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Beschwerde; Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung; Beamter auf Widerruf; Polizeimeisteranwärter; Vorbereitungsdienst; Entlassung; Zwischenprüfung; Bescheid über Nichtbestehen; Vollziehbarkeit; Anfechtbarkeit; Tatbestandswirkung; Prüfungsverfahren; Vorgreiflichkeit; (keine) Inzidentprüfung im Entlassungsverfahren


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 4. Senat Entscheidungsdatum 08.08.2019
Aktenzeichen OVG 4 S 22.19 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2019:0808.OVG4S22.19.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 80 Abs 1 VwGO, § 23 Abs 4 BeamtStG, § 43 VwVfG, § 146 Abs 4 VwGO, § 80 Abs 5 VwGO, § 80 Abs 3 VwGO, § 80 Abs 2 Nr 4 VwGO

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 29. März 2019 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 6. September 2018 wiederherzustellen, wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf über 3.000 Euro bis zu 4.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Das Oberverwaltungsgericht prüft gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zunächst nur die vom Antragsgegner fristwahrend dargelegten Gründe der Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts. Erweisen sich diese als berechtigt, setzt eine Stattgabe durch das Oberverwaltungsgericht voraus, dass sich die angefochtene Entscheidung nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. August 2015 – OVG 5 S 36.14 – juris Rn. 11 und vom 10. April 2019 – OVG 4 S 16.19 – juris Rn. 1; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 146 Rn. 115). Das ist aus der Formulierung des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO zu schließen, wonach die Gründe darzulegen sind, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben „ist“ (so das OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O.). Gemäß diesen Maßstäben ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts abzuändern.

Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts durfte der Antragsgegner die Entlassung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf nicht auf die im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung (noch) nicht angefochtene negative Prüfungsentscheidung des Prüfungsausschusses vom 25. Mai 2018 stützen, solange diese mangels Ablauf der Rechtsbehelfsfrist weiter anfechtbar war. Der Dienstherr dürfe einen Widerrufsbeamten, der auch eine Wiederholungsprüfung nicht bestanden habe, nur dann wegen mangelnder fachlicher Leistungen entlassen, wenn die Prüfungsentscheidung Bestandskraft erlangt habe oder ihre sofortige Vollziehung angeordnet worden sei. Dies gebiete der das Beamtenrecht prägende Grundsatz der Stabilität des dienstrechtlichen Status. An eine noch vorläufige, weil noch anfechtbare Prüfungsentscheidung dürfe der Dienstherr, der durch Beifügung einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung über die Länge der Rechtsbehelfsfrist disponieren könne, keine statusaufhebenden Folgen knüpfen.

Dem hält der Antragsgegner mit der Beschwerde überzeugend entgegen, dass der Prüfungsbescheid vom 25. Mai 2018 im Zeitpunkt der Entlassung und der erstinstanzlichen Entscheidung wirksam und mangels Widerspruch des Antragstellers im Sinne von § 80 VwGO vollziehbar war. Auf der Grundlage dieses Bescheides habe ein sachlicher Grund für die Entlassung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf bestanden.

Der Bescheid des Prüfungsausschusses für den mittleren Dienst der Schutzpolizei beim Polizeipräsidenten in Berlin vom 25. Mai 2018 ist ein Verwaltungsakt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. März 1994 – 6 C 5/93 – juris Rn. 21; Fischer, in: Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Auflage 2018, Rn. 818). Er beinhaltet mit Tatbestandswirkung (vgl. Funke-Kaiser, in: Bader u.a., VwGO, 7. Auflage 2018 § 80 Rn. 5) die Feststellung, dass der Antragsteller die Zwischenprüfung für den mittleren Dienst der Schutzpolizei nach der für ihn weiter geltenden Verordnung über die Ausbildung und Prüfung für den mittleren Dienst der Schutzpolizei vom 8. Juni 2007 (GVBl. S. 234, im Folgenden: APOmDPol 2007) nicht bestanden hat und eine nochmalige Wiederholung der Prüfung ausgeschlossen ist. Der Bescheid ist mit der Bekanntgabe an den Antragsteller am 4. Juni 2018 wirksam geworden (§ 1 Abs. 1 BlnVwVfG i.V.m. § 43 VwVfG). Seine Rechtswirkung tritt unbeschadet der Tatsache ein, dass er zunächst noch der Anfechtung durch Widerspruch und Klage unterliegt und daher nur schwebend wirksam ist (Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Auflage 2017, Rn. 627). Er entfaltet seine Wirkung unmittelbar, ohne dass es zu seiner Durchsetzung der Vollstreckung bedürfte, die ihrerseits die Unanfechtbarkeit oder sofortige Vollziehbarkeit des zu vollstreckenden Verwaltungsakts voraussetzte (vgl. § 6 VwVG).

