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Beihilfe; Rückforderung überzahlter Beihilfeleistungen; Billigkeitsentscheidung; Verschulden; Zurechnung; Verursachungsbeitrag; überwiegendes behördliches Mitverschulden; Reduzierung der Rückforderungssumme um 30 %; Ratenzahlung; Tilgungszeitraum; Prozesskostenhilfe


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 4. Senat Entscheidungsdatum 30.09.2020
Aktenzeichen OVG 4 M 13.19 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2020:0930.OVG4M13.19.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 12 Abs 2 S 1 BBesG, § 75 Abs 2 LGB BE, § 166 Abs 1 VwGO, § 114 Abs 1 S 1 ZPO, § 12 Abs 2 S 3 BBesG

Leitsatz

Rückforderung von durch Bestechung und arglistiger Täuschung des Vertreters erwirkten Beihilfeleistungen

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 19. Juli 2019 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die Beschwerde des Klägers gegen die erstinstanzliche Versagung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Klage gegen die Rückforderung von überzahlten Beihilfeleistungen in Höhe von insgesamt 138.760,70 Euro keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO biete, ist nicht zu beanstanden. Der Senat verweist auf die zutreffenden Gründe in der angefochtenen Entscheidung mit der Anmerkung, dass die Hemmung der Verjährungsfrist mit Erlass des ursprünglichen Rückforderungsbescheides vom 2. März 2011 sechs Monate nach dessen rechtskräftiger Aufhebung durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2017 - 5 C 5.16 - (juris) nicht schon am 22. August 2017, sondern erst am 22. September 2017 endete (§ 53 Abs. 1 Satz 2 VwVfG). Eine Hemmung der Verjährung ist nicht nur auf eine Einrede des Gläubigers hin zu berücksichtigen, sondern muss von Amts wegen geprüft werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2020 - VII ZR 111/19 - juris Rn. 30).

Das Vorbringen im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine andere Einschätzung der Erfolgsaussichten der Klage.

Der Kläger rügt zu Unrecht, der angegriffene Beschluss verlagere die Hauptsache in das Nebenverfahren über die Prozesskostenhilfe und nehme diese damit unzulässigerweise vorweg. Sein Vorbringen, die hier zu beurteilende Ermessenserwägung sei „bereits Gegenstand richterlicher Beurteilung über drei Instanzen“ und der Verfahrensverlauf zeige, dass die Beurteilung im vorliegenden Fall erheblichen rechtlichen Schwierigkeiten begegne, trifft nicht zu. Aus jenen Gerichtsverfahren lassen sich keine Rückschlüsse auf das vorliegende ziehen. Denn der Beklagte prüfte den geltend gemachten Rückforderungsanspruch in Anwendung der zwischen den Beteiligten ergangenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2017 - 5 C 5.16 - und traf eine neue, abweichende Billigkeitsentscheidung, bei der er alle vom Bundesverwaltungsgericht als unzureichend oder nicht berücksichtigt beanstandete Billigkeitsaspekte nunmehr angemessen würdigte. Er bezifferte die Rückforderungssumme nicht mehr wie im ursprünglichen Bescheid vom 2. März 2011 mit 550.283,96 Euro, sondern nur noch mit 198.229,56 Euro und verminderte diese mit Rücksicht auf sein eigenes Mitverschulden an den Überzahlungen um 30 % auf 138.760,70 Euro. Da aufgrund des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2017 - 5 C 5.16 - zur damaligen Billigkeitsentscheidung des Beklagten die hierbei zu berücksichtigenden Gesichtspunkte geklärt sind, darf eine fachgerichtliche Voreinschätzung im Verfahren der Prozesskostenhilfe erfolgen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2020 - 1 BvR 2447/19 - juris Rn. 7 m.w.N.).

Anders als der Kläger meint, bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte sein (Mit-)Verschulden an der rechtsgrundlosen Beihilfegewährung mit der Verminderung des Rückforderungsbetrages um (nur) 30 % unzureichend gewürdigt haben könnte. Es stellt sich schon die Frage, ob wegen des Fehlens einer effektiven Kontrolle bei der Beihilfestelle überhaupt ein „überwiegendes Mitverschulden“ der Behörde vorliegt. Denn ohne die als Bestechung, Beihilfe zur Untreue und Urkundenfälschung strafrechtlich geahndete Vorlage gefälschter Zahnarztrechnungen durch die Ehefrau des Klägers wäre es zu keinen rechtsgrundlosen Zahlungen gekommen. Dieses Handeln seiner Ehefrau fällt in den Verantwortungsbereich des Klägers, der es sich trotz Missbrauchs der Vertretungsmacht zurechnen lassen muss (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. März 2017 - 5 C 4.16 - juris Rn. 19, 34 f. und - 5 C 5.16 - juris Rn. 18). Jedenfalls verminderte der Beklagte die Rückforderungssumme um 30 %, was bei einem „überwiegenden behördlichen Mitverschulden“ nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der des Senats im Regelfall angemessen ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. April 2012 - 2 C 4.11 - juris Rn. 19 f. sowie - 2 C 15.10 - juris Rn. 25 f., vom 15. November 2016 - 2 C 9.15 - juris Rn. 33 f. und vom 21. Februar 2019 - 2 C 24.17 - juris Rn. 19 f.; Urteil des Senats vom 19. April 2017 - OVG 4 B 15.15 - juris Rn. 47). Dies übersieht der Kläger bei seinen Ausführungen, es sei nicht gerechtfertigt und nicht mit den Geboten der Logik in Einklang zu bringen, ihn „für seinen ‚untergeordneten Verursachungsbeitrag‘ überwiegend, nämlich zu 70 % für die Überzahlung haften zu lassen“. Ebenso macht er ohne Erfolg geltend, hier liege „offensichtlich“ kein Regelfall vor, der eine Heranziehung dieser Rechtsprechung erlaube. Zwar zeichnet sich der vorliegende Sachverhalt dadurch aus, dass nicht der begünstigte Kläger selbst bestach und täuschte, vielmehr dessen Ehefrau ihre Vertretungsmacht ohne seine Kenntnis missbrauchte. Diese Umstände werden jedoch dadurch relativiert, dass er es über Jahre hinweg unterließ, die Wahrnehmung seiner Beihilfeangelegenheiten durch seine Ehefrau auch nur ansatzweise zu kontrollieren. Ihm ist im Umgang mit seinen Beihilfeangelegenheiten aufgrund des zwischen ihm und dem Beklagten bestehenden beamtenrechtlichen Treueverhältnisses eine Nachlässigkeit besonderen Ausmaßes vorzuwerfen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. November 2015 - OVG 7 B 4.15 - juris Rn. 30). In Anbetracht dessen ist die Schwelle zur Annahme eines atypischen Sonderfalles nicht überschritten (siehe auch BVerwG, Urteil vom 22. März 2017 - 5 C 4.16 - juris Rn. 41; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. November 2015 - OVG 7 B 4.15 - juris Rn. 30).

Der Vorwurf des Klägers, den streitgegenständlichen Bescheiden lasse sich nicht entnehmen, dass oder wie seine fehlende Kenntnis von den Bestechungs- und Täuschungshandlungen seiner Ehefrau sowie von den darauf beruhenden Beihilfebescheiden und Zahlungen berücksichtigt und bewertet worden sei, ist nicht berechtigt. Vielmehr zeigen die Ausführungen auf S. 2 des Rückforderungsbescheides vom 1. Dezember 2017 und insbesondere auf S. 3 des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2018, dass seine mangelnde Kenntnis zwar in die Billigkeitserwägungen einzubeziehen sei, dieser Umstand aber allein nicht zwingend dazu führe, von der Rückforderung ganz oder teilweise abzusehen, zumal er sich seiner Ehefrau zur Erledigung aller beihilferechtlichen Angelegenheiten bedient habe und sich daher nicht auf eigene Unkenntnis berufen könne. Gegen diese Erwägungen ist nichts einzuwenden; sie stehen insbesondere im Einklang mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2017 - 5 C 5.16 - (juris Rn. 28). Soweit der Kläger den Ausführungen dieses Urteils zur Billigkeitsentscheidung entnehmen will, dass nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts „sogar ein vollständiges Absehen von einer Rückforderung“ ihm gegenüber „angemessen erscheinen dürfte“, findet dies in den Entscheidungsgründen keine Stütze. Im Gegenteil ist es nach jenen noch nicht einmal zwingend geboten, von der Rückforderung auch nur teilweise abzusehen.

Entgegen der Darstellung des Klägers berücksichtigte der Beklagte bei der Billigkeitsentscheidung den Verursachungsbeitrag seiner damals bei der Beihilfestelle tätigen Tante. Denn insbesondere dieser Umstand und das Fehlen einer effektiven Kontrolle in der Beihilfestelle waren Anlass für den Beklagten, den Rückforderungsbetrag um 30 % zu mindern (vgl. S. 2 des Rückforderungsbescheides vom 1. Dezember 2017). Die maßgeblichen Erwägungen des Beklagten bei der Billigkeitsentscheidung lassen sich den angefochtenen Bescheiden entnehmen. Die Kritik des Klägers, es fehle „vollständig“ an der nach § 39 VwVfG erforderlichen Begründung der Ermessensentscheidung, ist nicht nachvollziehbar.

Ebenso trug der Beklagte der persönlichen und wirtschaftlichen Situation des Klägers sowie den wirtschaftlichen Folgen der Rückforderung für ihn Rechnung, indem er ausdrücklich mit Blick hierauf eine Ratenzahlung von monatlich 100 Euro auf den bereits verminderten Rückforderungsbetrag gewährte. In diesem Zusammenhang berücksichtigte er insbesondere die Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seinen zwei minderjährigen Kindern sowie das niedrige Ruhegehalt, das sich aus dessen vorzeitiger Versetzung in den Ruhestand ergibt. Die Rüge des Klägers, seine Unterhaltspflicht gegenüber seinen Kindern und seine Dienstunfähigkeit seien nicht berücksichtigt worden, ist daher nicht berechtigt. Ferner beanstandet er zu Unrecht, dass in den angefochtenen Bescheiden seine Lebenssituation während der Haft seiner Ehefrau und der Verlust des innerfamiliären Vertrauens nicht berücksichtigt worden seien. Denn bei der Billigkeitsentscheidung ist nicht die gesamte Rechtsbeziehung, aus welcher der Bereicherungsanspruch erwächst, nochmals unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zu würdigen, sondern auf das konkrete Rückforderungsbegehren und vor allem auf die Modalitäten der Rückabwicklung und ihre Auswirkungen auf die Lebensumstände des Beamten abzustellen (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. März 2017 - 5 C 5.16 - juris Rn. 27 und vom 21. Februar 2019 - 2 C 24.17 - juris Rn. 18; Urteil des Senats vom 5. Dezember 2019 - OVG 4 B 14.17 - juris Rn. 28).

Die Billigkeitsentscheidung ist auch nicht deshalb zu beanstanden, weil der Beklagte trotz eines rechtskräftigen Titels gegen die als Gesamtschuldnerinnen zu Schadensersatz verurteilte Ehefrau des Klägers und dessen Tante in Höhe von 555.287,95 Euro und der von diesen hierauf bereits geleisteten Zahlungen in Höhe von 51.972,82 Euro keine weitere Kürzung der gegen den Kläger geltend gemachten Rückforderung vornahm. Der Beklagte wies im Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2018 zutreffend darauf hin, dass sich die Rückforderungssumme automatisch verringere, wenn konkret hierauf gezahlt werde bzw. von dem Betrag im Urteil gegen die Ehefrau und die Tante des Klägers weniger als die Rückforderungssumme offen sei. Der Hinweis des Klägers auf die „eindeutig entgegenstehende Tilgungswirkung des § 422 BGB“ führt nicht weiter. Seine Ehefrau und seine Tante haften in einem deutlich höheren Umfang als er selbst. Die von ihnen erbrachten Teilleistungen tilgen mangels anderer Bestimmung ihrerseits entsprechend § 366 Abs. 2 BGB nicht die Rückforderungssumme, sondern den „überschießenden“ Schuldteil (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 27. Oktober 2008 - 1 U 120/08 - juris Rn. 14 ff.; Heinemeyer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 422 Rn. 3, jeweils m.w.N.).

Soweit der Kläger schließlich darauf verweist, bei der gewährten Ratenzahlung wäre der Rückforderungsbetrag erst in über 115 Jahren zurückgezahlt, ergibt sich hieraus ebenfalls kein Ermessensfehler. Der langdauernde Tilgungszeitraum beruht zum einen auf dem Umfang der Überzahlungen und zum anderen auch und gerade darauf, dass der Beklagte mit der eingeräumten Ratenzahlungsmöglichkeit auf die gegenwärtige Einkommens- und Vermögenssituation des Klägers Rücksicht nimmt (vgl. BVerwG, Urteil vom 8. Oktober 1998 - 2 C 21.97 - juris Rn. 27).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es wegen der gesetzlich bestimmten Festgebühr nicht.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).