Gericht | LSG Berlin-Brandenburg 27. Senat | Entscheidungsdatum | 19.04.2012 | |
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Aktenzeichen | L 27 P 10/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 59 SGB 11, § 25 Abs 1 SGB 5 |
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Januar 2011 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des gesamten Rechtsstreits.
Die Revision wird zugelassen.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der von der Beklagten der Klägerin zu erstattenden Beiträge zur Pflegeversicherung für Lohnzahlungen an behinderte Menschen, die in einer Werkstatt der Klägerin beschäftigt werden.
Die Klägerin ist ein Träger einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen im Sinne des § 136 des IX. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX). Die Beklagte ist zuständiger Leistungsträger der Eingliederungshilfe.
An behinderte Menschen, die im Arbeitsbereich der Klägerin im Rahmen von Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 des V. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) versicherungspflichtig beschäftigt sind, zahlt die Klägerin im Jahr ein Arbeitsentgelt von 120,- €/Monat. Die hierauf von der Klägerin entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung wurden ihr in der Regel von der Beklagten gemäß § 251 Abs. 2 Satz 2 SGB V erstattet.
Im Monat Juni 2006 zahlte die Klägerin zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt eine Ausschüttung (Einmalzahlung) und entrichtete hierauf entsprechende Beiträge zur Sozialversicherung. Mit Rechnung vom 30. Juni 2006 machte die Klägerin für 35 bei ihr beschäftigte behinderte Menschen die insoweit geleisteten Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 7.966,44 € geltend. Mit Schreiben vom 21. Juli 2006 sagte die Beklagte die Rückerstattung der Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von 4.348,97 € zu; die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge würden nach entsprechender Korrekturabrechnung unter Berücksichtigung des Rundschreibens des Landesamtes für Soziales und Versorgung vom 17. Januar 2006 (Nr. 1/2006) erstattet.
Mit Bescheid vom 12. September 2006 lehnte die Beklagte den Erstattungsanspruch teilweise ab. Gemäß § 251 Abs. 2 Satz 2 SGB V habe die Beklagte die Beiträge, die die Klägerin als Träger der Einrichtung zu tragen habe, zu erstatten. Gemäß § 249 Abs. 1 SGB V sei bei einer Überschreitung der Mindestarbeitsentgelte u. a. der Pflegeversicherungsbeitrag je zur Hälfte vom versicherungspflichtigem Beschäftigten und vom Träger der Einrichtung zu tragen. Die Mindestarbeitsentgelte würden hier aufgrund der Addition von laufendem Arbeitsentgelt und Ausschüttung überschritten. Eine höhere Erstattung scheide daher aus. Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin vom 29. September 2006 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Februar 2007 zurück.
Die Klägerin hat am 8. März 2007 Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt (Oder) erhoben, mit der sie eine Erstattung von Beiträgen in Höhe von weiteren 1.189,57 € (1.068,71 € Beiträge zur Krankenversicherung und 120,86 € Beiträge zur Pflegeversicherung) geltend gemacht hat (Aktenzeichen des Sozialgerichts Frankfurt (Oder): S 4 KR 43/07).
Mit Beschluss vom 18. Oktober 2010 hat das Sozialgericht Frankfurt (Oder) das Verfahren abtrennt, soweit die Erstattung von Beiträgen zur Pflegeversicherung begehrt worden ist. Dieses streitgegenständliche Verfahren ist unter dem Aktenzeichen des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) S 11 P 37/10 fortgeführt worden.
Mit Urteil vom 21. Januar 2011 hat das Sozialgericht Frankfurt (Oder) die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom „29. September 2006“ – zutreffender Weise vom 13. Februar 2007 - antragsgemäß verurteilt, der Klägerin Beiträge zur Pflegeversicherung in Höhe von (weiteren) 120,86 € zu erstatten.
Die Klägerin habe gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 des XI. Buches des Sozialgesetzbuches i. V. m. § 251 Abs. 2 Satz 2 SGB V einen Anspruch auf Erstattung der Beträge zur Pflegeversicherung, die sie für die bei ihr versicherungspflichtig beschäftigten Behinderten im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 7 SGB V zu tragen habe. Bei Überschreiten der Grenze des § 235 Abs. 3 SGB V aufgrund einmalig gezahltem Arbeitsentgelt, wie vorliegend, greife eine eigenständige Regelung über die Beitragstragung ein. Dabei sei gemäß § 251 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2, letzter Halbsatz, SGB V § 249 Abs. 3 SGB V entsprechend anzuwenden. Daraus folge, dass bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt bis zur Grenze des § 235 Abs. 3 SGB V der Arbeitgeber die Beiträge zu tragen habe und nur für den übersteigenden Betrag eine hälftige Beitragstragung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigtem bestehe. Zwar sei § 249 Abs. 3 SGB V zwischenzeitlich gestrichen worden. Zeitgleich sei jedoch eine entsprechende Vorschrift (§ 20 Abs. 3 Satz 2 des IV. Buches des Sozialgesetzbuches - SGB IV -) in Kraft getreten. Der bestehen gebliebene Verweis in § 251 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2, letzter Halbsatz, SGB V auf § 249 Abs. 3 SGB V sei daher als Verweis auf § 20 Abs. 3 Satz 2 SGB IV zu verstehen. Unter Zugrundelegung dessen ergäbe sich der weiter geltend gemachte Erstattungsbetrag.
Gegen das ihr am 9. Februar 2011 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder), das die Berufung zugelassen hat, hat die Beklagte am 7. März 2011 Berufung eingelegt.
Sie ist der Auffassung, dass die Verweisung in § 251 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2, letzter Halbsatz, SGB V auf § 249 Abs. 3 SGB V ins Leere laufe. Es handele sich insoweit um einen Redaktionsfehler des Gesetzgebers. Eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 20 Abs. 3 Satz 2 SGB IV sei mit dem Willen des Gesetzgebers nicht vereinbar, da dieser § 249 Abs. 3 SGB V ausdrücklich aufgehoben habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 21. Januar 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und führt ergänzend aus, der Gesetzgeber habe es schlichtweg vergessen § 251 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2, letzter Halbsatz, SGB V anzupassen. Im Übrigen binde das rechtskräftige Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. März 2011 in dem Verfahren S 4 KR 43/07 hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten zur Erstattung der Beiträge zur Krankenversicherung die Beklagte auch vorliegend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die Gerichtsakte des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) im Verfahren S 4 KR 43/07 Bezug genommen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Die Berufung der Beklagten, an deren ausdrückliche Zulassung durch das Sozialgericht gemäß § 144 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) der Senat gebunden ist, ist auch im Übrigen zulässig, jedoch unbegründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend. Denn der Bescheid der Beklagten vom 12. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Februar 2007 ist jedenfalls teilweise rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung von ihr geleisteter Beiträge zur Pflegeversicherung in Höhe von (weiteren) 120,86 €. Der Senat folgt insoweit den zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in der angefochtenen Entscheidung und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darlegung in den Gründen ab.
Ergänzend ist Folgendes auszuführen: Zwar trifft es zu, dass der Gesetzgeber § 249 Abs. 3 SGB V mit Gesetz vom 24. Juli 2003 (BGBl. I., S. 1526) mit Wirkung zum 1. August 2003 aufgehoben hat. Durch die zeitgleiche Schaffung des § 20 Abs. 3 Satz 2 SGB IV aufgrund dieses Gesetzes hat der Gesetzgeber jedoch zum Ausdruck gebracht, dass bestimmte Geringverdiener wie Versicherte, die zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind, bzw. Versicherte, die u. a. ein freiwilliges soziales Jahr leisten (s. § 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB IV), weiterhin von der bisherigen Regelung profitieren sollen, wonach der Arbeitsgeber bis zur Grenze des § 235 Abs. 3 SGB V die Beiträge aus dem einmalig gezahlten Arbeitsentgelt zu tragen hat und nur für den übersteigenden Betrag eine hälftige Beitragstragung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigtem erfolgt. Einem derartigen Personenkreis vergleichbar sind die versicherungspflichtig beschäftigten behinderten Menschen nach § 5 Abs. 1 Nr. 7 oder 8 SGB V (vgl. § 251 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 SGB V), die regelmäßig ebenfalls nur über geringe Einnahmen verfügen. Zur Überzeugung des Senats hat es der Gesetzgeber bei der Streichung des § 249 Abs. 3 SGB V durch Gesetz vom 24. Juli 2003 übersehen, klarzustellen, dass durch die generelle Streichung dieser Norm dem an sich über § 251 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 SGB V begünstigen Personenkreis die Vorteile einer arbeitsnehmerfreundlichen Beitragstragung in Fällen der Überschreitung der Grenze des § 235 Abs. 3 SGB V bei einmalig gezahltem Arbeitsentgelt nicht genommen werden soll. Ein Wertungswiderspruch zur generellen Aufhebung des § 249 Abs. 3 SGB V ergibt sich insoweit nicht, weil nur für die § 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB IV vergleichbare Gruppe der in § 251 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 2 SGB V Genannten die arbeitnehmergünstige Regelung zur Anwendung gelangt (vgl. zum Problemkreis auch: Baier in Krauskopf, SGB V, Loseblattkommentar, Stand: Juni 2010, § 251 Rn. 9; Gerlach in Hauck/Noftz, SGB V; Loseblattkommentar, Stand: Oktober 2011, § 251 Rn. 27).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197 a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Zulassung der Revision folgt aus § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.