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Verfahrensfehler; rechtliches Gehör; Entscheidung ohne mündliche Verhandlung; schriftliche Entscheidung; Einverständnis; Verbrauch; absoluter Gehörsverstoß; "Beruhen"; Stattgabe


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat Entscheidungsdatum 21.03.2011
Aktenzeichen OVG 6 N 6.11 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 101 Abs. 2 VwGO, § 108 Abs 2 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 5 VwGO, § 138 Nr 3 VwGO, Art 103 Abs 1 GG

Leitsatz

1. Ein zuvor erklärtes Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 101 Abs. 2 VwGO ist jedenfalls dann verbraucht, wenn das Präsidium des Gerichts den Rechtsstreit einem anderen Spruchkörper zugewiesen hat und die Beteiligen sodann erneut um Erklärung ihres Einverständnisses mit schriftlicher Entscheidung ersucht wurden. Die Beteiligten dürfen dann annehmen, dass das Verwaltungsgericht ohne erneutes Einverständnis mit schriftlichem Verfahren die Sache nicht entscheiden, sondern eine mündliche Verhandlung durchführen wird.

2. Ein Urteil, das ohne gebotene mündliche Verhandlung ergeht, verletzt im Regelfall das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Anschluss an BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 2009 - 8 B 56/09 -)

3. Ein solches Urteil "beruht" auf dem Gehörsverstoß.

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 17. Januar 2011 wird auf den Antrag der Beklagten zugelassen.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist begründet.

Es liegt ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel vor, auf dem die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts beruhen kann, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO. Zu Recht rügt die Beklagte mit ihrem Zulassungsantrag, das Verwaltungsgericht habe am 17. Januar 2011 ohne mündliche Verhandlung zu ihrem Nachteil entschieden, obwohl sie das nach § 101 Abs. 2 VwGO hierzu erforderliches Einverständnis nicht erklärt hatte. Hierdurch hat das Verwaltungsgericht den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs im Sinne des Artikels 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO verletzt. Denn eine derartige Verfahrensweise schneidet den betroffenen Beteiligten die Möglichkeit weiteren Vorbringens ab (BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 2009 - 8 B 56/09 -, Rn. 13 bei juris m.w.N.).

Die Erklärung des Einverständnisses der Beklagten zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung war erneut erforderlich, denn das zunächst in der Klageerwiderung vom 3. April 2007 (Bl. 29, 32 d.A.) erklärte Einverständnis war im Zeitpunkt der Entscheidung bereits verbraucht. Es spricht viel dafür, dass bereits der Wechsel der für die Entscheidung zuständigen Kammer durch entsprechenden Beschluss des Präsidiums des Verwaltungsgerichts mit Wirkung vom 1. Januar 2011 zu einem Verbrauch des Einverständnisses geführt hat. Diese Frage kann aber letztlich offen bleiben, denn spätestens mit der Anfrage des Berichterstatters durch Schreiben vom 5. Januar 2011 (Bl. 50 d.A.), ob Einverständnis mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe, hatte sich das ursprünglich erklärte Einverständnis erledigt. Das Verwaltungsgericht durfte es daher bei der Entscheidungsfindung nicht (mehr) zugrundelegen. Durch das ausdrücklich an beide Verfahrensbeteiligte gerichtete Schreiben vom 5. Januar 2011 hat das Verwaltungsgericht zu erkennen gegeben, selbst nicht mehr von einer Bindungswirkung des in der Klageerwiderung erklärten Einverständnisses auszugehen. Die Beklagte durfte daher annehmen, dass das Verwaltungsgericht ohne erneutes Einverständnis mit schriftlichem Verfahren die Sache nicht entscheiden, sondern eine mündliche Verhandlung durchführen würde.

Ob der Schriftsatz der Beklagten vom 12. Januar 2011, in dem diese ausdrücklich erklärt, nicht mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein, noch so rechtzeitig bei dem Verwaltungsgericht eingegangen war, dass er von diesem hätte berücksichtigt werden müssen, ist insoweit ohne Belang.

Die angegriffene Entscheidung „beruht“ auch auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler. Bei einem Gehörsverstoß ist zu unterscheiden, ob er lediglich „partiell“ ist, also nur Teile des Streitstoffs betrifft oder ob er den gesamten Streitstoff erfasst. Im ersten Fall ist ein „Beruhen“ im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO anzunehmen, wenn die Möglichkeit besteht, dass der Verstoß das Urteil beeinflusst hat. Im letzten Fall dagegen ist die Feststellung, das Urteil ist im Ergebnis richtig, per se nicht möglich. In solch einem Fall ist deshalb unwiderleglich zu vermuten, dass das Urteil auf dem Gehörsverstoß beruht. Das kommt auch in dem absoluten Revisionsgrund des § 138 Nr. 3 VwGO zum Ausdruck, der dann vorliegt, wenn einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war und der auch bei § 124 VwGO zu beachten ist (Meyer-Ladewig / Rudisilie, in Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, VwGO § 124, Rn. 62). Ein solcher absoluter, weil den gesamten Streitstoff erfassender Gehörsverstoß liegt u.a. dann vor, wenn - wie hier - eine mündliche Verhandlung nicht stattgefunden hat, ohne dass alle Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (BVerwG, a.a.O., Rn. 13 zu § 138 Nr. 3 VwGO).

Die Entscheidung über die Kosten des Zulassungsverfahrens folgt der Kostenentscheidung im Berufungsverfahren.