Gericht | LG Frankfurt (Oder) 6. Zivilkammer | Entscheidungsdatum | 12.07.2011 | |
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Aktenzeichen | 6a S 9/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Die Bestimmung des § 296 Abs. 2 S. 1 SGB III soll verhindern, dass freie Stellen auf dem Arbeitsmarkt durch Arbeitsvermittler faktisch blockiert werden, die sich allein das Wissen um solche Stellen vergüten lassen.
2. § 296 Abs. 2 S. 1 SGB III verlangt, dass sich die erforderliche Vermittlungstätigkeit des Arbeitsvermittlers qualitativ von einem bloßen Nachweis unterscheiden. Vorvertragliche Tätigkeiten des Maklers, die dieser im eigenen Interesse zur Identifikation möglicher eigener Vertragspartner erbringt, z. B. durch Abgleich mit dem Anforderungsprofil einer freien Stelle, können nicht als Vermittlungstätigkeit im Rahmen eines später abgeschlossenen Maklervertrages angesehen werden.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Eberswalde vom 26.11.2010, Az. 2 C 136/10, wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert: 1.190 €
I.
Der Kläger betreibt eine Arbeitsvermittlung und verlangt von der Beklagten die Zahlung einer Provision für die Vermittlung eines Arbeitsvertrages.
Die Beklagte war im September 2009 bei der Bundesagentur für Arbeit als arbeitsuchend gemeldet. Sie inserierte sich selbst auf verschiedenen Internetportalen.
Der Kläger wandte sich im September 2009 unaufgefordert an die Beklagte, um ihr einen Arbeitsplatz zu vermitteln. Der Kläger schrieb die Beklagte mit Schreiben vom 22.9.2009 an, in dem ihr mitgeteilt wurde, dass sie ab dem 1.10.2009 „eine Stelle als Bäckereifachverkäuferin auf den ostfriesischen Inseln angeboten“ bekomme. Sie wurde gebeten, am 30.9.2009 gegen 14.00 Uhr zum Geschäftssitz des Klägers anzureisen und Unterlagen sowie „ausreichende Wäsche privat zum Wechseln“ mitzubringen. Eine Unterkunft und die Verpflegung würden über den Arbeitgeber gestellt. Die Unterkunft sei voll möbliert, verfüge über einen Kabelanschluss und eine Waschmaschine sowie ein Trockner gehörten ebenfalls dazu. Wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens wird auf Bl. 39 d.A. Bezug genommen.
Die Beklagte reiste am 30.9.2009 an. Am selben Tag schlossen die Streitparteien einen Arbeitsvermittlungsvertrag. Wegen der Einzelheiten des Vertrages wird auf Bl. 13 ff. d.A. Bezug genommen.
Am selben Tag suchten die Streitparteien die Inselbäckerei XXX auf XXX auf, wo ein Bewerbungsgespräch stattfand. Dort schloss die Beklagte einen befristeten Arbeitsvertrag und trat am 1.10.2009 die Arbeitsstelle an. Wegen der Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 15 ff. d. A. Bezug genommen.
In der Zeit vom 5.10 bis 12.10. war die Beklagte erkrankt. Zum 18.10.2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos.
Die Beklagte erhielt für die Zeit vom 1.10. bis 19.10.2009 Lohn in Höhe von netto 58,19 € (brutto 174,19 €) ausgezahlt.
Mit Schreiben vom 27.11.2009 focht die Beklagte den Vermittlungsvertrag wegen Täuschung an. Mit Schreiben vom 29.3.2011 focht die Beklagte den Arbeitsvertrag wegen Täuschung an.
Der Kläger verlangt Zahlung einer Vermittlungsgebühr in Höhe von 1.190 € nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 155,30 €.
Die Beklagte behauptet, davon ausgegangen zu sein, dass der Kläger für die Bundesagentur für Arbeit tätig geworden sei. Bei dem Vermittlungsgespräch habe der Kläger erklärt, er bekäme von der Bundesagentur für Arbeit bezahlte Vermittlungsgutscheine und vermittle im dessen Namen.
Die Beklagte behauptet, die Arbeitsbedingungen bei der Bäckerei XXX seien unzumutbar gewesen. Anstelle von 40 Stunden an 5 Tagen habe die wöchentliche Arbeitszeit 66,5 Stunden an 7 Tagen betragen. Das zunächst zugesagte Entgelt in Höhe von 1.400 € habe tatsächlich nur 1.350 € betragen. Die Lebensmittel, die sie vom Arbeitgeber habe erwerben müssen, seien mit Kakerlaken bzw. Schimmel behaftet gewesen. Für die zugesagte Unterkunft, die keinen Fernsehanschluss gehabt habe, habe die Beklagte 190 € monatlich an den Arbeitgeber entrichten müssen. Die zwei vorhandenen Badezimmer habe sie sich mit 15 anderen Personen teilen müssen. Die Küche sei völlig unsauber und nicht nutzbar gewesen. An dem Arbeitsplatz habe es vor Ungeziefer, insbesondere Kakerlaken, nur so gewimmelt. Bei einem Besuch bei der örtlichen Arbeitsagentur habe man der Beklagten mitgeteilt, dass sie im Fall einer Eigenkündigung mit einer Sperre nicht zu rechnen habe, weil die unhaltbaren Zustände an dem Arbeitsplatz dort bekannt seien. Bereits zuvor hätten sich 10 bis 15 vom Kläger allein im Jahr 2009 vermittelte (frühere) Arbeitsnehmer über den Arbeitsplatz bei der Bundesagentur für Arbeit beschwert. Die Arbeitsagentur halte den Kläger für unseriös und arbeite mit diesem nicht zusammen.
Dem Kläger seien die unzumutbaren Arbeitsbedingungen bekannt gewesen, weil bereits zuvor etwa 20 zunächst von ihm vermittelte Arbeitnehmer die Stelle nach wenigen Tagen bzw. Wochen gekündigt hätten. Hierzu hat der Kläger lediglich bestritten, dass die Arbeitsbedingungen unzumutbar gewesen seien.
Die Beklagte meint, der Kläger habe ihre Notsituation ausgenutzt, um sie zur Unterzeichnung des Vermittlungsvertrages zu veranlassen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Vermittlungsprovision sei nicht fällig geworden. § 2 des Vermittlungsvertrages sehe vor, dass die Vermittlungsprovision erst nach Zahlung des ersten Bruttogehalts fällig werde. Ein Bruttogehalt sei nicht gezahlt worden. Der Vertrag sei so auszulegen, dass mindestens ein Bruttomonatslohn gezahlt werden müsse, bevor die Provision fällig werden könne. Die gezahlten 58,19 € reichten nicht aus, um die Fälligkeit zu begründen.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter. Er wendet sich insbesondere gegen die Rechtsauffassung des Amtsgerichts, wonach die Provision nicht fällig geworden sei.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Zusätzlich trägt sie erstmals in der Berufungsinstanz vor, dass sie XXX mit der letzten Fähre erreicht habe und sich aus diesem Grund zur Unterzeichnung des Arbeitsvertrages gezwungen gesehen sah. Der Kläger und der Arbeitgeber hätten diese Situation der Beklagten und ihre Unerfahrenheit gezielt ausgenutzt.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung der Vermittlungsprovision. Der Vermittlungsvertrag wurde von der Beklagten wirksam gemäß § 123 Abs. 1 BGB angefochten. Im Übrigen könnte die Beklagte – ohne Anfechtung - dem Kläger die Einrede des nicht erfüllten Vertrages gemäß § 320 Abs. 1 BGB entgegenhalten.
a)
Ein Zahlungsanspruch aus dem Vermittlungsvertrag besteht nicht. Denn die Beklagte hat den Vermittlungsvertrag mit Schreiben vom 27.11.2009 wirksam gemäß § 123 Abs. 1 BGB angefochten. Die Beklagte konnte ihre auf Abschluss des Vermittlungsvertrages gerichtete Willenserklärung wirksam anfechten, weil sie zum Abschluss des Vertrages vom Kläger durch arglistige Täuschung des Klägers bestimmt worden ist. Dieser hat der Beklagten jedenfalls pflichtwidrig verschwiegen, dass er bereits zuvor im Jahr 2009 etwa 20 Arbeitnehmer an die streitgegenständliche Arbeitsstelle vermittelt hatte, die diese nach nur wenigen Tagen oder Wochen wieder aufgaben. Diese Behauptung der Beklagten hat der Kläger nicht bestritten, so dass sie gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig zu behandeln ist. Das Bestreiten des Klägers im Schriftsatz vom 9.7.2011 ist gemäß § 296a ZPO unbeachtlich. Unzutreffend ist die Rechtsauffassung des Klägers, der Sachvortrag der Beklagten sei unsubstantiiert. Es ist nicht erforderlich, dass die Beklagte eine genaue Zahl von Arbeitnehmern oder weitere konkrete Angaben benennt. Dies ist schon deshalb nicht zu erwarten, weil es sich um Tatsachen handelt, die sich weitgehend außerhalb der Sphäre der Beklagten abspielen.
Das Verschweigen von Tatsachen stellt nur dann eine arglistige Täuschung im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB dar, wenn hinsichtlich der verschwiegenen Tatsachen eine Aufklärungspflicht besteht. Entscheidend ist, ob der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise eine Aufklärung erwarten durfte. Umstände, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind, müssen ungefragt offenbart werden. Das gilt vor allem für Umstände, die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können (Palandt/Ellenberger, BGB, 70. Aufl., § 123 Rn. 5a f.).
Danach war der Kläger für den genannten Umstand der Beklagten gegenüber aufklärungspflichtig, weil dieser Umstand geeignet ist, den Zweck der Vermittlungsvertrages, nämlich den Abschluss eines dauerhaften Arbeitsverhältnisses, zu vereiteln oder erheblich zu gefährden. Denn die Tatsache, dass eine Vielzahl von Arbeitnehmern innerhalb eines Jahres dieselbe Arbeitsstelle aufgibt, ist ein deutlicher Hinweis auf eine mögliche Unzumutbarkeit der Beschäftigung. Die Vermittlung eines dauerhaften Arbeitsvertrages ist Hauptleistungspflicht des Vermittlungsvertrages, so dass der Kläger als Vermittler schon aus diesem Grund verpflichtet ist, der Beklagten die für ihre Entscheidung als wesentlich zu unterstellenden Umstände zu offenbaren.
Die fehlende Aufklärung über Umstände des zu vermittelnden Arbeitsvertrages ist auch kausal gewesen für den Abschluss des Vermittlungsvertrages. Denn soweit erkennbar zielte der Vermittlungsvertrag nur auf den Abschluss eines Arbeitsvertrages mit der Bäckerei XXX und nicht auch auf andere alternative Arbeitsverhältnisse. Dies folgt aus dem Schreiben vom 22.09.2009, aus dem hervorgeht, dass die zu vermittelnde Arbeitsstelle bereits konkret bekannt ist. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass auch der Vermittlungsvertrag nicht abgeschlossen worden wäre, wenn der Kläger die Beklagte rechtzeitig, d.h. im Schreiben vom 22.9.2009 darüber aufgeklärt hätte, mit welchen Risiken der Abschluss des ins Auge gefassten Arbeitsvertrages verbunden ist.
b)
Selbst wenn der Vermittlungsvertrag nicht wirksam angefochten wäre, könnte die Beklagte dem Kläger die Einrede des nicht erfüllten Vertrages gemäß § 320 Abs. 1 BGB entgegen halten. Denn bei dem in Rede stehenden Vertrag handelt es sich um einen Vermittlungsvertrag im Sinne des § 652 Abs. 1 S. 1 2. Alt BGB. Der Kläger schuldet daher nicht lediglich den Nachweis eines Arbeitsvertrages, sondern dessen Vermittlung. Eine andere Vereinbarung wäre gemäß § 296 Abs. 2 S. 1 SGB III unwirksam (Palandt/Sprau a.a.O. § 652 Rn. 58). Eine solche Vermittlungstätigkeit hat der Kläger jedoch nicht entfaltet.
