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Vergütungspflicht eines Praktikantenverhältnisses, das für die Erlangung der Berufsbezeichnung "Rettungsassistent" Voraussetzung ist.


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 9. Kammer Entscheidungsdatum 27.06.2012
Aktenzeichen 9 Sa 2359/11 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 7 Abs 1 RettAssG, § 17 BBiG, § 26 BBiG

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel vom 15.09.2011 – 2 Ca 378/11 – im Kostenausspruch und insoweit geändert, wie die Beklagte zur Zahlung von mehr als 8.956,92 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.05.2011 verurteilt worden ist, und die Klage auch insoweit abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits I. Instanz haben der Kläger 70 %, die Beklagte 30 %, von den Kosten der Berufungsinstanz haben der Kläger 17 %, die Beklagte 83 % zu tragen.

IV. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der zweiten Instanz noch über eine Praktikumsvergütung.

Der am …..1984 geborene Kläger absolvierte in der Zeit vom 03.12.2007 bis zum 03.12.2008 bei der nicht tarifgebundenen Beklagten ein sog. Lehrwachen-Praktikum auf der Grundlage der tariflichen Regelwochenarbeitszeit, wobei sich die Parteien darin einig sind, dass dies die in § 7 Abs. 1 TVöD geregelte Wechselschicht-Arbeitszeit von 40 Wochenstunden war. Ein solches sog. Anerkennungsjahr ist gemäß § 7 Abs. 1 Rettungsassistentengesetz (RettAssG) für die Erlangung der vom Kläger angestrebten Berufsbezeichnung „Rettungsassistent" erforderlich und nach einer – auch vom Kläger absolvierten – schulischen Ausbildung und deren Abschluss mit staatlicher Prüfung zu leisten. In der zum Praktikum abgeschlossenen Vereinbarung wurde ausdrücklich festgelegt, dass die Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes und des Personalvertretungsgesetzes nicht zur Anwendung kämen, der Praktikant nicht den arbeitsrechtlichen Grundsätzen eines Ausbildungs- bzw. Beschäftigungsverhältnisses und der gesetzlichen Sozialversicherungspflicht unterliege und kein Entgelt erhalte.

Nachdem der Kläger in den ersten drei Monaten seines Praktikums (zumindest überwiegend) auf dem Krankentransportwagen oder als „3. Mann“ auf dem Rettungswagen eingesetzt worden war, hatte er ab dem 15.03.2008 auch betriebliche Aufgaben zu erfüllen und nahm an Einsätzen neben einem Rettungsassistenten oder erfahrenen Rettungssanitäter als „2. Mann“ teil. Am 29.02.2008 vereinbarten die Parteien einen Aushilfsarbeitsvertrag, demzufolge der Kläger im Zeitraum 01.03. bis 31.12.2008 als Rettungsdienstmitarbeiter an 20 Wochenstunden zu einem monatlichen Festentgelt 400 € beschäftigt werden sollte. Von März bis Dezember 2008 zahlte die Beklagte dem Kläger ein monatliches Entgelt von 400 € brutto. Am 03.12.2008 erteilte die Beklagte dem Kläger die Bescheinigung über die erfolgreiche Ableistung der praktischen Tätigkeit, wonach der Kläger den Antrag auf stattliche Anerkennung stellte. Zum 01.01.2009 wurde der befristete Arbeitsvertrag bis zum 30.06.2009 verlängert und die Vergütung auf 800 € angehoben. Der folgende Vertrag sah dann die unbefristete Beschäftigung zu 40 Wochenstunden bei einem Verdienst von 1.600 € vor. Am 04.01.2010 erhielt der Kläger die Erlaubnis, die Berufungsbezeichnung „Rettungsassistent“ zu führen.

Der Kläger hatte, bevor er das Praktikum antrat, bereits eine Ausbildung zum Gas-Wasser-Installateur absolviert, in unmittelbarem Anschluss daran seinen Wehrersatzdienst geleistet und sich sodann zu der weiteren Ausbildung zum Rettungsassistenten entschlossen.

