Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 11.12.2013 | |
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Aktenzeichen | OVG 10 N 90.10 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 1 Abs 8 BauGB, § 2 BauGB, § 31 Abs 1 BauGB, § 31 Abs 2 BauGB, § 246 Abs 2 BauGB, § 7 Nr 5 BauO BE 1958, § 9 BauO BE 1958, § 13 BauO BE 1958, § 15 BauO BE 1958, § 8 Nr 1b BauO BE 1958, § 8 Nr 2 BauO BE 1958, § 6 Abs 3 BauGBAG BE, § 5 BauGBAG BE, § 11 Abs 3 BauNVO, § 15 Abs 1 S 2 BauNVO |
Bei der Bewertung, ob die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB zum Maß der baulichen Nutzung das drittschützende Rücksichtnahmegebot verletzt, ist eine Würdigung der Interessen des Bauherrn an der Erteilung der Befreiung und des betroffenen Nachbarn an der Einhaltung der Festsetzungen des Bebauungsplans zur Verhinderung von Beeinträchtigungen oder Nachteilen durch die Befreiung erforderlich. Dabei ist auch von Bedeutung, in welchem qualitativen und quantitativen Umfang Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans erteilt worden sind
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. September 2010 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 7.500 EUR festgesetzt.
I.
Der Kläger wendet sich gegen den der Beigeladenen zu 1. erteilten Vorbescheid vom 20. Juli 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2007 sowie gegen die der Beigeladenen zu 2. erteilte Baugenehmigung vom 31. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2008 zur Errichtung eines Gebäudes mit einem Einzelhandelsbetrieb in Form eines Lebensmittelvollsortimentladens ( Supermarkt) mit einer Verkaufsfläche von ca. 1.050 m² bei einer Geschossfläche von ca. 1.471 m². Teil des Vorhabens, das auf dem ca. 4.200 m² großen Grundstück K... in Berlin Steglitz-Zehlendorf, Ortsteil Wannsee, genehmigt wurde, sind auch eine Tiefgarage mit 79 Stellplätzen, 20 oberirdische Pkw-Stellplätze, Büroräume und eine Wohnung im Obergeschoss. Das Vorhabengrundstück grenzt nördlich an die Bundesstraße 1, die eine Hauptverkehrsachse zwischen Berlin und Potsdam ist. Es liegt im Geltungsbereich des Baunutzungsplans in der Fassung vom 28. Dezember 1960 (Abl. 1961, S. 742) als übergeleitetem Bebauungsplan. Festgesetzt sind ein gemischtes Gebiet der Baustufe II/2 und hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung eine bebaubare Fläche von 0,2 und eine Geschossflächenzahl von 0,4. Die Bebauungstiefe im Gebiet beträgt 20 m. Mit einem zur Baugenehmigung gehörenden Bescheid vom 31. Juli 2007 ließ die Bauaufsichtsbehörde des Bezirksamtes eine Ausnahme gemäß § 31 Abs. 1 BauGB für eine Abweichung von § 8 Nr. 1 b Bauordnung für Berlin in der Fassung vom 21. November 1958 (GVBl. S. 1087 - BO 58 -) hinsichtlich der zulässigen Bebauungstiefe von 20 m auf 49 m zu. Mit einem weiteren zur Baugenehmigung gehörenden Bescheid vom gleichen Tag erteilte die Bauaufsichtsbehörde zudem Befreiungen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB für Abweichungen von § 7 Nr. 15 BO 58 hinsichtlich der Überschreitung der zulässigen bebaubaren Fläche von 0,20 auf 0,38 und der Geschossflächenzahl von 0,4 auf 0,51.
Der Kläger ist Eigentümer eines mit einem Wohngebäude (Einfamilienhaus) bebauten Grundstücks, das mit seiner Grenze vom Vorhabengrundstück aus gesehen südöstlich teilweise unmittelbar an dieses anschließt. Wesentliche Teile des Wohngebäudes liegen nicht unmittelbar gegenüber dem Baukörper des Vorhabens, sondern sind in östlicher Richtung versetzt. Das Grundstück des Klägers ist im Baunutzungsplan als allgemeines Wohngebiet ausgewiesen.
Ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren unter anderem des Klägers gegen das Vorhaben, das zwischenzeitlich errichtet wurde und genutzt wird, hatte keinen Erfolg (vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 11. August 2008 - OVG 10 S 32.07 -, juris). Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Vorbescheid und die Baugenehmigung abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Zulassungsantrag des Klägers hat keinen Erfolg. Maßgebend für die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts sind allein die innerhalb der Begründungsfrist dargelegten Gründe (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Diese rechtfertigen die Zulassung der Berufung nicht.
Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt auf Grundlage der Darlegungen des Klägers nicht vor. Derartige Zweifel bestehen dann, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung der angegriffenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden und auch die Richtigkeit des Ergebnisses der Entscheidung derartigen Zweifeln unterliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -, NJW 2010, 1062, juris; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 10. September 2013 - OVG 10 N 59.10 -, juris Rn. 3).
1. Den (zutreffenden) Ansatz des Verwaltungsgerichts, dass bei der auf den Individualrechtsschutz ausgerichteten Nachbarklage nicht notwendigerweise die objektive Rechtmäßigkeit des angegriffenen Vorbescheides und der Baugenehmigung in vollem Umfang zu prüfen ist, sondern deren Aufhebung voraussetzt, dass der Kläger durch die Genehmigung zugleich in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), was nur dann der Fall ist, wenn die verletzte Norm drittschützende Wirkung hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 1989 - BVerwG 4 C 14.87 -, BVerwGE 82, 343, juris Rn. 9), greift der Zulassungsantrag nicht an. Infolgedessen und wegen fehlender Darlegungen des Klägers zu diesem Aspekt bedarf es keiner Entscheidung, ob die für die beigeladene Bauherrin in der Tendenz großzügige Ausnahme- und Befreiungspraxis der Bauaufsichtsbehörde des Bezirks Steglitz-Zehlendorf im konkreten Fall, bei der ohne Begründung in den Bescheiden in erheblichem Umfang möglicherweise die Grundzüge der Planung berührende Befreiungen von den Festsetzungen des Baunutzungsplans als übergeleitetem Bebauungsplan sowohl hinsichtlich der bebaubaren Fläche als auch der Geschossflächenzahl (vgl. § 7 Nr. 15 BO 58) erteilt worden sind sowie zusätzlich eine Ausnahme für eine Abweichung von der zulässigen Bebauungstiefe von 20 m (vgl. § 8 Nr. 1 b u. Nr. 2 BauO Bln 1958) auf 49 m zugelassen worden ist, einer objektiven Rechtskontrolle standhalten würde. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass die Festsetzungen des Baunutzungsplans als übergeleiteter Bebauungsplan Rechtsnormcharakter haben und für das Baugenehmigungsverfahren grundsätzlich verbindlich sind und nicht durch eine großzügige Ausnahme- und Befreiungspraxis der Bauaufsichtsbehörde „aus den Angeln“ gehoben werden dürfen. Jedenfalls das, was den Bebauungsplan bzw. den Baunutzungsplan in seinen „Grundzügen“ bzw. seiner „Plankonzeption“ verändert, lässt sich nur durch (Um-)Planung ermöglichen und darf nicht durch einzelfallbezogene Verwaltungsakte der Bauaufsichtsbehörde zugelassen werden. Die Änderung eines Bebauungsplans ist nämlich nicht Sache der Bauaufsichtsbehörde, sondern ist gemäß §§ 1 Abs. 8, 2, 246 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 Abs. 3 u. 5 Satz 1 AGBauGB grundsätzlich unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und der Träger der öffentlichen Belange nach der Beschlussfassung der Bezirksverordnetenversammlung der Festsetzung durch das Bezirksamt vorbehalten (vgl. dazu näher BVerwG, Urteil vom 2. Februar 2012 - BVerwG 4 C 14/10 -, BVerwGE 142, 1, juris Rn. 22; Beschluss vom 5. März 1999 - BVerwG 4 B 5/99 -, NVwZ 1999, 1110, juris Rn. 5; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - OVG 10 N 30.10 -, LKV 2013, 86, juris Rn. 9; Beschluss vom 30. April 2013 - OVG 10 N 58.10 -, juris Rn. 7).
