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Entscheidung 7 U 90/12


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 7. Zivilsenat Entscheidungsdatum 10.07.2013
Aktenzeichen 7 U 90/12 ECLI
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 3. Mai 2012 verkündete Urteil der Einzelrichterin des Landgerichts Potsdam - Az.: 2 O 90/11 - wird als unzulässig verworfen, soweit sich der Beklagte gegen die Verurteilung zur Bewilligung der Auszahlung des beim Amtsgericht Potsdam - Hinterlegungsstelle - zum Aktenzeichen 52 HL 98/08 hinterlegten Teilbetrages zur Höhe von 784,78 € wendet.

Im Übrigen wird das vorbezeichnete Urteil auf die Berufung des Beklagten abgeändert. Die Klage wird insoweit abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Streitwert für die II. Instanz: bis 290.000,00

Gründe

I.

Der Kläger ist durch Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 2. Dezember 2009 (Az.: 35 IN 492/09) zum Insolvenzverwalter über das Vermögen des P… R… (im Folgenden: Schuldner) bestellt worden. Er begehrt vom beklagten Land (im Folgenden: Beklagter) die Freigabe hinterlegten Geldes.

Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen den Schuldner wegen der Unterschreitung gesetzlicher Mindestlöhne stellte das Hauptzollamt … Münzgeld im Werte von 272.855,52 € beim Schuldner sicher. Das Geld wurde auf ein Konto des Hauptzollamtes eingezahlt. Gemäß § 111d StPO ordnete das Amtsgerichts Potsdam den dinglichen Arrest in Bezug auf das Geld an. Das Hauptzollamt hinterlegte den Geldbetrag durch Überweisung auf das Konto der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Potsdam. Als Empfangsberechtigte waren der Schuldner und der Beklagte, vertreten durch den Leitenden Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Potsdam bezeichnet; auf die Annahmeanordnung vom 11. Juli 2008 (Bl. 10 f. d.A.) wird Bezug genommen. Eine weitere Hinterlegung von 784,78 € erfolgte zeitlich nach Insolvenzeröffnung (Annahmeanordnung vom 6. April 2010; Bl. 12 f. d.A.). Die Staatsanwaltschaft Potsdam erklärte nachfolgend die Freigabe der hinterlegten Gelder.

Am 14. Oktober 2008 erließ das Finanzamt … eine an die Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts gerichtete Pfändungs- und Einziehungsverfügung über 494.174,28 € (Bl. 14 d.A.), in der es unter anderem heißt:

„(der Schuldner) schuldet dem Land Brandenburg (Vollstreckungsgläubiger) Abgaben im Gesamtbetrag von 494.174,28 €. Wegen dieses Anspruchs werden gem. §§ 309 ff. Abgabenordnung (AO) gepfändet: Der Anspruch des Vollstreckungsschuldners gegen Sie auf Herausgabe der in Ihrem Gewahrsam befindlichen Sachen, nämlich des beschlagnahmten Bargeldes. Es wird angeordnet, diese Sachen an den Vollziehungsbeamten des Finanzamts herauszugeben (§ 318 Abs. 2 AO).“ Das Amtsgericht gab am 28. Oktober 2008 eine anerkennende Drittschuldnererklärung ab (Bl. 40 d.A.). Mit Schreiben vom 28. Oktober 2010 teilte das Finanzamt dem Amtsgericht mit, dass die Pfändungs- und Einziehungsverfügung auf 375.734, 41 € eingeschränkt werde (Bl. 41 d.A.).

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe ein besseres Recht an dem hinterlegten Betrag zu, weil die Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Beklagten ins Leere gegangen sei. Es sei weder der Drittschuldner richtig bezeichnet, noch richte sich die Pfändung auf das dem Schuldner zustehende Recht. „Beschlagnahmtes Bargeld“, welches die Hinterlegungsstelle hätte herausgeben können, sei dort zu keinem Zeitpunkt vorhanden gewesen.

Der Kläger hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, die Auszahlung der bei dem Amtsgericht Potsdam - Hinterlegungsstelle - zum Aktenzeichen 52 HL 98/08 hinterlegten Gelder an den Kläger zu bewilligen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: In Folge der Pfändung und der Erklärung der Hinterlegungsstelle, die Forderung anzuerkennen, habe der Beklagte eine Sperrposition erlangt, die nach dem brandenburgischen Hinterlegungsgesetz (BbgHintG) wirksam sei. Ein Rechtsgrund bestehe im Verhältnis der Parteien nicht. Denn die vom Beklagten ausgebrachte Pfändung sei - ungeachtet ihrer verwaltungsrechtlichen Bestandskraft - unwirksam. Der Beklagte habe nämlich eindeutig einen Anspruch auf Herausgabe von Sachen gepfändet, nicht indes einen Zahlungsanspruch. Aus der Pfändungsverfügung sei nicht eindeutig zu ersehen, was denn tatsächlich der Pfändung unterliegen solle, zumal auch das Datum der Geldbeschlagnahme nicht genannt sei. Bezüglich der weiteren 784,78 € stehe der Wirksamkeit der Pfändung ohnehin § 91 Abs. 1 InsO entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung, welche dem Beklagten am 9. Mai 2012 zugestellt worden ist, wird auf die bei den Akten befindliche Ausfertigung (Bl. 84 ff.) Bezug genommen. Der Beklagte hat am 8. Juni 2012 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 9. August 2012 - durch einen an diesem Tage beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz - zusammengefasst - wie folgt begründet:

Das Landgericht habe die Anforderungen an die Bezeichnung der gepfändeten Forderung überspannt. An Hand der konkreten Umstände de Einzelfalls sei unzweifelhaft, dass sich die Pfändung und Einziehung nicht auf den Anspruch auf körperliche Herausgabe, sondern auf Auskehr des hinterlegten Geldes richten sollte. Eine Verwechselungsgefahr habe nicht bestanden, weil es nur einen zu Gunsten des Schuldners hinterlegten Betrag gegeben habe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 8. Mai 2012 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung nach Maßgabe der Berufungserwiderung vom 23. Januar 2013 (Bl. 128) und betont, dass außerhalb der Pfändungsurkunde liegende Umstände für die Bestimmung des gepfändeten Gegenstands nicht herangezogen werden dürften.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ferner auf den nicht nachgelassenen Schriftsatz des Klägers vom 18. Juni 2013.

II.

Die Berufung ist unzulässig, soweit sich der Beklagte gegen die Verurteilung zur Bewilligung der Herausgabe eines Teilbetrages von 784,78 € wendet. Insoweit hat das Landgericht die mangelnde Berechtigung des Beklagten mit dem selbstständigen Argument begründet, die Einzelzwangsvollstreckung auf Grund der Annahmeanordnung vom 6. April 2010 sei gemäß § 91 Abs. 1 InsO unzulässig, weil das Insolvenzverfahren zu diesem Zeitpunkt schon eröffnet gewesen sei. Mit dieser Argumentation setzt sich der Beklagte in der Berufungsschrift nicht auseinander. Eine solche Auseinandersetzung wäre indes notwendig gewesen; stützt die angefochtene Entscheidung sich auf mehrere Gesichtspunkte, die die Entscheidung - jeder für sich - begründen können, so muss sich der Berufungsführer mit jedem Gesichtspunkt befassen (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 29. Aufl., § 520 RN 37a mit Nachweisen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung).

III.

Wegen des weiteren Geldbetrages in Höhe von 272.855,52 € ist die Berufung hingegen begründet. Dem Kläger steht der allein in Betracht kommende Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1, 2. Alt. BGB, nicht zu.

Auf das Rechtsverhältnis der Hinterlegungsbeteiligten - hier der Parteien - zur Hinterlegungsstelle findet das am 1. Dezember 2010 in Kraft getretene BbgHintG auch in Ansehung der zeitlich früheren Rechtsakte Anwendung (§ 35 BbgHintG). Der Streit mehrerer Hinterlegungsbeteiligter darüber, welcher an dem hinterlegten Gegenstand die bessere Berechtigung innehat, ist im ordentlichen Prozesswege zu klären; der Besserberechtigte kann aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB die Abgabe der gemäß § 21 Abs. 3 Nr. 1 BbgHintG zum Nachweis der Berechtigung erforderlichen Erklärungen verlangen (vgl. hierzu allgemein Palandt/Sprau, BGB, 72. Aufl., § 812 RN 93 m.w.N.).

Die bessere Berechtigung an dem hinterlegten Geldbetrag von 272.855,52 € steht dem Beklagten zu; denn die am 16. Oktober 2008 bewirkte Pfändung war wirksam.

Der der Verfügung vom 14. Oktober 2008 zu Grunde liegende Steueranspruch des Beklagten gegen den Schuldner ist unstreitig entstanden und bestandskräftig mit 375.734,41 € festgestellt. Die der Pfändung zu Grunde liegende Steuerforderung ist in der Verfügung vom 14. Oktober 2008 auch in hinreichender Form benannt. Gemäß § 309 Abs. 2 S. 2 AO sind die einzelnen Steuern und die Zeiträume, für die diese zu zahlen sind, gerade nicht zu benennen; es soll, wie hier geschehen, nur die geschuldete Gesamtsumme genannt werden.

Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung ist auch durch ordnungsgemäße Zustellung an den Beklagten wirksam geworden. Zwar ist im Adressfeld der Verfügung nicht der Beklagte, sondern das Amtsgericht Potsdam - Hinterlegungsstelle - als Adressat aufgeführt. Unzweifelhaft handelt es sich bei der Hinterlegungsstelle um eine Einrichtung des Beklagten, die zudem für die Vertretung des Beklagten allgemein zuständig war, wie sich aus der Allgemeinen Verfügung des Ministers der Justiz vom 9. Juni 1992 (JMBl. S. 78), zuletzt geändert durch Allgemeine Verfügung des Ministers der Justiz vom 21. November 2012 (JMBl. S. 116), ergibt. Dass sich die Verfügung an die Beklagte, vertreten durch die zuständige Stelle, richten sollte, war für die Parteien ebenso klar wie für die Hinterlegungsstelle.

Im Gegensatz zu der Rechtsauffassung des Landgerichts erfasst die Pfändungs- und Einziehungsverfügung auch den Anspruch des Schuldners gegen die Hinterlegungsstelle auf Auskehr („Herausgabe“ im Sinne des BbgHintG). Zutreffend ist zwar, dass ein Anspruch auf (körperliche) Herausgabe des beschlagnahmten Bargeldes, wie er in der Verfügung genannt ist, zu keinem Zeitpunkt bestanden hat, weil das beschlagnahmte Bargeld schon unbar bei der Hinterlegungsstelle eingezahlt worden ist; zudem werden gesetzliche Zahlungsmittel von der Hinterlegungsstelle grundsätzlich nicht gesondert gelagert, sondern in Buchgeld umgewandelt (vgl. § 11 Abs. 1 BbgHintG).

Die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 14. Oktober 2008 ist der Auslegung zugänglich, soweit es um die Bestimmung der gepfändeten Forderung geht. Ein Pfändungsbeschluss muss die gepfändete Forderung und ihren Rechtsgrund allerdings so genau bezeichnen, dass bei verständiger Auslegung unzweifelhaft feststeht, welche Forderung Gegenstand der Zwangsvollstreckung sein soll, das heißt, dass die gepfändete Forderung eindeutig identifiziert und von anderen unterschieden werden kann. Dieser Bestimmtheit bedarf es nicht nur für die unmittelbar Beteiligten, sondern ebenso für andere Personen, insbesondere für weitere Gläubiger, die möglicherweise pfänden wollen. Für diese muss aus dem Pfändungsbeschluss selbst erkennbar sein, welche Forderung gepfändet worden ist, ohne dass sie auf die Möglichkeit verwiesen werden können, notwendige Angaben aus anderen Unterlagen und Umständen außerhalb des Pfändungsbeschlusses zu ergänzen. Dazu muss das Rechtsverhältnis, aus dem die Forderung hergeleitet wird, wenigstens in allgemeinen Umrissen angegeben werden. Hierbei sind Ungenauigkeiten unschädlich, sofern sie sonst keinen Zweifel begründen, welche bestimmte Forderung gemeint ist (st. Rspr. RGZ 139, 97; RGZ 157, 321; BGH NJW 1954, 881; BGH NJW 1883, 886; BGH RR 1991, 1197). Dem Erfordernis der Bestimmtheit ist demnach nicht genügt, wenn das Rechtsverhältnis, aus dem die gepfändeten Geldforderungen stammen, nicht hinreichend deutlich genannt ist. So ist etwa die globale Pfändung sämtlicher Forderungen des Drittschuldners gegen einen Schuldner aus "jedem Rechtsgrunde" (BGH NJW 1954, 881) oder aus einer anderen nichtssagenden rechtlichen Einordnung zu ungenau (vgl. OLG Karlsruhe NJW 1998, 549).

Hieran gemessen kann es nicht zweifelhaft sein, das der Anspruch des Schuldners auf Auskehr des hinterlegten Geldbetrages von der Pfändung umfasst werden sollte. Gepfändet werden sollte nicht etwa eine rechtlich unbestimmte Position, sondern sie sollte umfassen die „Herausgabe des beschlagnahmten Bargeldes“. Da es bis zum 14. Oktober 2008 nur eine einzige Beschlagnahme von Vermögenswerten des Schuldners gegeben hatte, die zu einer Hinterlegung beim Amtsgericht Potsdam geführt hat, war es aus der Sicht von Gläubiger, Schuldner und Drittschuldner klar, auf welchem tatsächlichen Vorgang die gepfändete Forderung zur Entstehung gelangt sein sollte. Auch außen stehende Dritte, die von der Pfändungs- und Einziehungsverfügung Kenntnis erlangt haben, konnten - ohne sich zuvor Sonderwissen verschaffen zu müssen - unschwer feststellen, welche Forderung gemeint war.

Die Hinweise in der Pfändungs- und Einziehungsverfügung, die auf die Pfändung eines Anspruches auf körperliche Herausgabe deuten („Gewahrsam“; „Bargeld“, § 318 Abs. 2 AO) lassen eine hinreichende Beschränkung des Pfändungswillens auf eine Herausgabevollstreckung im engeren Sinne nicht erkennen. Vielmehr enthält die Verfügung im Text ebenso einen allgemeinen Verweis auf Zahlungsforderungen. Für die Pfändungsbeteiligten wie für außenstehende Dritte war der Gedanke eher fernliegend, dass zwar - etwa im Gegensatz zur gesetzlichen Regelung noch vorhandenes - Bargeld gepfändet werden sollte, aber nicht eine hieraus resultierende Zahlungsforderung. Da nur eine einzige Forderung gepfändet worden ist, sind die Probleme, auf die der Beklagte bei der Pfändung von Forderungsmehrheiten mit Recht hinweist, vorliegend ohne Bedeutung.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das Urteil ist gemäß § 708 Nr. 10 ZPO hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Die Anordnung der Abwendungsbefugnis hat ihre Grundlage in § 713 ZPO. Der Senat lässt die Revision gegen das Urteil nicht gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zu, weil die Entscheidung auf der Würdigung der Tatsachen im Einzelfall beruht und ungeklärte Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht aufwirft.