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PKH - Erfolgsaussicht - Kindergeld - Erhöhung - Wachstumsbeschleunigungsgesetz - Einkommen - Zufluss - Aufhebung - Erstattung - Erstattungsanspruch - Vorrang - Erfüllungsfiktion


Metadaten

Gericht LSG Berlin-Brandenburg 10. Senat Entscheidungsdatum 09.01.2012
Aktenzeichen L 10 AS 554/11 B PKH ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 73a SGG, § 11 Abs 1 S 3 SGB 2, § 34a SGB 2, § 40 Abs 1 S 1 SGB 2, § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB 10, § 50 SGB 10, § 104 SGB 10, § 107 SGB 10

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 11. Februar 2011 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der am xxx geborene Kläger wendet sich im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Potsdam mit dem Az gegen den Bescheid des Beklagten vom 21. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2010.

Hintergrund ist folgender: Der Beklagte bewilligte dem seinerzeit noch minderjährigen Kläger und seinen mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Eltern und zwei jüngeren Geschwistern mit Bescheid vom 06. August 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit von September 2009 bis Februar 2010 von insgesamt monatlich 1565,- €, wobei auf den Kläger „regelsatzmäßige“ Leistungen von monatlich 123,- € (Regelleistung gemäß § 20 Abs 3 Satz 2 SGB II aF von 287,- € abzüglich 164,- € Kindergeld) sowie 125,72 € für Unterkunft und Heizung (anteilig nach Kopfteilen) entfielen. Durch das am 30. Dezember 2009 im Bundesgesetzblatt (BGBl) verkündete Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22. Dezember 2009 (BGBl I, S 3950) wurde zum 01. Januar 2010 das Kindergeld für das erste und zweite Kind auf 184,- € und für dritte Kinder auf 190,- € erhöht. Darauf erließ der Beklagte zunächst den (an den Vater des Klägers als Vertreter der Bedarfsgemeinschaft adressierten) Änderungsbescheid vom 12. Februar 2010, mit dem die Leistungsbewilligungen für die drei minderjährigen Kinder im Umfang der jeweiligen Kindergelderhöhungen für die Monate Januar und Februar 2010 teilweise aufgehoben wurden; für den Kläger bedeutete dies, dass die ihm bewilligten „regelsatzmäßigen“ Leistungen für beide Monate nur noch 103,- € betrugen. Über die entsprechenden Rückzahlungsmodalitäten, so hieß es im Bescheid weiter, werde gesondert entschieden. Dass gegen diesen Bescheid Widerspruch eingelegt worden ist, geht aus den vorliegenden Leistungsakten nicht hervor. Der Beklagte erließ sodann unter dem 21. Juli 2010 zwei „Aufhebungs- und Erstattungsbescheide“: einer war an den inzwischen volljährig gewordenen Kläger gerichtet, der andere war wiederum an den Vater als Vertreter der Bedarfsgemeinschaft adressiert und bezog sich auf die Leistungen für die beiden noch minderjährigen Geschwister des Klägers. Nach dem Wortlaut des an den Kläger gerichteten Bescheids hob der Beklagte die diesem für die Monate Januar und Februar 2010 bewilligten Leistungen nach dem SGB II unter Bezugnahme auf § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) jeweils in Höhe von 20,- € auf und forderte gemäß § 50 Abs 1 SGB X entsprechende Erstattung (2 x 20,- = 40,- €). Zur Begründung hieß es, das zum 01. Januar 2010 erhöhte Kindergeld sei in den Zuflussmonaten Januar und Februar 2010 als Einkommen iSv § 11 Abs 1 SGB II zu berücksichtigen. Den vom nunmehr anwaltlich vertretenen Kläger dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. August 2010 als unbegründet zurück. Das SG Potsdam hat es mit Beschluss vom 11. Februar 2011 abgelehnt, dem Kläger für das darauf anhängig gemachte Klageverfahren Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt Hilgers zu gewähren, und dies mit mangelnder Erfolgsaussicht der Klage begründet. Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das SG misst der Klage zu Recht keine hinreichende Erfolgsaussicht zu (vgl § 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG> iVm § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung <ZPO>).

Soweit sich der Kläger mit seiner Klage dagegen wendet, dass der Beklagte die ihm für die Monate Januar und Februar 2010 bewilligten Leistungen in Höhe von jeweils 20,- € aufgehoben hat, fehlt es ihr nicht bereits deshalb an Erfolgsaussicht, weil die diesbezügliche behördliche Entscheidung bestandskräftig geworden wäre. Zwar ist diese teilweise Leistungsaufhebung bereits mit dem Änderungsbescheid vom 12. Februar 2010 (gegenüber dem Kläger) verfügt worden, gegen den soweit ersichtlich kein Widerspruch eingelegt wurde. Allerdings hat der Beklagte mit dem weiteren Bescheid vom 21. Juli 2010bei verständiger Würdigung aus dem Empfängerhorizont nach nochmaliger Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen auch (neben dem Erstattungsverlangen) erneut über die teilweise Leistungsaufhebung für den in Rede stehenden Zeitraum entschieden (so genannter Zweitbescheid) mit der Folge, dass dieser Bescheid den Bescheid vom 12. Februar 2010, soweit er den Kläger betraf, iSv § 39 Abs 2 SGB X ersetzt hat und zulässigerweise mit Widerspruch angegriffen werden konnte (vgl zum Zweitbescheid Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 07. Juli 2005 – B 3 P 8/04, juris RdNr 18).

Die Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung im Bescheid vom 21. Juli 2010ist nicht bereits deshalb rechtswidrig, weil der Kläger nicht zuvor gemäß § 24 SGB X iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II angehört worden wäre. Denn der Kläger hatte im Widerspruchsverfahren hinreichende Möglichkeit, sich zu äußern, nachdem der Beklagte ihm mit dem Bescheid vom 21. Juli 2010 die entscheidungserheblichen Tatsachen so unterbreitet hatte, dass er sie als solche erkennen und sich zu ihnen sachgerecht äußern konnte (vgl § 41 Abs 1 Nr 3 SGB X iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II für die erfolgte teilweise Leistungsaufhebung liegen allem Anschein nach vor. Der Kläger hat nach Erlass des Bewilligungsbescheides vom 06. August 2009Einkommen in Form von höherem Kindergeld erzielt (vglzur Zurechnung des Kindergeldes als Einkommen des der Bedarfsgemeinschaft angehörenden Kindes § 11 Abs 1 Satz 3 SGB II aF), das in den Zuflussmonaten – den (im Kindergeldrecht vorgesehenen) Zufluss in den Monaten Januar und Februar 2010 hat der anwaltlich vertretene Kläger nicht bestritten – jeweils zur Minderung seines Anspruchs auf Arbeitslosengeld II um 20,- € führte.

Der Aufhebungsentscheidung gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X iVm § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II kann nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand nicht entgegen gehalten werden, dass es an einer zu Unrecht erfolgten Leistung von Arbeitslosengeld II deshalb fehle, weil der Beklagte mit seiner Zahlung von 20,- € im Januar und Februar 2010 den in diesem Umfang durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz begründeten erhöhten Kindergeldanspruch befriedigt habe (Erfüllungsfiktion nach § 107 Abs 1 SGB X) und insoweit allein auf eine Erstattungsforderung gegenüber der Familienkasse verwiesen sei (ausführlich zum mangelnden Wahlrecht eines erstattungsberechtigten Trägers, auf einen Erstattungsanspruch nach den §§ 102 ff SGB X und damit auf die Erfüllungsfiktion zu verzichten und sich statt dessen nach den §§ 45, 48, 50 SGB X an den Leistungsempfänger zu halten BSG, Urteil vom 29. April 1997 – 8 RKn 29/95, juris RdNr 17 ff). Denn es besteht insoweit offenbar kein Erstattungsanspruch des Beklagten gegen die Familienkasse als Trägerin des Kindergeldes.

Da Kindergeld eine im Verhältnis zu den Leistungen nach dem SGB II vorrangige Leistung ist, kommt nur ein Erstattungsanspruch nach § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X in Betracht (vgl zur Abgrenzung zum Erstattungsanspruch nach § 103 Abs 1 SGB X BSG, Urteil vom 28. August 1997 – 14/10 RKg 11/96, juris RdNr 9 ff).

Allerdings scheidet ein Erstattungsanspruch des Beklagten gegen die Familienkasse nach § 104 Abs 1 Satz 1 SGB X nicht bereits deshalb aus, weil es an der Personenidentität des Leistungsberechtigten des Arbeitslosengeldes II als der nachrangigen Sozialleistung – hier des Klägers – und des Leistungsberechtigten des Kindergeldes als der nachrangigen Sozialleistung – hier wohl ein Elternteil (vgl §§ 62 ff Einkommensteuergesetz) – fehlt. Denn nach § 34a SGB II aF (inzwischen § 34b SGB II) erstreckt sich der Erstattungsanspruch der Leistungsträger gegenüber einem dem Leistungsberechtigten vorrangig verpflichteten Leistungsträger ua auch auf solche Aufwendungen, die an ein unverheiratetes minderjähriges Kind (hier an den Kläger) erbracht worden sind (vgl zu alledem BSG, Urteil vom 12. Mai 2011 – B 11 AL 24/10, juris RdNr 18 ff).

Bezüglich des Monats Januar 2010 steht einem Erstattungsanspruch des Beklagten gegen die Familienkasse auch nicht entgegen, dass seine Leistung (Arbeitslosengeld II in der bewilligten Höhe) rechtswidrig gewesen wäre (vgl zur Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 104 SGB X BSG, Urteil vom 28. August 1997 – 14/10 RKg 11/96, juris RdNr 13; ferner Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl, § 104 RdNr 8). Zwar ist bei der Berechnung des Anspruchs auf laufende Leistungen nach dem SGB II Einkommen anspruchsmindernd zu berücksichtigen, dessen Zufluss im jeweiligen Bewilligungsmonat mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (näher dazu Senatsbeschluss vom 14. Juni 2010 – L 10 AS 664/10 B PKH, juris RdNr 8), was für den Kindergeldbezug grundsätzlich anzunehmen ist. Der Beklagte hätte daher bei der Ermittlung der dem Kläger für Januar 2010 zustehenden Leistungen Kindergeld in Höhe von 184,- € als Einkommen berücksichtigen müssen, wenn ihm dies rechtzeitig bekannt gewesen wäre. Das war jedoch nicht der Fall. Da die laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II rechtzeitig vor Monatsbeginn, zu dem sie fällig werden (vgl § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II und dazu Conradis in LPK-SGB II, 4. Aufl, § 41 RdNr 7), berechnet und angewiesen werden müssen, konnte der Beklagte damit nicht bis zum 30. Dezember 2009, dem Zeitpunkt der Verkündung der Wachstumsbeschleunigungsgesetzes, warten, sondern war gehalten, dies bereits zuvor im Laufe des Dezember 2009 zu tun, dh zu einem Zeitpunkt, als der anspruchsmindernde höhere Kindergeldanspruch gesetzlich noch nicht bestand (vgl zu einer vergleichbaren Konstellation anlässlich der Kindergelderhöhung im Jahr 1992 bzw deren Einfluss auf den Sozialhilfeanspruch BSG aaO RdNr 14). Anders verhält es sich mit der Leistung des Beklagten für Februar 2010: Diese war im Zeitpunkt ihrer Erbringung in Höhe von 20,- € rechtswidrig, weil seinerzeit mit dem Zufluss des erhöhten Kindergeldes im Februar bereits mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu rechnen war. Insoweit scheidet demnach ein Erstattungsanspruch des Beklagten gegen die Familienkasse mangels Rechtmäßigkeit der Leistungserbringung aus (vgl zum maßgeblichen Zeitpunkt der Leistungserbringung für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit BSG, Urteil vom 23. September 1997 – 2 RU 37/96, juris RdNr 28).

Auch für Januar 2010 besteht indes für die Anfechtungsklage im Ergebnis keine hinreichende Erfolgsaussicht. Denn nach Lage der Dinge scheitert ein Erstattungsanspruch für beide Monate daran, dass der Ausschlussgrund des § 104 Abs 1 Satz 1 letzter HS SGB X greift. Danach ist der Erstattungsanspruch ausgeschlossen, soweit der erstattungspflichtige Leistungsträger bereits an den Berechtigten geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Hier ist erscheint es fern liegend, dass die Familienkasse bei der Anweisung des Kindergeldes für Januar und Februar 2010 positive Kenntnis (zu diesem Erfordernis Becker in Hauck/Noftz, SGB X, § 104 RdNr 20) davon hatte, dass der Beklagte dem Kläger für diese Monate Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Berücksichtigung der Kindergelderhöhung gewährt hatte (zum Erfordernis der Kenntnis von Leistungsart, -zeit und -höhe Becker aaO). Ein Anspruch auf Kindergeld besteht bei Wohnsitz in Deutschland für Kinder unter 18 Jahren in gesetzlicher Höhe grundsätzlich ohne Einschränkung – insbesondere auch unabhängig vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II –, dh für die Familienkasse sind in Fällen der vorliegenden Art das „Ob“ bzw die Höhe etwaiger Leistungen des Beklagten irrelevant. Hatte sie demzufolge von den in Rede stehenden Leistungen des Beklagten an den Kläger keine Kenntnis – für Gegenteiliges gibt es hier keinen Anhaltspunkt –, hat sie das Kindergeld für Januar und Februar 2010 mit befreiender Wirkung an den Berechtigten gezahlt, was einen Erstattungsanspruch des Beklagten nach § 104 Abs 1 Satz 1 letzter HS SGB X ausschließt.

Auch das auf § 50 Abs 1 SGB X gestützte Erstattungsverlangen ist allem Anschein nach nicht zu beanstanden; insofern hat die erhobene Anfechtungsklage folglich ebenfalls keine Erfolgsaussicht.

Kosten des PKH-Beschwerdeverfahrens werden nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs 4 ZPO nicht erstattet.

Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).