2. Das Vorbringen des Klägers vermag im Ergebnis die Wertung und Würdigung des Verwaltungsgerichts nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage zu stellen, dass der Kläger als Dritter einen Abwehranspruch gegen die Verletzung der geltend gemachten Normen (§§ 7 Nr. 5 und 9, § 8 Nr. 1 b BO 58, § 31 Abs. 1 und 2 BauGB) durch den angegriffenen Vorbescheid und die Baugenehmigung nur nach Maßgabe des drittschützenden Gebots der Rücksichtnahme hat und nach den Umständen des Einzelfalls hier keine Verletzung dieses Gebotes vorliegt.
a) Die Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht einen gebietsübergreifenden Nachbarschutz gegen das streitige Vorhaben abgelehnt und es könne nicht dahingestellt lassen, ob der genehmigte Lebensmittelladen der Art nach als großflächiger Einzelhandelsbetrieb gemäß § 7 Nr. 5 u. 9 BO 58 in dem an sein Grundstück angrenzenden gemischten Baugebiet zulässig sei, sind nicht geeignet, die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts ernstlich in Zweifel zu ziehen.
Das angefochtene Vorhaben mit einem Lebensmittelvollsortimentladen soll in dem im Baunutzungsplan als gemischtes Gebiet (§ 7 Nr. 9 BO 58) festgesetzten Baugebiet verwirklicht werden, während das Grundstück des Klägers als allgemeines Wohngebiet ausgewiesen ist. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass dem Kläger als Drittem, dessen Grundstück nicht in dem gemischten Baugebiet liegt, grundsätzlich kein gebietsübergreifender, von konkreten Beeinträchtigungen unabhängiger Anspruch auf Schutz vor gebietsfremden Nutzungen im angrenzenden Plangebiet zukommt, sondern nur ein Abwehranspruch nach Maßgabe des in § 7 Nr. 5 BO 58 normierten Rücksichtnahmegebots. Dies ist nicht zu beanstanden. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass ein gebietsübergreifender Schutz des Nachbarn vor (behaupteten) gebietsfremden Nutzungen im lediglich angrenzenden Plangebiet unabhängig von konkreten Beeinträchtigungen grundsätzlich nicht besteht. Der Nachbarschutz des Eigentümers eines außerhalb der Grenzen des Plangebiets gelegenen Grundstück bestimmt sich vielmehr nach dem in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthaltenen Gebot der Rücksichtnahme nach den konkreten örtlichen Verhältnissen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 2007 - BVerwG 4 B 55.07 -, NVwZ 2008, 427, juris Rn. 6; OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 11. August 2008 - OVG 10 S 32.07 -, juris Rn. 2). Die hier anwendbare landesrechtliche Regelung des § 7 Nr. 5 BO 58 konkretisiert ebenso wie die entsprechende Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO das Gebot der Rücksichtnahme. Danach dürfen durch die (Be-)Nutzung der baulichen Anlage keine Nachteile oder Belästigungen verursacht werden, die für die nähere Umgebung nicht zumutbar sind. Unzumutbar sind solche von baulichen Anlagen und ihrer Nutzung ausgehende Einwirkungen, die spürbar über das Maß dessen hinausgehen, womit ein nicht überdurchschnittlich empfindlicher Bewohner der näheren Umgebung aufgrund der in diesem Baugebiet planungsrechtlich zulässigen Nutzungsart üblicherweise rechnen muss (OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 30. März 2007 - OVG 2 N 249.05 -, LKV 2007, 471, juris Rn. 8 m.w.N.). Danach hat der Kläger keinen gebietsübergreifenden Schutzanspruch, selbst wenn der genehmigte Lebensmittelladen ein großflächiger Einzelhandelsbetrieb im Sinne von § 11 Abs. 3 BauNVO wäre und im angrenzenden gemischten Baugebiet eine gebietsfremde Nutzung darstellte. Dass die vorgenannte genehmigte Nutzung für den Kläger mit seinem außerhalb der Grenzen des Bebauungsgebiets belegenen Grundstück entgegen der Würdigung des Verwaltungsgerichts nach den konkreten örtlichen Verhältnissen eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots darstellen würde, hat dieser nicht dargelegt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Baugenehmigung eine Auflage beigefügt ist, nach der von der Anlage ausgehende Geräuschemissionen unter Berücksichtigung u.a. der Geräusche von An- und Abfuhrverkehr jeglicher Art auf dem Betriebsgrundstück derart zu begrenzen sind, dass die unter Ziffer 6.1 der TA-Lärm genannten Immissionsrichtwerte „Außen“ nicht überschritten werden. Dabei wurde ausdrücklich geregelt, dass im südlich angrenzenden Wohngebiet, zu dem das Grundstück des Klägers gehört, die Immissionsrichtwerte von 55 dB(A) tags und 40 dB(A) nachts nicht überschritten werden dürfen. Hinzu kommt, dass die Tiefgaragenzufahrt des Bauvorhabens nach dem Lageplan und den Feststellungen des Verwaltungsgerichts westlich des Vorhabens angeordnet ist und ca. 40 m vom Grundstück des Klägers entfernt liegt, so dass schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 BImSchG nicht eintreten dürften. Da, wie das Verwaltungsgericht weiter dargelegt hat, die Belichtungsöffnungen der Tiefgarage im südlichen Bereich des Vorhabens mit Rücksicht auf die Nachbarbebauung auch des Klägers aus schallschutztechnischen Gründen fest verglast sind, ist auch nicht ersichtlich, dass die durch den Einzelhandelsbetrieb verursachte Tiefgaragennutzung zu unzumutbaren Beeinträchtigungen des Klägers führt.
b) Ohne Erfolg bleibt auch das Vorbringen des Klägers, dass in der konkreten Situation an der Grenze des gemischten Gebietes und des allgemeinen Wohngebietes aufgrund der drittschützenden Regelung des § 31 Abs. 1 BauGB die Zulassung einer Ausnahme von der zulässigen Bebauungstiefe von 20 m auf mehr als das Doppelte - nämlich 49 m - mit den nachbarlichen Interessen unvereinbar sei.
Nach § 8 Nr. 1 b BO 58 beträgt die Bebauungstiefe (vgl. § 23 Abs. 4 BauNVO) in dem gemischten Gebiet 20 m. § 8 Nr. 2 BO 58 sieht davon Ausnahmen vor. Die Überschreitung der Baugrenze kann für Gebäude oder Gebäudeteile zugelassen werden, wenn städtebauliche Gründe nicht entgegenstehen. Betrifft die auf der Grundlage von § 31 Abs. 1 BauGB zugelassene Ausnahme, wie vorliegend, öffentliche Interessen, so sind grundsätzlich subjektive Rechte der Nachbarn nicht verletzt. Selbst eine aus städtebaulichen Gründen nicht zu rechtfertigende Ausnahme von den Festsetzungen eines Bebauungsplanes zur Bebauungstiefe führt nur dann zu einer Verletzung von Nachbarrechten, wenn ein Verstoß gegen das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme vorliegt (vgl. OVG Bln, Urteil vom 11. Februar 2003 - OVG 2 B 16.99 -, BauR 2004, 713, juris Rn. 24 m.w.N.).
Die Bewertung des Verwaltungsgerichts, dass durch die zugelassene Ausnahme von der Bebauungstiefe trotz ihres erheblichen Umfangs von 20 m auf 49 m kein Verstoß gegen das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme vorliegt, stellt der Kläger nicht mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage. Da § 8 Nr. 2 BO 58 Ausnahmen von der Bebauungstiefe in gemischten Gebieten zulässt, musste der im allgemeinen Wohngebiet ansässige Kläger als Grundstückseigentümer mit der möglichen Zulassung einer solchen rechnen. Er ist daher nicht in besonderer Weise planungsrechtlich gegen eine an seine Grundstücksgrenze heranrückende Bebauung geschützt. Nach den nicht beanstandeten Feststellungen des Verwaltungsgerichts hält nach den konkreten örtlichen Verhältnissen die dem Kläger zugewandte Südseite des Bauvorhabens bei einer Höhe von 6 m (ohne Geländer), eine Abstandsfläche von 7 m ein. Berücksichtigt man zudem, dass zwischen dem Wohngebäude des Klägers und seiner Grundstücksgrenze eine weitere unbebaute Fläche liegt, ist es nach den Umständen des Einzelfalls nicht ersichtlich, dass der Kläger nach Lage der Dinge durch die zugelassene Ausnahme von der Bebauungstiefe unzumutbar beeinträchtigt ist, weshalb eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Gebots der Rücksichtnahme auch insoweit nicht substantiiert dargelegt ist.
c) Auch mit dem Vorbringen, dass nach der in § 31 Abs. 2 BauGB vorgeschriebenen Würdigung der Abweichung mit den nachbarlichen Interessen auch die Auswirkungen des Bauvorhabens auf das angrenzende Wohngebiet zu berücksichtigen seien und die Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans über die bebaubare Fläche um fast das Doppelte und die Überschreitung der Geschossflächenzahl die subjektiven Rechte des Klägers verletzten, hat dieser nicht dargetan, dass entgegen der Bewertung des Verwaltungsgerichts eine Verletzung des drittschützenden Gebots der Rücksichtnahme vorliegt.
Die Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung durch Bebauungspläne haben grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion. Abweichungen von den Festsetzungen des Maßes der baulichen Nutzung, wie hier von § 7 Nr. 15 BO 58 hinsichtlich der bebaubaren Fläche und der Geschossflächenzahl, lassen in der Regel den Gebietscharakter unberührt und haben nur Auswirkungen auf das Baugrundstück und die unmittelbar anschließenden Nachbargrundstücke. Zum Schutze des Nachbarn ist daher das drittschützende Rücksichtnahmegebot des § 31 Abs. 2 BauGB ausreichend, das eine Abwägung der nachbarlichen Interessen ermöglicht und den Nachbarn vor unzumutbaren Beeinträchtigungen schützt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Juni 1995 - BVerwG 4 B 52.95 -, NVwZ 1996, 170, juris Rn. 4 m.w.N). Hinsichtlich fehlerhafter Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB von nicht nachbarschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplanes ist geklärt, dass eine Befreiung dem Nachbarn einen Abwehranspruch vermitteln kann, wenn die Behörde bei ihrer Ermessensentscheidung über die vom Bauherrn beantragte Befreiung nicht die gebotene Rücksicht auf die Interessen des Nachbarn genommen hat. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und der Zielrichtung des § 31 Abs. 2 BauGB, der nicht nur die städtebauliche Ordnung, sondern auch die individuellen Interessen des Nachbarn schützen will. Daraus folgt, dass der Drittschutz des Nachbarn bei einer rechtswidrigen Befreiung von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung nur besteht, wenn seine nachbarlichen Interessen nicht hinreichend berücksichtigt worden sind. Unter welchen Voraussetzungen danach eine Befreiung die Rechte des Nachbarn verletzt, ist nach den Maßstäben zu beantworten, die zum drittschützenden Gebot der Rücksichtnahme entwickelt wurden (OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - OVG 10 N 30.10 -, LKV 2013, 299, juris Rn. 7 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht hat der Sache nach unter Zugrundlegung dieses Maßstabs die Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Baunutzungsplans zum Maß der baulichen Nutzung nach § 7 Nr. 15 BO 58 hinsichtlich der bebaubaren Fläche und der Überschreitung der Geschossflächenzahl als nicht die Rechte des Klägers verletzend angesehen und einen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot verneint. Dies stellt das Vorbringen des Klägers im Ergebnis nicht durchgreifend in Frage.
