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Ausweisung; Befristung; Vietnamese; 50 Jahre; gewerbsmäßige Steuerhehlerei; unverzollte Zigaretten; Ersttäter; vierjährige Freiheitsstrafe; 2/3 Entlassung; Wiederholungsgefahr; langjähriger Aufenthalt; wechselseitige Zulassungsanträge


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 7. Senat Entscheidungsdatum 12.11.2013
Aktenzeichen OVG 7 N 123.13 ECLI
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 8 MRK, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124a Abs 4 S 4 VwGO, § 11 Abs 1 AufenthG, §§ 53ff AufenthG, § 374 AO

Leitsatz

1. Die Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei (unverzollte Zigaretten) zu vier Jahren Freiheitsstrafe kann die Ausweisung eines Ausländers rechtfertigen, auch wenn es sich um die erste strafrechtliche Verurteilung handelt und der Ausländer sich langjährig im Bundesgebiet aufhält und über eine Niederlassungserlaubnis verfügt.

2. Ist die mangels Vornahme durch die dazu berufene Ausländerbehörde ausgesprochene Verpflichtung zur Befristung der Ausweisung mit einer am Einzelfall orientierten Bewertung der Wiederholungsgefahr begründet, setzt die Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils voraus, dass diese Begründung mit einer schlüssigen Gegenargumentation in Frage gestellt wird.

Tenor

Die Anträge des Klägers und des Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Teilurteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22. November 2012 werden abgelehnt.

Der Kläger und der Beklagte tragen jeweils die Kosten ihres Antragsverfahrens.

Der Streitwert wird für das Antragsverfahren des Klägers auf 5.000 EUR, für das des Beklagten auf 2.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Teilurteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen nicht vor. Mit dem Urteil hat das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit der Ausweisung des wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilten Klägers als rechtmäßig bestätigt und seinen Hilfsantrag auf Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung insoweit abgewiesen, als es die Befristungsdauer auf drei Jahre festgesetzt hat.

Die mit der Begründung des Zulassungsantrages dargelegte Auffassung, der bisherige rechtmäßige und beanstandungsfreie Aufenthalt des Klägers seit 1981 sei bei der Entscheidung nicht angemessen berücksichtigt worden, trifft nicht zu und rechtfertigt daher kein abweichendes Entscheidungsergebnis. Sowohl der Bescheid des Beklagten vom 31. August 2011 als auch das angefochtene Urteil verkennen nicht, dass der Kläger bereits Anfang November 1981 in die frühere DDR eingereist war und 2004 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten hatte, die mit dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes als Niederlassungserlaubnis fort- gilt, so dass sich der Kläger auf den besonderen Ausweisungsschutz gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG berufen kann. Aufgrund der Aufenthaltsdauer und den damit einhergehenden Bindungen im Bundesgebiet ist das Verwaltungsgericht - ebenso wie der Beklagte - davon ausgegangen, dass es nicht bei der durch die verwirkte und zu zwei Dritteln auch verbüßte Freiheitsstrafe vorgegebenen Regelausweisung verbleiben kann, sondern der Kläger in eine Position hineingewachsen ist, in der es einer einzelfallbezogenen Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers anhand der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien bedarf (Urteilsabdruck S. 5 f.). Die Abwägungsentscheidung des Beklagten wird in dem angefochtenen Urteil ausführlich auf aktueller Tatsachengrundlage als nicht zu beanstanden nachvollzogen (Urteilsabdruck S. 7 ff.). Demgegenüber zeigt das Zulassungsvorbringen nicht auf, dass dem Interesse des Klägers und den insoweit für seine Position sprechenden Umständen nicht das ihnen in der Abwägung zukommende Gewicht beigemessen, sie also nicht „angemessen“ berücksichtigt worden wären.

Soweit der Zulassungsantrag die besondere Härte einer „Rückübersiedlung“ für den 50jährigen Kläger unter klimatischen und sozialen Gesichtspunkten hervorhebt und zugleich Art und Schwere der Straftat durch den Vergleich mit anderen Straftaten gegen Rechtsgüter wie Leib und Leben sowie die sexuelle Selbstbestimmung zu relativieren sucht und auch die konkrete Tatbegehung bagatellisieren möchte, lässt dies keine verfehlte Gewichtung dieser Teilaspekte der Abwägung erkennen. Was Tatbegehung und Ausmaß der Sozialschädlichkeit der Rechtsgutverletzung angeht, lässt sich das Gewicht bereits aus dem vom Gesetzgeber festgelegten Strafrahmen und der im Einzelfall ausgesprochenen Strafe entnehmen. Danach kann im vorliegenden Fall nicht angenommen werden, dass Raum für eine mildernde Betrachtung gegeben ist, wonach der Kläger als „dilettierender Anfänger“ und „Gelegenheitsschmuggler“ angesehen werden könnte. Jedenfalls ließe auch eine solche Bewertung des Tatgeschehens als Anfängertat selbst dann, wenn der Kläger sich mit der Lieferung und Verwahrung von über 8 ½ Millionen unverzollter Zigaretten „übernommen“ haben sollte, die durch die Umstände zu Tage getretene erhebliche kriminelle Energie des Klägers nicht entfallen, der das Strafgericht durch die Verhängung einer mehrjährigen Freiheitsstrafe gegenüber einem Ersttäter Rechnung getragen hat. Was die Beziehung zu seinem Herkunftsstaat angeht, stellt das angefochtene Urteil fest, dass der Kläger dort bis zu seinem 18. Lebensjahr gelebt hat, die Landesprache beherrscht und auch noch über familiäre Kontakte verfügt. Weshalb sich weder diese vorhandenen Kontakte beleben lassen, noch im Alter des Klägers keine Möglichkeit mehr bestehen soll, ein neues Sozialgefüge aufzubauen, wird mit dem Zulassungsbegehren nicht dargelegt.

Das Zulassungsvorbringen vermag mit diesen Ausführungen auch den Ausspruch des Verwaltungsgerichts zur Befristung der Ausweisung nicht in Frage zu stellen. Mit der durch die Art und Schwere der Vortat und den nach Strafverbüßung weitgehend unveränderten Lebensverhältnissen des Klägers begründeten Wiederholungsgefahr setzt sich die Antragsbegründung nicht auseinander und zeigt auch keine Abwägungselemente auf, deren Gewicht demgegenüber die erstrebte Befristung auf den Tag der gerichtlichen Entscheidung oder auch nur eine weitere Verkürzung rechtfertigen würde.

II.

Die Berufung kann auch nicht hinsichtlich der – mangels Vornahme durch die zum Gesetzesvollzug berufene Ausländerbehörde – vom Gericht ausgesprochenen Verpflichtung, die Wirkungen der Ausweisung auf drei Jahre zu befristen, auf den Antrag des Beklagten zugelassen werden. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils, auf die sich der Beklagte offenbar berufen möchte, sind insoweit nicht dargelegt (§§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO). Die Ausführungen zur Begründung des Zulassungsantrages lassen nicht schlüssig erkennen, weshalb im Fall des Klägers die Frist von drei Jahren zu niedrig bemessen sein soll. Aus den zitierten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts folgt nicht zwingend, dass nach einer Verurteilung wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei zu vier Jahren Freiheitsstrafe unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände des Einzelfalls eine längere Befristung vorzunehmen wäre; das Verwaltungsgericht ist auch nicht davon ausgegangen, dass bei einer Ausweisung im Anschluss an eine strafrechtliche Verurteilung die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren im Fall des Klägers einschlägig wäre. Die von ihm vorgenommene Gewichtung der Wiederholungsgefahr angesichts der dem Kläger zu attestierenden positiven Ansätze nach Tatbegehung und während der Strafhaft „im unteren Drittel des relevanten Gefahrenbereichs“ wird durch die wiederholenden Ausführungen zur vom Verwaltungsgericht nicht verkannten Art und Schwere der Straftat und der dabei zutage getretenen kriminellen Energie des Klägers nicht substantiell in Frage gestellt.

III.

Die Kostenentscheidung folgt jeweils aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG; dabei ist die Befristung der Wirkungen einer Ausweisung entsprechend der Streitwertpraxis des Senats mit zwei Fünftel des Auffangwertes anzusetzen.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).