierdurch einen anderen Wesenskern erhält, weil dann der angefochtene Verwaltungsakt – bei einem entsprechenden Ergebnis der Ermittlungen – mit einer wesentlich anderen Begründung Bestand hätte (vgl nur Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Juni 2015 – B 14 AS 30/14 R, RdNr 24 unter Hinweis auf Kischel, Folgen von Begründungsfehlern, 2004, 190 f).

cc) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hätte erst das Gericht durch die Ermittlung des Einkommens des Herrn E. die Grundlagen für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts legen können und hätte damit das Wesen der angegriffenen Aufhebungsverwaltungsakte verändert. Trotz des Zusammenhangs zwischen dem Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft und der Erzielung von Einkommen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft nach § 9 Abs 2 SGB II handelt es sich nämlich um grundlegend verschiedene Prüfungspunkte, bei denen eigenständige Ermittlungen erforderlich sind, wie zB die Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach § 60 SGB II zeigen. Es handelt sich also nicht nur um eine Ergänzung des Sachverhalts, auf den der Beklagte seine Entscheidung gestützt hat, sondern um die umfassende Prüfung einer weiteren Voraussetzung für die angefochtenen Aufhebungsverfügungen, die der Beklagte bisher nicht beachtet hatte und deren Prüfung und Aufklärung in tatsächlicher Hinsicht in erster Linie von ihm durchzuführen war. Außerdem wären hierdurch die Verteidigungsmöglichkeiten der Kläger erheblich erschwert worden, weil die gesonderte Prüfung der Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens seitens des Beklagten gegenüber Herrn E. hinsichtlich des auf der Grundlage von § 60 Abs 4 S 1 SGB II zu führenden Verfahrens entfallen wäre. Im Rahmen einer Anfechtungsklage der vorliegenden Art ist es Aufgabe des Gerichts, die Entscheidung der Verwaltungsbehörde zu überprüfen, nicht aber die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts erst zu schaffen.

e) Auf die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob zwischen der Klägerin zu 1. und Herrn E. in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs 3 Nr 3 c) SGB II bestand, kommt es nach alledem nicht mehr entscheidungserheblich an.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG. Es entsprach dabei der Billigkeit, dass der Beklagte den Klägern die ihnen entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach in voller Höhe zu erstatten hat, weil sie mit dem in der von dem Gericht zugrunde gelegten (sinngemäßen, vgl § 123 SGG) Antragstellung vollumfänglich obsiegten.

6. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 183 S 1 SGG).