Die Bewertung, ob eine Befreiung von den Festsetzungen des Baunutzungsplans zum Maß der baulichen Nutzung hinsichtlich der bebaubaren Fläche und der Geschossflächenzahl den Kläger als Nachbarn, gemessen an dem Gebot der Rücksichtnahme, in seinen Rechten verletzt, hängt im Wesentlichen von den Umständen des Einzelfalles ab. Ziel des Rücksichtnahmegebots ist es, einander abträgliche bauliche Anlagen und deren Nutzungen in rücksichtsvoller Weise einander zuzuordnen sowie Spannungen und Störungen zu vermeiden. Welche Anforderungen sich hieraus ergeben, hängt namentlich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist (st. Rspr. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 2012 - BVerwG 4 C 11.11 -, BVerwGE 145, 290, juris Rn. 32 m.w.N.). Erforderlich ist dazu insbesondere eine Würdigung der Interessen des Bauherrn an der Erteilung der Befreiung und - wie es § 31 Abs. 2 BauGB vorschreibt - der Interessen des betroffenen Nachbarn an der Einhaltung der Festsetzungen des Bebauungsplans und damit an einer Verhinderung von Beeinträchtigungen oder Nachteilen durch eine Befreiung (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 1989 - BVerwG 4 C 14/87 -, BVerwGE 82, 343, juris Rn. 15.). Dabei haben die Interessen der Beteiligten ein unterschiedliches Gewicht, je nachdem, ob es um ein Vorhaben geht, das im Wesentlichen den Festsetzungen eines Bebauungsplans entspricht, oder ob es um ein Vorhaben geht, das von den Festsetzungen wesentlich abweicht, also nur ausnahmsweise über Befreiungen nach § 31 Abs. 2 BauGB zulässig sein kann. Wer sich auf den Bebauungsplan bzw. den Baunutzungsplan berufen kann, hat bei der Interessenabwägung grundsätzlich einen gewissen Vorrang (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Oktober 1989, a.a.O., Rn. 15). Bei der Prüfung einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme ist also auch von Bedeutung, ob die Baugenehmigung für das vom Nachbarn beanstandete Vorhaben im Einklang mit den Festsetzungen des Bebauungsplans steht oder ob umfassende Befreiungen, z.B. vom Maß der baulichen Nutzung, erteilt worden sind (OVG Bln, Beschluss vom 16. Mai 2000 - OVG 2 S 1.00 -, LKV 2001, 372 Ls. 2). In diesem Zusammenhang ist, was der Kläger im Zulassungsantrag vom Maßstab her zu Recht geltend macht, auch von Bedeutung, in welchem qualitativen und quantitativen Umfang (kumulativ) Ausnahmen und Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans bzw. hier des Baunutzungsplans erteilt worden sind (vgl. auch VG des Saarlandes, Beschluss vom 4. Februar 2013 - 5 L 36.16 -, juris Ls. 3 und Rn. 88). Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots ist daher eher anzunehmen, wenn die Baugenehmigung von der Planfestsetzung im Wege der Ausnahme und Befreiung in erheblichem Umfang abweicht, wobei eine Einzelfallbeurteilung geboten ist.
Gemessen an diesem Maßstab hat der Kläger im Zulassungsantrag nicht hinreichend dargelegt, dass die Bewertung des Verwaltungsgerichts unrichtig ist, wonach auf Grund der Umstände des Einzelfalles keine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme vorliegt. Dabei verkennt der Senat nicht, dass die nachbarlichen Interessen des Klägers an der Einhaltung der Festsetzungen des Baunutzungsplans Gewicht haben und durch die erteilten Befreiungen in erheblichen Umfang berührt werden. Die erteilte Befreiung vom Maß der baulichen Nutzung führt im Vergleich zu den Festsetzungen des Baunutzungsplans zu einer intensiveren baulichen Nutzung des Nachbargrundstücks der Beigeladenen zu 2. durch die Errichtung eines Gebäudes, das im Wesentlichen als Einzelhandelsbetrieb zur Lebensmittelversorgung genutzt wird. Die Befreiungen haben quantitativ wie qualitativ einen erheblichen Umfang. Die Befreiungen von den Festsetzungen der bebaubaren Fläche von 0,20 um 0,38 erreichen fast das Doppelte und auch die zugelassene Überschreitung der Geschossflächenzahl von 0,40 auf 0,51 ist nicht marginal. Hinzu kommt, dass die Zulassung einer Ausnahme von der zulässigen Bebauungstiefe von 20 m auf 49 m dazu führt, dass der Baukörper deutlich näher an das Wohngebäude des Klägers heranrückt als nach dem Baunutzungsplan vorgesehen.
Gleichwohl ist die Bewertung des Verwaltungsgerichts, dass im Sinne des Rücksichtnahmegebots nach Lage der Dinge keine unzumutbare Beeinträchtigung der nachbarlichen Interessen vorliegt, nicht zu beanstanden. Zum einen sind auch die Interessen der Beigeladenen zu 2. als Bauherrin an der Erteilung der Baugenehmigung zu berücksichtigen. Durch das erhöhte Maß der baulichen Nutzung wird die Errichtung des geplanten Lebensmittelvollsortimentladens mit einer Tiefgarage im Wesentlichen für dessen Kunden mit 79 Stellplätzen ermöglicht, wobei das Vorhaben an dem verkehrsgünstigen Standort der Bundesstraße 1 ausweislich des im Verwaltungsverfahren eingereichten Gutachtens der Dr. L... GmbH vom Juni 2006 (S. 15) zu einer zukunftsfähigen Absicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung im Einzugsgebiet Berlin-Wannsee beiträgt. Zum anderen sind nach Lage der Dinge die Beeinträchtigungen und Nachteile des Klägers durch die erteilte Befreiung nicht unzumutbar. Soweit er vorträgt, er sei durch die bis zu ca. 7 m an die Grundstücksgrenze heranreichende Bebauung mit einer 6 m hohen „nackten Mauer“ in eine „Hinterhofsituation“ mit dem Charakter einer „Einkasernierung“ gebracht worden, berücksichtigt er auch unter Hinzunahme der im Zulassungsverfahren vorgelegten Fotoaufnahmen aus den nördlichen Fenstern seines Hauses die objektiven konkreten Umstände des Einzelfalls nicht hinreichend. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass das Vorhaben weder durch seine Lage noch durch seine Ausmaße eine erdrückende Wirkung auf das Grundstück des Klägers ausübt. Der zum Kläger ausgerichtete rückwärtige Teil des streitigen Gebäudes überragt das freistehende Einfamilienhaus des Klägers nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nicht. Auch eine ausreichende Belichtung und Besonnung des Grundstücks des Klägers wird durch das Bauvorhaben nicht beeinträchtigt, da dieses nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nördlich des klägerischen Grundstücks liegt. Hinzu kommt - wie aus dem Lageplan ersichtlich ist -, dass das Wohngebäude des Klägers in weiten Teilen nicht unmittelbar gegenüber dem Bauvorhaben liegt, sondern von diesem aus gesehen in östlicher Richtung versetzt errichtet wurde. Da das Grundstück des Klägers in einem allgemeinen Wohngebiet mit offener Bauweise liegt, wird allein durch das nördlich gelegene Bauvorhaben keine zu einer Einmauerung des Klägers führende Hinterhofsituation geschaffen. Hinzu kommt ferner, dass nach den konkreten örtlichen Verhältnissen der dem Kläger zugewandte Baukörper des Bauvorhabens bei einer Höhe von 6 m (ohne Geländer) einen Abstand von 7 m einhält. Die Abstandsfläche ist als eine Grünfläche gestaltet worden. Soweit der Kläger rügt, dass er aus seinem Haus auf eine „hohe nackte Wand“ blicke, handelt es sich nicht um eine Beeinträchtigung, die durch die angegriffene Baugenehmigung hervorgerufen wird. Die zur Baugenehmigung gehörende Schnittzeichnung vom 12. Mai 2007 (Ansicht 3) sieht nämlich eine Wandbegrünung mit Rankhilfen vor. Sollte diese Wandbegrünung bislang nicht ausgeführt worden sein, worauf die vom Kläger im Zulassungsverfahren vorgelegten Lichtbilder hindeuten, wäre es Aufgabe des Beigeladen zu 2. und ggf. insbesondere auf ein entsprechendes Begehren des Klägers auch Aufgabe der Bauaufsichtsbehörde, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Wandbegrünung entsprechend der Baugenehmigung gestaltet wird.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Antrag gestellt und sich damit selbst einem Kostenrisiko ausgesetzt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 9.7.1. des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8. Juli 2004 (DVBl 2004, S. 1525), wobei der Senat der erstinstanzlichen Wertfestsetzung folgt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).