Mit seiner Klage hat der Kläger neben weiteren Ansprüchen die Vergütung für die 12 Monate seines Praktikums für Rettungsassistenten-Praktikanten nach dem Tarifvertrag für Praktikantinnen/Praktikanten des öffentlichen Dienstes (TVPöD) in Höhe von 1.201,25 € brutto monatlich unter Anrechnung des erhaltenen Entgelts, insgesamt 10.815,00 € brutto, nebst Zinsen verlangt. Er hat sich zur Begründung auf die Unwirksamkeit der Praktikumsvereinbarung hinsichtlich der Entgeltzahlung und einen durch §§ 19, 10 BBiG (die allerdings schon am 1. April 2005 durch die §§ 26, 17 BBiG nF ersetzt wurden) begründeten Anspruch berufen, der der Höhe nach dem des TVPöD entspricht. Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, für eine Vergütung des Anerkennungsjahres gebe es keine gesetzliche Grundlage. Es würden dafür auch keine Gelder zur Verfügung gestellt. Im Übrigen sei das vom Kläger geforderte Praktikumsentgelt auch nicht branchen- oder ortsüblich, denn überwiegend werde Praktikanten kein Entgelt gezahlt, allenfalls erhielten sie Leistungen durch Dritte.

Von einer weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird unter Bezugnahme auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils abgesehen (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

Durch Urteil vom 15.09.2011 hat das Arbeitsgericht neben der Abweisung der Klage im Übrigen dem Kläger die beantragte Vergütung nach dem TVPöD unter Anrechnung des erhaltenen Entgelts von März bis November 2008, also 10815,00 € brutto, nebst Zinsen zugesprochen. Dies hat es im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger während seines Praktikums als vollwertiger Rettungssanitäter eingesetzt worden sei, andererseits aber auch die seiner Fortbildung dienenden Anleitungen erhalten habe. Daher stehe ihm gemäß § 612 Abs. 2 BGB als Vergütung diejenige für Praktikanten des öffentlichen Dienstes zu, die als übliche anzusehen sei, weil Mitarbeiter bei den J. und beim D. R. K. eine entsprechende Vergütung erhielten. Die Vereinbarung eines Entgelts von 400 € erfülle den Tatbestand eines wucherähnlichen Geschäfts, weil Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis stünden und die Beklagte mit dem Kläger bewusst nicht die Anwendung des TVöD und trotz der Vollzeitverpflichtung eine 20-Stunden-Woche vereinbart habe.

Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Gegen das ihr am 26.10.2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 24.11.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangene und mit einem am 23.12.2011 eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung der Beklagten.

Die Beklagte wendet sich weiter gegen die Zuerkennung einer Praktikantenvergütung. Sie rügt, dass das Arbeitsgericht der nicht näher begründeten Ansicht des Klägers gefolgt sei, ihm stehe eine Vergütung nach dem öffentlichen Tarifrecht zu. Sie verweist demgegenüber auf ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin (6 Sa 444/11, 6 Sa 456/11), das Maßnahmen der beruflichen Fortbildung von der Vergütungspflicht ausgenommen hatte. Außerdem beruft sie sich auf die zwischen den Landkreisen und Krankenkassen abgestimmten Stellenpläne, die eine Besetzung der Rettungswachen mit Praktikanten überhaupt nicht vorsähen, demzufolge auch nicht deren Finanzierung. Zudem sei weder die Auffassung des Arbeitsgerichts begründet, dass Praktikanten bei den J. und dem D. R. K. eine Vergütung entsprechend dem TVPöD erhielten, noch die Auffassung des Klägers, dass sie selbst stets das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes anwende. Dass Praktikanten in Brandenburg mehrheitlich überhaupt eine Vergütung gezahlt werde, bestreitet sie ebenfalls, und zur Orts- und Branchenüblichkeit des unterstellten Tariflohns habe der Kläger auch nichts vorgetragen. Dass er vom 15.03. bis 30.11.2008 auch mit Tätigkeiten betraut war, die ganz überwiegend im betrieblichen Interesse lagen, habe sie mit dem Arbeitsvertrag vom 29.02.2008 berücksichtigt. Überdies sei der Kläger nur im Umfang von maximal knapp 527 Stunden an Einsätzen und deren Nachbereitung beteiligt gewesen, was im Verhältnis zu seiner Praktikumszeit von 1.920 Stunden nur 27,43 % ausmache. Daraus rechtfertige sich allenfalls ein Vergütungsanspruch von insgesamt 3.730,48 €, der mit der Zahlung von 3.600 € auch annähernd erfüllt worden sei. Außerdem habe der Kläger weitere Einkünfte gehabt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel vom 15.09.2011 – 2 Ca 378/11 – abzuändern und die Klage auch insoweit anzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und nimmt mit Zustimmung der Beklagten die Klage in Höhe von 400 € zurück.

Der Kläger beruft sich darauf, dass er die insgesamt 1.920 Stunden überwiegend im betrieblichen Interesse abgeleistet habe. Die von der Beklagten genannten Einsatzzeiten und deren Inhalte bestreitet er. Er sei stets als Rettungssanitäter eingeteilt gewesen, worauf gelegentliche Fortbildungsveranstaltungen kaum Einfluss gehabt hätten. Ehemalige Praktikanten der J. Unfallhilfe und des D. R. K. in Brandenburg könnten den Erhalt eines Ausbildungsgeldes in beantragter Höhe bestätigen. Der Anspruch sei auch wegen unangemessener Benachteiligung bei der Vereinbarung von Geschäftsbedingungen begründet. Denn die Beklagte habe mit ihrer Vertragsgestaltung, die sie auch bei anderen Praktikanten praktiziere, die Vergütung der Dienste bewusst umgehen wollen. Auf die konkreten Einsatzzeiten komme es dabei nicht an, auch die Wartezeit zwischen den Einsätzen zähle zur Arbeitszeit.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vortrags der Parteien in zweiter Instanz wird auf die dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte noch einen Schriftsatz eingereicht, in dem sie Schriftsätze des Klägers in anderen Verfahren moniert, das Berufsbildungsgesetz für gänzlich unanwendbar erklärt, insbesondere für die Schulausbildung, und sich im Übrigen nochmals mangels geltender Regelung generell gegen die Vergütungspflicht für Rettungsassistenten-Praktikanten wendet.

Entscheidungsgründe

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung ist frist- und formgerecht im Sinne von § 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden und erweist sich damit als zulässig.

Die mündliche Verhandlung musste trotz des nachgereichten Schriftsatzes nicht wiedereröffnet werden, denn die Ausführungen der Beklagten enthalten weder neue Tatsachen noch neue Gesichtspunkte, insbesondere keine rechtlichen Aspekte, die das Gericht aufgrund der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung nicht bereits gewürdigt hatte oder zu denen der anderen Partei rechtliches Gehör zu gewähren war.

II.

Die Berufung hat nur teilweise Erfolg. Der Kläger hat zwar gemäß den §§ 26, 17 Abs. 1 BBiG Anspruch auf eine Vergütung seines Praktikums in der Zeit vom 03.12.2007 bis 03.12.2008; diese fällt jedoch niedriger als beantragt aus. Außerdem ist der Zinsanspruch nur in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz und erst ab 23.05.2011 begründet.

1.

Der Kläger hatte in der Zeit vom 03.12.2007 bis 03.12.2008 zunächst ausschließlich ein Vertragsverhältnis als Praktikant mit der Beklagten. Dieses wurde ab 01.03.2008 noch durch ein Arbeitsverhältnis ergänzt. Das Praktikantenverhältnis war auf 40 Wochenstunden angelegt, während das Arbeitsverhältnis nur 20 Wochenstunden umfasste. Nach der Vertragslage wurde der Kläger mit 400 € im Rahmen des Arbeitsverhältnisses vergütet.