Eine Vermittlung in diesem Sinne liegt vor, wenn der Makler bewusst und aktiv auf die Willensentschließung des Vertragspartners des Auftragsgebers einwirkt, um dessen Bereitschaft zum Abschluss des beabsichtigten Hauptvertrages zu fördern, z.B. durch Erstellung eines Vertragsentwurfs oder Ratschläge an die Parteien. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Zusendung eines Exposes oder die Ermöglichung einer Objektbesichtigung allein genügt in der Regel nicht. In der Regel ist ein Verhandeln mit dem Interessenten erforderlich (Palandt/Sprau a.a.O. § 652 Rn. 27 m.w.N.).
Diesen Anforderungen an eine Vermittlungstätigkeit genügt das Handeln des Klägers nicht. Es ist nicht erkennbar, dass der Beklagte auf die Willensentschließung des späteren Arbeitgebers eingewirkt hat, um dessen Bereitschaft zum Abschluss des beabsichtigten Hauptvertrages zu fördern. Allein die Begleitung zum Bewerbungsgespräch reicht hierzu nicht aus, wenn – wie hier – die einzig in Betracht kommende Arbeitsstelle bereits vor Abschluss des Vermittlungsvertrages feststeht.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ein Teil der Tätigkeit des Klägers bereits vor Vertragsschluss (30.9.2009) erfolgt ist, nämlich die Prüfung, ob das Bewerberprofil der Beklagten auf die Stelle passt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Parteien bei Abschluss des Vermittlungsvertrages die (etwaigen) früheren Tätigkeiten des Klägers rückwirkend mit einbeziehen wollten. Insbesondere geht aus § 1 Abs. 2 des Vertrages hervor, dass der Vermittler sich verpflichtet „sofort“ tätig zu werden, woraus folgt, dass die vertragliche Vermittlungstätigkeit erst mit Vertragsunterzeichnung beginnen soll. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine frühere Tätigkeit des Beklagten nicht als vertragliche Vermittlungstätigkeit angesehen werden kann. Eine solche Auslegung gebietet auch § 296 Abs. 2 S. 1 SGB III, da nach dieser Norm die reine Nachweismaklertätigkeit nicht honoriert werden darf. Folgerichtig dürfen auch nicht Tätigkeiten, die der Nachweismakler typischerweise zunächst in eigenem Interesse erbringt, z.B. um einen potentiellen Vertragspartner zum Abschluss des Maklervertrages zu bewegen, nicht rückwirkend als Vermittlungstätigkeiten umdeklariert werden. Soweit der Kläger im vorliegenden Fall beispielsweise vor Vertragsbeginn geprüft hat, ob die Beklagte nach ihrem Bewerberprofil auf die in Rede stehende Stelle passt, handelt es sich nicht um Vermittlungstätigkeiten des Klägers, sondern um solche, die im Interesse des Klägers notwendig waren, um die Beklagte überhaupt zum Abschluss des Vermittlungsvertrages zu bewegen. Um § 296 Abs. 2 S. 1 SGB III nicht leer laufen zu lassen, muss sich die Vermittlungstätigkeit qualitativ von einem bloßen Nachweis unterscheiden. § 296 Abs. 2 S. 1 SGB III soll gerade verhindern, dass freie Stellen auf dem Arbeitsmarkt durch Makler faktisch blockiert werden, die sich allein das Wissen um diese Stelle vergüten lassen. So liegt der Fall jedoch hier: bei den im Rahmen des Vermittlungsvertrages durchgeführten Tätigkeiten des Klägers handelt es sich lediglich um eine typische Nachweistätigkeit.
c)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich.