Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 2. Senat | Entscheidungsdatum | 28.06.2011 | |
---|---|---|---|---|
Aktenzeichen | OVG 2 S 15.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 146 Abs 4 S 1 VwGO, § 146 Abs 4 S 4 VwGO, § 48 Abs 1 VwVfG, § 48 Abs 4 VwVfG, § 35 Abs 3 S 1 Nr 5 BauGB, § 35 Abs 3 S 1 Nr 7 BauGB |
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 25. Januar 2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde tragen die Antragsteller.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 500 EUR festgesetzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Aus den von den Antragstellern innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründen, die das Oberverwaltungsgericht nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht dem erstinstanzlich gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 30. Januar 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2009, mit welchem die nachträgliche Baugenehmigung vom 19. September 2002 zur Errichtung eines Geräteschuppens zurückgenommen worden ist, hätte stattgeben müssen. Aus den von der Beschwerde dargelegten Gründen folgt nicht, dass die Rücknahme der Baugenehmigung offensichtlich rechtswidrig ist.
1. Ohne Erfolg machen die Antragsteller geltend, die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Rücknahme der Baugenehmigung lägen nicht vor. Rechtsgrundlage für den angefochtenen Bescheid ist § 48 Abs. 1 VwVfG, hier anwendbar aufgrund der Verweisung durch § 1 Abs. 1 VwVfGBbg in der im maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2009 geltenden Fassung vom 7. Juli 2009 (GVBl I S. 262). Die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts, die nachträgliche Baugenehmigung vom 19. September 2002 sei rechtswidrig, weil der Geräteschuppen nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB am fraglichen Standort nicht zulässig sei, da seine Ausführung und Benutzung öffentliche Belange beeinträchtige, namentlich eine Verfestigung und Erweiterung der Splittersiedlung im Außenbereich befürchten lasse (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) und zu einer Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der freien Landschaft führe (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB), vermag die Beschwerde nicht zu erschüttern. Soweit die Antragsteller in Bezug auf den Tatbestand des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB einwenden, dass mit dem Vorhaben keine Zersiedelung eingeleitet worden sei, weil der Geräteschuppen nicht dem Aufenthalt von Menschen diene, ist darauf hinzuweisen, dass der Umstand, dass es sich nicht um eine Wohnzwecken dienende bauliche Anlage handelt, eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange nicht ausschließt (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 1998 - 4 C 10.97 -, juris Rn. 21). Hier besteht ein funktionaler Zusammenhang des Geräteschuppens mit dem einer Splittersiedlung zuzurechnenden Wochenendhaus auf dem Grundstück der Antragsteller (vgl. den Beschluss des Senats vom heutigen Tag im Verfahren OVG 2 S 14.11), so dass die Anlage eine bestehende Splittersiedlung verfestigen kann, ohne dass es darauf ankommt, ob der Geräteschuppen zum gelegentlichen Aufenthalt von Menschen bestimmt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. September 1984 - 4 B 188.84 -, juris Rn. 2; Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: 2010, § 35 Rn. 104).
Der weitere Einwand, das Grundstück befinde sich in einer durch die militärische Nutzung und Erholungsnutzung wesentlich „vorbelasteten“ Landschaft, die keines Schutzes durch § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB mehr bedürfe, überzeugt nicht. Die Antragsteller haben ihre Behauptung, das am Havelufer gelegene Grundstück sei durch die bereits in den 90er Jahren aufgegebene militärische Nutzung des Areals als Wasserübungsplatz weiterhin vorbelastet, durch nichts belegt. Weshalb die Erholungsnutzung durch andere private Grundstückseigentümer eine Vorbelastung mit der Folge einer fehlenden Schutzwürdigkeit des Außenbereichsgrundstücks begründen sollte, erschließt sich schon deshalb nicht, weil der Antragsgegner auch gegen andere baurechtswidrige Nutzungen einschreiten kann und dies - wie sich aus dem Akteninhalt ergibt - auch geschehen ist.
2. Mit ihren Angriffen gegen die Würdigung des Verwaltungsgerichts, die Rücknahme lasse einen Ermessenfehler im Sinne vom § 114 VwGO nicht erkennen, dringen die Antragsteller nicht durch. Soweit sie rügen, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe der Antragsgegner nicht alle wesentlichen für und gegen die Rücknahme sprechenden Gesichtspunkte berücksichtigt, insbesondere nicht den Vertrauensschutz und die getätigten finanziellen Investitionen, trifft dieser Einwand bereits tatsächlich nicht zu. Den Aspekt des Vertrauensschutzes hat der Antragsgegner in seine Ermessensentscheidung eingestellt und insoweit ausgeführt, es sei insbesondere seit dem Verfahren über die Beseitigungsanordnung für das Wochenendhaus nicht davon auszugehen, dass sich die Antragsteller in einer Art und Weise auf den Bestand der Baugenehmigung auch für den Geräteschuppen eingerichtet hätten, als dass die Rücknahme des Bescheides mit nicht mehr hinnehmbaren Folgen für sie verbunden wäre (S. 4 des Widerspruchsbescheides vom 7. September 2009). In Bezug auf die finanziellen Investitionen hat der Antragsgegner darauf verwiesen, dass die Antragsteller seinerzeit in den Anlagen zum Bauantrag die Baukosten mit ca. 250 Euro beziffert hätten, weshalb sich der Zeitwert angesichts der im Jahre 2002 beginnenden Nutzungsdauer gegen Null bewegen dürfte (S. 5 des Widerspruchsbescheides). Soweit die Antragsteller monieren, dass weder der Antragsgegner noch das Verwaltungsgericht darauf eingegangen seien, dass der Antragsgegner mit seiner Beratung und Begleitung im Baugenehmigungsverfahren einen wesentlichen Anteil an der Erteilung der Baugenehmigung und der Umsetzung des Vorhabens gehabt habe, ist darauf hinzuweisen, dass die Behörde bei einer Ermessensentscheidung nicht alle, sondern nur die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls einzubeziehen hat. Ein Gebot der vollständigen Ermessenserwägung besteht im Gegensatz zum Abwägungsgebot nicht (vgl. Wolff in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 114 Rn. 178). Die Antragsteller legen nicht dar, welchen Inhalt die Beratung und Begleitung im Baugenehmigungsverfahren gehabt haben soll. Ausgehend davon, dass in jedem Genehmigungsverfahren eine Kommunikation zwischen dem Bauherrn und der Behörde stattfindet, ist nicht dargetan, weshalb es sich hierbei um einen wesentlichen Gesichtspunkt handeln sollte, der vom Antragsgegner zwingend bei seiner Ermessensentscheidung zu berücksichtigen gewesen wäre.
3. Nicht überzeugen kann schließlich der Einwand der Antragsteller, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sei die Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 VwVfG im Zeitpunkt der Rücknahmeentscheidung bereits abgelaufen gewesen, weil sie spätestens im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides zur Beseitigungsanordnung betreffend des Wochenendhauses am 22. April 2005 zu laufen begonnen habe. Das Verwaltungsgericht ist unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 19. Dezember 1984 - BVerwG Gr.Sen. 1 und 2.84 - BVerwGE 70, 356; Urteil vom 24. Januar 2001 - 8 C 8.00 -, BVerwGE 112, 360) davon ausgegangen, dass die Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG erst zu laufen beginnt, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die weiteren für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Es hat angenommen, dass dem Antragsgegner frühestens am Tage der mündlichen Verhandlung im Verfahren 4 K 1158/05, dem 20. Mai 2008, die eine Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen und das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung uneingeschränkt und zweifelsfrei bekannt gewesen seien. Erst mit der Kenntnis, dass die vollständige Neuerrichtung des Wochenendhauses genehmigt worden war, habe der Antragsgegner einer Rücknahme sowohl der umfänglicher als gedacht erteilten Baugenehmigung für das Vorhaben „Dachsanierung eines Wochenendhauses“ als auch der allein in diesem Zusammenhang erteilten nachträglichen Baugenehmigung für den Geräteschuppen näher treten können. Die Richtigkeit dieser Würdigung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Antragsgegner im Widerspruchsbescheid vom 22. April 2005 betreffend die Beseitigungsanordnung hinsichtlich des Wochenendhauses ausgeführt hat, dass die nachträgliche Baugenehmigung für die Dachsanierung wohl nicht hätte erteilt werden dürfen. Diese Ausführungen bezogen sich auf die nach damaliger Auffassung des Antragsgegners erteilte Genehmigung für eine Dacherneuerung des Wochenendhauses. Der Antragsgegner fährt an der von den Antragstellern nur unvollständig zitierten Stelle des Widerspruchsbescheides fort, dass die Antragsteller durch Abweichungen in der Bauausführung von der erteilten Baugenehmigung keinen Gebrauch gemacht hätten und diese daher ins Leere laufe (vgl. S. 7 des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2005). Über eine Rücknahme der Baugenehmigungen nachzudenken, hatte er erst Anlass, als er durch das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 20. Mai 2008 sicher davon Kenntnis erlangte, dass er mit der Baugenehmigung vom 18. September 2002 - entgegen der von ihm bis dahin stets vertretenen Auffassung - nicht lediglich eine Genehmigung zur Erneuerung des Daches des Wochenendhauses erteilt hatte, sondern eine Genehmigung zur Neuerrichtung des Wochenendhauses. Erst zu diesem Zeitpunkt erhielt er sichere Kenntnis davon, dass diese Genehmigung rechtswidrig ist. Die für den Beginn der Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG erforderliche Kenntnis der Rechtswidrigkeit des erlassenen Verwaltungsakts setzt begrifflich voraus, dass der Behörde auch der Regelungsgegenstand eines Verwaltungsakts bekannt ist, dessen Rechtmäßigkeit zu beurteilen ist. Soweit die Antragsteller zur Begründung der Beschwerde im Übrigen pauschal auf ihre Ausführungen im Klageverfahren Bezug nehmen, genügen sie damit nicht dem Darlegungserfordernis des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG, wobei der Senat insoweit der erstinstanzlichen Begründung folgt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).