I.
Das Amtsgericht Prenzlau –Jugendrichter- hat den Angeklagten durch Urteil vom 29. Juni 2009, Az.: 20 Ds 100/09, wegen Diebstahls im besonders schweren Fall sowie wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis ( §§ 242 Abs. 1, 243 Abs. 1 Nr. 1, 315 b Abs. 1 Nr. 3, 315 Abs. 3, 113 Abs. 1, 52, 53 StGB, § 21 Abs. Ziff. 1 StVG) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte der Angeklagte am 7. Mai 2009 einen Pkw VW T 4 unter Benutzung eines Universalschlüssels entwendet, um ihn selbst dauerhaft zu nutzen. Mit diesem Fahrzeug befuhr der Angeklagte, der nicht im Besitz einer dafür erforderlichen Fahrerlaubnis war, kurze Zeit später die A 11 in Richtung Polen. Er sollte dort einer Polizeikontrolle unterzogen werden. Um sich der Kontrolle zu entziehen und den vorangegangenen Diebstahl zu verdecken, flüchtete der Angeklagten mit dem gestohlenen Fahrzeug. Auf der Flucht rammte er ein neben ihm fahrendes Polizeifahrzeug und versuchte mehrmals durch abruptes Abbremsen, die Polizeifahrzeuge abzuschütteln. Er fuhr im Bereich einer Baustelle zum Teil auf der Gegenfahrbahn, so dass der Gegenverkehr ausweichen musste.
Schließlich fuhr er auf ein Polizeifahrzeug auf, das ihn durch Ausbremsen zum Anhalten bewegen wollte. Die Flucht führte über eine Strecke von etwa 18 km und dauerte etwa eine halbe Stunde.
Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte zunächst fristgerecht Rechtsmittel ein, das er nach Zustellung des Urteils als Revision bezeichnete. Mit der Revision rügt er die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere die fehlerhafte Annahme der Voraussetzungen des § 315 b Abs. 1 StGB und die Anwendung von Erwachsenenstrafrecht.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu gehörigen Feststellungen aufzuheben und die Revision des Angeklagten im Übrigen (klarstellend) mit der Maßgabe als unbegründet zu verwerfen, dass der Angeklagte u.a. wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zu verurteilen sei.
II.
Die gemäß §§ 335, 341, 344, 345 StPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge - vorläufigen - Erfolg.
Das angefochtene Urteil unterliegt, den Rechtsfolgenausspruch betreffend, der Aufhebung und Zurückverweisung. Der Schuldspruch hält jedoch der rechtlichen Überprüfung stand.
1.
Soweit der Angeklagte sich gegen seine Verurteilung wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr wendet, hat seine Revision keinen Erfolg.
Im fließenden Straßenverkehr stellt ein Verkehrsvorgang nur dann einen Eingriff in den Straßenverkehr im Sinne des § 315 b Abs. 1 StGB dar, wenn zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeuges in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzukommt, dass es mit (mindestens bedingtem) Schädigungsvorsatz, etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug, missbraucht wird (vgl. BGHSt 48, 233; OLG Hamm, StV 2008, 588). Diese Umstände sind vorliegend ausweislich der Urteilsgründe gegeben.
Danach hat der Angeklagte sein Fahrzeug nach links gezogen, als er bemerkte, dass ein Polizeifahrzeug dort vorbei fahren wollte und dieses Fahrzeug gerammt.
Er hat damit sein Fahrzeug als Schadenswerkzeug missbraucht. In nachvollziehbarer Weise hat das Amtsgericht aus dem festgestellten Verhalten des Angeklagten den Schluss gezogen, er habe in dieser konkreten Situation neben der Gefährdung auch die Schädigung der ihn verfolgenden Polizeibeamten in Kauf genommen und die Einlassung des Angeklagten, er habe niemanden schädigen wollen, als Schutzbehauptung angesehen.
Soweit in dem Urteilstenor der Hinweis auf die (bedingt) vorsätzliche Begehung des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr fehlt, ist dies klarstellend ergänzt worden. Denn die Urteilsgründe lassen den sicheren Schluss zu, dass das Tatgericht von einer vorsätzlichen Begehung ausgegangen ist. Neben der bereits dargestellten Sachverhaltsschilderung ergibt sich dies auch aus der rechtlichen Würdigung. Denn anderenfalls wäre auch die Verwirklichung der Qualifikation des § 315 b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 StGB, die das Tatgericht –zutreffend- angenommen hat, nicht möglich.
Die Urteilsgründe tragen auch die Verurteilung wegen Diebstahls im besonders schweren Fall sowie des tateinheitlich zu dem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr begangenen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
2.
Die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen des Amtsgerichts zum Strafausspruch tragen die Anwendung von allgemeinem Strafrecht (§§ 105 Abs. 1 Nr. 1 und 2, 31 Abs. 1 JGG) zur Ahndung der Straftaten des Angeklagten jedoch nicht. Das Urteil war deshalb im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu gehörenden Feststellungen aufzuheben.
a) Der Angeklagte war bei Begehung der Straftaten 19 Jahre und 7 Monate alt und damit Heranwachsender gem. § 105 JGG. Ob ein Heranwachsender zum Zeitpunkt der Tatbegehung noch einem Jugendlichen gleich stand, ist im Wesentlichen Tatfrage, wobei dem Jugendgericht bei der Beurteilung der Reife des Heranwachsenden grundsätzlich ein erheblicher Ermessensspielraum eingeräumt wird (vgl. BGH NStZ 1989, 574 m. w. N.). Einem Jugendlichen gleichzustellen ist der noch ungefestigte und prägbare Heranwachsende, bei dem Entwicklungskräfte noch in größerem Umfang wirksam sind. Hat der Heranwachsende dagegen bereits die einen jungen Erwachsenen kennzeichnende Ausformung erfahren, dann ist er nicht mehr einem Jugendlichen gleichzustellen und auf ihn ist allgemeines Strafrecht anzuwenden. Die Anwendung von Jugendstrafrecht oder allgemeinem Strafrecht steht nicht im Verhältnis von Regel und Ausnahme. § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG stellt keine Vermutung für die grundsätzliche Anwendung des einen oder des anderen Rechts dar. Wenn allerdings dem Tatrichter nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten Zweifel verbleiben, muss er die Sanktionen dem Jugendstrafrecht entnehmen (vgl. hierzu BGH NStZ 2004, 294 ff.; BGH NStZ-RR 2003, 186 ff. m.w.N.).
Das Amtsgericht hat die Anwendung von allgemeinem Strafrecht damit begründet, dass erhebliche Entwicklungsdefizite in der Person des Angeklagten im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG in Übereinstimmung mit der Einschätzung der Jugendgerichtshilfe nicht festzustellen seien.
Diese Erwägungen des Amtsgerichts können zur Begründung der Anwendung des allgemeinen Strafrechts auf den heranwachsenden Angeklagten nicht als ausreichend angesehen werden. Das Amtsgericht hätte vielmehr in einer Gesamtschau alle für die Entwicklung des Angeklagten maßgeblichen Umstände eingehend würdigen müssen, um die Entscheidung für das Revisionsgericht nachprüfbar zu machen. Die bloße Verneinung von Anhaltspunkten für Entwicklungsdefizite reicht nicht aus. Es müssen vielmehr Tatsachen und rechtliche Schlussfolgerungen dargelegt werden, auf denen die konkrete Entscheidung beruht. Das Rechtsmittelgericht muss erkennen können, dass bei den Ermittlungen alle Möglichkeiten der Anwendung von Jugendstrafrecht ausgeschöpft wurden (vgl. OLG Hamm, StV 2001, 182).
Die Einschätzung der angehörten Jugendgerichtshilfe ist inhaltlich im Einzelnen nicht mitgeteilt worden, sondern lediglich ihr Ergebnis. Die nähere Auseinandersetzung mit der bisherigen sittlichen und geistigen Entwicklung des Angeklagten ist nicht erfolgt. Nach den Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten bestand jedoch durchaus Anlass zu entsprechenden Abwägungen. Mehrere Umstände in der Entwicklung des Angeklagten, so die bereits im Kindesalter festgestellte Lernbehinderung durch Schwierigkeiten im Auffassungs- und Konzentrationsvermögen, die Schwierigkeiten im Kontakt zu Gleichaltrigen bis zum Oberschulalter, die von dem Angeklagten schwer verkraftete Trennung der Eltern, der fehlende Schul- und Ausbildungsabschluss, die fehlende Kontinuität bei der Arbeitsaufnahme und die frühe Vaterschaft, könnten auf eine Reifeverzögerung hinweisen. Allein die Tatsache, dass er mit der (noch jüngeren) Mutter seines Kindes zusammen lebt, rechtfertigt die Annahme, dass er bereits zu diesem Zeitpunkt einem jungen Erwachsenen gleichgestanden habe, nicht.
b) Ebenfalls ohne nähere Begründung hat das Amtsgericht weiter ausgeführt, dass die Tat keine jugendtypischen Züge aufweise und die Anwendung des § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG verneint.
Ob eine Straftat als Jugendverfehlung zu beurteilen ist, ist im Wesentlichen Tatfrage; wobei dem Tatrichter auch hier ein erheblicher Beurteilungsspielraum eingeräumt ist. Erforderlich ist grundsätzlich aber, dass das Tatgericht eine umfassende Würdigung der äußeren Tatumstände sowie der Beweggründe des Täters vornimmt (vgl. BGH NStZ 1987, 366). Daran fehlt es hier. Die Verneinung einer Jugendverfehlung lag aber vorliegend nicht auf der Hand.
Als Jugendverfehlung kommt grundsätzlich jede Tat in Betracht, bei welcher der Einfluss allgemeiner Unreife des Heranwachsenden wesentlich mitgewirkt hat. Auch Straßenverkehrsvergehen können unter § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG fallen. Dass die hier in Rede stehenden Taten von Tätern aller Altersklassen begangen werden, schließt die Annahme einer Jugendverfehlung nicht aus (vgl. BGH NStZ 2001, 102; AG Rudolstadt vom 14.11.2006, zitiert nach juris m.w.N.). Der Tatvorwurf des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr beruht hier darauf, dass der Angeklagte sich im Rahmen einer länger andauernde „Verfolgungsjagd“ mit der Polizei die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährdend verhalten und dadurch andere Personen und Fahrzeuge gefährdet hat. Dieses Verhalten stellt zwar keine typische Jugendverfehlung dar, sie kann jedoch auch aufgrund ihrer Veranlassung und ihrer Beweggründe als Jugendverfehlung gekennzeichnet werden (vgl. BGH NStZ 1987, 366). Um Jugendverfehlungen kann es sich demnach handeln, wenn die zur Tat drängenden Motive noch den Antriebskräften der Entwicklung entspringen. Maßgebend hierfür sind Tatausführung, Tatumstände und Täterpersönlichkeit. Gerade eine Verkehrsstraftat der in Rede stehenden Art deutet jedoch auf einen erheblichen Mangel an altersgemäßem Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein hin. Bei Heranwachsenden liegt es nahe, dass dieser Mangel auf noch nicht voll entwickelter sozialer Reife beruht. Verkehrsstraftaten entspringen vielfach impulsivem, unmittelbar aus der Situation vorschießendem Handeln, das für die Entwicklungsstufe eines Jugendlichen kennzeichnend ist. Nicht ohne Grund sind Heranwachsende für Verkehrsstraftaten besonders anfällig. Als Jugendverfehlung kommt jede Tat in Betracht, bei welcher der Einfluss allgemeiner Unreife des Heranwachsenden wesentlich mitgewirkt hat. Unter anderem sind Unüberlegtheit, Leichtsinn oder die Lockung einer plötzlichen Versuchung beispielhaft für eine Jugendverfehlung im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG. Für Jugendliche typisches Verhalten zeigt sich insbesondere in einem Mangel an Ausgeglichenheit, Besonnenheit, Hemmungsvermögen und Beherrschung. Gerade heranwachsende Kraftfahrer unterschätzen oft - infolge jugendlichen Leichtsinns und Unbekümmertheit, Drang zur Selbstbestätigung, fehlender Abschätzung der Risiken und mangelnden Verantwortungsbewusstseins - die Gefahren des Straßenverkehrs (vgl. AG Saalfeld, VRS 108, 366).
Eine Auseinandersetzung des Amtsgerichts mit der Tat unter diesen Gesichtspunkten fehlt, obgleich dazu Anlass bestanden hätte, da sich aus den durch das Amtsgericht festgestellten Tatumständen ergibt, dass es sich insbesondere bei der Verkehrsstraftat um eine Spontantat handelte, der Angeklagte äußerst risikobereit und zudem, ohne mit dem Fahrzeug vertraut zu sein, fuhr.
Da die Entscheidung nach § 105 JGG die Straffrage betrifft (BGHSt 5, 207, 209), unterliegt das angefochtene Urteil nur im Rechtsfolgenausspruch der Aufhebung.