Will ein betroffener Widerrufsbeamter das Prüfungsergebnis mit Blick auf eine drohende Entlassung nicht gegen sich gelten lassen, kann und muss er Widerspruch gegen den Prüfungsbescheid einlegen, der nach § 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO aufschiebende Wirkung mit der Folge entfaltet, dass aus der getroffenen Feststellung keine rechtlichen und tatsächlichen Folgerungen gezogen werden dürfen (vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Auflage 2017, Rn. 635; OVG Münster, Beschluss vom 21. Februar 2012 − 6 B 22/12 – juris Rn. 7). Das System des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 VwGO bietet damit Schutz vor einer „voreiligen“ Entlassung auf der Grundlage eines noch nicht bestandskräftigen Prüfungsbescheids, ohne dass es des Rückgriffs auf den Grundsatz der Stabilität des Beamtenverhältnisses bedürfte, um dies zu verhindern. So hätte der anwaltlich beratene Antragsteller der beabsichtigten Entlassung mit Erhebung des Widerspruchs gegen den Prüfungsbescheid jedenfalls nach Zugang des Anhörungsschreibens entgegenwirken können. Aus dem Umstand, dass die Widerspruchsfrist wegen der vom Antragsgegner im Prüfungsbescheid unterlassenen Rechtbehelfsbelehrung nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO ein Jahr betrug, folgt nichts anderes. Die vom Verwaltungsgericht zitierten obergerichtlichen Entscheidungen betrafen Fallkonstellationen, in denen Widerspruch gegen den Prüfungsbescheid eingelegt worden war (OVG Münster, Beschluss vom 21. Februar 2012 − 6 B 22/12 – juris Rn. 7; VGH Kassel, Beschluss vom 21. August 1976 – ITH 4/76 – RiA 1979, 157 <159>). Zur Frage der Wirkung und Vollziehbarkeit eines Prüfungsbescheids vor Rechtsbehelfseinlegung verhalten sich diese Entscheidungen nicht.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erweist sich nicht im Ergebnis als richtig, weil der Antragsteller nunmehr nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist mit anwaltlichem Schreiben vom 16. Mai 2019 Widerspruch gegen den Prüfungsbescheid eingelegt hat, der rückwirkend auf den Zeitpunkt des Erlasses des Prüfungsbescheids aufschiebende Wirkung entfaltete, da das Prüfungsamt der Polizeiakademie des Antragsgegners mit Bescheid vom 21. Mai 2019 gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung des Bescheids vom 25. Mai 2018 angeordnet hat. Mit Blick auf die für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren maßgebliche Vollziehbarkeit des Prüfungsbescheids ist damit keine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten. Die Beteiligten haben nicht mitgeteilt, dass der Antragsteller erfolgreich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Prüfungsbescheid beantragt hätte.

Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 6. September 2018 ist vom Antragsgegner in Einklang mit § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO noch hinreichend begründet worden. Der Antragsgegner führt bezogen auf den Einzelfall seine Auffassung an, warum der Verbleib des Antragstellers im Beamtenverhältnis auf Widerruf unter Fortzahlung der Anwärterbezüge bis zum Abschluss des gegen die Entlassung gerichteten Widerspruchsverfahrens und eines sich gegebenenfalls anschließenden Klageverfahrens öffentliche Belange zu sehr beeinträchtigen würde.

Die dem Gericht danach gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Fall 2 VwGO eröffnete Abwägung der widerstreitenden Belange geht zum Nachteil des Antragstellers aus, weil sich der Entlassungsbescheid nach Aktenlage im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats als rechtmäßig erweist und ein Interesse des Antragstellers, gleichwohl vorerst von dessen Wirkung verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse nicht überwiegt.

Die Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Entlassung beurteilt sich nach § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG, § 33 Abs. 1, § 34 Abs. 1 LBG. § 33 Abs. 5 LBG findet aus den vom Verwaltungsgericht zutreffend dargelegten Gründen keine Anwendung.

