Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 17. Kammer | Entscheidungsdatum | 30.11.2011 | |
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Aktenzeichen | 17 Ta 2357/11 | ECLI | ||
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 114 ZPO |
Zu den Voraussetzungen einer hinreichenden Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. November 2011 – 41 Ca 14979/11 – geändert:
Der Klägerin wird für die mit der Klageschrift beabsichtigte Rechtsverfolgung Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin A. T. bewilligt.
Die Beschwerde ist begründet.
Der Klägerin ist für die mit der Klageschrift beabsichtigte Rechtsverfolgung Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.
1. Die Rechtsverfolgung hat entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO.
a) Vor der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist zu prüfen, ob der Antragsteller seine Prozessaussichten so vernünftig wie ein nicht bedürftiger Anspruchsteller abwägt und das Kostenrisiko berücksichtigt. Dem dient das Erfordernis der hinreichenden Erfolgsaussicht, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss; eine Vorverlagerung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe an Stelle des Hauptsacheverfahrens darf nicht erfolgen (vgl. BVerfG vom 10. August 2001, 2 BvR 569/01, AP Nr. 10 zu Art 19 GG; vom 7. April 2000, 1 BvR 81/00, AP Nr. 12 zu § 114 ZPO, jew. m.w.N.). Denn das Prozesskostenhilfeverfahren will den grundrechtlich garantierten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern nur zugänglich machen (BVerfG vom 2. März 2000, 1 BvR 2224/98, NJW 2000, 2098). Daher darf die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu führen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskosten-hilfeverfahren zu verlagern. Eine hinreichende Erfolgsaussicht für die Rechts-verfolgung liegt vor, wenn der von einem Kläger vertretene Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht (BAG vom 26. Januar 2006, 9 AZA 11/05, NZA 2006, 1180; BGH vom 14. Dezember 1993, VI ZR 235/92, NJW 1994, 1160).
b) Unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes hat die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg.
aa) Soweit die Klägerin die Feststellung begehrt, sie sei zu einer Arbeitsleistung an Wochenenden und an Nachmittagen ab 14.00 Uhr nicht verpflichtet, kann die Erfolgsaussicht dieser Klage nicht allein im Hinblick auf die abgeschlossenen Formulararbeitsverträge verneint werden. Zwar kann die Klägerin danach ohne zeitliche Einschränkung zur Arbeitsleistung herangezogen werden. Die Klägerin beruft sich jedoch in ausreichender Weise auf eine hiervon abweichende Individualvereinbarung mit der Beklagten, die den Formulararbeitsverträgen als Allgemeine Geschäftsbedingungen vorgehen würde (§ 305 b BGB). So soll die Geschäftsführerin der Beklagten der Klägerin bei Abschluss der ersten Verträge mitgeteilt haben, anders als nach den vorformulierten Verträgen möglich werde sie – die Klägerin – immer von Montag bis Freitag in der Zeit von 7.00 bis 14.00 Uhr eingesetzt. Eine derartige Abrede würde der Feststellungsklage ohne weiteres zum Erfolg verhelfen. Die Klägerin hat sich zum Beweis für ihre Behauptung zudem auf das Zeugnis insbesondere der ehemaligen stellvertretenden Pflegedienstleiterin Frau R. berufen, die bei der angeblichen Vereinbarung anwesend gewesen sein soll. Bei dieser Sachlage kann der Feststellungsklage eine hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden, zumal die Klägerin über einen langen Zeitraum hinweg nach der von ihr behaupteten Arbeitszeitfestlegung eingesetzt wurde.
Auf der Grundlage des gegenwärtigen Sach- und Streitstandes kann die Feststellungsklage im Übrigen auch dann Erfolg haben, wenn die von der Klägerin behauptete Individualvereinbarung nicht vorliegt bzw. von der Klägerin nicht bewiesen werden kann. Wenn die Klägerin bislang auf der Grundlage der Formulararbeitsverträge beschäftigt wurde, so hat die Beklagte nach dem Vorbringen der Klägerin ihr Weisungsrecht – sieht man von der Überbrückung eines personellen Engpasses ab – stets in der Weise ausgeübt, dass die Klägerin nicht am Wochenende und nicht nach 14.00 Uhr tätig werden musste. Eine hiervon abweichende Festlegung der Arbeitszeit muss nicht nur mit den vertraglichen Vereinbarungen im Einklang stehen, sondern auch billigem Ermessen entsprechen (§106 GewO). Die Beklagte hatte deshalb bei ihrer Weisung die wesentlichen Umstände des Falles abzuwägen und die beiderseitigen Interessen angemessen zu berücksichtigen; sie trägt die diesbezügliche Darlegungs- und Beweislast. Hat die Beklagte ihr Weisungsrecht nicht in zulässiger Weise ausgeübt oder lässt sich dies nicht feststellen, so bleibt die bisherige Arbeitszeitfestlegung für die Klägerin verbindlich und bietet eine ausreichende Grundlage für die von der Klägerin erhobene Feststellungsklage.
bb) Die gegen die Abmahnung vom 2. September 2011 gerichtete Klage hat ebenfalls hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Beklagte hat die streitbefangene Abmahnung darauf gestützt, dass sich die Klägerin geweigert habe, an Wochenenden zu arbeiten; zudem habe sich die Klägerin „unangemessen“, „verbal ausfallend“ sowie „eigenmächtig“ verhalten. Sie ist zur Entfernung dieser Abmahnung aus der Personalakte der Klägerin verpflichtet, sofern sich einer der erhobenen Vorwürfe als unberechtigt erweist, wobei erneut die Darlegungs- und Beweislast bei der Beklagten liegt. Im gegenwärtigen Zeitpunkt kann weder davon ausgegangen werden, dass die Klägerin sich zu Unrecht weigerte, an Wochenenden zu arbeiten, noch fehlen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das sonstige Verhalten der Klägerin zum Gegenstand einer Abmahnung gemacht werden durfte. Dabei ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die in dem Abmahnungsschreiben genannten Äußerungen der Klägerin nicht von vornherein eine Vertragspflichtverletzung darstellen; weitere „verbale Verfehlungen“ hat die Beklagte in dem Abmahnungsschreiben nicht geschildert.
Soweit die Klägerin in ihrem Klageantrag einen Widerruf der Abmahnung durch die Beklagte fordert, nimmt die Beschwerdekammer angesichts der Klagebegründung an, dass es sich lediglich um eine Ergänzung ihres Begehrens handelt, die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen. Eine Einschränkung der Prozesskostenhilfe kommt deshalb insoweit nicht in Betracht.
2. Die Klägerin hat aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse kein eigenes Einkommen oder Vermögen einzusetzen, um die Kosten der Prozessführung zu decken. Sie erhält Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und verfügt lediglich über ein nach § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO i.V.m. § 90 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch nicht einzusetzendes Vermögen.
3. Der Klägerin war ihre Prozessbevollmächtigte nach § 121 Abs. 2 ZPO beizuordnen, weil ihre Rechtsverfolgung – wie ausgeführt – hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und die Gegenseite durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Im Übrigen konnte die Klägerin unabhängig von den Erfolgsaussichten der Klage eine Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten nach § 11 a ArbGG verlangen. Jeder Prozesskostenhilfeantrag enthält hilfsweise einen Antrag nach § 11 a ArbGG, sofern die Gegenseite anwaltlich vertreten ist (vgl. LAG Berlin-Brandenburg vom 22. November 2010 – 7 Ta 2084/10 – AGS 2011, 78 ff.; vom 11. Juni 2007 – 15 Ta 1077/07 – LAGE Nr. 7 zu § 114 ZPO). Eine Sachverhaltsgestaltung, in der eine Beiordnung nach § 11 a Abs. 2 ArbGG ausnahmsweise unterbleiben kann, ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.
4. Die Entscheidung ist unanfechtbar.