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Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag als Insolvenzforderung


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 9. Senat Entscheidungsdatum 26.01.2010
Aktenzeichen OVG 9 S 1.09 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 133 Abs 3 S 1 BauGB, § 38 InsO

Leitsatz

Rosenkranz, Rüdersdorf, Herzfelde

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 7. August 2008 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Bescheide vom 24. August 2006 wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsteller.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 362.443,22 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist Insolvenzverwalter eines Erschließungsträgers, der im Jahre 1994 in einem mit der Gemeinde Herzfelde (Rechtsvorgängerin der Gemeinde Rüdersdorf) geschlossenen Erschließungs- und Finanzierungsvertrag mit der Erschließung eines Industrie- und Gewerbegebietes in Herzfelde beauftragt worden war. Der Erschließungsträger ist Eigentümer von Grundstücken im Erschließungsgebiet; u.a. für diese Grundstücke regelte der Vertrag auch die „Ablösung“ der Erschließungsbeiträge.

Im Oktober 1995 erließ die Amtsdirektorin des Amtes Rüdersdorf verschiedene Vorausleistungsbescheide gegen den Erschließungsträger sowie „Fremdanlieger“ im Erschließungsgebiet. Die Abnahme der vereinbarungsgemäß erbrachten Erschließungsleistungen erfolgte Ende 1996. Über die Abrechnung kam es zum Streit. Auf die Klage des Erschließungsträgers hin hat das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) im September 2002 die Nichtigkeit des Erschließungs- und Finanzierungsvertrages wegen Verstoßes gegen das sog. Koppelungsverbot festgestellt und die Gemeinde zur Zahlung von rund 3,18 Millionen DM (umgerechnet rund 1,6 Millionen Euro) zuzüglich Prozesszinsen verurteilt, und zwar als Erstattung für die vom Erschließungsträger erbrachten Erschließungsleistungen. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die Berufung der Gemeinde im Dezember 2006 zurückgewiesen (Urteil vom 13. Dezember 2006 – OVG 10 B 13.05). Die dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde blieb vor dem Bundesverwaltungsgericht ebenfalls ohne Erfolg (Beschluss vom 16. November 2007 – BVerwG 9 B 36. 07).

Noch während des laufenden Verwaltungsrechtsstreits wurde über das Vermögen des Erschließungsträgers durch Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 4. Mai 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Antragsteller als Insolvenzverwalter eingesetzt.

Mit elf Vorausleistungsbescheiden vom 24. August 2006 setzte der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller Vorausleistungen für die Herstellung von Erschließungsanlagen in Höhe von insgesamt 1.449.772,90 Euro fest und forderte die Zahlung des Betrages bis zum 30. September 2006. Über den dagegen eingelegten Widerspruch ist noch nicht entschieden.

Mit Schreiben vom 10. Januar 2008 forderte der Antragsgegner den Antragsteller zur Zahlung von nunmehr 1.696.797,19 € auf (Festsetzungsbeträge, Säumniszuschläge und Mahnkosten). Unter dem 31. Januar 2008 erklärte der Antragsgegner gemäß § 226 Abs. 1 AO die Aufrechnung dieser Gesamtsumme mit dem verbliebenen Zahlungsanspruch des Antragstellers aus dem rechtskräftig gewordenen Leistungsurteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom September 2002. Am 13. Februar 2008 erhielt das Amtsgericht Hamburg die Anzeige des Antragstellers, dass Masseunzulänglichkeit vorliege. Mit Schriftsatz vom selben Tag beantragte der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht, die Vollziehung der Vorausleistungsbescheide im Wege vorläufigen Rechtsschutzes auszusetzen. In diesem Zeitraum betrieb er zugleich ein Vollstreckungsverfahren nach § 170 Abs. 1 VwGO gegen den Antragsgegner aus dem rechtskräftig gewordenen Leistungsurteil. Der Antragsgegner ist dem Vollstreckungsbegehren ohne Erfolg u.a. mit dem Argument entgegengetreten, inzwischen die Aufrechnung mit der Zahlungsforderung erklärt zu haben. Seine Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 29. Februar 2008 (7 M 13.08) hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg durch Beschluss vom 18. Juni 2008 (OVG 10 L 31.08) mit der Begründung zurückgewiesen, bei der Aufrechnung handele es sich um eine materiellrechtliche Einwendung, die im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich nicht zu prüfen sei.

Durch Beschluss vom 7. August 2008 hat das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Vorausleistungsbescheide angeordnet und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Ob es sich bei den Vorausleistungsforderungen um Masseforderungen oder lediglich einfache Insolvenzforderungen handele, sei nicht derart offensichtlich, dass bereits die Zulässigkeit des Antrags entfalle. Ebenso wenig führe die Aufrechnungserklärung zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses. In der Sache unterliege die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide ernstlichen Zweifeln. Bei summarischer Prüfung handele es sich voraussichtlich um einfache Insolvenzforderungen, denn der Antragsgegner habe „jedenfalls seit Mitte der 1990er Jahre“ jederzeit Vorausleistungen auf die künftigen Erschließungsbeiträge erheben können. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens könnten diese Forderungen nicht mehr durch Bescheide geltend gemacht werden.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners, mit der er u.a. geltend macht, dass es sich bei den Vorausleistungsforderungen nicht um einfache Insolvenzforderungen, sondern um Masseverbindlichkeiten handele, die zutreffend gegenüber dem Antragsteller festgesetzt worden seien.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Mit Blick auf die von dem Antragsgegner gemäß § 146 Abs. 4 VwGO fristgerecht dargelegten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ist der angefochtene Beschluss mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung abzuändern und der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs abzulehnen.

Es kann offen bleiben, ob dem Antragsteller das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für seinen Antrag fehlt und dieser deshalb als unzulässig zu verwerfen wäre. Denn jedenfalls ist der Antrag unbegründet. Die aufschiebende Wirkung von Widerspruch oder Klage gegen einen Abgabenbescheid ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 80 Abs. 5 und § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO - vorbehaltlich des Vorliegens eines Härtefalls – nämlich nur anzuordnen, wenn an der Rechtmäßigkeit des Bescheids ernstliche Zweifel bestehen, d.h. der Bescheid bei summarischer Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig ist. Das ist hier nicht der Fall.

1. Es ist entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung zumindest offen, ob es sich bei den geltend gemachten Vorausleistungen um einfache Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO oder um Masseforderungen handelt.

Dem Verwaltungsgericht ist im Ausgangspunkt darin zuzustimmen, dass für die Abgrenzung, ob eine Forderung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Sinne des § 38 InsO begründet war, danach zu treffen ist, ob das Schuldverhältnis schon vor Verfahrenseröffnung bestand bzw. der Schuldrechtsorganismus, der die Grundlage der Forderung bildet, bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschaffen war. Hierfür muss die Forderung nach überwiegender Auffassung nicht schon vollwirksam entstanden und durchsetzbar gewesen sein. Es genügt vielmehr, wenn von ihrem Entstehungstatbestand zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits so viele Merkmale verwirklicht waren, dass der Gläubiger eine gesicherte haftungsrechtliche Anwartschaft am Vermögen des Schuldners erlangt hatte. Demgegenüber ist eine Forderung als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 InsO einzustufen, wenn sich ihre Begründung erst nach Verfahrenseröffnung vollzogen hat. Von diesem rechtlichen Ansatz gehen im Grunde auch die Verfahrensbeteiligten übereinstimmend aus.

Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts ist eine Vorausleistungsforderung im Sinne des § 38 InsO begründet, sobald die Voraussetzungen vorliegen, unter denen eine Gemeinde Vorausleistungen erheben kann . Ob diese Auffassung zutrifft, ist indessen offen. Denn es ist gleichermaßen denkbar, dass Vorausleistungsforderungen erst dann im Sinne des § 38 InsO begründet sind, wenn entsprechende Vorausleistungsbescheide ergangen sind.

Rechtsgrundlage für die Erhebung von Vorausleistungen ist § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Nach dieser Bestimmung können für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag bis zur Höhe des voraussichtlichen endgültigen Erschließungsbeitrags verlangt werden, wenn ein Bauvorhaben auf dem Grundstück genehmigt wird oder wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlagen begonnen worden ist und die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist.

Die Erhebung von Vorausleistungen steht danach im Ermessen des Gläubigers. Der Zeitpunkt, ab dem ein entsprechendes Ermessen eröffnet ist, markiert aber nicht den Zeitpunkt, ab dem eine sachliche oder gar persönliche Vorausleistungspflicht entstanden ist. Vielmehr wird die Vorausleistungspflicht als zeitlich vorgezogene Erschließungsbeitragsleistung mangels gesetzlicher Entstehung erst mit dem Erlass des Vorausleistungsbescheides begründet und ruht auch erst ab diesem Zeitpunkt als öffentliche Last auf dem Grundstück (vgl. BVerwG, Urt. v. 31. Januar 1968 – IV C 29.67 – juris; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 8. A. § 21 Rz. 32 m.w. N.) Hieran ist auch für das Begründetsein im Sinne des § 38 InsO anzuknüpfen (vgl. Hasl-Kleiber, KommunalPraxis BY, 2005, 328 ff, 372 ff. <373>). Die Anknüpfung an diese Kriterien ist sachgerecht, denn das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht und das Ruhen des Beitrags als öffentliche Last auf dem Grundstück wird auch bei endgültigen Erschließungsbeiträgen als „untere“ Grenze angesehen, ab der die Erschließungsbeitragsforderung im Sinne des § 38 InsO frühestens begründet wird (vgl. Vehslage, NVwZ 2003, 776 ff. <777> m.w.N.; andere verlangen sogar das Entstehen der persönlichen Beitragspflicht, etwa Roßmann, LKV 2008, 213 ff. m.w.N.).

Vor diesem Hintergrund spricht entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts alles dafür, dass eine Vorausleistungsforderung nicht bereits dann im Sinne des § 38 InsO begründet gewesen ist, wenn die Gemeinde die Vorausleistung erheben kann, sondern erst dann, wenn die Gemeinde die Vorausleistung durch einen Vorausleistungsbescheid anfordert. Da die angegriffenen Bescheide erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 4. Mai 2006 erlassen worden sind, sind die Vorausleistungen hier bei überschlägiger Prüfung eher als Masseforderungen denn als Insolvenzforderungen zu qualifizieren.

2. Ob die Vorausleistungsbescheide mit Blick auf die im Jahre 1995 gegenüber dem Erschließungsträger ergangenen Vorausleistungsbescheide unter dem Gesichtspunkt der „Doppelerhebung“ als (teil)rechtswidrig zu beurteilen sind, ist eine schwierige Frage, deren Beantwortung dem Hauptsacheverfahren nach entsprechender Sachaufklärung vorbehalten bleiben muss. Der Antragsgegner hat vorgetragen, dass diese Bescheide nach Widerspruchseinlegung aufgehoben worden seien; der Antragsteller hat dies zwar nicht bestätigen können, sich aber auch nicht substantiiert darauf berufen, dass die Vorausleistungsbescheide von 1995 den hier angegriffenen Vorausleistungsbescheiden entgegenstehen. Zudem erscheint nicht ausgeschlossen, dass beide Seiten den Bescheiden aus dem Jahre 1995 nur Informationscharakter über die vorläufige Höhe der Ablösebeträge beigemessen haben (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Dezember 2006 – OVG 10 B 13.05 -, UA S. 8, 15).

3. Dass die angefochtenen Vorausleistungsbescheide aus sonstigen Gründen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtswidrig sind, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Insbesondere bestehen keine ernstlichen Zweifel hinsichtlich der Höhe der geforderten Vorausleistung. Soweit der Antragsteller meint, der Antragsgegner müsse die bei ihm anfallenden Erschließungskosten in besonderer Weise plausibel machen, soweit diese Kosten den im Leistungsurteil vom September 2002 ausgeworfenen Betrag und bestimmte weitere Beträge übersteigen, ist darauf hinzuweisen, dass der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2008 eine Berechnung des Erschließungsaufwandes und des daraus resultierenden beitragsfähigen Aufwandes vorgelegt hat, die die Höhe der geforderten Vorausleistungen nach summarischer Prüfung als plausibel erscheinen lässt. In diese Berechnung dürften die Fördermittelabzüge bereits eingeflossen sein.

Soweit die Verteilung der Kosten auf die einzelnen Straßen den Eindruck erweckt, der Antragsgegner, habe nicht durchgängig den 10%-igen Gemeindeanteil von den Erschließungskosten abgezogen, führt auch dies nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Vorausleistungsbescheide. Zwar enthalten die der Erläuterung dienenden Anlagen zu den Vorausleistungsbescheiden für die Herstellung der Erschließungsanlagen Ebereschen-, Eichen-, Kirschen- und Ulmenstraße jeweils insoweit einen Fehler, als die Höhe des angegebenen beitragsfähigen Aufwandes trotz des abzuziehenden 10%-igen Gemeindeanteils der Höhe des umlagefähigen Aufwandes zu entsprechen scheint. Jedoch führt dies entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht zur Teilrechtswidrigkeit der Bescheide, denn der Schreibfehler bezieht sich offenkundig auf den beitragsfähigen Aufwand, der bereits um 10% gemindert angegeben worden ist und deshalb dem rechnerisch zutreffend ermittelten und hier entscheidungserheblichen umlagefähigen Aufwand entspricht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).