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Entscheidung 1 O 143/14


Metadaten

Gericht LG Neuruppin 1. Zivilkammer Entscheidungsdatum 22.12.2017
Aktenzeichen 1 O 143/14 ECLI ECLI:DE:LGNEURU:2017:1222.1O143.14.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1. und 2. als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin 2/3 des zukünftig entstehenden materiellen und immateriellen Schadens aus dem Ereignis vom 11.10.2013, welches sich zugetragen hat auf dem Gelände des Beklagten zu 2. im ..., zu ersetzen, soweit deren Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

2. Die Beklagten zu 1. und 2. werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 20.000 € (Schmerzensgeld) zuzüglich Zinsen in Höhe von i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.12.2013.

3. Die Klage wird hinsichtlich des geltend gemachten materiellen Schadens (Klageanträge zu 3.-6.) dem Grunde nach zu 2/3 für gerechtfertigt erklärt.

4. Die Klage wird dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, soweit die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten geltend macht (Klageantrag zu 7.), wobei der der vorgerichtlichen Gebühr zugrunde zu legende Gegenstandswert auf 37.500 € begrenzt ist.

5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

6. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

7. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagten Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche aufgrund einer Beißattacke des Hundes „B..., genannt Ben(ny), geltend, die sich am 11.10.2013 auf dem Gelände des Beklagten zu 2. ereignete.

Der inzwischen eingeschläferte Hund stand im Eigentum der Beklagten zu 1. Dieser war durch den Bescheid der Stadt ... vom 12.06.2013 aufgrund vorangegangener Beißvorfälle die Haltung des Hundes untersagt worden; sie war weiter am 16.08.2013 ordnungsbehördlich aufgefordert worden, Auskunft über den aktuellen Aufenthaltsort des Hundes zu geben.

Die Beklagte zu 1. hatte den Hund zunächst in eine Tierpension in ... gegeben. Am 21.08.2013 schlossen die Beklagten einen Tierpflege/Pensionsvertrag. Darin verpflichtete sich der Beklagte zu 2. gegen Entgelt zur artgerechten Pflege. Die Pensionsdauer blieb unbestimmt, die Beklagte zu 1. leistete Vorkasse bis zum 30.09.2013. Danach befand sich das Tier bei dem Beklagten zu 2. und wurde von der Beklagten zu 1. regelmäßig besucht.

Spätestens im Oktober 2013 berichtete die Beklagte zu 1. der Klägerin, die sie aufgrund jeweiligen Engagements für Tierschutz kannte, dass sie den Hund abgeben müsse. Der genaue Inhalt des Berichts ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin erklärte sich bereit, den Hund kennen zu lernen.

Am 10.10.2013 begaben sich die beiden in das von dem Beklagten zu 2. geführten Tierheim. Dort lernte die Klägerin den Hund unter Aufsicht des Leiters des Tierheims kennen. Am nächsten Tag fuhren die Beklagte zu 1. und die Klägerin erneut ins Tierheim. Dem Hund wurde der von der Beklagten zu 1. gestellte Maulkorb angelegt und er wurde angeleint. Die Beklagte zu 1. begab sich dann mit dem Hund in einen großen umzäunten Auslauf. Die Beklagte zu 1. nahm den Maulkorb ab und fütterte den Hund. Sie brachte den Maulkorb danach wieder an. Nach einiger Zeit rief sie die Klägerin hinzu. Der Hund drückte recht unmittelbar gegen die Beine der Klägerin. Kurz danach griff er die Klägerin an, wobei sich der Maulkorb zuvor oder spätestens im Verlauf der Attacke löste. Der genaue Hergang ist zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin erlitt eine zweigradige offene Unterarmfraktur beiderseits mit multiplen Bissverletzungen an beiden Unterarmen und am linken Unterschenkel sowie knöcherne und Nerven zerfetzende Handgelenksverletzungen. Die Verletzungen sind teilweise vernarbt. Die Klägerin behauptet weiter psychische und psychosomatische Folgen.

Für die Klägerin wird die Rechtsauffassung vertreten, dass die in der Rechtsprechung bisher einhellig erfolgte Bemessung des Schmerzensgeldes unzutreffend erfolge. Sie lässt eine ganz neue Methode der Berechnung, basierend auf Behandlungsstufen, der Zuordnung von Prozentsätzen und Durchschnittseinkommen vertreten. Insoweit wird für die Einzelheiten auf den Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 30.12.2016 Bezug genommen.

