Gericht | OLG Brandenburg 1. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 14.04.2011 | |
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Aktenzeichen | 1 AR 14/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Gemeinsam zuständig ist das Landgericht Braunschweig.
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagten mit ihrer bei dem Landgericht Potsdam eingereichten Klage als Gesamtschuldner auf Schadensersatz wegen einer Kapitalbeteiligung an der M… AG & Co. KG in Anspruch, die ihr die Beklagte zu 1) vermittelte. Der Beklagte zu 2) war zum Erwerbszeitpunkt alleiniger Vorstand der „D… AG“, die wiederum alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführerin und als Komplementärin persönlich haftende Gesellschafterin der streitgegenständlichen Fondsgesellschaft mit Sitz in B… war. Die Klägerin stützt ihr Klagebegehren auf Ansprüche wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten und auf den Vorwurf fehlerhafter, unzureichender bzw. irreführender Angaben im Verkaufsprospekt.
Nachdem der Beklagte zu 2) die Zuständigkeit des Landgerichts Potsdam gerügt hatte, da für die Klage gegen den Beklagten zu 2) das Landgericht Braunschweig ausschließlich zuständig sei, und angeregt hatte, dieses Gericht gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO als gemeinsam zuständiges Gericht zu bestimmen, hat die Klägerin dies hilfsweise für den Fall beantragt, dass sich das Landgericht Potsdam für unzuständig halten sollte. Mit Beschluss vom 2. Februar 2011 hat das Landgericht die Sache hierauf dem Brandenburgischen Oberlandesgericht vorgelegt. Die Beklagte zu 1) hat daraufhin einer Bestimmung des Landgerichts Braunschweig widersprochen, die Klägerin hat sich der diesbezüglichen Anregung des Beklagten zu 2) angeschlossen.
II.
1. Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 ZPO über die Bestimmung des gemeinsam zuständigen Gerichts zu entscheiden, weil das zu seinem Bezirk gehörende Landgericht Potsdam mit der Rechtssache bereits befasst ist.
2. Die Voraussetzungen nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.
a) Dass bereits Klage eingereicht ist, steht der Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO hier nicht entgegen, weil der anhängige Prozess noch nicht weit vorangeschritten und es insbesondere noch nicht zur Beweisaufnahme oder zum Erlass eines Sachurteils gekommen ist (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 36 Rdnr. 16 m. w. N.).
b) Die Beklagten werden in einem gemeinsamen Prozess als Gesamtschuldner (§ 840 Abs. 1, § 830 Abs. 1, § 421 BGB) in Anspruch genommen und folglich als einfache Streitgenossen verklagt (§§ 59, 60 ZPO). Unabhängig von ihrer Inanspruchnahme als Gesamtschuldner sind die Beklagten - jedenfalls - Streitgenossen im Sinne von § 60 ZPO. Das Kriterium der „Gleichartigkeit“ im Sinne von § 60 ZPO ist unter den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit und Prozesswirtschaftlichkeit weit auszulegen; entscheidend ist, ob zwischen den geltend gemachten Ansprüchen ein innerer sachlicher Zusammenhang besteht (Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 60 Rdnr. 7 m. w. N.). Ein solcher innerer sachlicher Zusammenhang ergibt sich hier aus dem gemeinsamen Bezug auf die Rückabwicklung der Kapitalbeteiligung der Klägerin.
c) Die Beklagten haben ihren allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 13 ZPO) bei verschiedenen Gerichten, nämlich die Beklagte zu 1) bei dem Landgericht Potsdam und der Beklagte zu 2) bei dem Landgericht Berlin. Ob für die Klage gegen die Beklagten ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nach § 29 c Abs. 1 Satz 1 ZPO beim Landgericht Potsdam in Betracht käme, kann offen bleiben, da ein solcher Gerichtsstand gegenüber dem für die Klage gegen den Beklagten zu 2) geltenden ausschließlichen Gerichtsstand nach § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO nachrangig wäre.
d) Für die Klage gegen den Beklagten zu 2) gilt gemäß § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO der ausschließliche Gerichtsstand bei dem Landgericht Braunschweig, sodass die Klägerin gehindert ist, ihre Klage bei dem Landgericht Potsdam zu erheben. Da die Klägerin ihre Klage gegen die Beklagte zu 1) - soweit ersichtlich - zulässigerweise nicht bei dem Landgericht Braunschweig erheben kann, steht ihr für die Klage gegen die beiden Beklagten kein gemeinsamer Gerichtsstand zur Verfügung. Bei dieser Lage findet § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO Anwendung (vgl. Senat, OLG-NL 2003, 117; Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 36 Rdnr. 15).
