Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 1. Senat | Entscheidungsdatum | 06.06.2012 | |
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Aktenzeichen | OVG 1 N 28.11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 8 Abs 1 GG, § 124 Abs 2 Nr 1 VwGO, § 124 Abs 2 Nr 3 VwGO, § 21 Abs 1 SOG BE, § 34 Abs 1 Nr 1 SOG BE, § 35 Abs 1 Nr 1 SOG BE, § 38 Nr 1 SOG BE |
Zu den Voraussetzungen einer Identitätsfeststellung und Durchsuchung bei Verdacht des Ausspähens polizeilicher Maßnahmen durch gewaltbereite Demonstranten vor einer Versammlung mit entsprechender Gefahrenprognose
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. Februar 2011 wird abgelehnt.
Die Kosten des Zulassungsverfahrens trägt der Kläger.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000 Euro festgesetzt.
Der auf die Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2Nr. 1 VwGO) sowie der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
I.
Der Kläger wendet sich im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage gegen die Feststellung seiner Identität und die Durchsuchung seiner Person und seiner Tasche im Vorfeld einer am Potsdamer Platz beginnenden und endenden Versammlung am 12. September 2009 zum Thema „Stopp den Überwachungswahn - Gegen zunehmende Überwachungsmaßnahmen und Zensurbestrebungen in Staat und Wirtschaft“, bei der mit der Teilnahme einer größeren Anzahl gewaltbereiter Personen aus dem sog. schwarzen Block gerechnet wurde. Der Kläger und sein Begleiter waren vom Veranstalter der Demonstration als eines von fünf mit Funkgeräten ausgestatteten Beobachterteams eingesetzt und beobachteten die polizeiliche Vorkontrolle potentieller Versammlungsteilnehmer im Bereich E…straße. Dies nahmen Beamte einer in der V…straße positionierten Einsatzhundertschaft in Unkenntnis von dem Einsatz der Beobachter durch den Veranstalter der Versammlung zum Anlass für die streitgegenständlichen Maßnahmen. Nach Durchführung der Maßnahmen und Klärung des Sachverhalts konnten der Kläger und sein Begleiter ihre Tätigkeit fortsetzen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Tatbestandsvoraussetzungen der beanstandeten Standardmaßnahmen nach § 21 Abs. 1 und § 34 Abs. 1 Nr. 1, § 35 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 38 Nr. 1 Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) seien erfüllt. Die Identitätsfeststellung sei zur Abwehr einer konkreten Gefahr erforderlich gewesen; die Durchsuchung sei in diesem Zusammenhang zulässig gewesen, weil danach die Annahme des Mitführens von Gegenständen berechtigt gewesen sei, die zur Gefahrenabwehr sicherzustellen gewesen wären. Wegen des auffälligen Verhaltens des Klägers und seines Begleiters, die für die Polizei nicht als von dem Veranstalter eingesetztes Beobachterteam erkennbar gewesen seien, sowie wegen des Mitführens eines Funkgeräts habe die auf Tatsachen beruhende Anscheinsgefahr bzw. zumindest ein ausreichender Gefahrenverdacht bestanden, dass es sich um dem „schwarzen Block“ zuzurechnende gewaltbereite Personen gehandelt habe, die das Einsatzverhalten der Polizei ausspähen wollten.
Hiergegen wendet der Kläger ein, es habe keine für ein Eingreifen der Polizei erforderliche Gefahr vorgelegen. Die Polizei hätte ohne die beanstandeten Eingriffe durch Nachfrage beim Veranstalter leicht aufklären können und müssen, dass er und sein Begleiter als Beobachter eingesetzt gewesen seien. Ein bloßer Gefahrenverdacht reiche für eine Identitätsfeststellung und Durchsuchung insbesondere vor dem Hintergrund des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nicht aus; diese Maßnahmen der Gefahrenabwehr seien zur Gefahrerforschung nicht zulässig, jedenfalls hier nicht erforderlich gewesen.
II.
1. Mit diesem Vorbringen ist der geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Richtigkeitszweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht dargelegt. Der Kläger hat die Bewertung des Verwaltungsgerichts, dass aus der maßgeblichen Sicht der Polizeibeamten vor Ort (sog. ex-ante-Beurteilung, vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juli 1975 - I C 35.70 - BVerwGE 49, 36, juris Rn. 32) unter Berücksichtigung des Polizeieinsatzes im Vorfeld der Versammlung die Maßnahmen zur Abwehr einer Gefahr erforderlich waren, nicht durch eine auf ein anderes Entscheidungsergebnis führende schlüssige Gegenargumentation erschüttert. Das Verhalten des Klägers und seines Begleiters, der sichtbar den Schallschlauch eines Funkgeräts trug, ist von den Beamten objektiv zutreffend als Beobachtung der polizeilichen Vorkontrolle potentieller Versammlungsteilnehmer gedeutet worden. Der anzunehmende Einsatz eines Funkgerätes sprach dafür, dass sie Informationen über das Geschehen an Dritte weitergaben. Das ließ die Schlussfolgerung zu, dass auf diese Weise ein Umgehen der Vorkontrollen ermöglicht und der Standort eingesetzter Polizeikräfte weitergegeben werden sollte, um gewaltbereiten Personen Ausschreitungen im Verlauf der Versammlung zu ermöglichen, was wiederum den Rückschluss auf die Zugehörigkeit des Klägers und seines Begleiters zu diesem Personenkreis zuließ. Die Weitergabe in solcher Weise erlangter Informationen über den Polizeieinsatz an gewaltbereite Versammlungsteilnehmer beeinträchtigt mit der Funktionsfähigkeit des Staates – hier die Wahrnehmung der polizeilichen Aufgaben im Zusammenhang mit der angemeldeten Versammlung – ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 7. Juni 1978 – IV A 330/77 – NJW 1980, 138 und nachfolgend BVerwG, Beschluss vom 14. Juli 1980 – 1 B 327/78 – juris). Diese konkrete Gefahrenlage entfällt nicht dadurch, dass sich mit dem Hinzutreten weiterer Informationen, u.a. infolge der Identitätsfeststellung und der Durchsuchung, herausstellte, dass tatsächlich keine Weitergabe von Informationen an potentielle Störer erfolgte, letztlich also eine - für die in Rede stehenden Maßnahmen tatbestandlich ausreichende - Anscheinsgefahr gegeben war (vgl. zur Anscheinsgefahr als konkreter Gefahr: BVerwG, a.a.O., juris Rn. 33 f.).
In diesem Zusammenhang führt es nicht weiter, wenn der Kläger sich auf das Vorliegen eines auch vom Verwaltungsgericht gesehenen „konkreten Gefahrenverdachts“ berufen möchte und die Auffassung vertritt, dass ein solcher für die Maßnahmen nach dem Gesetz nicht ausreiche. Das übersieht zunächst in tatsächlicher Hinsicht, dass die Polizei von einer Sprechfunkverbindung und damit einer laufenden Weitergabe von Informationen und deshalb nicht mehr nur von einer Gefahr im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1974 - I C 31.72 - BVerwGE 45, 51, juris Rn. 32 m.w.Nachw.), sondern bereits von einer Störung auszugehen hatte und deshalb auch nicht zuwarten konnte, bis etwa eine über die Einsatzleitung zu stellende Anfrage beim Veranstalter den Kläger entlastende Umstände ergeben hätte. Im Übrigen verkennt das Vorbringen, dass die Identitätsfeststellung und die Durchsuchung ihrer Natur nach Maßnahmen sind, die der weiteren Aufklärung der Gefahrenlage dienen, indem am Geschehen beteiligte Personen namhaft gemacht werden und ihr Gefährdungspotential näher festgestellt wird, also nicht immer als Maßnahme der unmittelbaren Gefahrenabwehr, sondern auch als dieser vorgelagerte, oftmals und typischerweise miteinander einhergehende Gefahrerforschungseingriffe zu verstehen sind (vgl. auch Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl. 2010, § 18 Rn. 9). Nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 1 Satz 1 ASOG Bln werden die Ordnungsbehörden und die Polizei zur Feststellung der Identität einer Person ermächtigt, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr oder zur Erfüllung der ihnen durch andere Rechtsvorschriften übertragenen Aufgaben erforderlich ist. Das bedeutet nicht zwingend, dass die Gefahr bereits durch die Identitätsfeststellung abgewehrt werden muss; die Maßnahme kann auch der Vorbereitung von Maßnahmen der Gefahrenabwehr dienen.
Auf die vom Kläger anstelle dieser Maßnahmen präferierte Befragung seiner Person bzw. eine telefonische Rückfrage beim Veranstalter hätte - ohne die vorherige Feststellung der Identität - bei objektiver Betrachtung keinen vergleichbar verlässlichen Informationswert gehabt, um die zu besorgende Gefahr sicher entkräften zu können. Schließlich war auch bei einer Beauftragung durch den Veranstalter denkbar, dass die Beobachtungs- und Meldetätigkeit nicht auf diesen Auftrag beschränkt war. Allerdings konnte aufgrund der Kennziffer des bei der Durchsuchung gefundenen Funkgeräts sicher festgestellt werden, dass die Angabe des Klägers, vom Veranstalter beauftragt zu sein, zutraf. Die Bewertung des Klägers könnte nur greifen, wenn seine Tätigkeit im Dienste des Veranstalters nach außen erkennbar gewesen wäre, etwa, wenn er sich – wie dies in § 9 Abs. 1 Satz 2 Versammlungsgesetz für Ordner vorgeschrieben ist - entsprechend kenntlich gemacht hätte. Durch sein insoweit verdecktes Auftreten hat der Kläger selbst dazu beigetragen, dass die beanstandeten Maßnahmen vorgenommen wurden.
Entgegen dem Vorbringen des Klägers ist ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne auch angesichts der hohen Bedeutung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) nicht ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hat sich ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob unter den hier obwaltenden Umständen das Versammlungsrecht das allgemeine Polizeirecht verdrängt und hat diese Frage zutreffend verneint (Urteilsabdruck S. 5). Der Kläger war zum Zeitpunkt der Durchführung der Maßnahmen noch nicht Teilnehmer der Versammlung, sondern konnte sich im Vorfeld der Versammlung nur auf Vorwirkungen des Versammlungsgrundrechts berufen. Dass die Maßnahmen der Identitätsfeststellung und Durchsuchung auf ihn oder andere Versammlungsteilnehmer einschüchternd oder diskriminierend gewirkt haben könnten, ist nicht hinreichend dargetan. Er und sein Begleiter konnten nach Klärung des Sachverhalts ihre Tätigkeit unbehelligt fortsetzen. Im Übrigen waren die Maßnahmen - wie ausgeführt - durch eine konkrete Gefahrenlage veranlasst, so dass sie in ihrer Wirkung schon nicht mit Identitätskontrollen von potentiellen Versammlungsteilnehmern im Vorfeld einer Versammlung gleichgesetzt werden können.
2. Der Kläger zeigt auch keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO auf. Dieser Zulassungsgrund liegt nur dann vor, wenn in der Rechtssache eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Frage aufgeworfen wird, deren Beantwortung in einem künftigen Berufungsverfahren zur Wahrung der Einheitlichkeit oder zur Fortentwicklung des Rechts geboten ist. Dies ist hier nicht der Fall. Die Frage, ob nach § 21 und §§ 34 f. ASOG Bln - auch im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 GG - der Verdacht des Bestehens einer Gefahr ausreicht, ist allgemein zu bejahen und bedarf daher keiner obergerichtlichen Klärung. Ob ein solcher Verdacht allein darauf gestützt werden kann, dass sich die betroffene Person in der Nähe einer polizeilichen Vorkontrolle unter Mitführen eines Funkgerätes aufhält, wäre - abgesehen davon, dass dies vom Verwaltungsgericht so nicht festgestellt worden ist - eine Frage des Einzelfalls und schon deswegen einer grundsätzlichen Klärung nicht zugänglich. Sofern die Zulassungsbegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache mit dem Fehlen von obergerichtlicher Judikatur jedenfalls in Bezug auf Durchsuchungen bei Vorliegen eines Gefahrenverdachts begründen will, so greift auch dieser Ansatz nicht durch. Die in diesem Zusammenhang als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, ob es für die Feststellung der Identität von Versammlungsteilnehmern, deren Durchsuchung und der von ihnen mitgeführten Sachen, ohne dass eine konkrete personenbezogene Gefahr vorliegt, eine dem sächsischen Polizeirecht (vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 4, § 24 Nr. 7 SächsPolG) vergleichbare Ermächtigungsgrundlage bedarf, würde sich in dem beantragten Berufungsverfahren nicht stellen, weil die Polizeibeamten nach den unstreitigen Umständen des vorliegenden Falles vom Vorliegen einer konkreten Gefahr ausgehen konnten. Insofern kann auch die Richtigkeit der zum Beleg einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache aufgestellten Behauptung des Klägers dahinstehen, dass sich in Berlin eine polizeiliche Praxis eingebürgert habe, nach der unabhängig von konkreten, die Annahme eine Gefahr begründenden Tatsachen Versammlungsteilnehmer auf dem Weg zu einer Versammlung durchsucht und deren Identität festgestellt werde. Denn die den Gegenstand des Verfahrens bildenden Maßnahmen hatten einen konkreten Anlass und können deshalb schon nicht als Anwendungsfall einer solchen, vom Kläger behaupteten Praxis anerkannt werden, so dass es auf die Rechtmäßigkeit einer solchen Praxis in einem Berufungsverfahren auch nicht entscheidungserheblich ankommen würde.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).