Sie macht weiter Haushaltsführungsschaden gelten. Insoweit wird insbesondere auf den Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 30.12.2016 (dort Seite 18-132) Bezug genommen. Die Klägerin geht von einem zu ersetzenden Wert von 12 € netto pro Stunde aus und ermittelt einen Aufwand bis einschließlich Dezember 2016 von 3004 Stunden.

Die Klägerin behauptet einen Erwerbsschaden i.H.v. 13.323,10 € bis Dezember 2016. Die Klägerin behauptet hierzu ein befristetes Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Unfallereignisses. Am 26.11.2013 sei ein befristeter Arbeitsvertrag mit Wirkung ab dem 01.01.2014 bis zum 31.10.2014 geschlossen worden. Unter Berücksichtigung von Krankengeld, Bezug von Erwerbsminderungsrente und schließlich Altersrente seit dem 01.07.2015 errechnet die Klägerin den bezifferten Schaden.

Für beschädigte Kleidung beansprucht die Klägerin 1465 €, da die Kleidung unbrauchbar geworden sei und der Wiederbeschaffungswert sich in dieser Größenordnung bewege.

Schließlich macht die Klägerin einen Anspruch Erstattung von Eigenleistungen im Rahmen der Therapie i.H.v. 301,64 € geltend.

Für die Einzelheiten des klägerischen Vorbringens wird im Übrigen auf die Schriftsätze ihrer Verfahrensbevollmächtigten Bezug genommen.

Sie beantragt,

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1. und 2. als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin zukünftig entstehenden materiellen und immateriellen Schaden aus dem Ereignis vom 11.10.2013, welches sich zugetragen hat auf dem Gelände des Beklagten zu 2. im ..., zu ersetzen, soweit deren Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind;

2. die Beklagten zu 1. und 2. werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unter 135.543,30 € liegen sollte, nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag i.H.v. 25.000 € seit dem 8. 20.12.2013;

3. die Beklagten zu 1. und 2. werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 36.048 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Zustellung der Klageerweiterung zu zahlen;

4. die Beklagte zu 1. und 2. werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 13.123,10 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Zustellung der Klageerweiterung zu zahlen;

5. die Beklagten zu 1. und 2. werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1465 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Zustellung der Klageerweiterung zu zahlen;

6. die Beklagten zu 1. und 2. werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 301,64 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Zustellung der Klageerweiterung zu zahlen;

7. die Beklagten zu 1. und 2. werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1590,91 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

Die Beklagten beantragen jeweils,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 1. vertritt die Auffassung, nicht Halterin des Hundes gewesen zu sein. Sie habe diese Eigenschaft durch den Untersagungsbescheid der Stadt ... verloren. Die Klägerin träfe ein ganz überwiegendes Mitverschulden. Diese habe sich freiwillig und selbst verantwortet in den Bereich eines gefährlichen Hundes begeben. Dagegen treffe die Beklagte zu 1. kein zu berücksichtigendes Verschulden. Sie habe den Hund an der Leine geführt und einen Maulkorb angelegt. Der Hund habe sich den Maulkorb am dort befindlichen Zaun selbst abgestreift und dann gebissen.

Der Beklagte zu 2. vertritt ebenfalls die Auffassung, nicht Halter des Hundes gewesen zu sein. Es habe sich um ein „Pensionsstier“ gehandelt, die Beklagte zu 1. sei ein- bis zweimal täglich ins Tierheim gekommen, um den Hund zu besuchen und sich mit ihm zu beschäftigen. Weiter habe der Beklagte zu 2. darauf geachtet, dass die Klägerin den Hund nur in Anwesenheit der Beklagten zu 1. kennen lernen durfte und, wenn der Hund mit meinem Maulkorb geführt würde. Die beiden anderen Parteien hätten dann, nachdem die Mitarbeiterin des Beklagten zu 2. den Ort des Geschehens verlassen habe, selbstverantwortlich gehandelt. Zu dem Zeitpunkt hätte sich der Hund ruhig verhalten.

Der Beklagte zu 2. sei zum Zeitpunkt des Vorfalls auch nicht Tieraufseher im Sinne des § 834 BGB gewesen, weil zu diesem Zeitpunkt die Aufsicht über das Tier von der Beklagten zu 1. selbst ausgeübt und wahrgenommen wurde. Auch insoweit gelte aber ohnehin, dass der Beklagte zu 2. die erforderliche Sorgfalt beachtet habe. Es sei sichergestellt worden, dass der Hund, sofern er Kontakt zu dritten Personen hatte, stets mit einem Maulkorb geführt werden musste. Auch der Beklagte zu 2. beruft sich auf ein erhebliches Mitverschulden der Klägerin.

Das Gericht hat die Parteien angehört und Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugin Henning sowie die Einholung von Sachverständigengutachten zu den behaupteten Folgen. Nach der Anhörung ist für die Klägerin geltend gemacht worden, sie sei missverstanden worden. Hierzu ist sie in der letzten mündlichen Verhandlung erneut angehört worden. Für sie ist nunmehr mitgeteilt worden, dass eine konkrete Erinnerung an den Vorfall jedenfalls nicht mehr derart vorhanden sei, dass zwischen tatsächlichem erlebten, später geschildertem und später gehörten differenziert werden könne.

Entscheidungsgründe

I.

Das Gericht entscheidet gemäß § 304 ZPO durch Teil-und Grundurteil. Die Sache ist hinsichtlich der Höhe des materiellen Schadensersatzanspruches der Klägerin noch nicht entscheidungsreif. Aufgrund der bisherigen Verfahrensdauer ist es angezeigt, den Rechtsstreit soweit als möglich dem Grunde und der Höhe nach zu entscheiden.

II.

1. (Haftung der Beklagten zu 1.)

Die Beklagte zu 1. haftet dem Grunde nach aus § 833 BGB. Die Beklagte zu 1. war zum Zeitpunkt des Vorfalls Tierhalterin.

Tierhalter ist derjenige, dem das Tier hinsichtlich Lebens- oder Wirtschaftssphäre zuzurechnen ist, der die Bestimmungsmacht über das Tier hat, es nutzt und die Kosten aus eigenem Interesse trägt. Bei den Erwägungen kann auch darauf abgestellt werden, wer das Tier versichert hat. Unstreitig war die Beklagte zu1. bis zum 12.06.2013 Tierhalterin des Hundes. Diese Eigenschaft hat sie auch in der Folge bis zu der Beißattacke nicht verloren, auch nicht auch durch die Übergabe an den Beklagten zu 2.

Die öffentlich-rechtliche Maßnahme nach §§ 10, 13 HundehalterVO des Landes Brandenburg hat keine zivilrechtliche Wirkung. Die Untersagung der Hundehaltung führt nicht zur Beendigung der Eigenschaft als Tierhalter im Sinne des BGB. Vielmehr ist die Beklagte aufgefordert worden, sich der Tierhaltereigenschaft zu begeben. Zu diesem Behufe hatte die Beklagte zu 1. den Hund in das Tierheim gebracht. Sie hoffte, einen anderen Halter zu finden.

Anhaltspunkte dafür, dass sie die Haltereigenschaft verlor, als sie das Tier in die „Tierpension L...“ gab, sind nicht ersichtlich.

Aber auch aus der Verbringung des Tieres zu dem Beklagten zu 2. folgt nichts anderes. Ausweislich des Vertrages sollte der Beklagte zu 2. das Tier nur verwahren. Im Innenverhältnis der Vertragsparteien war eine Haftungsbeschränkung vereinbart, die Beklagte zu 1. hat versichert, dass das Tier über sie haftpflichtversichert ist. Die trug damit die Kosten des Unterhalts und der Versicherung. Sie ging täglich mit dem Hund um und konnte den Vertrag jederzeit kündigen oder das Tier ohne Kündigung aus dem Bereich der Beklagten zu 2. entfernen.

2. (Haftung des Beklagten zu 2.)

a) Der Beklagte zu 2. haftet aus § 834 BGB als Tierhüter.