Nach § 23 Abs. 4 Satz 1 BeamtStG können Beamtinnen auf Widerruf und Beamte auf Widerruf jederzeit entlassen werden. § 23 Abs. 4 Satz 2 BeamtStG schränkt dieses weite Ermessen des Dienstherrn dahin ein, dass die Entlassung nur aus Gründen statthaft ist, die mit dem Sinn und Zweck des Vorbereitungsdienstes im Beamtenverhältnis auf Widerruf im Einklang stehen (vgl. BVerwGE 62, 267 <269>). Bestehen ernsthafte Zweifel, dass der Beamte das Ziel des Vorbereitungsdienstes, nämlich den Erwerb der Befähigung für die angestrebte Beamtenlaufbahn erreichen kann, so kann er aus dem Vorbereitungsdienst entlassen werden. Dies ist der Fall, wenn er eine Zwischenprüfung nicht besteht, die nach der Ausbildungs- und Prüfungsordnung – wie hier (vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 1, § 18 Abs. 1 APOmDPol 2007) – Voraussetzung für die Fortsetzung des Vorbereitungsdienstes ist. Ist die Feststellung des endgültigen Nichtbestehens der Zwischenprüfung in dem Sinne vollziehbar, dass sie im Rechtsverkehr als wirksam behandelt werden kann, unterliegt der Dienstherr keinem Ermessensfehler, wenn er einen Anwärter auf der Grundlage dieser Feststellung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf entlässt.

Prüfungsverfahren und Entlassungsverfahren sind gesondert zu betrachten. Die Einwendungen des Antragstellers gegen Durchführung und Ergebnis der Zwischenprüfung richten sich gegen den Prüfungsbescheid, der der gesonderten Anfechtung durch den Antragsteller unterliegt. Sie sind nicht inzident im vorliegenden an den Prüfungsbescheid anknüpfenden Entlassungsverfahren zu prüfen.

Die Vorgreiflichkeit des Ergebnisses des Prüfungsverfahrens für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der daran anknüpfenden Entlassungsverfügung in der Hauptsache steht der sofortigen Vollziehung der Entlassungsverfügung nicht von vornherein entgegen. Der Antragsteller kann seinem Interesse, im Sinne effektiven Rechtsschutzes von den Wirkungen einer rechtswidrigen Prüfungsentscheidung bis zu deren Bestandskraft verschont zu bleiben, dadurch Geltung verschaffen, dass er gegen diese im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes vorgeht. Sollte die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Prüfungsentscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO wiederhergestellt werden, kann der Antragsteller dies im Rahmen eines Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO gegen die Vollziehung der Entlassungsverfügung ins Feld führen. Der Antragsgegner trägt insofern das Risiko, bereits vorgenommene Vollziehungsmaßnahmen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache gegebenenfalls rückgängig machen zu müssen.

Es besteht ein öffentliches Interesse daran, dass der auf der Grundlage einer Tatbestandswirkung entfaltenden Prüfungsentscheidung aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf entlassene Antragsteller nicht unter Fortzahlung der Anwärterbezüge im Beamtenverhältnis auf Widerruf verbleibt. Das Beamtenverhältnis auf Widerruf dient der Ausbildung und nicht der Unterhaltssicherung (vgl. Beschluss des Senats vom 10. April 2019 – OVG 4 S 16.19 – juris Rn. 15 mit Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2010 – 2 B 47.09 – juris Rn. 6). Solange der Antragsteller auf der Grundlage der weiter vollziehbaren Prüfungsentscheidung gegen sich gelten lassen muss, dass er die Zwischenprüfung endgültig nicht bestanden hat und demzufolge die Voraussetzungen für eine reguläre Fortsetzung der Ausbildung nach § 3 Abs. 3 Nr. 1, § 18 Abs. 1 APOmDPol 2007 nicht erfüllt sind, besteht kein Grund, ihn allein mit Blick auf die noch nicht eingetretene Bestandskraft der Prüfungsentscheidung weiter unter Vorbehalt auszubilden und zu alimentieren, zumal auch eine erfolgreiche Anfechtung der Prüfungsentscheidung allein nicht zum Bestehen der Zwischenprüfung führt. Persönliche Belange, die das hier fiskalisch begründete öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Entlassung überwiegen könnten, sind weder vom Antragsteller aufgezeigt noch für das Gericht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG (in Anlehnung an § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG) und veranschlagt wegen der Vorläufigkeit der Entscheidung die Hälfte des auf die Klage entfallenden Betrages.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).