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Entscheidung 11 U 215/12


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 11. Zivilsenat Entscheidungsdatum 19.03.2014
Aktenzeichen 11 U 215/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 28. September 2012, Az. 3 O 273/11, wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert: 15.701,19 €

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten als früheren Geschäftsführer der H… GmbH (nachfolgend: „H…“) auf Schadenersatz wegen vorsätzlich sittenwidriger Schädigung in Anspruch.

Das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten wurde am 25.5.2007 eröffnet und ist bislang noch nicht abgeschlossen.

Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der H… wurde am 29.10.2007 mangels Masse abgewiesen.

Bereits zuvor in den Jahren 2005 und 2006 hatten acht Arbeitnehmer der H…, die erst nach dem 22.6.2005 von der H… eingestellt worden waren, bei der Klägerin Insolvenzgeld beantragt. In der Zeit zwischen Februar und April 2008 bewilligte die Klägerin für diese acht Arbeitnehmer die Auszahlung von Insolvenzgeld in Höhe von insgesamt 15.701,19 €.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte sei jedenfalls bis zum 8.7.2005 Geschäftsführer der H… gewesen. Diese sei spätestens seit dem 1.6.2005 zahlungsunfähig gewesen. Den gemäß § 64 GmbHG a.F. bis spätestens 22.6.2005 gebotenen Insolvenzantrag habe der Beklagte vorsätzlich unterlassen. Trotz Insolvenzreife seien danach noch acht Arbeitnehmer eingestellt worden, die durch die H… nicht mehr vollständig bezahlt worden seien und für die die Klägerin später Insolvenzgeld habe zahlen müssen. Bei pflichtgemäß rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrages wären die Arbeitnehmer nicht mehr eingestellt worden, so dass die Klägerin für diese auch kein Insolvenzgeld hätte bezahlen müssen.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass der hier geltend gemachte Schadensersatzanspruch in zeitlicher Hinsicht nicht in das laufende Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten falle. Die Schadenersatzforderung sei nämlich erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beklagten entstanden, d.h. nach dem 25.5.2007. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Entstehung des Anspruchs auf Insolvenzgeld sei gemäß § 183 Abs. 1 Nr. 2 SGB III a.F. die Abweisung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der H… mangels Masse, hier also der 29.10.2007.

Erstinstanzlich hat die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 15.701,19 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte ist der Auffassung, dass es sich bei der geltend gemachten Forderung um eine Insolvenzforderung im Sinne von § 38 InsO handele, weil die anspruchsbegründenden Voraussetzungen bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen vorgelegen hätten. Dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der H… erst später mangels Masse zurückgewiesen worden sei, ändere die rechtliche Qualifikation als Insolvenzforderung nicht.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass diese bereits unzulässig sei. Die eingeklagte Forderung sei als Insolvenzforderung im Sinne von § 38 InsO zu qualifizieren. In zeitlicher Hinsicht sei die Antragstellung auf Zahlung von Insolvenzgeld maßgeblich; diese Anträge seien hier alle vor der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Beklagten am 25.5.2007 gestellt worden. Bereits mit Stellung des Insolvenzgeldantrages seien die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer gemäß § 187 S. 1 SGB III a.F. auf die Klägerin übergegangen. Auf den Zeitpunkt des Eintretens der letzten Voraussetzung für die Bewilligung von Insolvenzgeld gemäß § 183 Abs. 1 SGB III a.F., komme es für die rechtliche Qualifikation als Insolvenzforderung nicht an.

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlich geltend gemachten Anspruch weiter. Sie vertieft ihre erstinstanzliche Argumentation und meint, dass im Hinblick auf die Qualifikation als Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO danach zu differenzieren sei, ob der Schadenersatzanspruch sich aus § 823 BGB oder aus § 826 BGB ergebe. Das Landgericht habe zutreffend die Verwirklichung einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung im Sinne von § 826 BGB angenommen. Bei dieser Norm sei jedoch die Entstehung eines Schadens anspruchsbegründend, weshalb es im vorliegenden Fall wegen § 183 Abs. 1 Nr. 2 SGB III a.F. auf den Zeitpunkt der Ablehnung der Insolvenzeröffnung mangels Masse im Hinblick auf das Vermögen der H… ankomme und nicht darauf, wann die Arbeitnehmer den Antrag auf Insolvenzgeld gestellt hätten.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Cottbus vom 28. September 2012, Az. 3 O 273/11, zu verurteilen, an sie 15.701,19 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und an das Landgericht Cottbus zurück zu verweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

1.

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Klage deshalb unzulässig sei, weil es sich bei dem mit der Klage geltend gemachten Anspruch um eine Insolvenzforderung im Sinne von § 38 InsO handele, die gemäß § 174 InsO zur Tabelle anzumelden sei. Eine unmittelbare Inanspruchnahme des (Insolvenz)schuldners scheidet daher aus, § 87 InsO.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat anschließt, liegt eine Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO vor, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand schon vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen ist, auch wenn sich die Forderung des Gläubigers daraus erst nach Beginn des Insolvenzverfahrens ergibt. Dabei muss nur die schuldrechtliche Grundlage des Anspruchs schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sein; unerheblich ist, ob die Forderung selbst schon entstanden oder fällig ist (BGH NZI 2011, 953). Danach ist lediglich darauf abzustellen, ob die unerlaubte Handlung selbst - unabhängig vom Zeitpunkt des Schadenseintritts - bereits vor Insolvenzeröffnung abgeschlossen war.

Dass die Entstehung eines Schadens bei § 826 BGB – anders als bei § 823 BGB – nach Auffassung der Klägerin anspruchsbegründend sei, überzeugt nicht. Zwischen beiden Normen besteht grundsätzlich Anspruchskonkurrenz (Palandt/Sprau BGB, 73. Aufl., § 826 Rn. 2). Die Differenzierung, die die Klägerin bei Ansprüchen aus § 823 BGB und solchen aus § 826 BGB vornimmt, wird bislang weder in der Rechtsprechung noch in der insolvenzrechtlichen Literatur vorgenommen. Die herrschende Auffassung in der Literatur entspricht der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach bei deliktsrechtlichen Ansprüchen nur die unerlaubte Handlung selbst vor Insolvenzeröffnung begangen sein muss (MüKoInsO/Ehricke, 3. Aufl., § 38 Rn. 26; Uhlenbruck InsO, 13. Aufl., § 38 Rn. 42; K/P/B/Holzer § 38 Rn. 31; BerlKo/ Breutigam § 38 Rn. 19). Aber auch die Mindermeinung, nach der auch die Rechtsgutverletzung bereits vor Verfahrenseröffnung eingetreten sein muss (Hasemeyer InsR, 4. Aufl., Rn. 16.15), unterscheidet dabei nicht zwischen den Tatbeständen des § 823 BGB und des § 826 BGB.

Auch für die hier in Rede stehende Konstellation gilt, dass es für die Qualifikation als Insolvenzforderung nur auf den Zeitpunkt der schädigenden Handlung ankommt. Dass der Anspruch auf Insolvenzgeld gemäß § 183 Abs. 1 SGB III a.F. (nunmehr § 165 Abs. 1 SGB III) erst mit Eröffnung der Insolvenzverfahrens bzw. der Ablehnung der Eröffnung mangels Masse entsteht, rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht. Die ist nicht Tatbestandsvoraussetzung der schädigenden Handlung.

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein etwaiger Regressanspruch der Bundesagentur für Arbeit gegen den Geschäftsführer wegen Insolvenzgeld nicht auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG a.F., sondern nur auf § 826 BGB gestützt werden könne (BGHZ 108, 134 = NJW 1989, 3277). Zur Begründung hat der BGH ausgeführt, dass der zur Zahlung von Insolvenzgeld verpflichtete Leistungsträger, nicht wie ein sogenannter Altgläubiger von dem Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. erfasst werde (BGH a.a.O.). Damit befindet sich der öffentlich-rechtliche Leistungsträger im Vergleich zum Arbeitnehmer, der wegen seines Entgeltanspruchs aus § 611 BGB auch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG gegen den Geschäftsführer vorgehen kann, rechtlich betrachtet in einer schwächeren Position, weil § 826 BGB stets Vorsatz erfordert. Dieser Wertung würde es widersprechen, wenn man den Schadenersatz des Leistungsträgers aus § 826 BGB gegen den (insolvent gewordenen) Geschäftsführer für die Fälle als nach Insolvenzeröffnung begründete Neuverbindlichkeit ansähe, in denen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Geschäftsführers erfolgt, bevor die Voraussetzungen des § 183 Abs. 1 SGB III a.F. eintreten. Denn Schadensersatzansprüche der Arbeitnehmer aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG a.F. werden jedenfalls dann zu Insolvenzforderungen im Sinne von § 38 InsO, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Geschäftsführers zum Zeitpunkt des pflichtwidrigen Unterlassens der Insolvenzanmeldung noch nicht eröffnet ist. Dass demgegenüber der vollständige Tatbestand des § 826 BGB hinsichtlich des Insolvenzgeldes erst dann eingetreten ist, wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet oder abgelehnt wurde, erscheint eher als formeller Aspekt, weil beim Ausbleiben der Insolvenz die ausstehenden Arbeitsentgelte wieder von der Gesellschaft ausgeglichen werden können. Zutreffend hat das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass der gesetzliche Forderungsübergang aus § 187 SGB III a.F. (§ 169 SGB III n.F.) schon mit Stellung des Antrages auf Gewährung von Insolvenzgeld erfolgt. Es liegt daher nahe, die Schadenersatzforderung des öffentlich-rechtlichen Leistungsträgers im Kontext der rechtlichen Qualifikation als Insolvenzforderung im Sinne von § 38 InsO so zu behandeln, wie die zu Grunde liegenden Schadensersatzansprüche der Arbeitnehmer gegen den Geschäftsführer aus § 823 Abs. 2 i.V.m. 64 Abs. 1 GmbHG a.F. Andernfalls wäre die rechtliche Qualifikation der hier geltend gemachten Forderung – mehr oder weniger zufällig – davon abhängig, welche Insolvenzeröffnung bzw. Ablehnung mangels Masse früher erfolgt. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der hier geltend gemachte Anspruch der Klägerin nicht mit den Lohnansprüchen der Arbeitnehmer identisch ist.

Materiell-rechtlich ist die Frage letztlich ohne Bedeutung, weil der öffentlich-rechtliche Leistungsträger zwar nicht unmittelbar gegen den insolventen Geschäftsführer vorgehen kann, sondern die Forderung gemäß §§ 174 ff. InsO zunächst zur Tabelle anmelden muss. Um zu verhindern dass die Forderung an der Restschuldbefreiung teilnimmt, bleibt die Möglichkeit, die Forderung als aus vorsätzlich unerlaubter Handlung stammend anzumelden, §§ 302 Nr. 1, 174 Abs. 2 InsO.

2.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen. Die hier maßgeblichen insolvenzrechtlichen Fragen zu § 38 InsO sind bereits höchstrichterlich geklärt.