Der Tierhüter muss dem Tier gegenüber eine Stellung innehaben, die der des Tierhalters nahekommt. Zum Wesen der vertraglich übernommenen „Führung der Aufsicht über das Tier“ im Sinne des § 834 BGB gehört deshalb, dass der Übernehmende auch bei einem zwischen ihm und dem Tierhalter bestehenden Abhängigkeitsverhältnis ein gewisses Maß selbstständiger Gewalt über das Tier erlangt. Ihm muss also eine gewisse Selbstständigkeit bei dem Ergreifen von Maßnahmen zukommen, die dem Schutz Dritter gegen die von dem Tier drohenden Gefahren dienen (Staudinger/Christina Eberl-Borges (2012) BGB § 834, Rn. 20). Das ist der Fall. Der Beklagte zu 2) hat der Klägerin zum Beispiel untersagt, allein zu dem Hund Kontakt zu haben. Das zeigt, dass dem Beklagten zu 2. der Anlass der Aufnahme bekannt war. Das hat Frau Förster als Vertreterin des Beklagten zu 2. in der Anhörung am 09.02.2015 auch so geschildert. Der Inhalt der Untersagung sei ihr durch die Beklagte zu 1. mündlich mitgeteilt worden. Die Kenntnis ergibt sich auch ganz zwanglos aus der Anhörung der Beklagten zu 1. Diese hat berichtet, dass der Hund in der „Pension L...“ nicht verbleiben konnte und sie als Gründungsmitglied des Beklagten zu 2. gefragt habe, ob ihr Hund nicht im Tierheim bleiben könne.

b) Die Haftung entfällt auch nicht gemäß § 834 S. 2 BGB.

Der Tierhüter haftet nach § 834 S. 2 BGB nicht, wenn er bei der Aufsichtsführung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre. Dass dies der Fall ist - dass ihn also kein Verschulden trifft oder keine Kausalität vorliegt - hat der Tierhüter zu beweisen (Staudinger/Christina Eberl-Borges (2012) BGB § 834, Rn. 23). Der Beklagte zu 2) überließ es pflichtwidrig der Beklagten zu 1), der die Haltung des Hundes untersagt war, Sicherungsmaßnahmen vorzunehmen und auch, den Kontakt der Klägerin zu dem Hund hinreichend zu überwachen. Es war geboten, Sicherungsmaßnahmen zum Schutz von Dritten selbst vorzunehmen oder die Vornahme derselben durch die Beklagte zu 1) zu überwachen. Dazu rechnet insbesondere das Anlegen des Maulkorbs.

Aus dem Untersagungsbescheid der Stadt ... geht hervor, dass es bereits am 30.05.2013 trotz eines angelegten Maulkorbs zu einem Beißvorfall gekommen war (VA Seite 4, Bl. 116 d. A.). Die Stadt ... ist darin weiter zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte zu 1. den Hund „nicht in allen Situationen sicher“ beherrschte.

Nach diesem Maßstab hat der Beklagte zu 2. die Beaufsichtigung nicht ausreichend sorgfältig ausgeübt. Der Beklagte zu 2. hatte zwar darauf geachtet, dass die Begegnung der Klägerin mit dem Hund der Beklagten zu 1. nur nach Anlegen eines Maulkorbs erfolgte. Für alle Parteien ist in der mündlichen Anhörung am 09.02.2015 geschildert worden, dass dem Hund zunächst in Anwesenheit der Zeugin Henning ein Maulkorb angelegt wurde. Das Gericht geht grundsätzlich von den Angaben der Parteien aus, so wie sie in der mündlichen Verhandlung am 09.02.2015 gemacht worden sind. Sie sind angehört worden, das Protokoll ist in ihrer Anwesenheit und, soweit das tunlich erschien, auch deren eigenem Sprachgebrauch folgend, diktiert worden. Soweit die Beklagte zu 1. im Nachgang geltend gemacht hat, sie sei missverstanden worden, setzt sie sich hierzu in erheblichen Widerspruch. Nachdem für die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 20.11.2017 mitgeteilt worden ist, dass eine Erinnerung nicht mehr in derart vorhanden sei, dass das tatsächlich Erlebte wiedergegeben werde, muss es bei dem Inhalt der Anhörung verbleiben. Keine der beteiligten Parteien und keiner der Prozessvertreter hat während der Anhörung Bedenken erhoben. Dass die Erinnerung der Klägerin zu dem Zeitpunkt durchaus in Ordnung war ergibt sich unter anderem aus Seite 3 des Protokolls, in der sie das Diktat unterbrach, um zu ergänzen, dass sie der Hund an den Beinen geschubst habe.

Der Beklagte zu 2. war entsprechend nach den Umständen verpflichtet, auch zu überwachen, dass die Beklagte zu 1. den Maulkorb nach der Fütterung des Hundes wieder anlegte. Die Mitarbeiterin des Beklagten zu 2., die Zeugin Henning, vermutete, dass die Beklagte zu 1. „wie üblich“ verfahren wollte, und den Hund zunächst füttern und dann mit ihm spielen wollte. Entsprechend war zu erwarten, dass der Maulkorb noch einmal abgenommen werden würde.

Tatsächlich hat die Beklagte zu 1. den Maulkorb auch erneut angebracht. Das hat sie selbst so bekundet, die Klägerin konnte nach ihren Angaben wegen der einberechnen Dunkelheit nicht erkennen, ob der Hund einen Maulkorb hatte. Es besteht auch kein Anlass, den Angaben der Beklagten zu 1. nicht zu glauben. Nach dem Eindruck des Gerichts hat sie den Sachverhalt insgesamt so geschildert, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Die Klägerin wiederum steht bei ihrer Annahme unter dem Eindruck des späteren Geschehens.

Es steht aber nicht fest, dass der Maulkorb ordnungsgemäß angebracht war. Er hat sich später gelöst. So hatte es sich nach den Feststellungen der Stadt ... auch bei dem Vorfall am 30.05.2013 zugetragen. Es bestand also gerade in diesem Punkt eine besondere Gefahr, die die Beklagte zu 2. ggfs. zu beseitigen hatte.

Der Beklagte zu 2. kann nicht damit gehört werden, dass er den Inhalt des Bescheids nicht (ausreichend) kannte. Wenn er trotz Kenntnis von der Tatsache, dass ein Hundehalter einen Hund ordnungsbehördlich verfügt nicht mehr halten darf, die Verwahrung übernimmt, hat er sich ausreichende Kenntnis von dem Grund der Untersagung zu verschaffen. Andernfalls kann er die gebotenen Aufsichtsmaßnahmen schon dem Grunde nach nur zufällig ergreifen. Es ist daher für die weitere Rechtsprüfung zu unterstellen, dass der Grund der Untersagung bekannt war. Das gilt insbesondere auch deshalb, weil der Beklagte zu 2. gegenüber Dritten als besonders vertrauenswürdig und erfahren im Umgang mit Tieren angesehen wird. Wollte die Beklagte zu 2. die Verantwortung nicht tragen, musste sie den Hund ablehnen oder sich von der Klägerin eine Haftungsfreistellung erklären lassen.

Es kann dahinstehen, ob der Maulkorb womöglich auch nicht geeignet war. Soweit die Beklagte zu 1. den Eindruck hatte, der von ihr gestellte Maulkorb aus Leder sei womöglich nicht optimal geeignet, handelt es sich um eine Vermutung.

III. (Mitverschulden der Klägerin)

Die Klägerin trifft ein Mitverschulden von 1/3. Nach ihren eigenen Angaben wusste sie, dass der Hund gefährlich war und von der Beklagten zu 1. wegen Bissvorfällen nicht mehr gehalten werden durfte. Damit begab sie sich bewusst in eine gefährliche Situation, wobei sie allerdings davon ausging, dass die Gefahr durch das Tragen eines Maulkorbs beseitigt war. Die Klägerin hat selbst geschildert, dass die Beklagte zu 1. sie gebeten habe, anzugeben, bei ihr zu wohnen und als (Schein)Halter für den Hund zu fungieren. Weiter hat sie auf Nachfrage mitgeteilt, dass sie gewusst habe, dass der Hund zuvor bereits Menschen gebissen hatte. Hier erhellt auch, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Einvernahme eine konkrete Erinnerung hatte und konkrete Angaben gemacht hat. Dass sie diese Ausgangssituation im Nachhinein nicht mehr wahrhaben möchte, ändert an der Richtigkeit ihrer Angaben nichts. Für die Klägerin gilt auch nichts anderes als für die Beklagte zu 2. Wenn ein Dritter mitteilt, dass ihm die Haltung des Hundes untersagt war und der Hund unter der Aufsicht genau dieser Person „kennengelernt“ werden soll, so drängt sich eine konkrete Nachfrage zu den Gründen der Untersagung aus. Die Klägerin schätzte die Situation subjektiv anders ein, weil bei dem ihr bekannt gewordenen Vorfall jemand auf das Gehöft der Beklagten zu 1. gegangen sein soll. Das betraf aber nur den Vorfall am 05.03.2013. Hätte sie weitergehende Fragen gestellt oder sich den Bescheid vorlegen lassen, hätte sie auch von dem Vorfall am 30.05.2013 erfahren.

