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Straßenverkehrsrecht


Metadaten

Gericht VG Potsdam 10. Kammer Entscheidungsdatum 30.06.2011
Aktenzeichen 10 K 2271/06 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 36 BauGB, § 9 Abs 1 Nr 11 BauGB, § 28 KomVerf BB, Art 28 Abs 2 GG, § 6 Abs 1 Nr 15 StVG, § 45 Abs 1 StVO, § 45 Abs 1b Nr 3 StVO, § 45 Abs 1b Nr 9 StVO

Leitsatz

Die Entscheidung über die Anordnung zur Kennzeichnung eines verkehrsberuhigten Bereichs setzt die gestalterische Festsetzung in Form eines planerischen Verkehrskonzeptes seitens der Gemeinde auf der 1. Stufe voraus.

Erst wenn eine solche Entscheidung über das "ob" seitens der Gemeinde vorliegt, kann die Straßenverkehrsbehörde auf der 2. Stufe das "wie" der Kennzeichnung beschließen.
Ist die Gemeinde gleichzeitig auch Straßenverkehrsbehörde, bedarf es keines förmlichen Einvernehmens mehr mit ihr i. S. v. § 45 Abs. 1 b S. 2 StVO.

Tenor

Die verkehrsrechtliche Anordnung des Beklagten vom 26. Juli 2005 in der Fassung der Anordnung vom 6. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 16. Oktober 2006 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine verkehrsrechtliche Anordnung.

Am 1. Juni 2002 wurde das Krongut ... als touristischer Ausflugspunkt in der ... in Potsdam-... eröffnet. Unter dem 26. Juli 2005 in der Fassung vom 6. März 2006 ordnete der Beklagte nach internen Absprachen mit anderen Abteilungen und der Polizei die Aufstellung des Verkehrszeichens 325 der Straßenverkehrsordnung – StVO – in der ... an, welches die Straße als verkehrsberuhigten Bereich ausweist. Ein Beschluss der Stadtverordnetenversammlung erging hierzu nicht.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers als Verkehrsteilnehmer wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2006 zurück. Zur Begründung führte er aus: Gemäß § 45 Abs. 1 StVO sei die Anordnung des Verkehrszeichens 325 StVO aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs in der ... erforderlich gewesen. Aufgrund des hohen Besucheraufkommens für das Krongut ... habe der motorisierte Verkehr massiv eingeschränkt bzw. der Busverkehr vollständig unterbunden werden müssen. Die baulichen – teilweise unbefestigten – Nebenanlagen (Gehweg) der ... hätten die aufkommenden Fußgängerströme nicht mehr aufnehmen können, so dass diese teilweise auf die Straße hätten ausweichen müssen. Die vorhandene Verkehrsorganisation habe den neuen Gegebenheiten angepasst werden müssen. Die zuvor bestehende Tempo-30-Zone sei deshalb in einen verkehrsberuhigten Bereich umgewandelt worden. Die Fußgängerströme könnten nunmehr die ... in der ganzen Breite nutzen.

Mit seiner am 16. November 2006 erhobenen Klage macht der Kläger geltend:

Die Voraussetzungen zum Erlass der verkehrsregelnden Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 b Satz 1 Nr. 3 StVO seien nicht gegeben. Hiernach werde eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs vorausgesetzt. Eine solche konkrete Gefahrenlage sei in der ... nicht erkennbar. Bei der ... handele es sich nicht um einen Unfallschwerpunkt. Die vom Beklagten genannten Fußgängerströme seien nicht vorhanden. Auch lägen die baulichen Voraussetzungen hierfür nicht vor. Geschwindigkeitsmindernde Maßnahmen gäbe es bis auf eine untergeordnete Einengung nicht. Nicht das Verkehrszeichen, sondern der bauliche Eindruck, welcher sich deutlich von angrenzenden Straßen unterscheiden solle, sei maßgeblich.

Eine Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h im Rahmen der Verhältnismäßigkeit sei ausreichend, um den Fußgängerverkehr zu schützen und eine angemessene Durchschreitung der ... auf den ca. 3 m breiten Gehwegen zu ermöglichen.

Der Kläger beantragt,

die verkehrsrechtliche Anordnung des Beklagten vom 26. Juli 2005 in der Fassung der Anordnung vom 6. März 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 16. Oktober 2006 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt er aus:

Die ... sei zur Verbesserung der Verkehrssicherheit als verkehrsberuhigte Zone auszuweisen. Die Einrichtung einer auf 30 km/h geschwindigkeitsbeschränkten Zone sei kein geeignetes Mittel zur Wiederherstellung der Verkehrssicherheit gewesen, um insbesondere den stark angestiegenen Fußgängerverkehr, der auch auf die Mitbenutzung der dortigen Fahrbahn angewiesen sei, ausreichend zu schützen. Ausweislich seiner Verwaltungsvorgänge seien die anderen Abteilungen und Institutionen, insbesondere die Verkehrsplanungsabteilung der Landeshauptstadt und die Abteilung des Straßenbaulastträgers mit der Planung und Einrichtung der ... als verkehrsberuhigte Zone beteiligt gewesen. Insoweit sei die Planungshoheit der Gemeinde gewahrt worden und auch eine planerische Entscheidung entsprechend zu bejahen. Im Hinblick auf eine parallele Wertung zu § 36 BauGB sei festzustellen, dass bei Identität der Straßenverkehrsbehörde und der Gemeinde der Zweck des förmlichen Einvernehmenserfordernisses gemäß § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 3, Satz 2 StVO entfalle. Denn Zweck des Einvernehmenserfordernisses der Gemeinde sei es allein, gegebenenfalls durch die Aufstellung z. B. eines Bebauungsplanes eigene planungsrechtliche Grundlagen für straßenverkehrsrechtliche Anordnungen zu schaffen. Grundsätzlich entscheide damit aber der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Potsdam im Rahmen seiner Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung (auch) über die Einrichtung einer verkehrsberuhigten Zone nach § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 3 StVO.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge, welche vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Anfechtungsklage – der Kläger ist als Verkehrsteilnehmer aus Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) – ist begründet, da die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind und den Kläger dadurch in seinen Rechten verletzen, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Rechtsgrundlage der – nach Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 2011 - zu überprüfenden Anordnung eines verkehrsberuhigten Bereiches ist § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 3 i. V. m. Satz 2 StVO. Danach treffen die Straßenverkehrsbehörden u. a. die notwendigen Anordnungen zur Kennzeichnung von verkehrsberuhigten Bereichen. Nach § 45 Abs. 1 b Satz 2 StVO ordnen die Straßenverkehrsbehörden diese Zonen im Einvernehmen mit der Gemeinde an.

Mit dem Begriff der „Kennzeichnung“ hat der Verordnungsgeber geregelt, dass die Gemeinde als örtliche Planungsträgerin (vgl. auch Art. 28 Abs. 2 GG) zur Einrichtung eines verkehrsberuhigten Bereichs im Vorfeld der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung eine planerische Entscheidung zu treffen hat. Nach den Gesetzesmaterialien (BT – Drucksache 8/3150) zu § 6 Abs. 1 Nr. 15 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG), der Verordnungsermächtigung für verkehrsberuhigte Bereiche im Sinne des § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 3 StVO, „macht der Begriff „Kennzeichnung“ deutlich, dass den Straßenverkehrsbehörden nicht die Befugnis eingeräumt werden soll, zu entscheiden, ob eine verkehrsberuhigte Zone eingerichtet werden soll…. Die Frage hingegen, wie der verbleibende Verkehr in diesen Bereichen in Vollzug dieser grundsätzlich städteplanerischen Entscheidung zu regeln ist, ist dann von der jeweiligen Straßenverkehrsbehörde zu entscheiden“. Erst wenn eine solche Entscheidung über das „ob“ seitens der Gemeinde getroffen worden ist, kann die Straßenverkehrsbehörde auf der 2. Stufe die notwendige Anordnung zur Kennzeichnung des verkehrsberuhigten Bereiches im Rahmen der Gefahrenabwehr vornehmen.

Dieser gesetzgeberische Wille hat auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der die Kammer folgt, seinen Niederschlag gefunden. Die Entscheidung über einen verkehrsberuhigten Bereich im Sinne des § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 3 StVO setzt danach die gestalterische Festsetzung in Form eines planerischen Verkehrskonzeptes seitens der Gemeinde voraus, da es sich um eine bedeutende lokale städteplanerische Entscheidung der Gemeinde handelt, die gerade nicht der Straßenverkehrsbehörde vorbehalten ist (BVerwG, Urteil vom 20. April 1994 – 11 C 17/93 – zit. nach Juris). Der Charakter einer verkehrsrechtlichen Anordnung, für die nach außen die Straßenverkehrsbehörde zuständig ist, geht dadurch nicht verloren (BVerwG, Urteil vom 20. April 1994 – 11 C 17/93 – zit. nach Juris). Hat die Gemeinde die Einrichtung eines verkehrsberuhigten Bereichs beschlossen und sind die erforderlichen straßenbaulichen Voraussetzungen erfüllt, so ist es Aufgabe der Straßenverkehrsbehörde, im Einvernehmen mit der Gemeinde die notwendigen Anordnungen zur Kennzeichnung dieses Bereichs zu treffen. Die Gemeinde hat einen Anspruch, dass über ihre planerische Entscheidung durch die Verkehrsbehörde ermessensfehlerfrei entschieden wird (BVerwG, Beschluss vom 13. Juli 1988 - 7 B 128/88 -, in diesem Sinne auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29. Januar 2009 – 5 S 149/08 – jeweils zit. nach Juris; vgl. auch Steiner, NVwZ 1984, 201). Aus dem Zusammenhang des § 45 StVO ergibt sich jedoch, dass die Verkehrsbehörde die Anordnung eines verkehrsberuhigten Bereichs entgegen dem Willen der Gemeinde ablehnen muss, soweit Interessen der Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO entgegenstehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1994 - 11 C 25/93 -, zit. nach Juris). Das ist insbesondere der Fall, wenn die örtlichen und baulichen Voraussetzungen der Straßen, die für einen verkehrsberuhigten Bereich in gewissem Umfang vorhanden sein müssen (vgl. hierzu auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) vom 22. Oktober 1998 in der Fassung vom 17. Juli 2009 zu dem Zeichen 325 I bis III) noch nicht hinreichend geschaffen worden sind (so auch VGH Baden-Württemberg a. a. O.). Dabei weist die Kammer darauf hin, dass hier bereits Zweifel an dem Vorliegen der baulichen Voraussetzungen (z. B. mangels Niveaugleichheit zwischen Gehweg und Straße) für einen verkehrsberuhigten Bereich in der ... gegeben sind, was jedoch keiner abschließenden Klärung durch das Gericht bedarf.

Für die als Voraussetzung einer Anordnung nach § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 3 StVO erforderliche planerische Entscheidung reichen die rein ordnungsrechtlichen Erwägungen der Verkehrsabteilung des Beklagten ebenso wenig aus wie die bloße Beteiligung anderer Abteilungen im Rahmen der laufenden Geschäfte zur Einrichtung des verkehrsberuhigten Bereichs. Nach Auffassung der Kammer unterfällt die Festlegung des notwendigen Verkehrskonzeptes nicht der Zuständigkeit des Beklagten als Hauptverwaltungsbeamten, insbesondere handelt es sich nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 5 BbgKVerf, so dass jedenfalls nach § 28 Abs. 1 BbgKVerf die Zuständigkeit der Stadtverordnetenversammlung gegeben ist. Im vorliegenden Fall kann diese Zuständigkeitsfrage sogar dahinstehen, da ein Verkehrskonzept bislang in keiner Weise zustande gekommen ist. Welche inhaltlichen und verfahrensmäßigen Anforderungen an ein solches kommunales Verkehrskonzept zu stellen sind, bedarf deshalb ebenfalls keiner abschließenden Entscheidung.

Nach allem unerheblich ist die Frage, ob und in welcher Form das in § 45 Abs. 1 b Satz 2 StVO geregelte Erfordernis eines Einvernehmens der Gemeinde anzuwenden war. Es spricht ganz Überwiegendes dafür, dass die zu § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB entwickelte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 19. August 2004 - 4 C 16/03 -, zit. nach Juris) entsprechend zugrunde zu legen ist, wonach ein Einvernehmen entbehrlich ist, wenn die (staatliche) Genehmigungsbehörde - hier in Form der Straßenverkehrsbehörde - und die Gemeinde demselben Rechtsträger angehören und insoweit identisch sind. Der Fortfall des rein verfahrensrechtlichen Erfordernisses lässt indessen nicht die materiellrechtliche Voraussetzung einer planerischen Entscheidung des zuständigen Rechtsträgers entfallen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären, da es dem Kläger angesichts der aufgeworfenen Rechtsfragen nicht zuzumuten war, das Widerspruchsverfahren ohne anwaltliche Vertretung selbst zu führen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.

B e s c h l u s s :

Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

G r ü n d e :

Die Streitwertfestsetzung entspricht dem Auffangwert (§ 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG).