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Entscheidung 15 Sa 290/12


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 15. Kammer Entscheidungsdatum 23.05.2012
Aktenzeichen 15 Sa 290/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 155 SGB 5, § 164 Abs 4 SGB 5

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26.01.2012 – 33 Ca 8012/11 – wird zurückgewiesen.

II. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26.01.2012 – 33 Ca 8012/11 – wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagte zu 75% und die Klägerin zu 25 % zu tragen.

IV. Die Revision wird nur für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten – wie in zahlreichen Parallelfällen – in rechtlicher Hinsicht darüber, ob die Schließung einer Betriebskrankenkasse zur gesetzlichen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses gemäß §§ 155, 164 SGB V geführt hat. Die Parteien streiten ferner über die Wirksamkeit einer Kündigung der Beklagten vom 19. Mai 2011 zum 30. Juni 2011 bzw. zum 31. Dezember 2011 und einer Eigenkündigung der Klägerin.

Die Klägerin (künftig: die klagende Partei) war seit dem 15. März 2001 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Das Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 4.121,86 EUR.

Mit Bescheid vom 4. Mai 2011 ordnete das Bundesversicherungsamt die Schließung der Beklagten zum Ablauf des 30. Juni 2011 und die sofortige Vollziehung dieser Verfügung an. Mit Schreiben vom 19. Mai 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der klagenden Partei, wobei dieses Arbeitsverhältnis ordentlich kündbar ist. Im Juni 2011 schloss die klagende Partei mit der Beklagten „in Abwicklung“ einen befristeten Arbeitsvertrag für die Zeit vom 1. Juli 2011 bis 30. Juni 2012 (Bl. 285 ff. d.A.). Mit Schreiben vom 18. August 2011 kündigte die klagende Partei „mein Arbeitsverhältnis zum nächst zulässigen Termin, dem 30.09.2011“ (Bl. 301 d.A.).

Hinsichtlich des weiteren unstreitigen Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien in der ersten Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

Die klagende Partei hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit dem Ablauf des 30. Juni 2011 geendet hat und auch durch die Kündigung der Beklagten vom 19. Mai 2011 weder zum 30. Juni 2011 noch zum 31. Dezember 2011 aufgelöst wurde;

2. für den Fall des Obsiegens mit dem Klageantrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Sachbearbeiterin weiter zu beschäftigen.

Mit Urteil vom 26. Januar 2012 hat das Arbeitsgericht Berlin festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit dem Ablauf des 30. Juni 2011 geendet hat und auch durch die Kündigung der Beklagten vom 19. Mai 2011 nicht zum 30. Juni 2011 aufgelöst wurde. Es hat dies u.a. damit begründet, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht auf Grund der gesetzlichen Regelungen in §§ 155, 164 Abs. 4 SGB V geendet habe. § 164 Abs. 4 SGB V müsse aus verfassungsrechtlichen Gründen einschränkend ausgelegt werden. Es fehle jedenfalls dann an der erforderlichen Rechtfertigung dieses Eingriffs, wenn zum Zeitpunkt der Schließung für den betroffenen Arbeitnehmer bei der Betriebskrankenkasse noch Beschäftigungsmöglichkeiten in Form von Abwicklungsarbeiten vorhanden seien. Die gesetzliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses erweise sich in diesen Fällen zumindest als unverhältnismäßig. Die Kündigung vom 19. Mai 2011 zum 30. Juni 2011 sei unwirksam. Es fehle an einer Betriebsstilllegung, da vielmehr Abwicklungsarbeiten vorhanden seien, die sich voraussichtlich bis Anfang 2013 hinzögen. Soweit die klagende Partei im Rahmen einer allgemeinen Feststellungsklage den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den 31. August 2011 hinaus begehre, sei die Klage unzulässig. Ein Feststellungsinteresse sei nicht gegeben, da die klagende Partei ihr Arbeitsverhältnis mit der Beklagten zum 30. September 2011 selbst gekündigt habe. Die Wirksamkeit dieser Eigenkündigung stehe zwischen den Parteien nicht in Streit. Über den Weiterbeschäftigungsantrag sei nicht zu entscheiden gewesen, da die klagende Partei mit dem Klageantrag zu 1) nicht vollumfänglich obsiegt habe.

Gegen dieses Urteil haben die Beklagte und die klagende Partei form- und fristgerecht Berufung eingelegt und diese begründet. Hinsichtlich der genauen Daten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23. Mai 2012 verwiesen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass das erstinstanzliche Gericht das materielle Recht falsch angewandt habe. Das Gericht habe die §§ 155, 164 SGB V falsch interpretiert. Da die Beklagte als Körperschaft des öffentlichen Rechts durch Schließung untergegangen sei, liege eine Betriebsstilllegung vor, wie sie unpassender nicht sein könnte. Hierdurch rechtfertige sich die höchst vorsorglich ausgesprochene Kündigung.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26.01.2012 – 33 Ca 8012/11 – teilweise abzuändern und die Klage auch im Übrigen abzuweisen.

Die klagende Partei beantragt,

1. auf die Berufung der Klägerin hin das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 26.01.2012 – 33 Ca 8012/11 – teilweise abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin über den 30.09.2011 hinaus ungekündigt fortbesteht;

2. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die klagende Partei ist der Ansicht, ihre Eigenkündigung hätte vom Empfängerhorizont der Beklagten dahingehend ausgelegt werden müssen, dass sie nur das befristete Arbeitsverhältnis habe beenden wollen. Dies ergebe sich auch daraus, dass die Beklagte die verkürzte Kündigungsfrist aus dem befristeten Arbeitsvertrag akzeptiert habe. Im Übrigen sei fraglich, ob die Berufung der Beklagten zulässig ist, da diese im Wesentlichen nur andere arbeitsgerichtliche Urteile zitiert habe.

Entscheidungsgründe

A.

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig.

Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 06.02.2012 „namens und in Vollmacht der Klägerin/Berufungsklägerin“ Berufung eingelegt hat, ist diese Bezeichnung zwar in sich widersprüchlich, aber auslegungsfähig. Zum einen war der Berufung eine Urteilsabschrift beigefügt, aus der sich die Vertretungskonstellation ergab. Im Übrigen ging am 2. März 2012 noch innerhalb der Frist zur Einlegung der Berufung schon die Berufungsbegründung ein, wonach die Prozessbevollmächtigten „namens und in Vollmacht der Beklagten“ Anträge stellten. Die Berufung ist auch ausreichend begründet. Die Beklagte kritisiert die Auslegung der §§ 155, 164 SGB V durch das Arbeitsgericht Berlin. Hinsichtlich der Kündigung ist sie der Ansicht, dass eine Betriebsstilllegung vorgelegen habe. Dies erachtet die hiesige Kammer für ausreichend.

II.

Die Berufung der Beklagten ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht mit Ablauf des 30. Juni 2011 geendet hat und auch durch die Kündigung der Beklagten vom 19. Mai 2011 und nicht zum 30. Juni 2011 aufgelöst wurde.

Insofern ist auch die hiesige Kammer der Ansicht, dass die Beklagte weiterhin parteifähig ist. Insbesondere § 164 Abs. 4 SGB V ist aus verfassungsrechtlichen Gründen einschränkend dahingehend auszulegen, dass eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Schließung einer Betriebskrankenkasse nur dann eintritt, wenn keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in Form von Abwicklungsarbeiten vorhanden sind. Die Kündigung vom 19. Mai 2011 ist unwirksam, da wegen der Abwicklungsarbeiten eine Betriebsstilllegung nicht vorliegt. Hinsichtlich der näheren rechtlichen Begründung wird auf das angefochtene ausführliche Urteil, insbesondere die Seiten 7, 10-23 Bezug genommen. Die im Rahmen der Berufungsbegründung vorgetragenen Rechtsansichten der Beklagten rechtfertigen nach hiesiger Ansicht keine abweichende Beurteilung.

B.

Die zulässige Berufung der klagenden Partei ist nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat insofern das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen.

Die hiesige Kammer ist jedoch nicht der Ansicht, dass für den weitergehenden Feststellungsantrag der klagenden Partei das erforderliche Feststellungsinteresse fehlt. Im Hinblick auf die ausgesprochene Eigenkündigung ist zwischen den Parteien gerade nicht unstreitig, dass hierdurch ihr Arbeitsverhältnis beendet worden ist. Die klagende Partei ist vielmehr der Ansicht, dass sie „nur“ das befristete Arbeitsverhältnis mit der Abwicklungskörperschaft beendet habe. Insofern ist materiell-rechtlich zu prüfen, inwiefern eine Beendigungswirkung tatsächlich eingetreten ist.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Kündigung der klagenden Partei kann vom Empfängerhorizont eines verständigen Dritten nicht dahingehend ausgelegt werden, dass allenfalls ein befristetes Arbeitsverhältnis hätte beendet werden sollen, das mit der Abwicklungskörperschaft bestanden habe. Die klagende Partei hat auch durch die am 15. Juni 2011 erhobene Kündigungsschutzklage, die zum hiesigen Verfahren verbunden worden war, klargestellt, dass sie von einem einheitlichen Arbeitsverhältnis zu der Beklagten ausging, auch und insoweit sich diese in Abwicklung befinde. Sie hat auch einen allgemeinen Feststellungsantrag gestellt mit dem Argument, sie befürchte weitere Kündigungen „auch zwischen den Instanzen“. Insofern ist es auch unerheblich, dass die Beklagte davon ausging, dass allenfalls ein befristetes Arbeitsverhältnis zur Abwicklungskörperschaft bestehen würde. Für die Auslegung der Willenserklärung der klagenden Partei kommt es darauf an, wie der Wille der klagenden Partei zu verstehen war. Die klagende Partei war hingegen durchgängig der Ansicht, dass das ursprünglich begründete Arbeitsverhältnis zu keinem Zeitpunkt beendet worden war. Das Kündigungsschreiben (Bl. 301 d.A.) nimmt Bezug auf „mein Arbeitsverhältnis“ und bringt gerade nicht zum Ausdruck, dass allenfalls die wechselseitigen Pflichten aus dem befristeten Vertrag aufgehoben werden sollten.

C.

Über die Kosten des Berufungsverfahrens ist einheitlich zu entscheiden. Hierbei ist gemäß § 92 ZPO das Unterliegen der Parteien anteilig zu gewichten.

Für die Beklagte war die Revision zuzulassen, da die Auslegung der §§ 155, 164 SGB V grundsätzliche Bedeutung hat. Bezüglich der klagenden Partei sind die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht gegeben. Diese wird insofern auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72a ArbGG) hingewiesen.