Bei der Frage des Umfangs des Mitverschuldens ist immer auf den Einzelfall abzustellen. Nach der Vorstellung der Klägerin war nicht einmal sicher, dass der Maulkorb durch die Beklagte zu 1. wieder angebracht war. Tatsächlich stellt sich dies aber so dar, wobei er möglicher Weise nicht richtig angebracht war. Danach bestand ein zwar überschaubares aber doch spürbares Restrisiko, als die Klägerin beschloss, den Auslauf zu betreten. Die Beklagte zu 1. war gerade im Umgang mit dem Hund als unzuverlässig anzusehen, sie arbeitete nicht professionell mit gefährlichen Tieren und sie hatte den Maulkorb, der in Anwesenheit der Mitarbeiterin des Tierheims angebracht worden war, zwischenzeitlich einmal abgenommen.

IV. (Schmerzensgeld)

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht die Funktion des Schmerzensgeldes darin, dem Verletzten einen Ausgleich für die erlittenen immateriellen Schäden und ferner Genugtuung für das ihm zugefügte Leid zu geben. Die Schmerzensgeldhöhe muss unter umfassender Berücksichtigung aller für die Bemessung maßgeblicher Umstände festgesetzt werden und in einem angemessenen Verhältnis zu Art und Dauer der Verletzung stehen. Dabei kommt dem Gedanken, dass für vergleichbare Verletzungen, unabhängig vom Haftungsgrund, ein annähernd gleiches Schmerzensgeld zu gewähren ist, besondere Bedeutung zu (OLG München Schlussurteil v. 8.8.2012 – 20 U 1121/12, BeckRS 2012, 21967, beck-online).

Die von der Klagepartei hierzu angesonnenen Überlegungen hält das Gericht für eine künstliche und allenfalls scheinbar systematisch vorgehende Methode, die davon ausgeht, alles quantifizieren zu können. So ist das Leben nicht. Schmerzensgeld ist und bleibt einen „billige Entschädigung in Geld“; die Höhe ist nach den bewährten und überkommenen Grundsätzen zu bestimmen.

Hier kommt im Wesentlichen die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes zum tragen, das eine Genugtuung begründende Verschulden der Beklagten ist nicht Anspruchsvoraussetzung bzw. wird vermutet.

Die Klägerin leidet vorfallsbedingt unter einer chronifizierten Agoraphobie mit Panikstörung, wobei auch klaustrophobe Aspekte sowie Elemente einer spezifischen Phobie in der Nähe größerer Hunde verbunden mit einer leicht depressiven Grundgestimmtheit.

Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten, das er mündlich erläutert hat, überzeugend ausgeführt, dass die von ihm festgestellten Störungen erst durch den Beweis Vorfall hervorgetreten sind. Zum Zeitpunkt des Vorfalls mag zwar eine latente Gefährdung zu erhöhter ängstlicher Reaktionsbereitschaft in Belastungssituationen bestanden haben, die Klägern hatte sich vorher aber nie in psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung begeben müssen. Hierfür sind in den ärztlichen Unterlagen keine Anhaltspunkte hervorgetreten, die Klägerin hat das auch glaubhaft auf Befragen verneint. Die von der Klägerin in der mündlichen Anhörung geschilderten Umstände sind konsistent zu den Feststellungen des Sachverständigen, so dass das Gericht dessen Gutachten folgt.

Als körperliche Schäden sind als Folge des Vorfalls zu verzeichnen:

- Eine kosmetische Entstellung des linken Unterarmes nach Knochen- und Weichteiltransplantation,

- eine fast vollständig aufgehobene Umwendebeweglichkeit des linken Unterarmes für die Pro- und Supination,

- eine praktisch vollständige Aufhebung der Beweglichkeit im linken Handgelenk in einen Bewegungsebenen,

- ein praktisch vollständiger Funktionsverlust der Langfinger sowie des linken Daumens der linken Hand, wobei die Finger in einer Pfötchenstellung gehalten werden und neben der Funktionsstörung auch eine Sensibilitätsstörung vorrangig im Bereich des linken Daumens, aber auch im Bereich der Langfinger II, III und IV vorliegt,

- eine Restfunktion für den Schlüsselgriff mit der linken Hand, allerdings mit Kraftminderung und Sensibilität Verlust,

- eine ausgeprägte und kosmetisch ungünstige Narbenbildung im Bereich des rechten Unterarms,

- eine mittelgradige Bewegungseinschränkung des rechten Handgelenkes in allen Bewegungsebenen,

- eine endgradige Einschränkung der Einwärtsdrehbewegung des rechten Unterarms,

- eine endgradige Einschränkung der Streckung der Langfinger der rechten Hand,

- einen auch radiologischen nachweisbaren langstreckiger Defekt im Bereich des linken Wadenbeines nach Knochenspanentnahme,

- eine ausgeprägte Narbenbildung im Bereich des linken Unterschenkels mit auch optisch sichtbarer Defektstrecke.

Die Funktionsstörungen im Bereich des linken Unterschenkels sind moderat und mittelbare Folge durch die Knochenspanentnahme. Im Bereich des rechten Armes konnte in Anbetracht der Schwere der primär Verletzung eine gute Funktion erreicht werden, im Bereich des linken armes besteht ein hochgradiger Funktionsverlust für die linke Hand. Sämtliche Gesundheitsschäden sind dauerhaft.

Die zum Vorfallszeitpunkt 63jährige Klägerin ist damit bei Bewegungen beider Unterarme und Hände eingeschränkt, die linke Hand ist stark beeinträchtigt. Hinzu kommen die psychischen Folgen.

Die aufgefundene, das Handgelenk betreffende Rechtsprechung mit vergleichbaren Folgen beruht auf groben Behandlungsfehlern (OLG Hamm, Urteil vom 05.11.2013), teilweise ist das „erhebliche“ Mitverschulden nicht ausgequotelt (OLG München, Urteil v. 8.8.2012 – 20 U 1121/12), so dass das für angemessene Schmerzensgeld nicht ermittelt werden kann. Für schwere Unterarmverletzungen passt grundsätzlich hinsichtlich der Folgen das Urteil des OLG Köln vom 25.02.2011 - 6 U 174/08). Das Gericht hat ebenfalls im Wesentlichen die Ausgleichsfunktion berücksicht und ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000 € für angemessen erachtet.

Das Gericht hält in Erwägung der erheblichen Folgen, die die Klägerin glaubhaft angegeben hat, ein Schmerzensgeld in einer Höhe von 30.000 € für gerechtfertigt (nach Quote: 20.000 €). Neben den körperlichen Einschränkungen leidet die Klägerin erheblich. Sie kann aus körperlichen Gründen nicht mehr wie zuvor Rad fahren, dies ausgleichende Spaziergänge zum Beispiel durch den Wald kann sie aufgrund der psychischen Beeinträchtigungen kaum unternehmen. Das Schmerzensgeld ist deshalb in einem höheren Bereich anzusiedeln.

V. (materieller Schaden)

Die geltend gemachten materiellen Schadenersatzansprüche stehen der Klägerin zu; über deren Höhe muss im Betragsverfahren befunden werden.

Soweit vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten angefallen sind, sind diese einerseits nur aber auch in dem Umfang gerechtfertigt, wie sich die Gebühr aus dem RVG nach dem zurecht Verlangten ergibt. Andererseits sind sie auf den tatsächlich geltend gemachten Anspruch beschränkt.

V. (Feststellungsantrag)

Der Feststellungsantrag ist im Umfang der Quote begründet, das gilt auch für den immateriellen Schaden. Zwar gilt der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes, der eine ganzheitliche Betrachtung und Bemessung gebietet (BGHZ 128, 117, 121 f; BGH vom 6.12.1960 - VI ZR 73/60 ), die die künftige Entwicklung des Schadensbildes in die Bemessung des Schmerzensgeldes mit einbezieht. Lässt sich aber eine Aussage darüber, ob in der Zukunft noch Spätfolgen der Unfallverletzungen auftreten können, nicht zuverlässig treffen, dann ist, solange der Eintritt derartiger Schäden nicht ausgeschlossen werden kann, die Möglichkeit von Spätschäden gegeben. Besteht die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts, so reicht dies, für das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse grundsätzlich aus (BGH vom 20.03.2001 - VI ZR 325/99). Letzteres darf nur verneint werden, wenn aus der Sicht des Klägers bei verständiger Würdigung kein Grund besteht, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (OLG München Schlussurteil v. 8.8.2012 – 20 U 1121/12, BeckRS 2012, 21967, beck-online). So liegt der Fall hier.