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Kirchenmitgliedschaft; Kirchensteuer; Organisationsmangel; Taufe; Umstandsmoment; Veranlassungssteuer; Vertrauen; Verwirkung; Zeitmoment


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 22.06.2010
Aktenzeichen OVG 9 N 169.08 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 4 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 140 GG, § 242 BGB

Tenor

Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 6. Februar 2008 wird abgelehnt.

Die Kosten des Zulassungsverfahrens tragen die Kläger.

Der Streitwert wird auch für die zweite Rechtsstufe auf 4.006 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Kläger wurden wie folgt zur Kirchensteuer veranlagt:

Bescheid

Steuerjahr

Steuerbetrag

14. Dezember 2004

2003

2.522 Euro

18. November 2005

2004

1.152 Euro

21. Dezember 2006

2005

332 Euro

Summe  

        

4.006 Euro

Hiergegen haben die Kläger nach erfolglosen Widerspruchsverfahren Klage erhoben und dabei ihre Kirchensteuerpflicht in Abrede gestellt. Mit Urteil vom 6. Februar 2008 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen: Die Kläger seien im streitigen Zeitraum kirchensteuerpflichtig gewesen. Sie seien durch ihre Taufen im Jahr 1950 und 1956 Kirchenmitglieder geworden und hätten einen Kirchenaustritt für die Zeit vor dem 4. Januar 2005 nicht nachgewiesen. Der danach bestehende Kirchensteueranspruch sei auch nicht dadurch verwirkt, dass von den Klägern weder zu DDR-Zeiten noch danach bis einschließlich dem Steuerjahr 2002 Kirchensteuer erhoben worden sei.

Das Urteil ist den Klägern am 20. Februar 2008 zugegangen. Sie haben am 19. März 2008 Zulassung der Berufung beantragt und ihren Antrag sogleich begründet.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Im Berufungszulassungsverfahren prüft das Oberverwaltungsgericht nicht von Amts wegen, ob einer der in § 124 Abs. 2 VwGO abschließend aufgeführten Berufungszulassungsgründe vorliegt. Vielmehr setzt die Prüfung allein bei dem an, was der Rechtsmittelführer insoweit innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils dargelegt hat (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO). Danach ist die Berufung hier nicht zuzulassen.

1. Die Darlegungen im Zulassungsantrag wecken keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Der Zulassungsantrag sieht es als Verstoß gegen die negative Glaubensfreiheit und die allgemeine Handlungsfreiheit an, dass die Kirchenzugehörigkeit (und damit die Kirchensteuerpflicht) an eine im Kindesalter erfolgende Taufe anknüpfen kann. Dies greift nicht. Es ist mit der Glaubensfreiheit vereinbar, die Kirchenmitgliedschaft an eine Taufe anzuknüpfen, die auf Veranlassung der Sorgeberechtigten im Kindesalter erfolgt ist, solange das Kirchenmitglied - oder im Falle der noch andauernden Religionsunmündigkeit dessen Sorgeberechtigte - jederzeit die Möglichkeit haben, die Mitgliedschaft zu beenden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. November 1983 - 1 BvR 1016/83 - NJW 1984, 969, m. w. N.; Beschluss vom 31.März 1971 - 1 BvR 744/67 - juris, Rdnr. 22). Bei Vorliegen dieser Voraussetzung besteht auch kein Anhalt für eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit. Unterbleibt ein Kirchenaustritt nur deshalb, weil der Kirchenangehörige nichts von seiner im Kindesalter erfolgten Taufe erfahren hat, so beruht dies regelmäßig auf einer unterbliebenen Unterrichtung durch die Sorgeberechtigten, die der Betroffene sich ebenso zurechnen lassen muss, wie deren Entscheidung, ihn taufen zu lassen.

Der Zulassungsantrag hebt darauf ab, dass die Kläger weder konfirmiert noch kirchlich getraut worden seien. Insoweit wird indessen nicht dargelegt, aus welchen einfach-rechtlichen Gründen die Kirchensteuerpflicht von einer Konfirmation oder einer kirchlichen Trauung abhängen soll oder warum eine solche Abhängigkeit verfassungsrechtlich geboten wäre.

Der Zulassungsantrag sieht den Kirchensteueranspruch als verwirkt an, nachdem er erstmalig erst im Jahr 2004 geltend gemacht worden sei, also mehrere Jahrzehnte nach den Taufen der Kläger. Das für die Verwirkung erforderliche Umstandsmoment liege dabei entweder im Unterlassen der Steuererhebung trotz Wissens um die Kirchenmitgliedschaft der Kläger oder aber in einer Fehlorganisation der Kirche dahin, dass ihr die Kirchenmitgliedschaft der Kläger selbst nicht bekannt gewesen sei. Auch dies greift nicht. In Bezug auf die Verwirkung von Steueransprüchen ist das Umstandsmoment von dem Zeitmoment zu unterscheiden. Während das Zeitmoment darin besteht, dass die Geltendmachung des Steueranspruchs längere Zeit unterlassen worden ist, geht es beim Umstandsmoment um ein bestimmtes zusätzliches Verhalten des Steuerberechtigten, auf Grund dessen der Steuerpflichtige bei objektiver Betrachtung darauf vertrauen darf, dass der Steueranspruch nicht oder nicht mehr geltend gemacht werde (vgl. Urteil des Senats vom 6. September 2006 - 9 B 25.05 - juris, Rdnr. 47; BFH, Beschluss vom 4. Juli 2007 - VII B 39/07 - juris, Rdnr. 6). An ein solches Verhalten sind besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn die dauerhafte Verwirkung einer Steuer geltend gemacht wird, zu der der Bürger - wie bei der Kirchensteuer - zeitabschnittsweise zu veranlagen ist. Bei einer derartigen Steuer hat die Behörde für jeden Veranlagungszeitraum erneut zu prüfen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Steuererhebung vorliegen und insoweit auch bisherige Fehleinschätzungen zu korrigieren. Diese zeitabschnittsweise Prüfungs- und Korrekturpflicht lässt nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen die Annahme zu, die Behörde habe durch ein bestimmtes Verhalten ein Vertrauen darin begründet, dass die Steuer ein für allemal nicht mehr erhoben werde (vgl. Senat a.a.O.). Gemessen an diesem Maßstab liegt das vom Zulassungsantrag behauptete Umstandsmoment hier nicht vor. Das Verhalten der Kirche zu DDR-Zeiten hat kein Vertrauen in eine dauerhafte Nichterhebung der Kirchensteuer begründen können, weil seinerzeit ganz andere rechtliche Rahmenbedingungen als in der Zeit nach der Vereinigung galten; seit 1956 war die Kirchensteuer in der DDR gerichtlich nicht durchsetzbar und damit faktisch ein freiwilliger Beitrag (vgl. auch dazu Senat a.a.O.). Für die Zeit nach 1990 hält der Zulassungsantrag es selbst für möglich, dass die Kirchensteuererhebung gegenüber den Klägern deshalb unterblieben ist, weil die Kirchenmitgliedschaft der Kläger infolge eines Organisationsmangels übersehen worden sei. Solange der Bürger es indessen für möglich hält, dass seine Nichtveranlagung zu einer Steuer auf einem schlichten Versehen beruht, kann er gerade kein Vertrauen darin bilden, dass der Steueranspruch nicht oder nicht mehr geltend gemacht werde. Das gilt selbst dann, wenn das Versehen auf einem Organisationsmangel beruht. Das Rechtsinstitut der Verwirkung knüpft an schutzwürdiges Vertrauen auf der Schuldnerseite und nicht an Organisationsmängel auf der Gläubigerseite an.

Der Zulassungsantrag sieht die Beklagte schließlich schon generell in unzulässiger Weise dadurch privilegiert, dass die Kirchensteuer in Berlin durch die Finanzämter (mit-)erhoben werde; darüber hinaus sei das insoweit gegebene Privileg insbesondere dann unzulässig, wenn es sich um eine Steuererhebung nach jahrzehntelanger Untätigkeit handele. Dieses Vorbringen begründet ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, nachdem sich der Zulassungsantrag nicht ansatzweise mit den verfassungs- und einfachrechtlichen Regelungen auseinandersetzt, die in Bezug auf die Zuständigkeit für die Kirchensteuererhebung bedeutsam sind, und nachdem er weiter auch nicht näher aufzeigt, warum die Dauer einer unterbliebenen Kirchensteuererhebung Auswirkungen gerade auf die Zuständigkeit für die Kirchensteuererhebung haben soll.

2. Aus den Darlegungen im Zulassungsantrag ergibt sich auch keine besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeit der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Zur Darlegung solcher Schwierigkeiten genügt es nicht, pauschal darauf hinzuweisen, dass der Fall wegen der Lebensumstände der Kläger anders gelöst werden müsse.

3. Aus den Darlegungen im Zulassungsantrag ergibt sich schließlich keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, wenn sie eine entscheidungserhebliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Tatsachen- oder Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich auch in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer obergerichtlichen Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf. Dass diese Voraussetzungen hier vorliegen, zeigt der Zulassungsantrag nicht ansatzweise auf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).