Es ist davon auszugehen, dass die Parteien mit dieser Vertragsgestaltung nicht den Praktikantenvertrag im Umfang von 40 Wochenstunden einschränken, sondern nur einen Weg finden wollten, diejenigen Dienste des Klägers zu vergüten, die er im Rahmen des Praktikantenverhältnisses überwiegend im betrieblichen Interesse erbracht hat. Der Arbeitsvertrag hat also den Praktikantenvertrag nur überlagert, ihn nicht teilweise ersetzt, denn die Tätigkeiten, die der Kläger im Arbeitsverhältnis erbracht hat, wurden ihm auf seine Praktikantentätigkeit angerechnet. So hat es auch die Beklagte unwidersprochen vorgetragen.

Daher gilt die im vereinbarten Arbeitsverhältnis vereinbarte und gezahlte Vergütung auch und gleichzeitig als (Teil-)Vergütung des Praktikantenverhältnisses.

2.

Hinsichtlich der in der Berufungsinstanz noch verbliebenen Klageforderung war zunächst die Frage zu beantworten, ob die Praktikantentätigkeit dem Grunde nach überhaupt zu vergüten war. Dies ist auch aus Sicht der erkennenden Kammer zu bejahen. Der Anspruch ergibt sich aus jedoch nicht aus § 612 Abs. 2 BGB, sondern aus §§ 26, 17 BBiG. Denn der Kläger wurde zur Erlangung einer anerkannten Berufsausbildung eingestellt, um berufliche Fertigkeiten, Kenntnisse, Fähigkeiten oder berufliche Erfahrungen zu erwerben, ohne dass es sich um ein Arbeitsverhältnis oder ein Berufsausbildungsverhältnis handelte. Demnach findet § 17 BBiG Anwendung, wonach eine „angemessene“ Vergütung zu erfolgen hat.

a) Der Begriff des Praktikanten ist im Gesetz nicht geregelt. Überwiegend wird darunter ein in einem Betrieb vorübergehend tätiger Mitarbeiter angesehen, der sich zur Vorbereitung auf einen Beruf oder eine bestimmte Tätigkeit die notwendigen praktischen Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen aneignen will. Häufig ist das Praktikum, in dem keine systematische Berufsausbildung mehr stattfindet, Teil einer Gesamtausbildung, das für die Zulassung zum Studium oder Beruf benötigt wird. Steht dabei der Ausbildungszweck im Vordergrund, handelt es sich um ein Vertragsverhältnis eigener Art (ein „anderes Vertragsverhältnis“ iSv § 26 BBiG), weil es weder ein Arbeitsverhältnis noch ein Berufsausbildungsverhältnis darstellt. In Abgrenzung dazu ist bei einem Arbeitsverhältnis die Leistung von Diensten nach Weisung des Dienstberechtigten und die Zahlung von Entgelt Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses, während ein Berufsausbildungsverhältnis eine systematische Fachausbildung voraussetzt.

b) Nach dieser Definition handelte es sich bei dem vorliegend vereinbarten Praktikantenverhältnis um ein Vertragsverhältnis zur Erlangung einer Berufsausbildung, das weder ein Arbeitsverhältnis noch ein Berufsausbildungsverhältnis darstellt, so dass die Voraussetzungen des § 26 BBiG vorliegen.

aa) Die Ausbildung zum Rettungsassistenten ist eine gesetzlich geregelte Berufsausbildung, die dem Kapitel 1 von Teil 2 des BBiG unterliegt. Allerdings haben die Parteien kein Berufungsausbildungsverhältnis begründet, denn die systematische Fachausbildung hatte der Kläger bereits in und während der schulischen Ausbildung genossen, und im Praktikum fand sie nicht mehr statt, konnte auch nicht mehr stattfinden, weil die Notfalleinsätze nicht planbar sind. Dort ging es nur noch um die Aneignung von Erfahrungswissen.

Anders als das Krankenpflegegesetz enthält das RettAssG auch nicht den Anwendungsausschluss des BBiG (dort in § 22), so dass nicht bereits deshalb die Anwendbarkeit des § 26 BBiG entfällt. Der Anwendungsausschluss ist auch nicht in Analogie herzuleiten, weil das KrPlfG im Gegensatz zum RettAssG Regelungen über eine Ausbildungsvergütung enthält.

bb) Das Praktikantenverhältnis war auch kein Arbeitsverhältnis, weil es den Parteien nicht vorrangig um die Leistung von Diensten und deren Bezahlung ging, sondern der Ausbildungszweck im Vordergrund stehen sollte. Dagegen sprechen auch nicht die betriebliche Eingliederung des Klägers und seine Beteiligung an Rettungseinsätzen. Denn sowohl die Erfahrung einer Tätigkeit im Schichtbetrieb wie auch die konkrete Tätigkeit im Ausbildungsberuf sind Teil der notwendig anzueignenden Kenntnisse und Erfahrungen (vgl. zum Erfordernis der „Einstellung“ bei einem „anderen Vertragsverhältnis“ iSv § 19 BBiG aF, das durch ein Mindestmaß an Pflichtenbindung bei der Mitwirkung am Betriebszweck gekennzeichnet ist: BAG vom 17.07.2007 – 9 AZR 1031/06 – AP Nr. 3 zu § 19 BBiG).

cc) Im Gegensatz zu dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24.06.2011 (6 Sa 444/11, 6 Sa 456/11) zugrunde lag, war vorliegend auch nicht von einem beruflichen Fortbildungsverhältnis auszugehen. Ein solches liegt nur vor, wenn vorhandene berufliche Kenntnisse an den technischen Wandel oder andere Veränderungen der Arbeitsumwelt angepasst werden oder der Verbreiterung bestehender Kenntnisse im bisherigen Berufsfeld dienen. Das war hier unstreitig nicht der Fall.

dd) Auch ein Umschulungsverhältnis kann nicht angenommen werden. Der Kläger hatte zwar eine berufliche Ausbildung zum Gas-Wasser-Installateur abgeschlossen, jedoch unmittelbar im Anschluss daran seinen Wehrersatzdienst geleistet und danach ohne Aufnahme einer Berufstätigkeit die schulische Ausbildung zum Rettungsassistenten begonnen.

(1) Das Bundesarbeitsgericht unterscheidet zwischen der erstmals vermittelten beruflichen Grundbildung und der Umschulung nach vorhergehender Betätigung im erlernten Beruf. Da das Berufsbildungsgesetz die Erfordernisse der Umschulung nach der Erwachsenenbildung ausrichte (§ 58, 59 BBiG), spreche dies dafür, dass zwischen der Berufsausbildung und der Umschulung eine berufliche Praxis liege. Dagegen könne eine Zweitausbildung zu einem anerkannten Ausbildungsberuf im Anschluss an eine vorhergehende abgeschlossene Berufsausbildung nicht als Umschulung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes angesehen werden, wenn es an einer erheblichen zwischenzeitlichen beruflichen Betätigung in dem zuerst erlernten Beruf fehle. Deshalb sei eine zweite Berufsausbildung im Anschluss an eine vorhergehende Berufsausbildung in einem anderen Ausbildungsberuf eine erneute Berufsausbildung und könne nicht als Umschulung angesehen werden (BAG vom 03.06.1987 – 5 AZR 285/86 – AP Nr. 85 zu § 1 TVG Tarifverträge Bau).

(2) Danach handelt es sich hier nicht um eine Umschulung, sondern um eine zweite Berufsausbildung. Der Kläger hat seine schulische Ausbildung zum Rettungsassistenten spätestens ein halbes Jahr nach Ableistung des Grundwehrdienstes im Alter von 22 Jahren begonnen. In seinem erstmals erlernten Beruf kann er deshalb allenfalls fünf Monate gearbeitet haben. Wegen des Zeitraums von fünf Monaten zwischen beiden Ausbildungen ist jedoch nicht anzunehmen, es habe sich bei Aufnahme der weiteren Ausbildung um eine Umschulung gehandelt (vgl. BAG vom 03.06.1987 – 5 AZR 285/86 – aaO, Rn. 18).

3.

Der Kläger wurde für seine Praktikantentätigkeit nicht „angemessen“ iSv § 17 BBiG vergütet.

Da der Anspruch auf eine angemessene Vergütung gemäß § 25 BBiG unabdingbar ist, ist die Vereinbarung der Unentgeltlichkeit ebenso wie die Vergütungsabrede in Höhe von 400 € brutto für erbrachte Dienste gemäß § 134 BGB nichtig und durch die Regelung einer angemessenen Vergütung zu ersetzen. Diese richtet sich nach dem Tarifvertrag über die Regelung der Arbeitsbedingungen der Praktikantinnen/Praktikanten (TV Prakt-O) und beträgt monatlich 1.046,41 € brutto.

a) Die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung wird im Gesetz selbst nicht festgelegt und ist daher nach Sinn und Zweck zu ermitteln. Sie ist mit dem tariflich für Rettungsassistenten-Praktikanten im öffentlichen Dienst festgelegten, der auch dem eines weiteren Trägers von Rettungsdienststellen, dem D. R. K. (DRK), entspricht, als zutreffend anzusehen.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 10 BBiG aF hat eine Ausbildungsvergütung regelmäßig drei Funktionen. Sie soll den Auszubildenden und seine unterhaltsverpflichteten Eltern bei der Lebenshaltung finanziell unterstützen, die Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses an qualifizierten Fachkräften gewährleisten und die Leistungen des Auszubildenden in gewissem Umfang „entlohnen” (vgl. BAG vom 19.02.2008 – 9 AZR 1091/06 – AP Nr. 8 zu § 17 BBiG, Rn. 18; vom 15.12.2005 – 6 AZR 224/05 – AP Nr. 15 zu § 10 BBiG, Rn. 11; vom 08.05.2003 – 6 AZR 191/02 – AP Nr. 14 zu § 10 BBiG, Rn. 13).

Bei fehlender Tarifbindung ist es zunächst Aufgabe der Vertragsparteien, die Höhe der Vergütung festzulegen. Sie haben einen Spielraum. Die richterliche Überprüfung erstreckt sich nur darauf, ob die vereinbarte Vergütung die Mindesthöhe erreicht, die noch als angemessen anzusehen ist. Ob die Parteien den Spielraum gewahrt haben, ist unter Abwägung ihrer Interessen und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls festzustellen. Maßgeblich ist die Verkehrsanschauung (BAG vom 30.09.1998 – 5 AZR 690/97 – AP Nr. 8 zu § 10 BBiG, Rn. 17; vom 11.10.1995 – 5 AZR 258/94 – AP Nr. 6 zu § 10 BBiG, Rn. 13).

Wichtigster Anhaltspunkt für die Verkehrsanschauung sind auch bei fehlender Tarifbindung die einschlägigen Tarifverträge. Bei ihnen ist anzunehmen, dass das Ergebnis der Tarifverhandlungen die Interessen beider Seiten hinreichend berücksichtigt. Eine Ausbildungsvergütung, die sich an einem entsprechenden Tarifvertrag ausrichtet, gilt deswegen stets als angemessen (st. Rspr., vgl. BAG vom 15.12.2005 – 6 AZR 224/05 – aaO, Rn. 11 f.; vom 08.05.2003 – 6 AZR 191/02 – aaO, Rn. 14).

bb) Diese Grundsätze sind auch auf die Praktikantenvergütung übertragbar. Die finanzielle Unterstützungsfunktion bezüglich der Lebenshaltungskosten, die Gewährleistung eines ausreichenden Nachwuchses an qualifizierten Fachkräften und die „Entlohnungsfunktion“ gelten auch für Praktikanten, wobei je nach dem Einzelfall die eine oder andere Funktion in den Vordergrund treten mag.

Da die für den öffentlichen Dienst zuständigen Tarifvertragsparteien – bei dem Rettungsdienst handelt es sich immerhin um eine öffentliche Aufgabe – eigene Vergütungssätze für Rettungsassistenten-Praktikanten entwickelt haben, spricht nichts dagegen, diese auch hier als angemessene zugrunde zu legen, weil sie die Interessen beider Seiten hinreichend berücksichtigt. Weitere Träger von Rettungsdienststellen, wie das DRK oder die kirchlichen Wohlfahrtsverbände, haben diese Tarife auch übernommen.

cc) Die von dem Kläger vorgetragene und vom Arbeitsgericht angenommene tarifliche Vergütungshöhe trifft jedoch nicht zu. Der TVPöD trat erst zum 01.01.2010 in Kraft und galt daher noch nicht im streitgegenständlichen Zeitraum. Maßgeblich ist vielmehr der noch bis zum 28.02.2009 in dieser Fassung geltende Tarifvertrag über die Regelung der Arbeitsbedingungen der Praktikantinnen/Praktikanten (TV Prakt-O) vom 05.03.1991, der gemäß dem Tarifvertrag über die vorläufige Weitergeltung der Regelungen für Praktikantinnen/Praktikanten vom 12.10.2006 mit der Maßgabe weitergalt, dass ein Anspruch auf Verheiratetenzuschlag nicht mehr besteht.

Nach dem TV Prakt-O betrug die Praktikantenvergütung für den Beruf des Rettungsassistenten ab 01.05.2004 monatlich 1.046,41 €. Dies ist die Höhe, die auch für die Vergütung des Klägers maßgeblich ist.

b) Mit der anfänglichen Unentgeltlichkeit und späteren Vergütung von 400 € monatlich wurde die tarifliche Vergütung um mehr als 60% unterschritten und ist daher nicht mehr angemessen.

aa) Eine Ausbildungsvergütung ist in der Regel nicht mehr angemessen iSv § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG, wenn sie die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20% unterschreitet (vgl. nur BAG vom 08.05.2003 – 6 AZR 191/02 – aaO). Vorliegend wurde die tarifliche Vergütung sogar um mehr als 60% unterschritten.

bb) Die dem Kläger gewährte Vergütung ist auch nicht aus anderen Gründen angemessen. Die Beklagte kann sich insbesondere nicht mit Erfolg darauf berufen, die Ausbildungskosten würden nicht vollständig von den Krankenkassen refinanziert.

Auf die Höhe der Zuweisungen kommt es ebenso wenig an, wie auf die zwischen den Landkreisen und Krankenkassen abgestimmten Stellenpläne. Denn allein die Tatsache, dass der Ausbildende nur über beschränkte finanzielle Mittel verfügt, rechtfertigt keine Ausnahme von der gesetzlichen Pflicht, eine angemessene Ausbildungsvergütung zu gewähren. Die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung hat sich nicht am Budget zu orientieren, sondern ist bereits bei der Vereinbarung des Budgets für die vorgesehene Anzahl von Ausbildungsplätzen zu berücksichtigen. Sonst würde der reguläre Ausbildungsmarkt verfälscht. Das darf selbst im Fall staatlich geförderter Ausbildungsplätze nicht geschehen (vgl. BAG vom 19.02.2008 – 9 AZR 1091/06 – aaO, Rn. 44).

Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in die Angemessenheitskontrolle auch das Zusammenwirken mit einer Finanzierung durch öffentliche Gelder und Spenden Dritter einbezogen (vgl. BAG vom 08.05.2003 – 6 AZR 191/02 – aaO, Rn. 17 ff; vom 24.10.2002 – 6 AZR 626/00 – AP Nr. 12 zu § 10 BBiG, Rn. 37). Es hat jedoch als entscheidend den mit der Ausbildung verfolgten Zweck angesehen. Demnach kann, wenn die Ausbildung beispielsweise teilweise oder vollständig durch öffentliche Gelder zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze finanziert, eine Ausbildungsvergütung auch bei deutlichem Unterschreiten dieser Grenze noch angemessen sein (BAG vom 24.10.2002 – 6 AZR 626/00 – aaO, Rn 36; vom 11.10.1995 – 5 AZR 258/94 –aaO, Rn. 27 ff; vgl. bei Spendenfinanzierung auch Urteil vom 08.05.2003 – 6 AZR 191/02 – aaO). Eine Unterschreitung des Tarifniveaus um mehr als 20% kann danach z.B. gerechtfertigt sein, wenn der Ausbildende den Zweck verfolgt, die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen und auch Jugendlichen eine qualifizierte Ausbildung zu vermitteln, die sie ohne Förderung nicht erlangen könnten (BAG vom 08.05.2003 – 6 AZR 191/02 – aaO).

Eine solche Konstellation liegt hier aber nicht vor. Der Streitfall ist insbesondere nicht mit den vom Bundesarbeitsgericht beurteilten Sachverhalten zu vergleichen, in denen Ausbildungsplätze durch öffentliche Gelder oder Spenden finanziert wurden. Denn hier handelt es sich nicht um zusätzliche Ausbildungsplätze, sondern um Stellen, die dem regulären Ausbildungsmarkt zuzurechnen sind.

cc) Die Beklagte kann der Angemessenheit der Vergütung auch nicht entgegenhalten, dass der Kläger in den ersten drei Monaten des Praktikums noch als „3. Mann“ auf dem Rettungswagen mitgefahren ist und damit keine betrieblichen Aufgaben erfüllt hat. Denn es steht außer Frage, dass Praktikanten wie Arbeitnehmer ihre volle Arbeitsleistung anbieten, auch wenn sie dabei noch angelernt werden. Der möglicherweise eingeschränkten Effektivität in der Anfangsphase wird mit der niedrigeren Praktikantenvergütung Rechnung getragen.

Die uneingeschränkte Vergütungspflicht wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Kläger „nur“ an einer beschränkten Zahl von Rettungseinsätzen tätig war und damit „nur“ etwa ein Viertel seiner Arbeitszeit Tätigkeiten im betrieblichen Interesse verrichtet haben soll. Denn die Beklagte ist verpflichtet, stets ausreichendes Rettungspersonal in der Rettungswache bereitzuhalten, so dass auch die dort verbrachten Bereitschaftszeiten zu den notwendigen betrieblichen Aufgaben zu zählen sind und genauso zu vergüten sind wie die Einsatzzeiten.

4.

Dem Kläger steht daher für 12 Monate ein Vergütungsanspruch für sein Praktikum iHv 12.556,92 € (12x1.046,41 €) zu. Hierauf lässt er sich zu Recht die für 9 Monate gezahlten 400 € anrechnen, so dass ein Gesamtanspruch von 8.956,92 € gerechtfertigt ist. Durch Rücknahme der Klageforderung von 400 € verblieb eine geltend gemachte Klageforderung von 10.415 €, so dass ein Betrag von 1.458,08 der Abweisung unterliegen musste.

5.

Der Zinsanspruch ist gemäß §§ 286, 288, 291 BGB wegen Eintritts der Rechtshängigkeit gerechtfertigt, jedoch nur in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz und erst ab 23.05.2011, dem nächsten Werktag nach Eintritt der Rechtshängigkeit.

Aus dem Verhandlungsprotokoll vom 15.09.2011 wird ersichtlich, dass der Kläger zuletzt lediglich 4% Zinsen über dem Basiszinssatz beantragt hat, was nach richtiger Auslegung 4 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz meint, aber nicht 5 Prozentpunkte. Auch wenn der gesetzliche Zinssatz 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz beträgt, konnte dem Kläger nicht mehr als beantragt zugesprochen werden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO.

IV.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG).