Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 11.12.2013 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 B 17.13 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 19 Abs 4 GG, § 17 Abs 2 S 1 GVG, § 39 Abs 1 VwVfG, § 83 S 1 VwGO, § 66 Abs 1 AufenthG, § 66 Abs 4 AufenthG, § 67 Abs 1 AufenthG, § 106 Abs 2 S 1 AufenthG, § 23 Abs 2 FamFG, § 41 Abs 2 S 4 FamFG, § 417 FamFG, § 426 FamFG |
1. Die Haftung des Ausländers für die Kosten der gegen ihn angeordneten Sicherungshaft setzt voraus, dass die Sicherungshaft rechtmäßig war (Anschluss an BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 2012 - 10 C 6.12 -, BVerwGE 144, 326).
2. Die die Kosten erhebende Behörde hat die Rechtmäßigkeit der Sicherungshaft auch dann zu überprüfen, wenn die Haftanordnung rechtskräftig ist.
3. Die Sicherungshaft ist rechtswidrig, wenn dem Ausländer der Haftantrag nicht ausgehändigt wurde.
4. Der Bescheid, mit dem die Kosten erhoben werden, muss einen Einzelnachweis der Kosten enthalten.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 vom Hundert des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Kläger wendet sich gegen eine Kostenerstattungsforderung der Beklagten die durch deren Versuch entstanden ist, ihn in seinen Heimatstaat zurückzuschieben.
Am 6. August 2009 wurde der Kläger am Bahnhof Eisenhüttenstadt polizeilich kontrolliert und in Gewahrsam genommen. Dabei gab er sich als der kamerunische Staatsangehörige K..., aus. Auf Antrag der Bundespolizeidirektion Berlin verhängte das Amtsgericht Eisenhütten-stadt durch Beschluss vom 7. August 2009 (23 XIV 82/09) für die Dauer von längstens 90 Tagen Haft zur Sicherung der Zurückschiebung. Am 16. September 2009 wurde der Kläger zur Feststellung seiner Identität bei der kamerunischen Botschaft in Berlin vorgeführt. Dort wirkte er nicht mit, so dass die Befragung abgebrochen wurde. Versuche der Beklagten, in der Folgezeit durch Interpol Informationen über den Kläger zu erlangen, blieben ergebnislos. Auf Antrag der Bundespolizeidirektion Berlin verlängerte das Amtsgericht Eisenhüttenstadt durch Beschluss vom 4. November 2009 die Sicherungshaft vom 5. November 2009 bis längstens zum 6. Februar 2010. Ausweislich der Sitzungsniederschrift wurde dem Kläger der Antrag der Beklagten auf Verlängerung der Sicherungshaft vorgehalten und erläutert. Für die Aushändigung einer Abschrift ist nichts ersichtlich. Durch Beschluss vom 5. Februar 2010 verfügte das Amtsgericht Eisenhüttenstadt die Fortdauer der Sicherungshaft bis längstens zum 6. Mai 2010. Nach Einlegung der Beschwerde durch den Kläger erledigte sich das Verfahren am 26. Februar 2010 durch seine krankheitsbedingte Entlassung aus der Sicherungshaft. Das Landgericht Frankfurt (Oder) stellte durch Beschluss vom 6. Oktober 2010 (1...) fest, die Freiheitsentziehung sei ab 6. Februar 2010 rechtswidrig gewesen.
Durch Bescheid vom 4. April 2011 setzte die Bundespolizeidirektion Berlin die durch den Versuch der Zurückschiebung des Klägers entstandenen Kosten auf 30.349,30 Euro fest und forderte den Kläger zur Erstattung binnen eines Monats auf. Dem Bescheid war eine Kostenaufstellung beigefügt, die die jeweilige Kostenart („Fahrt- und Personalkosten“, „Haftkosten“, „Verpflegung“, „Dolmetscherkosten“ und „Kosten Passesatzbeschaffung“) sowie den zugehörigen Betrag auswies. Für die Haftkosten waren dies 27.569,19 Euro.
Auf den Widerspruch des Klägers ermäßigte das Bundespolizeipräsidium Potsdam durch Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2012 die Forderung mit Rücksicht auf die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung des Klägers seit 6. Februar 2010 auf 27.067,52 Euro. Im Übrigen wies es den Widerspruch zurück. Eine Kostenaufstellung erfolgte nicht.
Gegen die Bescheide richtet sich die am 9. August 2012 bei dem Verwaltungsgericht Berlin eingegangene Klage.
Während des gerichtlichen Verfahrens hat der Kläger aus Anlass einer Vaterschaftsanerkennung seine Personalien mit O..., nigerianischer Staatsangehörigkeit, angegeben und einen nigerianischen Reisepass vorgelegt.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat die angefochtenen Bescheide durch Urteil vom 28. Mai 2013 aufgehoben, soweit der Kostenbetrag 15.477,43 Euro übersteigt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der amtsgerichtliche Beschluss vom 4. November 2009 sei rechtswidrig gewesen. Der zugrunde liegende Haftantrag sei dem Kläger entgegen den Erfordernissen des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) nicht ausgehändigt worden. Die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung sei im Kostenverfahren zu überprüfen, obwohl der Kläger den maßgeblichen Beschluss nicht angefochten habe. Der Beschluss entfalte keine Vorwirkung. Zur Begründung seiner Auffassung hat sich das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Juli 2010 gestützt. Im Übrigen habe der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 18. September 2008 ausgesprochen, Beschlüsse im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit unterlägen nur der formellen Rechtskraft, die Anordnung einer Freiheitsentziehung könne mehrfach auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden.
Gegen das Urteil, soweit es der Klage stattgegeben hat, richtet sich die von dem Verwaltungsgericht zugelassene Berufung der Beklagten. Sie ist der Auffassung, die Rechtmäßigkeit der Haftanordnung vom 4. November 2009 sei im Kosteneinziehungsverfahren nicht mehr zu prüfen, die Einwände des Klägers seien präkludiert. Das Landgericht Frankfurt (Oder) habe in dem Beschluss vom 6. Oktober 2010 - anders als in dem dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Juli 2010 zugrundeliegenden Fall - die Haftanordnung für den maßgeblichen Zeitraum ab 5. November 2009 für rechtmäßig gehalten. Ein Rechtsmittel, das ihm eine weitergehende Rechtsverteidigung ermöglicht hätte, habe der Kläger gegen die Haftanordnung vom 4. November 2009 nicht eingelegt. Soweit der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 18. September 2008 ausgesprochen habe, Beschlüsse im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit unterlägen lediglich der formellen Rechtskraft, sei es dort um die Aufhebung einer Haftanordnung zur Beendigung der Inhaftierung gegangen, nicht um die Überprüfung der ursprünglichen Rechtmäßigkeit der Haftanordnung. Werde die Vorwirkung einer Entscheidung der ordentlichen Gerichtsbarkeit verneint, müsse die Verwaltung im Kosteneinziehungsverfahren das Risiko einer anderweitigen Verwaltungsgerichtsentscheidung tragen, was ein einheitliches Verwaltungshandeln unmöglich mache.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28. Mai 2013 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Berufungsbegründung der Beklagten erfülle die gesetzlichen Mindestanforderungen nicht. Im Übrigen sei die Berufung unbegründet. § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG gebiete die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haft. Eine Bindungswirkung des amtsgerichtlichen Beschlusses bestehe nicht. Beschlüsse im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit seien lediglich der formellen Rechtskraft fähig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte sowie den Verwaltungsvorgang (fünf Bände) Bezug genommen, der vorgelegen hat und - soweit wesentlich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Insbesondere genügt der Schriftsatz vom 1. Juli 2013, mit dem sie die Gründe der Berufung dargelegt hat, den Anforderungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO.
Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage in dem zur Überprüfung im Berufungsverfahren gestellten Umfang zu Recht stattgegeben. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), soweit sie die ab 5. November 2009 entstandenen Haftkosten betreffen.
Ermächtigungsgrundlage der angefochtenen Bescheide sind § 66 Abs. 1, § 67 Abs. 1 AufenthG.
Gemäß § 66 Abs. 1 AufenthG hat der Ausländer Kosten zu tragen, die durch die Durchsetzung seiner Zurückschiebung entstehen. § 67 Abs. 1 AufenthG regelt den Umfang der Kostenhaftung.
Es kann dahinstehen, ob die angefochtenen Bescheide bereits aus formellen Gründen rechtswidrig sind.
Die Beklagte hat die Bescheide nicht ordnungsgemäß begründet. Die gemäß § 39 Abs. 1 VwVfG erforderliche Begründung muss die tragenden Gründe der getroffenen Regelung mitteilen (vgl. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., 2014, § 39 Rn. 45). Ebenso wie im Falle der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen die einzelnen Leistungspositionen dargelegt sein müssen, weil der Adressat des Verwaltungshandelns seine Rechte sonst nicht ordnungsgemäß wahrnehmen kann (vgl. Stelkens, a.a.O., § 39 Rn. 1 f., 51 unter Bezugnahme auf OVG Münster, Urteil vom 27. März 1995 - 1 A 2113/90 -, NWVBl. 1996, 69 zu §§ 37 Abs. 1, 39 Abs. 1 VwVfG; ferner OVG Saarlouis, Beschluss vom 21. Dezember 2005 - 2 Q 5/05 -, NVwZ-RR 2006, 289 = juris Rn. 15), ist bei der Anforderung von Zurückschiebungskosten die Mitteilung erforderlich, wie sich der Kostenbetrag zusammensetzt. Dies erfordert einen Einzelnachweis der Kosten (vgl. Abschnitt 67.0.3 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 (GMBl. S. 8784; hierauf verweisend Funke-Kaiser, AufenthG, Stand September 2013, § 67 Rn. 33).
Der Bescheid vom 4. April 2011 enthält in seiner Anlage eine nur grobe Zusammenstellung der „Kostenarten lt. Kostenerhebungsbogen“ und der darauf entfallenden Gesamtbeträge, namentlich die Position „Haftkosten 27.569,19 €“. Ein Einzelnachweis der zugrunde liegenden Leistungen, des Zeitpunkts ihrer Erbringung sowie der zugehörigen Kostenbeträge ist nicht beigefügt. Dies ermöglicht keine ausreichende Rechtsverteidigung des Klägers. Auch der Widerspruchsbescheid gibt keinen Aufschluss darüber, wie die dort noch geltend gemachten Kosten von 27.067,52 Euro berechnet wurden. Der Betrag erschließt sich nur aus handschriftlichen Einbesserungen in eine ursprünglich 30.310,24 Euro umfassende „Kostenaufstellung gem. § 67 AufenthG“, die als Bl. 1 zur Kostenakte genommen wurde. Die dort für Haftkosten eingesetzten 24.537,41 Euro dürften aus einem Forderungsnachweis der Abschiebungshafteinrichtung Eisenhüttenstadt vom 7. September 2011 übernommen worden sein, der als Bl. 150 f. zur Kostenakte genommen wurde. Dass der Kläger hiervon Mitteilung erhalten hätte, um sich ordnungsgemäß verteidigen zu können, ist nicht erkennbar.
Inwieweit eine Akteneinsicht des Klägers den Begründungsmangel heilen könnte (vgl. OVG Saarlouis, Beschluss vom 21. Dezember 2005, a.a.O.), mag auf sich beruhen, da der Kläger keine Einsicht genommen hat. Mangels Ergebnisrelevanz bedarf auch nicht der Klärung, ob der Begründungsmangel nach § 46 VwVfG unbeachtlich ist. Dies wäre der Fall, wenn er die Entscheidung in der Sache offensichtlich nicht beeinflusst hat. Denn jedenfalls ist die Kostenforderung der Beklagten im Umfang ihrer Berufung aus materiell-rechtlichen Gründen unberechtigt.
Allerdings hat der Kläger grundsätzlich gemäß § 66 Abs. 1, § 67 Abs. 1 AufenthG die Kosten der Zurückschiebung zu tragen.
Die den Ausländer treffende Kostenhaftung nach § 66 Abs. 1 AufenthG umfasst auch die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung. Dass § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG lediglich die Abschiebungshaft nennt, ist entweder sprachlich ungenau oder ein Redaktionsversehen, da in § 66 Abs. 1 AufenthG sowie der Einleitung des § 67 Abs. 1 AufenthG ausdrücklich von Zurückschiebung die Rede ist (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., § 67 Rn. 17).
Der Kostenhaftung des Klägers steht nicht entgegen, dass seine Zurückschiebung nicht erfolgt ist. § 66 Abs. 1 AufenthG setzt lediglich voraus, dass Kosten infolge der "Durchsetzung" einer Zurückschiebung entstanden sind, verlangt jedoch keine tatsächliche Zurückschiebung. Die Vorschrift dient der Präzisierung und Erweiterung der Veranlasserhaftung, nicht hingegen ihrer Begrenzung. Der Ausländer ist Veranlasser, da er die Kosten der Maßnahme durch sein Verhalten verursacht hat. So wurde im Falle des Klägers die Sicherungshaft verhängt, weil er sich entgegen § 48 Abs. 3 Satz 1, § 82 Abs. 1 Satz 1 AufenthG weigerte, zur Vorbereitung der Zurückschiebung an der Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit mitzuwirken. Die zu erstattenden Kosten umfassen nach § 67 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausdrücklich die bei der Vorbereitung der Maßnahme entstehenden Verwaltungskosten einschließlich der Kosten für die Abschiebungshaft (vgl. zu allem BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2005 - 1 C 15.04 -, BVerwGE 124, 1 = juris Rn. 29; VGH München, Beschluss vom 18. Oktober 2012 - 10 C 12.1470 -, juris Rn. 24; VGH Kassel, Beschluss vom 12. Juni 2012 - 5 A 388/12 -, EzAR-NF 56 Nr. 7 = juris Rn. 17; OVG Lüneburg, Beschluss vom 31. März 2010 - 8 PA 28/10 -, InfAuslR 2010, 317 = juris Rn. 5; Hailbronner, AuslR, Stand September 2013, § 66 AufenthG Rn. 5).
Der Kläger haftet jedoch, wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, für den Zeitraum ab 5. November 2009 nicht für die Kosten der gegen ihn verhängten Sicherungshaft, weil diese ihn in seinen Rechten verletzt hat.
Für die Frage der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide kommt es darauf an, ob die Anordnung der Sicherungshaft den Kläger in seinen Rechten verletzt hat.
Ein Ausländer und der ihn unerlaubt beschäftigende Arbeitgeber haften nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 66 Abs. 4 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 2012 - 10 C 6.12 -, BVerwGE 144, 326 = juris Rn. 20 ff.) nur dann für die Kosten einer Abschiebung, wenn die Kosten auslösenden Amtshandlungen den Ausländer nicht in seinen Rechten verletzt haben. Insoweit trifft das Aufenthaltsrecht eine eigenständige und vorrangige Regelung gegenüber den Vorschriften des Verwaltungskostengesetzes, auf die § 69 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nur verweist, soweit das Aufenthaltsgesetz keine abweichende Regelung trifft. Die Haftung nach § 66 AufenthG hängt für alle zur Durchsetzung der Abschiebung ergriffenen Amtshandlungen, die selbständig in Rechte des Ausländers eingreifen, von deren Rechtmäßigkeit ab. Denn die Rechtsordnung kann keine Kostenerstattung für verselbständigte rechtswidrige Eingriffshandlungen begründen, für die sie dem Ausländer zugleich einen Entschädigungs- oder Schadensersatzanspruch - etwa nach Art. 5 Abs. 5 EMRK - gewährt.
Zu diesen verselbständigten Eingriffshandlungen zählt unter anderem die Sicherungshaft. Die ab 5. November 2009 wirksame Haftanordnung gegen den Kläger vom 4. November 2009 verletzte diesen in seinen Rechten, weil ihm der Haftantrag nicht ausgehändigt worden war. Ausweislich der Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 4. November 2009 wurde ihm der Haftantrag lediglich vorgehalten und erläutert. Für die Aushändigung einer Abschrift ist nichts ersichtlich. Sie wäre jedoch gemäß §§ 23 Abs. 2, 41 Abs. 2 Satz 4, 417 FamFG erforderlich gewesen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juni 2012 - V ZB 284/11 -, InfAuslR 2012, 369 = juris Rn. 9). Diese Vorschriften sind gemäß § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG auf das Verfahren bei Freiheitsentziehungen anwendbar. Zwar kann der Haftantrag dem Betroffenen noch bei seiner Anhörung eröffnet werden, wenn er einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt betrifft, zu dem der Betroffene auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Überraschung ohne weiteres auskunftsfähig ist. Der Haftrichter darf sich aber nicht darauf beschränken, den Inhalt des Haftantrags mündlich vorzutragen. Vielmehr muss dem Betroffenen in jedem Fall eine Kopie des Haftantrags ausgehändigt und dies in dem Anhörungsprotokoll oder an einer anderen Aktenstelle schriftlich dokumentiert werden. Hieran fehlt es. Nach Aktenlage ist der Haftantrag dem Kläger auch nicht später ausgehändigt worden (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 21. Juli 2011 - V ZB 141/11 -, InfAuslR 2011, 448 = juris Rn. 9).
Die Rechtmäßigkeit der Sicherungshaft ist im ausländerrechtlichen Kosteneinziehungsverfahren in vollem Umfang zu überprüfen. Dem steht die Rechtskraft der Haftanordnung durch den Beschluss des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 4. November 2009 nicht entgegen.
Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von Abschiebungsmaßnahmen - und damit auch Zurückschiebungsmaßnahmen - sind die Verwaltungsgerichte jedenfalls dann nicht an Entscheidungen der Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit gebunden, wenn sie über die Kostenhaftung von Drittverpflichteten zu entscheiden haben, die nicht am Verfahren zur Verhängung der Abschiebungshaft beteiligt waren (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 2012, a.a.O., Rn. 22). Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in dem Zusammenhang im Ergebnis offen gelassen, was für die Kostenhaftung des Ausländers (selbst) gilt. Aus den weiteren Ausführungen in dem Urteil vom 16. Oktober 2012 (a.a.O., Rn. 21) ergibt sich aber, dass die Verwaltungsgerichtsbarkeit auch dann nicht an der Inzidentprüfung des Haftbeschlusses gehindert ist, wenn der Ausländer sich gegen die Auferlegung der Haftkosten wendet.
Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 16. Oktober 2012, a.a.O., Rn. 21) hat zur Haftung des Arbeitgebers für Abschiebungskosten ausgeführt, in der Frage der Kostenerstattung für verselbständigte rechtswidrige Eingriffshandlungen sei nicht zwischen der Kostenhaftung des von der Rechtsverletzung unmittelbar betroffenen Ausländers und der Kostenhaftung sonstiger Schuldner nach § 66 AufenthG zu unterscheiden, weil die Haftungstatbestände insoweit inhaltlich miteinander verknüpft seien. Insbesondere sei in § 66 Abs. 4 AufenthG keine Differenzierung der Kosten der Abschiebung oder Zurückschiebung nach den haftenden Personen angelegt. Dies bedeutet aber, dass die Verwaltungsgerichte in dem Verfahren auf Kostenhaftung des Ausländers (selbst) „erst recht“ nicht allein aufgrund des Haftbeschlusses von der Rechtmäßigkeit der nachfolgenden Haft auszugehen haben.
Soweit in der Literatur eine gegenteilige Auffassung vertreten wird, überzeugt dies nicht.
Hingewiesen wird insoweit auf die ausschließliche Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für die Anordnung der Abschiebungshaft (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., § 66 Rn. 9, § 67 Rn. 18). Diese Zuständigkeit wird indes durch die verwaltungsgerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haftanordnung nicht in Frage gestellt.
Des Weiteren wird argumentiert (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., § 66 Rn. 9, § 67 Rn. 18), da der ordentliche Rechtsweg durch die Eröffnung eines sogar zweistufigen Beschwerdeverfahrens effektiven Rechtsschutz gewähre, bestehe von Verfassungs wegen kein Erfordernis einer erneuten Überprüfung durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Das Vorhandensein unterschiedlicher Rechtswege hat aber nicht automatisch zur Folge, dass es einem angerufenen Gericht verwehrt ist, Vorfragen zu prüfen, die, wären sie Hauptfrage, in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Gerichts fielen. Vielmehr gilt gemäß § 83 Satz 1 VwGO, § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG, dass das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit grundsätzlich unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet, was die Prüfung auch rechtswegfremder, entscheidungserheblicher Vorfragen erfordert. Es bedarf einer gesonderten Begründung, dass und warum der Gesetzgeber die Frage der Rechtmäßigkeit einer Inhaftierung auch dort, wo sie - wie im Kosteneinziehungsverfahren - nur Vorfrage ist, immer einem vorgelagerten eigenen Rechtsschutzverfahren vor den ordentlichen Gerichten vorbehalten wollte und unter dem Gesichtspunkt des Gebots effektiven Rechtsschutzes zumutbar vorbehalten konnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2010 - 1 BvR 1634/04 -, NVwZ 2010, 1482 = juris Rn. 50 ff.). Soweit keine ausdrückliche gesetzliche Anordnung besteht, gilt der Grundsatz, dass dem Gericht eines jeden Gerichtszweigs die Inzidentprüfungskompetenz auch in Bezug auf rechtswegfremde Vorfragen zusteht, sofern die an sich zuständigen Gerichte über diese Frage noch nicht rechtskräftig entschieden haben und die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Vorfrage keine Einwirkung auf den Bestand der anderen Entscheidung hat, sie insbesondere hinsichtlich der Vorfrage nicht in Rechtskraft erwächst oder eine irgendwie geartete Gestaltungs- oder Feststellungswirkung entfaltet (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. April 1978 - 2 C 7.75 -, Buchholz 238.4 § 31 SG Nr. 11, S. 18 f.). Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich des Klägers erfüllt. Das Amtsgericht Eisenhüttenstadt hat die Haft am 4. November 2009 gegen ihn angeordnet, jedoch nicht abschließend über die Rechtmäßigkeit ihrer künftigen Durchführung entschieden (insoweit nicht differenzierend: VGH Mannheim, Urteil vom 19. Oktober 2005 - 11 S 646/04 -, juris Rn. 49). Die Haftanordnung steckte nur den höchstens zulässigen Rahmen der Haftdauer ab (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., § 67 Rn. 19 unter Bezugnahme auf § 425 Abs. 1 FamFG). Die Aufhebung der Freiheitsentziehung war jederzeit nach § 426 FamFG möglich (vgl. Budde, in: Keidel, FamFG, 17. Aufl., 2011, § 426 Rn. 10). Das Landgericht Frankfurt (Oder) wiederum hat in seinem Entscheidungssatz vom 6. Oktober 2010 zu der Haftanordnung vom 4. November 2009 nichts ausgeführt und in den Gründen des Beschlusses (S. 10 des Beschlussabdrucks) nur vermerkt, die Anordnung der Haft sei „jedenfalls“ seit dem 6. Februar 2010 rechtswidrig gewesen. Der von dem Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 16. Oktober 2012 angeführte Schadensersatz nach Art. 5 Abs. 5 EMRK (a.a.O., Rn. 21) wird auch nicht für die rechtswidrige Haftanordnung als solche, sondern für deren Vollzug in Gestalt der - aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts: trotz rechtskräftiger Haftanordnung - rechtswidrigen Freiheitsentziehung gewährt. Der Rechtsgedanke des Bundesverwaltungsgerichts umfasst also die Möglichkeit, dass die Haftanordnung rechtskräftig ist. Im Übrigen hat schon das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 18. September 2008 - V ZB 129/08 -, InfAuslR 2010, 35 = juris Rn. 19 zu der Rechtslage nach dem FreihEntzG) darauf hingewiesen, dass Beschlüsse im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nur der formellen, nicht jedoch der materiellen Rechtskraft fähig sind. Nach alledem wirkt es sich, was die Rechtskraft der Haftentscheidungen angeht, nicht aus, dass im Falle des Klägers die Behörde, die die Haft beantragt hat, mit der die Kosten geltend machenden Behörde identisch ist (hierzu Funke-Kaiser, a.a.O., § 66 Rn. 9, § 67 Rn. 18). Auch an dieser Stelle träte im Übrigen ein Wertungswiderspruch auf, wenn dem Kläger zwar die infolge der Nichtaushändigung des Haftantrags fehlende Verteidigungsmöglichkeit im Haftverfahren zugutegehalten, er dann jedoch auf die Rechtskraft des dort ergangenen Beschlusses verwiesen würde.
Die Auffassung, ein verfassungsrechtliches Erfordernis für die verwaltungsgerichtliche Überprüfung der Haftanordnung bestehe nicht, weil der Ausländer in dem Haftverfahren Rechtsmittel habe einlegen können, berücksichtigt im Übrigen nicht, dass die Auferlegung der Haftkosten eine erneute Beschwer darstellt, die dem Ausländer möglicherweise während seiner Inhaftierung nicht vor Augen stand. Von einer zurechenbaren Versäumung eigener Rechtsverteidigung kann nur gesprochen werden, soweit der Regelungsgehalt und die Folgen eines Hoheitsaktes innerhalb der für die Einlegung des Rechtsbehelfs vorgesehenen Frist erkennbar sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2010, a.a.O., Rn. 55). Zudem träte im Fall des Klägers auch insoweit ein Wertungswiderspruch auf, wenn einerseits die Haftanordnung gerade deswegen rechtswidrig war, weil der Kläger sich mangels Aushändigung des Haftantrags nicht ordnungsmäßig verteidigen konnte, ihm andererseits im Kosteneinziehungsverfahren ungenügende Verteidigung vorgehalten würde.
Nicht überzeugend ist das Argument der Berufung, wenn die Entscheidung der ordentlichen Gerichtsbarkeit keine Vorwirkung entfalte und damit das Risiko einer anderweitigen Verwaltungsgerichtsentscheidung bestehe, könne die Verwaltung nicht mehr einheitlich handeln. Die Verwaltung kann im Kosteneinziehungsverfahren ohne Weiteres prüfen, ob die Voraussetzungen der Sicherungshaft vorgelegen haben, ohne sich damit in Widerspruch zu früherem Handeln zu setzen, denn die Sicherungshaft ist nicht von ihr, sondern von dem Amtsgericht verhängt worden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision war gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, da das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 16. Oktober 2012, a.a.O., Rn. 22) im Ergebnis offen gelassen hat, ob die Verwaltungsgerichte zur Inzidentprüfung des Haftbeschlusses auch in Bezug auf die Kostenhaftung des Ausländers selbst berechtigt sind.
Gegen die Entscheidung steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu.
Die Revision ist bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung schriftlich oder in elektronischer Form mit einer qualifizierten elektronischen Signatur im Sinne des Signaturgesetzes versehen auf dem unter www.berlin.de/erv veröffentlichten Kommunikationsweg einzulegen. Die Revisionsfrist ist auch gewahrt, wenn die Revision innerhalb der Frist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in der bezeichneten elektronischen Form unter www.bverwg.de eingelegt wird. Die Revision muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen.
Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig, schriftlich oder in elektronischer Form einzureichen. Die Revisionsbegründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben.
Im Revisionsverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Revision. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. In Angelegenheiten, die ein gegenwärtiges oder früheres Beamten-, Richter-, Wehrpflicht-, Wehrdienst- oder Zivildienstverhältnis betreffen, und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen einschließlich Prüfungsangelegenheiten, sind auch die in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 VwGO als Bevollmächtigte zugelassen; sie müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Ein als Bevollmächtigter zugelassener Beteiligter kann sich selbst vertreten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt vertreten lassen; das Beschäftigungsverhältnis kann auch zu einer anderen Behörde, juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einem der genannten Zusammenschlüsse bestehen. Richter dürfen nicht vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören.