Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 5. Senat | Entscheidungsdatum | 20.12.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 5 S 22.12 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 146 Abs 4 S 6 VwGO, § 38 Nr 1 SOG BE, § 49 Abs 2 Nr 3 StVO, § 2 Abs 2 Nr 1 BWaldG, § 2 Abs 1 WaldG BE, § 3 Abs 1 WaldG BE, § 11 WaldG BE, § 21 WaldG BE |
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. Oktober 2012 wird auf die Beschwerde des Antragsgegners mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag des Antragstellers wird insgesamt abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2 500,00 EUR festgesetzt.
I.
Der Antragsteller hielt ursprünglich in S... (Landkreis Havelland) eine Schafherde mit einem im Januar 2012 registrierten Bestand von 65 Tieren. Ab Mai 2012 verlegte er die Haltung der Schafe auf mehrere gepachtete, zwischen dem D... und dem F...Weg gelegene Grundstücke in 1... Berlin (G...) und beantragte beim Bezirksamt die Erteilung einer Registriernummer nach § 26 Viehverkehrsverordnung für die Haltung von 60 Schafen.
Auf Grund einer Anzeige vom 21. August 2012, derzufolge am D... Schafe ohne ausreichende Ernährung, Wasser und Einzäunung gehalten würden, von denen sich zudem acht Schafe am Vorabend gegen 23.00 Uhr auf der H... (Bundesstraße) befunden hätten, stellte das Bezirksamt bei einer Überprüfung am 21. August 2012 auf den Grundstücken 60 Schafe sicher. Mit Bescheid vom 23. August 2012 bestätigte das Bezirksamt die Sicherstellung der Schafe und ihre anderweitige Unterbringung und ordnete die sofortige Vollziehung des Bescheides mit der Begründung an, es bestehe die Gefahr, dass die Schafe mangels Einzäunung und Aufsicht auf eine stark befahrene Bundesstraße laufen könnten. Durch weiteren für sofort vollziehbar erklärten Bescheid vom 13. September 2012 gab das Bezirksamt dem Antragsteller auf, bis zum 19. September 2012 eine Unterbringungsmöglichkeit für die Schafe zu benennen, und ordnete zugleich die Duldung des Verkaufs der Schafe für den Fall an, dass bis zum 19. September 2012 keine Unterbringungsmöglichkeit benannt und keine Sicherheitsleistung für die bisher entstandenen Kosten hinterlegt würde.
Der Antragsteller hat am 17. September 2012 gegen die beiden Bescheide Widerspruch erhoben. Zudem hat er beim Verwaltungsgericht beantragt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wiederherzustellen, den Antragsgegner zur Rückführung der Schafe zu verpflichten sowie festzustellen, dass der Antragsgegner die bisher entstandenen Kosten der Sicherstellung zu tragen habe. Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 9. Oktober 2012 unter Ablehnung des Antrages im Übrigen die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt und den Antragsgegner verpflichtet, die am 21. August 2012 sichergestellten Schafe auf das „Grundstück im D...“ zurückzubringen.
Hiergegen hat der Antragsgegner am 11. Oktober 2012 Beschwerde eingelegt und diese am 8. November 2012 begründet. Auf seinen Antrag vom 15. Oktober 2012 hat der Senat mit Beschluss vom 16. Oktober 2012 die Vollziehung des angefochtenen erstinstanzlichen Beschlusses bis zur Entscheidung über die Beschwerde ausgesetzt, soweit der Antragsgegner darin verpflichtet wird, die sichergestellten Tier auf das Grundstück im D... zurückzubringen.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Das für die Prüfung des Senats allein maßgebliche Beschwerdevorbringen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigt eine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Danach ist das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Unrecht zu der Auffassung gelangt, dass bezüglich des Bescheides vom 23. August 2012 das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der Sicherstellung der Schafe überwiege, weil die Erfolgsaussichten in der Hauptsache für den Antragsteller günstig erschienen und derzeit kein besonderes Interesse am Sofortvollzug angenommen werden könne. Anders als das Verwaltungsgericht meint, war die Sicherstellung der Schafe am 21. August 2012 durch § 38 Nr. 1 ASOG gedeckt, weil das Bezirksamt im Zeitpunkt der Sicherstellung von einer gegenwärtigen Gefahr im Sinne der Vorschrift ausgehen durfte. Auf Grund der Anzeige vom 21. August 2012, die das Verwaltungsgericht - aus seiner Sicht verständlich - wegen der unterlassenen namentlichen Benennung der anzeigenden Person durch den Antragsgegner in der ersten Instanz für nicht verifizierbar gehalten hat, bestanden für das Bezirksamt Anhaltspunkte für die Annahme, dass eine unmittelbar bevorstehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit gegeben war. Denn die Anzeige der Zeugin B... enthielt die Mitteilung, dass am 20. August 2012 gegen 23.00 Uhr acht Schafe auf der H...straße gewesen seien, die von Autofahrern wieder hätten zurückgedrängt werden müssen. Der unbeaufsichtigte Aufenthalt von Schafen an einer Straße, zumal einer viel befahrenen Bundesstraße, stellt eine erhebliche Gefährdung von Leib und Leben der Verkehrsteilnehmer dar und verwirklicht den Ordnungswidrigkeitentatbestand nach § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 2 Nr. 3 StVO. Die von dem Bezirksamt noch am Tag des Eingangs der Anzeige vorgenommene Überprüfung der Tierhaltung des Antragstellers auf dessen Pachtgrundstücken führte zu Erkenntnissen, die nicht gegen, sondern für den angezeigten Sachverhalt sprachen, weil die Schafe sowohl freilaufend als auch unbeaufsichtigt vorgefunden wurden und zudem von der herbeigerufenen Feuerwehr mit Wasser versorgt werden mussten. Hinzu trat die Lage des nicht eingezäunten Schafunterstandes (Flurstück 9...) zwischen drei Straßen, wobei auch die weiteste Entfernung von etwa einem Kilometer zu der H...straße für die Schafe nicht unüberwindbar erschien. Die dargelegten Umstände und Erkenntnisse des Bezirksamtes tragen in der Zusammenschau die Annahme der Behörde, dass es im Zusammenhang mit der Schafhaltung des Antragstellers bereits zu dem angezeigten Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung gekommen war und weitere Beeinträchtigungen des Straßenverkehrs bei ungehindertem Geschehensablauf in allernächster Zeit und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dadurch zu erwarten waren, dass die Schafe von dem nicht eingezäunten Gelände auf der Suche nach Wasser wiederum auf die H...straße gelangten und dort den Verkehr gefährdeten. Damit war von einer gegenwärtigen Gefahr im Sinne der in Rede stehenden ordnungsrechtlichen Eingriffsnorm auszugehen, ohne dass im Nachhinein weitere Anforderungen an ihre Nachweislichkeit zu stellen sind. Zwar sind Zweifel am Aussagegehalt der Anzeige der Zeugin B... trotz ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 29. August 2012 insoweit angebracht, als sie den Antragsteller in ihrem an das Bezirksamt gerichteten Schreiben vom 16. April 2012 beschuldigt hat, die Schafe in S... nicht ordnungsgemäß versorgt zu haben und deshalb vom Veterinäramt Nauen entsprechend beauflagt worden zu sein; das steht im Widerspruch zu der Auskunft des Veterinäramtes Nauen vom 23. August 2012, wonach auf Grund von Anzeigen Kontrollen bei dem Antragsteller durchgeführt worden seien, die „zu keiner Zeit tierschutzrechtliche Verstöße“ ergeben hätten. Jedoch bedarf dies keiner weiteren Aufklärung, weil es vorliegend um die Frage der Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Gefahrenprognose geht, bei der es maßgeblich auf die konkreten Verhältnisse und den Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Sicherstellung ankommt. Dies folgt aus der Natur der Gefahrenabwehr, die ein schnelles Handeln der Ordnungsbehörden erfordert und es daher unumgänglich macht, die Rechtmäßigkeit einer Gefahrenabwehrmaßnahme nach den Verhältnissen im Zeitpunkt ihrer Vornahme zu beurteilen und nicht danach, wie sich die Sachlage später - vielleicht nach eingehender Beweisaufnahme - darstellt (vgl. nur Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Februar 1974 - BVerwG I C 31.72 -, juris Rn. 38).
Die Sicherstellung erscheint auch nicht unverhältnismäßig. Mildere Mittel, wie etwa die Auflage, die Herde unter Verbleib an ihrem Standort ständig durch eine Person zu beaufsichtigen oder einen ausbruchsicheren Zaun zu erstellen, kamen nicht in Betracht, weil sie eine Verfestigung des waldrechtswidrigen Zustandes und damit ein Einschreiten der Berliner Forsten zur Folge gehabt hätten. Dass es sich bei den Grundstücken im Rahmen der in Eilrechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung um einen für die Schafhaltung nicht zugänglichen Schutz- und Erholungswald im Sinne des Landeswaldgesetzes - LWaldG - handeln dürfte, hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 16. Oktober 2012 dargelegt und wird durch die von den Berliner Forsten nach Durchführung einer Flächenbesichtigung vorgenommene Feststellung der Waldeigenschaften der Flurstücke 9..., deren Einzelheiten in dem vorliegenden Vermerk der Berliner Forsten vom 7. November 2012 niedergelegt sind, bestätigt.
Das dagegen gerichtete Vorbringen des Antragstellers greift nicht durch. Dass der inzwischen verstorbene Förster E... seinerzeit auf dem Flurstück 9... eine „Spontanvegetation auf Ackerland“ erkannt hat, steht nicht im Widerspruch zu dem jüngsten fachbehördlichen Vermerk. Auch in diesem wird zu dem Flurstück 945/3 festgehalten, dass sich innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte aus einem Ackerboden ein naturnahes Waldökosystem entwickelt hat. Aus der - nach summarischer Prüfung nicht nachvollziehbaren - weitergehenden Schlussfolgerung des Försters E..., dass die „Berliner Forsten nicht betroffen“ seien, vermag der Antragsteller hingegen mangels rechtlicher Bindungswirkung nichts zu seinen Gunsten herzuleiten.
Der Vorhalt des Antragstellers, dass es sich bei dem Flurstück 9... ausweislich des Pachtvertrages, des Grundbuchauszuges, des Flächennutzungsplans sowie der LIKA-Auskunft um Landwirtschaftsfläche handele, verkennt, dass die Begriffsdefinition des Waldes in § 2 Abs. 1 WaldG allein auf eine tatsächliche Betrachtungsweise abstellt, so dass die Bezeichnungen in Grundbüchern, Plänen u.ä. für die waldrechtliche Beurteilung ohne Belang sind. Letzteres gilt im Ergebnis auch für den Vorhalt des Antragstellers, die durchgeführte Waldfeststellung lasse den prozentualen Anteil der auf den Grundstücken befindlichen Baumarten unerwähnt und übersehe zudem, dass sich § 11 LWaldG nur auf heimische Arten, nicht aber auf die auch vorgefundenen, aus Nordamerika eingeschleppten Traubenkirschen und kanadische Goldruten, die sich zudem unkontrolliert ausbreiteten, beziehe. Inwieweit der Zustand des festgestellten Waldes den in § 11 LWaldG niedergelegten Grundsätzen der Waldbewirtschaftung entspricht, berührt den in § 2 LWaldG abschließend geregelten Waldbegriff nicht. Im Hinblick darauf, dass nach § 2 Abs. 1 Satz 1 LWaldG jede mit Forstpflanzen bestockte Grundfläche Wald darstellt, kommt es für die Waldfeststellung und die darin anknüpfenden forstschutzrechtlichen Vorschriften im Dritten Abschnitt des Landeswaldgesetzes auf die von dem Antragsteller problematisierte Art und Herkunft der Forstpflanzen nicht an.
Der Antragsteller kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, das Flurstück 9... werde als Kurzumtriebsplantage genutzt, weil die dort stehenden Bäume den Grundstückseigentümern zur Brennholzbeschaffung dienten. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 BWaldG stellen zwar Grundflächen, auf denen Baumarten mit dem Ziel baldiger Holzentnahme angepflanzt werden und deren Bestände eine Umtriebszeit von nicht länger als 20 Jahren haben, keinen Wald dar. Vorliegend fehlen jedoch jegliche tatsächliche Anhaltspunkte für eine derart planvolle Grundstücksnutzung. Weder dem fachbehördlichen Vermerk vom 7. November 2012 noch den von dem Antragsteller vorgelegten Unterlagen lässt sich ansatzweise ein Hinweis darauf entnehmen, dass die Grundstückseigentümer eine plantagenmäßige Bewirtschaftung ihrer Grundstücksfläche beabsichtigt oder später praktiziert hätten.
Soweit der Antragsteller schließlich die Zuständigkeit der Berliner Forsten für Privatwald als fraglich ansieht, ist ihm zu entgegnen, dass der hier in Rede stehende Forstschutz unzweifelhaft zu den Aufgaben der genannten Fachbehörde gehört (§ 3 Abs. 1 LWaldG) und - wie dessen Regelung in § 21 LWaldG zeigt - nicht zwischen Landes-, Körperschafts- und Privatwald differenziert.
Im Hinblick darauf, dass die Voraussetzungen des § 38 Nr. 1 ASOG für die Sicherstellung der Schafe gegeben sind, bestehen auch keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der in dem Bescheid vom 13. September 2012 getroffenen Anordnungen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts steht der Rechtmäßigkeit nicht entgegen, dass das Bezirksamt die Rückgabe von einer vorherigen Sicherheitsleistung in Höhe der bislang entstandenen Kosten der Sicherstellung abhängig macht, ohne den Betrag der Sicherheitsleistung im Bescheid zu nennen. Es erscheint schon fraglich, ob die von dem Bezirksamt auf der Grundlage des § 41 Abs. 3 Satz 3 ASOG verlangte Sicherheitsleistung überhaupt die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides berührt, da viel dafür spricht, dass das Bezirksamt auf diesem Wege lediglich sein Zurückbehaltungsrecht geltend machen will, das ihr durch die genannte Vorschrift eingeräumt worden ist. Die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts stellt keinen Verwaltungsakt, sondern eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung dar, die auf einer gleichgeordneten rechtlichen Ebene erfolgt (vgl. OVG Münster, Urteil vom 26. Mai 1983 - 4 A 1504/82 -, DVBl 1983, 1074). Abgesehen davon scheitert die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts nicht an der fehlenden Bestimmtheit. Dem Antragsteller war die Höhe der angefallenen Kosten bekannt, weil ihm das Bezirksamt die bis zum 9. September 2012 aufgelaufenen Kosten der Sicherstellung schriftlich und die täglich weiter anfallenden Unterbringungskosten der Schafe in Höhe von 80,00 EUR telefonisch mitgeteilt hat.
Ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Bescheide liegt angesichts der Gefahrenlage sowie der erheblichen Kosten, die mit der von dem Bezirksamt angeordneten Unterbringung der Schafe verbunden sind, auf der Hand.
Der Schriftsatz des Antragsgegners vom 18. Dezember 2012 hat bei der Entscheidung keine Berücksichtigung gefunden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).