§ 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO begründet - nur - für die Klage gegen den Beklagten zu 2) einen ausschließlichen Gerichtsstand bei dem Landgericht Braunschweig, da - nur - der Beklagte zu 2) aus dem Gesichtspunkt der Prospekthaftung in Anspruch genommen wird. Der Bundesgerichtshof hat inzwischen klargestellt, dass die Gerichtsstandsregelung in § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO sämtliche Streitigkeiten über Schadensersatzansprüche wegen etwa fehlerhafter öffentlicher Kapitalmarktinformationen umfasst, unabhängig davon, ob die Prospekthaftung auf spezialgesetzlichen Regelungen beruht oder eine gesetzliche Prospektpflicht besteht; Voraussetzung ist lediglich, dass der Beklagte auf Schadensersatz wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen in Anspruch genommen wird (vgl. BGH NJW 2007, 1364; NJW 2007, 1365). Auch Organe des Emittenten bzw. Anbieters kommen als Prospektverantwortliche in Betracht. Dementsprechend gilt für die Klage gegen den Beklagten zu 2) gemäß § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO hier die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Braunschweig, in dessen Bezirk sich der Sitz der Anlagegesellschaft befindet.
Dieser Gerichtsstand ist allerdings nicht auch für die Klage gegen die Beklagte zu 1) eröffnet, da diese nicht aus Prospekthaftung (also: wegen fehlerhafter öffentlicher Kapitalmarktinformationen), sondern aus individueller Aufklärungspflichtverletzung in Anspruch genommen wird. § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist nicht anwendbar, wenn der Schadensersatzanspruch auf den Vorwurf individueller falscher oder unzureichender Beratung oder Aufklärung gestützt wird, und zwar auch dann nicht, wenn bei der Beratung auf öffentliche Kapitalmarktinformationen zurückgegriffen worden ist; „Anbieter“ einer Vermögensanlage ist nur derjenige, der für das öffentliche Angebot von Vermögensanlagen verantwortlich ist und so auch den Anlegern gegenüber auftritt (vgl. BGH a. a. O.).
e) Die Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil für die Klage gegen einen Streitgenossen - wie hier gemäß § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO für die Klage gegen den Beklagten zu 2) - ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist (vgl. Zöller/Vollkommer, a. a. O., § 36 Rdnr. 14 m. w. N.).
3. Unter dem maßgeblichen Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit ist das Landgericht Braunschweig als gemeinsam zuständiges Gericht zu bestimmen. Es ist gemäß § 32 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ausschließlich zuständig für die Klage gegen den Beklagten zu 2). Im Bezirk des Landgerichts Braunschweig befindet sich der Sitz der Anbieterin, und es entspricht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung (§ 32 b ZPO; KapMuG), wenn die Entscheidung über Klagen von Kapitalanlegern einer „gescheiterten“ Anlagegesellschaft möglichst bei dem Gericht am Sitz der Anlagegesellschaft konzentriert wird. Dies ermöglicht es, die Gemeinsamkeiten und Varianten der Streitigkeiten sowie die inneren Zusammenhänge und Hintergründe näher zu erschließen und die Rechtsstreite einheitlich zu entscheiden. Nach Mitteilung des Beklagten zu 2) ist bei dem Landgericht Braunschweig bereits eine Vielzahl von Parallelverfahren anhängig. Dem Landgericht Braunschweig gebührt daher aus Zweckmäßigkeitserwägungen der Vorzug vor den Landgerichten Potsdam und Berlin.