Gericht | OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen | Entscheidungsdatum | 14.06.2018 | |
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Aktenzeichen | 9 UF 96/17 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2018:0614.9UF96.17.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1.
Auf die Beschwerde der Mutter wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Oranienburg vom 04.04.2017 (Az. 33 F 95/15) dahingehend abgeändert, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind E… G…., geboren am 01.10.2010, den Eltern wieder gemeinsam zusteht.
Es wird festgestellt, dass die Eltern das Kind außerhalb der Schulferien im wöchentlichen Wechsel in der Zeit von Montag nach Schulschluss bis zum Schulbeginn am Montag der Folgewoche betreuen. Die Regelung beginnt mit der Mutter am Montag, dem 25.06.2018, nach Schulschluss; der Vater übernimmt das Kind am Montag, dem 02.07.2018 nach Schulschluss, usw.
Die weitergehende Beschwerde der Mutter wird zurückgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Eltern jeweils zur Hälfte; eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
3.
Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 € festgesetzt.
4.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
I.
Die Beteiligten zu 1) und 2) sind die geschiedenen Eltern ihres am 01.10.2010 geborenen Sohnes E… G... Aus der Ehe ist noch ein weiteres Kind hervorgegangen, die am 22.10.1998 geborene E…L… G….
Die Trennung der Kindeseltern erfolgte spätestens im Dezember 2014. Im Juli 2015 zog die Mutter aus dem gemeinsamen Haus in … aus; sie hatte eigenen Wohnraum in … (P… B…) gefunden.
In der Folgezeit stritten die Eltern über die Versorgung und Betreuung von E... Der Vater sprach sich für ein Wechselmodell aus. Die Mutter lehnte dies ab und bot dem Vater erweiterten Umgang an.
Die im Juni 1977 geborene Mutter stammt aus Ecuador. Sie lebt seit Januar 1999 in Deutschland und ist als Chemieingenieurin in Teilzeit tätig. Im Januar dieses Jahres hat sie wieder geheiratet.
Der im September 1970 geborene Vater arbeitet als Wirtschaftsingenieur. Er hat einige Jahre in Südamerika gelebt, wo er die Mutter kennengelernt und auch mehrere Semester studiert hat.
Mit Schriftsatz vom 03.07.2015 hat die Mutter das vorliegende Sorgerechtsverfahren eingeleitet und zuletzt auf Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich angetragen. Zur Begründung hat sie auf den Kindeswillen abgestellt und einen größeren Betreuungsanteil behauptet. Zudem sei sie konsequenter in der Erziehung des Jungen.
Der Vater ist dem Sorgerechtsbegehren entgegengetreten. Er hat einen gegenläufigen Antrag gestellt und sich auf den Aspekt der räumlichen und sozialen Kontinuität berufen. Auch hänge E… sehr an seiner Schwester E…L…, die ihm im Elternstreit Halt gebe.
Im September 2015 haben sich die Eltern sodann - mit Hilfe der Erziehungsberatungsstelle in Oranienburg - vorläufig auf ein paritätisches Wechselmodell verständigt, das bis heute praktiziert wird.
In der Folgezeit beauftragte das Amtsgericht die Sachverständige, Dipl.-Psych. … mit der Erstattung eines psychologischen Gutachtens zu der Frage, welchem Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind E... zu übertragen ist. Unter dem 08.06.2016 wurde Dipl.-Psych. … (wegen Erkrankung der Sachverständigen …) zur Zweitgutachterin bestellt. Unter dem 29.09.2016 legten die Sachverständigen … und … ihr Gutachten vor. Danach sollte aus Gründen des Kindeswohls E… Lebensmittelpunkt im Haushalt des Vaters sein oder das Wechselmodell beibehalten werden. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Gutachtens verwiesen.
Im Frühjahr 2016 war das gemeinsame Haus der Kindeseltern in … veräußert worden; der Vater bewohnt seither im Ort eine größere Mietwohnung. Im März/April 2016 wechselte E…L… nach einem Streit mit dem Vater in den Haushalt der Mutter.
Nach Anhörung des Kindes, seiner Eltern und der Sachverständigen … hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 04.04.2017 das Aufenthaltsbestimmungsrecht für E… dem Vater übertragen. Zur Begründung hat es auf den Kontinuitätsgrundsatz und auf die stärkere Bindungstoleranz des Vaters abgestellt. Ein eindeutiger Kindeswille sei nicht erkennbar. Ein Wechselmodell komme wegen mangelnder Einigungsbereitschaft der Eltern sowie der größeren Entfernung zwischen dem Wohnsitz der Mutter und der Grundschule in … nicht in Betracht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschlussgründe Bezug genommen.
Gegen den am 21.04.2017 zugestellten Beschluss hat die Mutter mit einem am 22.05.2017 (Montag) beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Sie rügt Fehler in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht, die sie näher darlegt.
Der Vater verteidigt die angefochtene Entscheidung mit näherer Darlegung.
E…L… ist im August 2017 wieder in den väterlichen Haushalt zurückgekehrt. E… besucht seit Herbst 2017 die Europa-Schule in ….
Mit Beschluss vom 10.10.2017 hat der Senat die Sachverständige … um Aktualisierung des Gutachtens vom 29.09.2016 ersucht. Sie hat unter dem 16.02.2018 über den Sachstand schriftlich berichtet.
Der Senat hat die Eltern am 17.05.2018 angehört; die Sachverständige … hat eine fachliche Stellungnahme abgegeben. Der Verfahrensbeistand war wegen Erkrankung des eigenen Kindes verhindert und das Jugendamt von der Teilnahme am Termin freigestellt.
II.
Die Beschwerde der Kindesmutter ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig.
In der Sache führt sie zur Abänderung des angefochtenen Beschlusses. Die gemeinsame elterliche Sorge war wieder vollumfänglich herzustellen und das von den Eltern (einvernehmlich) praktizierte paritätische Wechselmodell festzuschreiben.
Soweit das Amtsgericht dem Vater das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für den siebenjährigen E… übertragen hat, kann das nicht von Bestand sein. Dem gegenläufigen Antrag der Mutter muss ebenso der Erfolg versagt bleiben.
Nach § 1671 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung des Sorgerechts oder eines Teiles der elterlichen Sorge stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge bzw. eines Teilbereichs von dieser und die Übertragung auf den antragstellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht.
Es kann vorliegend dahinstehen, ob und inwieweit die erstinstanzliche Entscheidung richtig war. In jedem Fall liegen die Voraussetzungen für eine Übertragung des Aufenthalts-bestimmungsrechts auf einen Elternteil derzeit nicht vor. Dem Wohl des betroffenen Kindes entspricht es am besten, wenn die Eltern auch diesen Teilbereich der elterlichen Sorge wieder gemeinsam ausüben.
Nach den Feststellungen der Sachverständigen … möchte E… von beiden Eltern gleichermaßen versorgt und betreut werden. Der Junge kommt mit dem (seit September 2015) praktizierten paritätischen Wechselmodell gut zurecht; er fühlt sich bei beiden Eltern wohl. Die praktizierte Betreuung im Wechselmodell hat - nach Einschätzung der Sachverständigen - zu einer deutlichen emotionalen Stabilisierung des Kindes beigetragen. Dies sehen die Eltern nicht anders. Im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Senat haben Vater und Mutter eingeräumt, dass E… ruhiger geworden ist und ihm das Pendeln zwischen den Haushalten nichts ausmacht; eine paritätische Aufteilung der Betreuungszeiten - wie bisher - sei für ihn das Beste. Aus Gründen des Kindeswohls wollen die Eltern deshalb das aktuell praktizierte Wechselmodell (Wochenwechsel, Wechsel montags nach der Schule) fortführen. Dies haben sie der Sachverständigen … anlässlich eines gemeinsamen Gesprächs am 30.01.2018 mitgeteilt. Gegenüber dem Senat haben die Eltern am 17.05.2018 eine gleichlautende Erklärung abgegeben. Dass der Vater im Termin auf eine Entscheidung des Senats gedrungen hat, ändert an dem erzielten Konsens der Eltern nichts. Bei diesen Gegebenheiten ist die Wiederherstellung der gemeinsamen elterlichen Sorge im Teilbereich der Aufenthaltsbestimmung geboten. Im wohlverstandenen Interesse des Kindes muss sichergestellt werden, dass kein Elternteil das (gemeinsam) gewählte Betreuungsmodell in Form einer geteilten Betreuung des Kindes einseitig aufkündigen kann, indem es den Lebensmittelpunkt des Kindes in seinen Haushalt verlagert. Dies würde - aus den oben angeführten Gründen - dem Wohl E… zuwiderlaufen.
Das aktuell praktizierte paritätische Wechselmodell (Wochenwechsel, Wechsel montags nach der Schule) war festzuschreiben. Allein diese Form der Betreuung entspricht derzeit dem Wohl des betroffenen Kindes am besten. Hierüber besteht zwischen sämtlichen Beteiligten Einigkeit; auch der Verfahrensbeistand hat sich für das gemeinsame Aufenthaltsbestimmungsrecht ausgesprochen. Die Sachverständige …. hat sich im Rahmen des Anhörungstermins am 17.05.2018 nochmals ausdrücklich für eine gleichmäßige Betreuung E… durch beide Eltern ausgesprochen. Die Frage, ob in einem Sorgerechtsverfahren - wie hier - das Wechselmodell gerichtlich angeordnet werden kann, bedarf vorliegend keiner Entscheidung (der Bundesgerichtshof hat diese Frage in seiner grundlegenden Entscheidung zur Anordnung des paritätischen Wechselmodells in einem Umgangsverfahren - Beschluss vom 01.02.2017, XII ZB 601/15 - offen gelassen). Bei der (in Ziffer 1. Abs. 2 des Tenors) vorgenommenen Festschreibung des aktuell praktizierten paritätischen Wechselmodells handelt es nicht um eine gerichtliche Anordnung, sondern die Umsetzung der von den Eltern im Interesse des Kindes einvernehmlich getroffenen Entscheidung, das bisher praktizierte Wechselmodell fortzuführen. Der Senat hat mit Ziffer 1. Abs. 2 des Tenors keine eigene Entscheidung getroffen. Vielmehr hat er dem Willen der Eltern Geltung verschafft und ihre einvernehmlich erzielte Einigung, den gemeinsamen Sohnes E… weiterhin im Rahmen eines Wechselmodells zu betreuen, umgesetzt. Hierfür waren allein Gründe des Kindeswohls bestimmend. Eine Ferien- und Feiertagsregelung werden die Eltern in eigener Verantwortung erarbeiten müssen. Dies war nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens.
Im Hinblick auf den Konsens der Eltern betreffend die Betreuung und Versorgung des Kindes (und die damit notwendig verbundene Wiederherstellung des gemeinsamen Aufenthalts-bestimmungsrechts) ist eine Anhörung E…(§ 159 FamFG) unterblieben. Seinen Wünschen ist durch die vorliegende Entscheidung vollumfänglich Rechnung getragen worden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG.
Die Wertfestsetzung folgt aus §§ 40, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 FamFG sind nicht gegeben. Es liegt eine Einzelfallentscheidung vor.